Edition de Paris

Pariser Ausgabe

Freiheit

Nr. 224 2. Jahrgang

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Einzige unabhängige deutsche   Tageszeitung

INSERATEN- ANNAHME für Frankreich  ( ausschließlich Elsaß- Lothringen  ): Publicité Megl, Paris  ( 3e) 51, rue de Turbigo( Ecke rue Réaumur. Metro: Arts- et- Métiers). Telephon: Archives 84-95, 84-96, 84-97 Saarbrücken  - Paris  , Donnerstag, 27. Sept. 1934 Chefredakteur: M. Braun

Wandlungen im Süd- Osten

Paris  , 26. September.

A. Sch. Jm Süd- Osten Europas   scheint sich die tiefste Umwälzung seit 1919 vorzubereiten. Jm riesigen Raum zwischen der Schweiz   und Odessa  , zwischen Sachsen   und Benedig soll eine Generalbereinigung der Streitfragen erfolgen. Die konkrete Form und das endgültige Ergeb­nis sind noch nicht restlos geklärt, aber die treibenden Kräfte und die Richtlinien der neuen Verständigung sind bereits sichtbar.

Ein doppeltes Kompromiß soll der neuen Lage im Süd­Osten zu Grunde gelegt werden: die Verständigung zwischen Frankreich   und 3talien einerseits, zwischen Italien   und der Kleinen Entente  andererseits. Die Sicherung Oesterreichs   gegen die hitler­deutsche Invasion soll eines der Hauptziele der kommen­den Aktion sein, die niederschmetternde Niederlage Ungarns   wird zu einer ihrer wichtigsten Folgen werden. Die französisch  - italienische Verständigung ist einstweilen meiter fortgeschritten als die zwischen Italien   und der Kleinen Entente  . Die Verständigung zwischen Rom   und Paris   ist es, die Berlin   am unmittelbarsten trifft und gefährdet. Mit Bestürzung schrieb die Nazi- Presse in diesen Tagen von der Ehe zu dritt": gemeint war die Bolitik Frankreichs  , die sich gleichzeitig auf die Sowjet­ Union   und nunmehr auch auf Italien   stützt. Diese kontinental- europäische Politik zerschlägt sämtliche Angriffspläne Hitlers  , sie erreicht das dritte Reich" auch in einem der empfindlichsten Punkte seiner Offensive: in Destereich.

Jüngst hat die Pariser Presse die Pläne, die in Genf   in der österreichischen Frage erörtert werden, zum erstenmal ausführlich behandelt. Der Standpunkt Frankreichs   und der Kleinen Entente   steht danach fest: eine Reihe von internationalen Verträgen und Deklarationen soll zustande kommen. Sie sollen Garantien gegen den An­schluß und die Habsburger   Restauration schaffen; der Völkerbund soll als höchste internationale Instanz von sich aus die Unabhängigkeit Desterreich garantieren und mit Sanktionen versehen. Man arbeitet fest nad) dieser Richtung hin," schreibt der immer sehr vor fichtige Genfer   Berichterstatter des offiziösen Petit Pari fen". Weder italienische Bedenken, noch englische Einwände sind zur Zeit beseitigt, und auch die italienisch­südslawische Spannung ist noch nicht liquidiert. Aber das Ziel und die Methoden sind bereits festgelegt, und in Paris   hofft man auf die sich bewährte Zähigkeit Barthous, obwohl gerade in den letzten Tagen die Schwierigkeiten zwischen Rom   und Belgrad   sich vermehrten.

Die hitlerdeutsche Politik wird in Süd- Ost noch in einem wichtigen Punkte geschlagen: in Ungarn  . Seit 3 Wochen befindet sich der ungarische revisionistische Rationalismus im Zustande des zur Panik gesteigerten Katzenjammers. Als die Generallinie der französisch­italienischen Verständigung und der Aussöhnung zwischen Italien   und der Kleinen Entente   deutlich wurde, hat Graf Bethlen in Pesti Naplo" einen berühmt gewordenen Auf­fat veröffentlicht, der gleichzeitig ein Alarmruf und eine Drohung war. Der aristokratische Vorgänger und Inspirator von Gömbös   stellte mit Entsetzen fest, daß Italien   bereit sei, Ungarn   fallen zu lassen und drohte mit einer noch festeren Bindung Ungarns   an das Hitler­Deutschland. Beide Punkte sind gleich wichtig. Das italienisch- ungarische Bündnis ist lange Jahre die Hoch­burg der europäischen   Gegenrevolution gewesen, es hat die deutsche   Rechte ständig gelockt und in bedeutendem Maße auch die Außenpolitik Hitlers   nach der Macht­übernahme bestimmt. Dieses Bündnis bedeutete für den ungarischen Revisionismus alles, für den italienischen  Faschismus sehr viel. Der Bruch zwischen den beiden be­deutet eine Katastrophe für die ungarische Außenpolitik und einen volligen Kurswechsel für die italienische. Nun wird ungain auf die Revisionspolitik verzichten müssen, mas einem politischen und moralischen Selbstmord für die Regierung der Gegenrevolution gleich wäre, die andert. halb Jahrzehnt von der Revisionsforderung lebt; oder er wird sich bei der Aufrechterhaltung der Revisionspolitik auf das Hitler- Deutschland stüßen müssen. Diese Hitler­Orientierung der ungarischen Politik hat d'Ormesson mit dem Moliereschen Zitat charakterisiert: Ich will zer­schlagen werden!" Hat Ungarn   bereits vergessen, wie es an der Seite Deutschlands   einmal schon durch die französisch- italienische Koalition vernichtend geschlagen

wurde?

So wird der gegenrevolutionäre faschistisch- revisioni­stische Block in beiden Punkten gesprengt: nach dem Bruch zwischen Deutschland   und Italien   kommt die Kündigung des italienisch- ungarischen Bündnisverhältnisses. Das weiße, gegenrevolutionäre Ungarn   schaut mit Furcht in die Zukunft. Ein ungarischer Journalist, Arpad Török. ichreibt aus Budapest   in der Deutschen Allgemeinen Zeitung". daß Italiens   Preisgabe der ungarischen Position werde es reichliche Kompenfationen in Afrika  

Vechexte Abstimmungslisten

Seite 3

Rohstoffe unter Gestapoaufsicht

Seite 4

Rüstungsindustrie

auf der Anklagebank

Seite 5

Diplomatie um Österreich  

Seite 7

Dokumente der Schande

Streichers Ungeist herrscht in Hitlerdeutschland

Heffifches Standesamt Worms a. Rhein

Worms, den 14. Febr. 1934. Betreff: Aufgebot Lang- Schug Beschluß

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Die beantragte Anordnung des Aufgebots zwischen dem Handlungsgehilfen Josef Lang in Worms  , Kämmererstr. 46, und der Anna Ernestine Barbara Karoline Schug in Worms  , Mainzer Straße 31, wird abgelehnt, da für den Erlaß des Aufgebots Bedenken bestehen.

Gegen diesen Beschluß steht Ihnen gemäߧ 11 Abs. 3 des Personenstandsgesetzes Beschwerde bei der Aufsichts­hehörde Amtsgericht Worms

Herrn Josef Lang Worms Kämmererstr.46.

Anonym

Einer von vielen Geehrter Herr Lang

zu.

Der Standesbeamte I. V. gez. König.

Ich warne Sie nur noch mal, bleiben Sie von dem Mädet weg, Sie wissen genau, was dem Mädel gegenüber passiert. Ich denke, daß Sie doch endlich so viel Vernunft noch besitzen.

Beschluß

v

Worms   VII 11 669

Mit deutschem Gruß Heil Hitler

1. der Anna Ernestine Barbara Karoline Schug wird die Sorge für die Person ihres unehelichen Kindes Otto Willi Schug, geb. am 6. 2. 1932. ev., wohnhaft in Worms  , einschließlich der Vertretung des indes in persönlichen Angelegenheiten entzogen. Diese Rechte werden dem Vormund über­tragen.

Die Kosten des Verfahrens hat die K. Schug zu tragen. Gründe:

Die Kindesmutter hat seit einiger Zeit ein Verhältnis mit dem zur Zeit im Konzentrationslager Osthofen befindlichen Josef Lang. Obwohl Lang der= dischen Rasse angehört, beabsichtigte die Kindes­mutter, ang zu heiraten und ist von diesem Vorhaben nicht abzubringen, trotzdem sie von ihren Eltern und vom Vormundschaftsgericht eindringlich

belehrt worden war wie sich in der heutigen Zeit die Heirat mit einem Juden nicht nur auf sie selbst, sondern insbeson­dere auch auf ihr Kind auswirken müßte. Die Kindes= mutter hält jedoch unbelehrbar an ihrem Vorhaben fest. Der Vormund hat darauf am 12. 3. 1984 den Antrag gestellt, der Kindesmutter die Sorg für die Person des Kindes zu entziehen.

Diesen Antrag hält das Gericht unter den geschilderten Verhältnissen für begründet und die Entziehung der Per= sonensorge für unbedingt erforderlich. Es liegt auf der Hand, daß das Kind trotz seiner arischen Abstammung in seinem späteren Leben nicht nur seelisch, sondern auch wirtschaftlich sehr zu leiden hat, wenn es und die ganze Familie des= dischen Stief- und Familienvaters wegen zurückstehen muß. Ferner führt die Tatsache, daß der zukünftige Stiefvater ar­Leitslos ist, für die nächste Zukunft e voraussichtlich bleiben wird und die Kindesmutter dem Erwerb für die Familie nachgehen muß, zwangsläufig dazu, daß das Kind während der Abwesenheit der Mutter ständig um den jüdischen Stiefvater ist und durch ihn in Erziehung und Charakter beeinflußt wird. Daß eine solche Beeinflussung eines arischen Kindes durch einen Juden, selbst wenn sonst gegen seine Persönlich feit nichts vorliegt, unter allen Um­ständen den Interessen des Kindes zuwiderläuft, bedarf feiner weiteren Ausführungen. Da die Kindesmutter durch ihr Verhalten diese Gefährdung des Kindes verschuldet hat, sind auch die sonstigen Voraussetzungen des§ 1666 BGB. er­füllt, da es keinem Zweifel unterliegen kann, daß die beab­sichtigte Heirat mit einem Juden beim Vor­handensein eines Kindes arischer Abstam= mung dem Rassenempfinden des deutschen  Volfes zu widerläuft und somit unittlich ist. Es kann dabei dahingestellt bleiben, ob in dem Verhalten der Kindesmutter nicht außerdem ein Mißbrauch des Sorge­rechts liegt,( vergl. Staudinger zu§ 1666 2. B. 1, der diesen Begriff sehr weit auslegt.)

Die Kosten fallen der Kindesmutter zur Last, weil sie das Verfahren durch ihr schuldhaftes Verhalten veranlaßt hat, Art. 22 I A. G. 3. G. f. G.

Worms, den 15. März 1934.

( Stempel

Frl. Anna Ernestine Barbara Karoline Schn Worms.

Hessisches Amtsgericht gez. Dr. Lemser. Ausgefertigt:

1. A. gez.: Unterschrift Justizsekretär

Drei Millionen Jungarbeiter gekündigt

Gleichgeschaltete Zeitungen schreiben von Panik"

Berlin  , 26. Sept.( Inpreß): Sogar die gleichgeschaltete Presse muß zugeben, daß das neue Gesetz über den Arbeits­plazaustausch eine heftige Panit" unter den jungen Leuten ausgelöst habe. Der Ausdruck Panif" wird ganz offen, so­wohl von der Frankfurter Zeitung  " wie vom Berliner Tageblatt" gebraucht. Die Frankfurter Zeitung  " beschäf=

Härten" zu vermeiden. Der Klageweg zum Arbeitsgericht stünde den Gekündigten aber keinesfalls zu. Die etwaige Ein­reichung einer Klage ist vom Arbeitsgericht ohne jede mate= rielle Prüfung als unzulässig abzuweisen.

fiat fich ausführlich mit der Frage. Sie rechnet aus, babie Neue Form der Sklavenarbeit Zwangsverschickung aufs Land nur 3 Millionen jugend­liche Arbeiter betreffen werde. Eine übertriebene Angst wegen des zu erwartenden Zwanges und der damit verbun­denen Nachteile sei also nicht am Plazze."

=

Gleichzeitig aber teilt die Juristische Wochen= schrift" die Ausführungsbestimmungen für die Zwangs­verschickung mit. Es wird ausdrücklich betont, daß den zum Zwecke des Austauschs gekündigten Jugendlichen der Kün digungsschuß des Gesezes nicht zu Gute käme. Sie können also nicht etwa Klage auf Widerruf der Kündi­gung erheben. Vielmehr habe lediglich der Führer des Be­triebes die Verpflichtung, bei der Kündigung unbillige unvermeidlich sei. Für die umstrittene ungarische Pasition werde es reichliche Kompensationen in Afrika  erhalten und Verständigung im europäischen   Süd- Osten. Es werde Ungarn   fallen lassen. Dann wird die Budapester  Brücke, die lange Zeit Rom   und Berlin   verband, in die Luft fliegen,

Stuttgart  , 26. Sept.( Inpreß): Die Stadtverwaltung Stuttgart   hat in Göttelfingen bei Freudenstadt   ein soge­nanntes Lager für geschlossene Fürsorge" errichtet. In diesem, im Einvernehmen mit dem Innenministerium errichteten Rager sollen, wie es in dem offiziellen Erlaß heißt, solche Empfänger von Wohlfahrtsunterstübung beschäftigt werden, von denen angenommen, daß sie nach Arbeitswillen, Be­tragen oder nach ihrer ganzen Einstellung den Weg zur Volksgemeinschaft nicht gefunden hätten und mit denen zu­sammen zu arbeiten, den Pflichtarbeiter der Stuttgarter   Ar­beitsstellen nach Aussicht der maßgebenden Stellen nicht zu­gemutet werden können". Der erste Transport ist bereits

ausgewählt und soll demnächst abgehen. Es wird darauf hingewiesen, daß die Stadt Stuttgart   bereits im letzten Jahre rigoros das Prinzip durchgeführt hat, hilfsbedürftigen Personen Unterstüßungen nur gegen Arbeitsleistung zu

bewilligen. Schon vor Errichtung des neuen Lager für ge­schlossene Fürsorge" haben 1500 Personen an verschiedenen

Arbeitsstellen Pflichtarbeit leisten zu müssen.