Fretheil
Nr. 226 2. Jahrgang
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Einzige unabhängige Tageszeitung Deutschlands
Saarbrücken, Samstag, 29. September 1934 Chefredakteur: M. Braun
Dec ,, Führer"
treu zum Reichsbischof
Wo bleibt die milliarde
Dr. Ley?
Seite 2
Upton Sinclairs Wirtschafts
programm
Seite 7
Die Arbeiter Internationale
Seite 8
Die hitlerdeutsche Propaganda an der Saar sucht der Bevölkerung einzureden, daß die Abstimmung für den Status quo einen für ewige Zeiten unabänderlichen Zustand schaffen werde. Durch diese Täuschung will man Teile der deutschen Saarbevölkerung die zwar für Deutsch land , aber gegen die Hitlerbarbarei ist, verleiten, den Status quo aufzugeben und für die sofortige Rückgliederung nach Deutschland zu stimmen. Die Frage, ob die Abstimmung des 13. Januar 1935, wenn sie für den Status quo ausfällt, später zugunsten eines befreiten Deutschlands revidiert werden fönne, beschäftigt die Abstimmungsberechtigten an der Saar außerordentlich und viele tausende Saarländer werden ihre Entscheidung von der Klärung dieser Frage abhängig machen.
Zwischen Victor Schiff , dem deutschen Vertreter des Daily Herald" in Paris , und der Saarbrücker 3eitung" ist in unseren Spalten über die Frage eine Polemit geführt worden. Da die Organe der sogenannten deutschen Front", wie übrigens auch Herr Röchling in der„ Berliner Börsen- Zeitung", den Anschein erwecken wollen, als ob sie am Besten wüßten, was die französische Regierung in ihrem Memorandum zur Saarfrage hat sagen wollen, haben wir uns an eine maßgebende Persönlichkeit der französischen Diplomatie gewandt und um Aufklärung gebeten. Die sehr interessante Antwort lautete:
„ Wir alle wissen, daß das Saargebiet deutsch ist und daß vor noch eineinhalb Jahren nahezu Einstimmigkeit für die Rückgliederung bestand. Inzwischen ist aber eine wach sende Opposition dagegen entstanden, die anscheinend dauernd wächst und bis zum Abstimmungstag vielleicht eine Mehrheit für den Status quo ergeben wird. Jeder: mann weiß, worauf dieser Umschwung zurückzuführen ist, nämlich auf die Hitler- Diktatur. Mit der Beseitigung des jezigen Regimes im Reich würde sich indessen höchstwahr: scheinlich die frühere Einstimmigkeit gerade: au automatisch wiederherstellen. Dann wäre cs höchst töricht von Frankreich , diesem neuen Umschwung nicht Rechnung zu tragen und den Standpunkt einzu: nehmen, daß das Plebiszit für alle Ewigkeit den Status
Im
quo feſtgelegt habe. Jur Gegenteil, die franzöſiſche Regies Vor den Kantonalwahlen
rung wollte durch ihr jetzt den Völkerbundsrat auf eine solche mögliche Entwicklung hinweisen. Aber es ist gar nicht nötig, in diesem Zusammenhang nur an die zweite Volks: abstimmung zu denken. Ich könnte mir auch denken, daß bei einer Wiederkehr des früheren Ver: trauensverhältnisses zwischen deutschen und französischen Staatsmännern, wie zum Beispiel einst zwischen Stresemann und Briand , Frankreich und Deutsch land gemeinsam dem Völkerbund der im Falle des Status quo die Souveränttät über das Saargebiet, ähn lich wie jetzt über Danzig , erhielte, vorschlagen würden: „ Geben wir Deutschland das Saargebiet zurück, da die Gründe, die einst die Mehr heit bewogen haben, für den Status quo zu stimmen, fortgefallen sind und offen= offen kundig wieder nahezu Einstimmigkeit für die Rückgliederung besteht. Eine neue Bolts abstimmung ist zu diesem Zweck gar nicht nötig, da das Saarparlament seinen Willen## zweidentig zum Ausdruck gea bracht hat."
„ Mehr wollte und konnte," so fügte der französische Diplomat hinzu, das Memorandum Barthous im gegenwärtigen Stadium der Dinge nicht andeuten, aber auch nicht weniger. Wer es nicht versteht, dem ist eben nicht zu helfen." Wozu nur zu sagen ist: Die Macher der sogenannten„ deutschen Front" wissen sehr wohl, daß die Bevölkerung an der Saar deutsch ist und deutsch bleibt, und daß, sobald die Hitlerregierung von Deutschland gewichen ist, das Saarvolt mit elementarer Gewalt nach Deutschland drängen wird. Niemand kann und will dann diese Vereinigung aufhalten. Auch Frankreich weiß das, wie die vorstehenden Aeußerungen einer hervorragenden politischen Persönlichkeit Frankreichs erneut beweisen, und darum werden alle Versuche, den klaren Tatbestand zu verwischen, scheitern.
Das Saarland verlangt den Status quo zum Schutze gegen die Verbrechen und die Schmach der Hitlerdiktatur. Das Saarland gibt den Status quo sofort zugunsten Deutschlands auf, wenn durch den Sturz Hitlers Deutsch lands Ehre und Freiheit wieder hergestellt ist.
Volksrechte durch Status quo
Die Pflicht des Völkerbundes
Genf , 28, Sept. Bei jeder großen Frage im Völkerbund geigt sich von neuem, wie verhängnisvoll für Deutschland der Auszug seiner Regierung aus dem Völkerbund sich auswirkt. In Verhandlungen außerhalb des Weltparlaments sucht der deutsche Gesandte in Bern , Dr. Weizsäcker, so etwas wie eine deutsche Interessenvertretung einzuschmuggeln. Er wird sich inzwischen überzeugt haben, daß er in dieser unwürdigen Rolle feine Erfolge hat. Sowohl seine Unterredung mit dem Präsidenten der jaarländischen Regierungsfommission nog wie die mit dem italienischen Vertreter Aloisi war ergebnislos.
Beide beharren auf der Heranziehung ausländischer Polis zeifräfte, Die Versuche des deutschen Gesandten, diese Ver stärkung als unnötig zu beweisen, mußten schon an der Unzulänglichkeit feines Materials scheitern.
Die Ratssitzung am Donnerstag war vollkommen beherrscht von der Reie des französischen Außenministers Barthou über die Saarfrage. Durch die Schuld der Hitlerregierung ist er es, der im Völkerbund den Ton für die Behandlung der Saarfrage angibt. Wie immer man zu Einzelheiten seiner Rede stehen mag, imponierend ist die klare und starke Innehaltung der Linie des Rechts, von der sich der franzifische Staatsmann nicht abdrängen läßt. Von diesem festen Boden aus vertritt er eine Politik, die der Bevölkerung un der Saar die friedliche Abwicklung des Abstimmungskampfes und die wirklich freie Abstimmung sichern will. Zu diesem Zwecke forderte er die beschleunigte Verstärku der saarländischen Polizei durch Neutrale und machte in diesem Zusammenhange den sehr ernsten und sehr aktuellen His.
weis,
daß auf Grund der Ratsbeschlüsse von 1925 und 1926 von dem Präsidenten des Saargebietes französische Truppen angefordert werden können. Er weise diese Verantwortlich: keiten nicht zurück, und Frankreich würde sich ihnen nicht entziehen, wenn man einen Appell an Frankreich richte. Aber," so fuhr Barthou fort,„ ich drücke das einstimmige Aber," so fuhr Barthou fort, ich drücke das einstimmige Gefühl meines Landes aus, wenn ich erkläre: Frankreich wünscht lebhaft, daß alles vermieden werde, was sein Eingreifen nötig machen könnte."
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Die Warnung an die„ deutsche Front" und ihren Terrer ist deutlich, denn diese und diese allein hat es in der Hand, schwere Komplikationen an der Saar zu vermeiden, indem sie endlich auch ihren Gegnern das Recht und die Möglichkeit zur freien Betätigung an der Saar gewährt, statt sie täglich mit Aechtung und Schäden aller Art zu bedrohen.
Der wichtigste Teil der Barthouschen Rede enthielt die Forderung an den Völkerbundsrat, rechtzeitig zu flären. was die Saarbrvölkerung sich unter dem„ Status quo" vor= zrstellen hat, damit sie weiß, welche Rechte ihr unter diesem Regime gewährt werden.
Die Worte des französischen Staatsmannes lassen keinen Zweifel darüber, daß an eine weitgehende Demokratisierung, an eine demokratische Mitarbeit der Bevölkerung in der Gesetzgebung und in der Verwaltung gedacht ist. Unter dem Status quo soll also die Saarbevölkerung staatsbürgerliche Rechte erhalten, die unseren Volfsgenossen im Hitlerreiche genommen worden sind.
Fortsetzung fehe 2. Seite.
Von Boris Skomorowsky( Paris )
Die traditionelle Ferienzeit, die die französische Politik alljährlich im Sommer einzulegen pflegt, hat in diesem Jahre einen vorzeitigen Abschluß durch die Eröffnung der Vorbereitungsarbeiten für die Anfang Oktober stattfindenden Kantonalwahlen erfahren.
Die Kantonalwahlen werden in Frankreich alle drei Jahre in sämtlichen Kantonen der Republik , dreitausend an der Zahl, vorgenommen( verwaltungsmäßig gliedert sich das Land- von oben nach unten in Departements, Arrondissements, Kantone und Gemeinden). Und zwar wählt die Hälfte der Kantone jeweils ihre Vertreter im Generalrat des Departements, die andere Hälfte bestellt ihre Vertreter in den Arrondissementsräten. Sowohl in der Selbstverwaltungskörperschaft der obersten Verwaltungseinheit, des Departements, als auch in der der unteren Verwaltungseinheit, des Arrondissements, ist jeder Kanton durch einen Vertreter, der für die Dauer von sechs Jahren gewählt wird, vertreten.
Die französische Selbstverwaltung befindet sich in ausgesprochen rudimentärem Zustand. Gewisse Verwaltungsbefugnisse kommen zwar in beschränktem Umfange den Gemeinderäten zu, obgleich auch ihre Tätig keit sich in den engen Grenzen der staatlichen Präfektoral verwaltung bewegt( jedem Departement steht als Chef der Exekutive und Verwaltung der von der Zentral regierung ernannte Präfekt vor). Dagegen ist die Rolle der Arrondissements- und Generalräte in der lokalen Selbstverwaltung äußerst geringfügig und reduziert sich im wesentlichen auf Lebensäußerungen dekorativer und repräsentativer Art. Indessen sind jedoch die Mitglieder der Arrondissements- und Generalräte von Amts wegen zugleich Mitglieder jenes privilegierten Wahlkörpers, dem die Bestellung der Mitglieder der ersten Kammer, des Senats der Republik, zusteht. Die Wahlen der Kantons vertreter in den Arrondissements und Generalräten stellen somit die erste Stufe des indirekten Wahlverfahrens für die Bildung der ersten Kammer dar und beanspruchen weitgehende politische Bedeutung. Zudem wird in den letzten Monaten immer wieder von einer bevorstehenden Auflösung der Kammer und dem sich daraus ergebenden„ Appell an das Volk" gesprochen. Das erhöht das allgemeine Interesse für die Kantonalwahlen, die gleichsam als eine Art Generalprobe für etwaige Kammerwahlen erscheinen.
In den gegenwärtigen Zeitläuften, da die Luft mit der Elektrizität des Bürgerkrieges geladen ist, kommt auch noch einer weiteren Funktion, die das Gesetz vom Jahre 1872 den Generalräten des Departements zugesteht, große Bedeutung zu. Falls nämlich die gesetzgebende Körperschaft an der Verrichtung ihrer verfassungsmäßigen Arbeit verhindert ist, haben die Generalräte sofort, ohne eine besondere Einberufung abzuwarten, zusammenzutreten und Abgeordnete zu ernennen, die die provisorische Nationalversammlung bilden. In den über sechs Jahrzehnten ungestörten Ablaufs des staatlichen Lebens in der Republik hat sich bislang keine Gelegenheit gefunden, diese Bestimmung zur Anwendung zu bringen, und manch ein autoritativer Staatsrechtslehrer hat sogar die Meinung geäußert, daß ihr keine Gesetzeskraft mehr zukommt. Aber kann dieser verstaubte. Paragraf aus dem Jahre 1872 nicht in den kommender Monaten aktuelle Bedeutung gewinnen?
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Bis in die jüngste Gegenwart hinein hat die Sozialistische Partei den Kantonalwahlen kaum große Bedeutung beigemessen, sie stellte sich ihren Gegnern vornehmlich bei Parlaments- und Gemeindewahlen zum Kampf. Aber im Verlauf des letzten Jahrzehnts haben sich auch hier erhebliche Wandlungen gezeigt. Jm Jahre 1922 gab es sozialistische Kandidaten in nur 458 Kantonen, die sich auf 60 Departements verteilten; bei den letzten Kantonalwahlen im Oktober 1931 führte die Partei den Wahlkampf mit eigenen Kandidaten bereits in 1043 Rantonen, die sich auf 90 Departements, d. h. beinahe auf das ganze Staatsgebiet, verieiiien. Auch jetzt