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Beilage zur Deutschen de zu Deutschen Freifieit"
Samstag, den 29, September 1934
Was hätte er mitbringen sollen?
クラ
,, Auf der Reise durch Deutschland blieb ich einige Tage in Berlin , bei Freunden, guten Freunden-," erzählt ein französischer Kaufmann ..ja, wie kann ich Ihnen erklären, wieso und warum ich in Berlin in diesen Saal kam ja, also, ich lachte über den Witz", als mir die deutschen Freunde von Juden erzählten, die sich der Hakenkreuzfahne angeschlossen haben, Hitler als ihren Führer anbeten. Die Greuelwahrheiten, die Gesetze gegen die Juden, die Morde? Ich fragte. Meine Freunde antworteten, indem sie mich in eine Versammlung der Berliner Nazi- Juden führten. Hier, hier, lesen Sie das, das drückte man mir vor der Saaltüre in die Hand, das habe ich Ihnen mitgebracht!" Der Franzose reichte mir ein Blatt:
Bundeslied des
Verbandes nationaldeutscher Juden
( Zu singen nach dem im Jahre 1883 schriebenen Deutschen Flaggenlied des jüdischen Deutschen Robert Linderer Stolz weht die Flagge Schwarz- Weiß- Rot", vertont von Richard Thiele.)
Wir geh'n den Weg der deutschen Pflicht, Ob man auch höhnt und schilt.
Wir bleiben deutsch und fragen nicht.
Nur unser Herz, das gilt.
Wen deutscher Wille ganz durchglüht, Der ist auch Deutschlands Kind.
Uns schrieh Gott selbst es ins Gemüt,
Wo wir zu Hause sind.
Hart mag und heiß das Kämpfen sein Mit Haß und Unverstand,
Wir sind auf Tod und Leben dein, Du deutsches Vaterland!
Wer deutsches Kämpfen recht versteht, Der schaut nicht links noch rechts, Weil's um die deutsche Zukunft geht Des deutschen Junggeschlechts.
Wir woll'n ein Deutschland hell und weit
In Freiheit und in Kraft,
Und wollen wissen, wenn's gedeiht:
Wir haben mit geschafft!
( Kehrreim wie oben.)
eil er keine Antwort erhält, glaubt sich der Franzose huldigen zu müssen: ,, Ich mußte lachen. Ein Herr Nau4n sprach, erklärte, daß Hitler Deutschland gerettet habe, daß die nationalsozialistische Weltanschauung auch die der deutschen Juden sei. Die deutschen Juden können glücklich sein, daß Hitler gegen landfremde Juden vorgehe. Deutsche Juden seien Hitler dankbar- das sagte Herr Naumann den deutschen Juden. Und es waren nicht nur reiche Juden im Saal. Uebrigens hatte ich noch eine Freude: nach Schluß des Referats und der grausig- komischen Diskussion wurde dieses Lied gesungen, dieses Bundeslied"- Sie hätten sehen müssen, mit welchem Ernst diese Reime herausgeschrien wurden als wollten die Nazi- Juden ihre Furcht überschreien, ihre Furcht vor dem Verlieren ihres Geldes, ihrer Häuser, ihrer Geschäfte. Als ,, Deutschland über alles" mit erhobenem Arm à la Hitler gesungen werden sollte, wollte ich den Saal verlassen; ungefähr zwanzig von diesen
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500 Versammelten wollten sich mir anschließen. Was geschah nun was glauben Sie?"
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,, Man drohte Ihnen, wollte Sie verprügeln,"
,, Vielleicht. Jedenfalls schrie Herr Naumann, als man mich umringte: Saaltüren zu! Worauf meine Freunde und ich laut protestierten, Herr Naumann erklärte jegt:.Wer nicht mit uns fühlt und nicht mit dem deutschen Gruß grüßt und so weiter, Zwanzig Menschen verließen den Saal. Wieder auf der Straße, verabschiedete ich mich von meinen Freunden. eilte ins Hotel, um sofort eine telefonische Ver. bindung mit Paris anzumelden. Der deutsche Irrsinn muß mich angesteckt haben, denn man verstand mich am Telefon nicht, ich schien meine Frau sehr beunruhigt zu habensie antwortete: Was ist denn geschehen? Wie? Was hast Du denn? Wir erwarten Dich mit dem nächsten Zug. Ich blieb nur noch zwei Tage in Deutschland Immer und immer wieder wird in Deutschland über das Saar - Plebiszit als die große Hoffnung" gesprochen.co an der Saar Deutsche gibt, die zu Hitler ,, heim" wollen, ist mir ebenso unverständlich wie die Tatsache, daß es deutsche Juden gibt, die Hitler anbeten."
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Die Furcht vor dem Terror
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Zei T
Der Franzose lächelte Als ich in Deutschland war, fand ich eine ähnliche Entgegnung natürlich, selbstverständlich, heute, hier in Paris , empfinde ich sie nicht mehr natürlich, nicht selbstverständlich; so ansteckend ist die Furcht vor dem Terror in Deutschland Meiner Frau habe ich übrigens, der Kuriosität halber, einen Meter Ersatzstoff mitgebracht, Ihnen diesen jüdischen Ersatz- Nationalsozialismus in der Form von Versen, Auch meine Frau war über mein Geschenk nicht erfreut. Was hätte ich aus dem Land des Ersages mitbringen sollen? Eine Flugzeugbombe oder echtes Giftgas in der Phiole? Nur die Kriegsindustrie arbeitet ohne Ersatzstoffeach, ja, ich hätte meiner Frau einen Ersat- Gold- Ehering mitbringen sollen Sie hörten schon von dieser neuen Verordnung? Ersat- Eheringe Goldersparnis nein, einen Ersatz- Ehering hätte ich meiner Frau auch
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Ereignisse und Geschichten
Nachher
Vorüber sind nun die Paraden, Die Festdrommeten Nürenbergs; Verrauscht der Lärm der Wortkaskaden:
Es ziehn nur dünne Nebelschwaden Des abgebrannten Feuerwerks.
Der Alltag tritt in seine Rechte, Die Illusion stirbt Stück um Stück. Ein teurer Spaß, für den man blechte! Man sah die Herrn. Das Heer der Knechte Ins graue Elend kehrt zurück.
Die letten Sommertage schwinden,
Die Wintersnot schleicht sacht heran:
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Was wird aus uns?".Das wird sich finden!" Man wird den Riemen enger binden Und immer enger
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und was dann? Man kämpft um Eier, Margarine, Das nennt sich Sieg der Arbeitsschlacht! Man gibt für Luftfahrt, Heer, Marine, Und wehe, wer nicht gute Miene zu jedem bösen Spiele macht!
Das Fett verschwindet aus der Seife, Die Wolle aus Jakett und Strumpf. Doch Hitler will, daß man begreife, Daß dieses Schacht den Rücken steife, Und Autarkie bleibt weiter Trumpf.
So mancher macht jetzt große Augen, Der dreiunddreißig frech gelacht: ,, Daß sie so gar nichts würden taugen, Und wir gar Hungerpfoten saugen, Wer hätte damals das gedacht?"
So ächzen jammernd sie wie Kinder, Die sich im dunkeln Wald verirrt. Der Bonze fährt im Sechszylinder; Sie aber denken an den Winter, Und ob es einmal Frühling wird?
nicht
F- ta.
Hansi Burg , die jüdische Frau des deutschen Filmschau spielers Hans Albers , soll dadurch aus der Welt geschafft werden, daß ihre Existenz geleugnet wird. Es wird in der deutschen Presse mitgeteilt:
,, Entgegen verschiedentlich in Umlauf gesetzten Gerüchten, wonach Hans Albers verheiratet sein soll, legt die Bavaria- Film- AG. München Wert auf die Feststellung, daß dies nicht zutrifft. Hans Albers ist unverheiratet." Tatsache ist, daß Hans Albers vor einiger Zeit aufgefordert wurde, sein Verhältnis mit der jüdischen Schauspielerin Hansi Burg zu lösen. Tatsache ist, daß er dieser Aufforderung nachkam, indem er die Frau heiratete. Was ist inzwischen geschehen? Hat er sich scheiden lassen oder mußte er sich bereit erklären, im Interesse der gähnend leeren deutschen Filmkassen der Presse gegenüber die Rolle des Junggesellen zu spielen?
Der Weg des Michael Lechner kam soeben im Laufschritt, nahm einige der in den ersten
Von Peter Bitter
Der Holzschlag, in dem der Lechner Michel mit einigen anderen Holzfällern arbeitete, befand sich ziemlich hoch eben auf einem jener salzburgischen Berge, die nahe der reichsdeutschen Grenze liegen. Jedesmal, wenn dem Michel ein freier Augenblick gegönnt war, sandte er einen sehnsüchtigen Blick ins ,, dritte Reich". Er, der nie einen Tag bei der Arbeit fehlte, war plötzlich mit irgendeiner Ausrede am 24. Juli zu Tal gestiegen, in fieberhafter Erregung an den zur Sammlung bestimmten Ort geeilt und wartete dort mit etlichen fünfzig Mann auf das Zeichen zum Losschlagen. Wohlwollend hatte der Forstadjunkt, der die Arbeiter im Schlag beaufsichtigte, seine Zustimmung zu diesem Urlaub gegeben. Er selbst jedoch blieb oben, um, falls die Sache schief gehen sollte, ein Alibi zu haben. Dem Michel aber redete er ein, daß endlich der Tag der Machtergreifung gekommen sei. Das Volk würde sich den nationalsozialistischen Revolutionären anschließen, die österreichische Legion sei marschbereit und Deutschlands Unterstütung sei man sicher. Also nahm der Michel ein Gewehr in Empfang, Patronen, einen Stahlhelm, hörte die anfeuernde Rede des SA .. Führers und wartete mit den Gesinnungsgenossen in einem Heustadel nahe der Stadt auf den nächsten Tag, den Tag der Erhebung. Die Stadt selbst lag in friedlichem Schlummer und die Bevölkerung hatte keine Ahnung, daß in den nächsten vierundzwanzig Stunden ein Systemwechsel stattfinden sollte. Die Einwohnerschaft konnte man politisch in drei Gruppen einteilen: Die größte Gruppe: Geschäftsleute, Angestellte der Aemter, die Gewerbetreibenden und die von ihnen abhängigen Arbeiter waren Nationalsozialisten, dann kam der heimattreue" Teil der Bevölkerung und schließlich die Marxisten", deren Parteien ebenfalls verboten waren.
Als am 25. Juli mittags der Kurier mit der Nachricht kam, daß soeben im Radio der Rücktritt der Regierung verkündet wurde, marschierte die Truppe, mit Hakenkreuzbinden am Arme, in der Stadt ein. Um es vorweg zu sagen: Sie kam nicht weit. Die Geschäftsleute hatten weder Hakenkreuzfahnen gehißt, noch empfing sie die national gesinnte Bevölkerung mit Jubel. Und der Michel staunte, daß jetzt. we es endlich losging, plöglich die sich sa hakenkreuzlerisch gebärdenden Bürger in den Häusern verschwanden, die Fenster schlossen und die Rolladen der Geschäfte herunterließen, um in Sicherheit das Ende des Kampfes mit der Denn die bewaffnete Staatsmacht Exekutive abzuwarten. Denn die bewaffnete Staatsmacht
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Reihen Marschierenden gefangen, während die anderen panikartig auseinanderstoben. Zum Glück befand sich der Michel etwas weiter hinten. Er warf das Schießeisen weg
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und verschwand im nahen Wald. Enttäuscht stieg er den Berg hinan, um dem Adjunkten Bericht zu erstatten. Der hatte es plötzlich eilig, verzichtete auf sein Alibi und nahm den Weg in der Richtung zur deutschen Grenze. Soweit wäre an und für sich die Geschichte eine ziemlich gewöhnliche gewesen wenn sich die Mitarbeiter Michels nicht nach dem miẞglückten Putsch seiner angenommen hätten. Die Mitarbeiter waren„ Rote", Marxisten. Mit dem Michel vertrugen sie sich ganz gut, die Illegalität ihrer Parteien einte sie bis zu einem gewissen Grade. Sie wußten, daß Michel, der an und für sich ein guter Prolet war( was man ihm nicht sagen durfte, denn bei den Nazis gab es keine Proleten, sondern nur Volksgenossen), bloß den Phrasen der Braunhemden aufgesessen war und erst durch eigene Erfahrung von dieser Anschauung geheilt werden konnte. Nun war der Zeitpunkt da. Die Naziaufrührer, durchweg Arbeiter, auch einige Angestellte und Soldaten, wurden massenweise gehenkt und zu Dutzenden auf Jahrzehnte in den Kerker geschickt die Drahtzieher des Putsches aber saßen in Sicherheit im dritten Reich", oder waren unter Mitnahme der Parteikassen sonst wohin geflohen. Die Persönlichkeiten wie Rintelen, Steinhäusl und Bachinger wurden zwar verhaftet, aber nicht vors Militärtribunal gestellt, um dem Henker überantwortet zu werden.
,, Siehst du den Unterschied," pflegte der Partieführer Jock zum Michel zu sagen ,,, mit den verführten armen Teufeln macht man kurzen Prozeß, aber die feinen Leute bleiben auch bei so etwas die feinen Leute. Und wer ging mit bei der ganzen Sache? Etwa die Spießbürger, die Stammtischpolitiker und all die Helden, die nach dem ,, dritten Reich" schielen..? Ihr Proleten( dem Michel gabs einen Riß aber er schwieg) habt im Interesse der Sache Bomben gelegt, Masten und Eisenbahnbrücken gesprengt und glaubtet, durch einen Putsch die Macht zu erobern. Wäre es gelungen, dann freilich würden sich all die Spießbürger heute in die Brust werfen und mit ihrer Gesinnung prahlen, würden Nazifahnen hissen und die Parteibücher hervorholen. Es ging aber daneben, daher hißt der Bürger seelenruhig die Heimwehrfahne, trauert um Dollfuß und hat von der nationalen Revolution die Nase vall. Ihr hättet bloß für die
anderen die Kastanien aus dem Feuer holen sollen."
Die Arbeiter saßen in der Unterkunftshütte und unter ihren Argumenten sackte der Michel zusammen.
Mucki.
Am 29. August bestand die Büchergilde Gutenberg zehn Jahre. Sie hat sich während dieser Zeit Tausende von Freun den erworben. Die Anerkennung, die sie überall findet, faßt folgenden Sätzen zusammen:„ Die Büchergilde Gutenberg hat der französische Arzt und Schriftsteller Georges Duhamel in publikum die Lust zum Lesen geweckt und dazu die Flamme bewundernswerte Arbeit geleistet: in einem großen Arbeiter
einer edlen menschlichen, oder besser einer allumfassenden Kultur belebt. Ich bewundere außerdem den gepflegten Geschmack, mit dem dieser gute Verlag die Ausstattung seiner Werke besorgt."
Die Büchergildenzeitschrift enthält in ihrem Septemberheft Wertäußerungen von Heinrich Mann , Upton Sinclair , B. Traven, Hans Polvsen, Jakob Bührer , Fritz Rosenfeld , Albert Viksten u. a. Das reich illustrierte Heft macht einen sauberen Eindruck. Die Zeitschrift wird den Mitgliedern der Büchergilde Gutenberg kostenlos zugestellt.
Anmeldungen sind zu senden an die Büchergilde Gutenberg, Saarbrücken 1, Petersbergstraße 94, II. Eintrittsgeld 2,50 Fr., Monatsbeitrag 6 Fr., Vierteljahrsbeitrag 17 Fr.
,, Mit Sprengstoff und individuellem Terror kann man nicht gegen den wohlorganisierten Staatsapparat kämpfen, sondern mit Massenstreik, Massenterror und schließlich mit dem bewaffneten Aufstand. Da muß man aber wissen, ob das Volk mitgeht. Und vorher muß man um die Massen werben, ihnen den richtigen Weg zeigen."
Bei dem Worte Sprengstoff war der Michel zusammenge. zuckt. Er erinnerte sich der Sprengbüchsen, die er daheim im Tale versteckt hatte. Der Michel war verheiratet und Wie wie alle Holzfäller wochenlang von zu Hause weg, wenn man ihn beim Einmarsch in die Stadt erkannt hatte und Hausdurchsuchung bei ihm war. Aber da müßte die Gendarmerie schon hier gewesen sein, denn es war ja bekannt, daß er hier arbeitete. Diesmal brauchte er nicht den Adjunkten um Urlaub ersuchen, als er ins Tal stieg- der war verschwunden und mit ihm die Löhne der Arbeiter, die er hätte auszahlen sollen.
Vorsichtshalber ging der Michel nachts ins Dorf, und ohne daß es seine Frau wußte, packte er die Dinger ein, die // us gereicht hätten, um einen großen Teil der Stadt in die Luft fliegen zu lassen. Mit der gefährlichen Last am Rücken stieg er bergauf. Auf einem Abhang stand eine Heuhütte, dort blieb er über Nacht aber im Morgengrauen stapfte er weiter, immer höher hinauf. Die Sonne ging auf, als er d Almen erreichte, zwar im Schweiß gebadet, aber trotz d drückenden Last erleichtert. Die Sennerin und der Hüter bub sahen verwundert auf den frühen Wanderer, luden ihn zum Früstück ein er aber lehnte ab und eilte weiter, immer höher und höher, Der Weg war kein Weg mehr, er mußte verteufelt aufpassen, um nicht über eine der Latschen zu stolpern, Geröll bedeckte den felsigen Boden. Die zerhackten Spitzen des Berges waren greifbar nahe und doch noch so weit. Die Sonne stand schon ziemlich hoch, als der Michel endlich oben angelangt war und die Schluchten mit den Augen absuchte. Und in die tiefste schleuderte er die Sprengbüchsen auf dem Bauche liegend, um nicht dem Luftdruck ausgesetzt zu sein. Mit furchtbarem Getöse explodierten die Sprengkörper, es schien, als wollten sie den Berg zerreißen, der Donner echote minutenlang in der Runde.
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Dann wandte sich der Michel zum Gehen. Ihm war so
leicht zumute, es schien ihm, als habe er mit dem Dynamit all das Alte, das ihn bisher beherrschte, abgeworfen...
Nachmittags kam er zur Arbeitsstelle, niemand fragte ihn, wo er war. Er aber drückte den Arbeitskollegen die schwieligen Hände und sagte einfach:„ ,, Ich werde nicht der einzige sein. der nunmehr zu euch kommt!"