Völker in Sturmzeiten

Völker in Sturmzeiten Nr. 32

Im Spiegel der Erinnerung- im Geiste des Sehers

Samstag, 29 September 1934

So war es in Versailles ...

Im Jahre 1929 erschien im J. H. W. Dietz- Verlag in Berlin das Buch des damaligen ,, Vor­wärts"-Redakteurs Victor Schiff : ,, So war es in Versailles ..." Victor Schiff war als Vertreter des ,, Vorwärts " in den kritischen Wochen in Versailles und hat den Kampf um die ,, Bedingungen" miterlebt. Er hat den Menschen nahegestanden, die damals auf deut­ scher Seite die schwere Bürde der Verantwortung übernehmen mußten, und endlich die poli­tischen Zusammenhänge als vortrefflicher Kenner des Auslandes tiefer als andere gesehen. Heute, wo der Kampf um Versailles durch das ,, dritte Reich" eine neue Epoche erlebt, sind Schiffs Erlebnisse und Beobachtungen noch genau so aktuell wie vor Jahren. Allzuvieles ist auch vergessen worden von dem, was damals in Versailles war.

Wir drucken einige Kapitel aus dem Buche Schiffs ab. Im gleichen Jahre 1929 erlebte es noch die zweite Auflage. Es enthält einige Abschnitte, die von Hermann Müller , Otto Landsberg und Friedrich Stampfer verfaßt wurden.

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Ueber Belgien nach Frankreich Begegnung mit deutschen Kriegsgefangenen Furchtbare Eindrücke von der. roten Zone" Mißhandlung von Gefangenen Ankunft in Ver­ sailles Abriegelung von der Außenwelt Die Haupt­delegierten treffen ein

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Um die deutsche Delegation, die insgesamt etwa 180 Köpfe stark war, nach Versailles zu befördern, waren nicht weniger als drei Sonderzüge erforderlich. Man mag über diesen Auf­wand staunen und ihn für übertrieben halten. In diesem be­stimmten Falle war aber die Entsendung einer zahlenmäßig sehr starken Delegation insofern berechtigt, als man nach der letzten Antwort der Alliierten aus Spa schließen durfte, daß es sich in Versailles nicht nur um die bloße Entgegen­nahme eines Diktates, sondern um regelrechte mündliche Ver­handlungen handeln würde. Unter dieser Voraussetzung, die eigentlich nach allen bisherigen diplomatischen Sitten etwas Selbstverständliches gewesen wäre, war die Zahl der nach Versailles entsandten Hauptdelegierten, Diplomaten, Sachver­ständigen, Sekretäre. Uebersetzer, Schreib- und Bürokräfte keineswegs zu hoch bemessen. Man mußte mit der Bildung zahlreicher Unterausschüsse der Friedenskonferenz für poli­tische, finanzielle, wirtschaftliche, militärische, soziale und sonstige Fragen rechnen und es war eher an eine spätere Ergänzung als an eine Verringerung der Delegation gedacht. Uebrigens ist in diese Zahl von 180 Köpfen eine Schar von etwa 20 Pressevertretern eingerechnet, die in die Delegation schon deshalb gewissermaßen eingegliedert wurde, weil bei dem noch formell andauernden Kriegszustand auch den deut­ schen Journalisten eine. Art diplomatische Immunität ge­sichert werden mußte.

Nachdem unter Führung des Freiherrn von Lersner eine kleine Quartiermachergruppe vorausgefahren war, verließ die erste Gruppe, bestehend hauptsächlich aus den Beamten des Auswärtigen Amtes, den Mitarbeitern von Hauptdelegierten und einigen Presseberichterstattern, den Potsdamer Bahn­hof am 26. April nachmittags. Die beiden weiteren Züge mit den Hauptdelegierten, den Sachverständigen und den übrigen Journalisten fuhren erst am nächsten Tage ab. Ich gehörte der Gruppe an, die in dem ersten Sonderzug Berlin verließ. Als wir am nächsten Morgen erwachten, lag Deutschland bereits hinter uns. Wir waren in Belgien , in Feindesland". Zwischen Aachen und Lüttich wurden die ersten Spuren des Krieges sichtbar. Auch chronologisch waren es die, ersten", nämlich die ältesten: einige schon wenige Stunden nach der Eröffnung der Feindseligkeiten im August 1914 zerschossene Häuser und Schlösser. Eine dieser Brandruinen, ein herrliches Schloß wenige Kilometer hinter der deutschen Grenze, wun­derschön auf einem bewaldeten Hügel gelegen, nahe der Bahnstrecke und weithin sichtbar, grinst noch heute, nach 10 Jahren, den Reisenden an, der nach Belgien und Frank­ reich fährt. Offenbar wird gerade dieses Schloß absichtlich nicht wieder aufgebaut, um gleich an der Schwelle des Reiches die Deutschen und sonstigen Reisenden an den Völkerrechts­bruch vom 4. August 1914 eindringlich zu erinnern.

Noch vor Lüttich hatten wir einen überraschenden Anblick: während der Zug in Pepinster hielt, erschienen einige deut­sche Soldaten in sauberer feldgrauer Uniform, mit Dienst­mütze und Lederkoppel, und sprachen ungehindert mit den deutschen Reisenden. Dabei wußten wir, daß wir die letzten noch von deutschem Militär besetzten Gegenden schon in der vergangenen Nacht bei Düsseldorf verlassen hatten und daß seitdem feldgraue Uniform nur noch von deutschen Kriegs­gefangenen getragen werden konnte. Daß dies aber keine Kriegsgefangenen waren, erkannte man auf den ersten Blick. Bald hatten wir die Lösung des Rätsels: Pepinster ist die Zweigstation für die kurze Strecke nach Spa. Dort, am Sitz der Waffenstillstan Iskommission, waren noch einige hundert deutsche Offiziere und Soldaten tätig, die sich mitten in Feindesland frei bewegen durften, natürlich nur in der näch­sten Umgebung von Spa.

In Lüttich sollten wir den ersten deutschen Kriegsgefan­genen begegnen. Unsere Herzen krampften sich bei diesem Anblick und bei dem Gedanken an die 800 000 Deutschen zu­sammen, die noch ein halbes Jahr nach Kriegsende und längst, nachdem der letzte Kriegsgefangene aus den alliierten Heeren wieder heimbefördert worden war, noch immer als Geisel betrachtet und bei Fronarbeit zurückbehalten wurden. Daß es noch ein volles Jahr nach der Unterzeichnung des Friedens dauern würde, bis sich Frankreich bequemen würde, seine letzten Geiseln herauszugeben, ahnten wir damals frei­lich nicht. Für uns, die wir im Besitze diplomatischer Pässe waren und als solche jederzeit in die Heimat zurückfahren konnten, war jedenfalls die erste Begegnung mit diesen Opfern des Krieges ergreifend. Sie hatten immerhin den Krieg lebend überstanden und waren darin glücklicher als zwei Millionen ihrer Kameraden und doch dauerte für

sie der Krieg noch fort.

Die ersten Gefangenen, die wir erblickten, standen auf dem Bahnsteig von Lüttich und fegten. Sie sahen nicht schlecht genährt aus, aber zerlumpt. Wer weiß, seit wieviel Jahren sie den gleichen feldgrauen Rock trugen und was sie alles im Schützengraben und in der Gefangenschaft mit der gleichen Montur durchgemacht hatten! Sie blickten zunächst erstaunt, sodann mit einem müden Lächeln auf unsere deut­ schen Schlafwagen herauf und schienen nicht zu begreifen. Die Fahrt durch das Maastal führte uns zunächst durch

Gaue, die vom Krieg nicht viel verspürt hatten, weil die Kampfhandlungen dort sehr weit zurücklagen und nur kurz gewesen waren. Erst bei Huy sah man die ersten zer­schossenen Dörfer. Um so schlimmer war der Anblick von Namur , wo einem recht zweifelhaften Frank tireur- Verdacht zahlreiche Häuser dicht am Bahnhof zum Opfer gefallen waren. Weiter ging die Fahrt durch das industriereiche Tal der Sambre, an den zahlreichen Bergwerkshügeln und Hoch­öfen von Charleroi vorbei, der französischen Grenze ent­gegen.

Um die Mittagszeit war der Grenzbahnhof Erquelines er­reicht. Und kaum waren wir auf französischem Boden, da ver­änderte sich das Bild vollkommen. Bot Belgien , von den wenigen geschilderten Ausnahmen abgesehen, ein Bild des Friedens, der Arbeit, des normalen Lebens, so begann dicht hinter der französischen Grenze ein grauenhaft fantastischer Film sich vor unseren Augen abzurollen. Maubeuge selbst und die nächste Umgebung waren noch verhältnismäßig un­versehrt. Nur der Bahnhof glich einem Trümmerhaufen offenbar war er jahrelang das gut getroffene Ziel franzö­sischer Bombenflugzeuge gewesen, die die deutschen Trup­penbewegungen an diesem wichtigen Knotenpunkt zu stören beauftragt waren.

Jetzt verlangsamte sich das Tempo der Fahrt in auf­fälliger Weise. Mit jedem weiteren Kilometer steigerte sich das Bild der Verwüstung. Bei Le Cateau, wo im September 1918 der letzte große Durchbruch erfolgt war, der im Großen deutschen Hauptquartier jene Panik erzeugt hatte, die sich in flehentlichen Bitten nach Berlin äußerte, sofort eine, ver­handlungsfähige Regierung" zu bilden, waren die Spuren des Kampfes deutlich sichtbar. Von diesem Augenblick an fuhr der Zug in einem Durchschnittstempo von höchstens 15 Kilo­meter in der Stunde und hielt minutenlang an jeder kleinen und kleinsten Station. Gewiß, die Eisenbahnstrecke war noch nicht wieder in idealem Zustand; manche beim deutschen Rückzug gesprengte Eisenbahnbrücke war nur notdürftig repariert und konnte daher nicht mit normaler Schnellzugs­geschwindigkeit befahren werden; an dem Unterbau wurde emsig gearbeitet, teils von Annamiten, teils von deutschen Kriegsgefangenen. Aber dieses Schneckentempo war offen­kundig angeordnet und man verfolgte damit eine bestimmte Absicht.( Beweis: in den folgenden Wochen bin ich mehrfach über die gleiche Strecke in beiden Richtungen gefahren und konnte mich davon überzeugen, daß sonst beinahe die Frie­densgeschwindigkeit eingehalten wurde!)

Die Absicht der Franzosen war, den deutschen Friedens­delegierten stundenlang die Zerstörungen vor Augen zu füh­ren, die der Krieg in Nordfrankreich angerichtet hatte. Man muß gestehen, daß diese Idee von feinem psychologischen Ver­ständnis zeugte. Denn nur gefühllose, rohe Menschen konnten bei diesem Anblick gleichgültig bleiben. Und tatsächlich waren wir alle tieferschüttert, obwohl oder gerade- weil wir die Absicht merkten. Wir sagten uns wohl, daß diese Zer­störungen zum allergrößten Teil eine unvermeidliche Be­gleiterscheinung des modernen Artilleriekrieges seien; wir wußten, daß sie mindestens ebenso sehr von französischen und englischen Geschützen wie von deutschen angerichtet worden waren.

Diese Bummelfahrt durch die rote Zone" sollte gewisser­maßen die psychologische Vorbereitung auf die uns bevor­stehenden Friedensbedingungen sein. Wir sollten auf die Büßerrolle gedrillt werden, die man uns zugedacht hatte. Man wollte den Haß im voraus begründen, der uns in Ver­ sailles umgeben würde.

Stichproben dieses Hasses sollten wir schon während dieses Teiles der Fahrt erleben. Es fällt mir nicht leicht, sie zu schil­dern, denn es wäre wohl das beste, wenn man gewisse Dinge vergessen könnte. Aber es gibt eben Erlebnisse, die man nicht vergessen kann. Es kommt allein darauf an, welche Schlußfolgerungen man daraus zieht. Und ich hoffe, daß niemand bei der Lektüre der folgenden Zeilen etwas anderes empfinden wird als einen Abscheu vor dem Krieg überhaupt, der manche Menschen in haßerfüllte Tiere verwandelt.

Je tiefer wir in dieses Gebiet des Grauens und der Ver­wüstung eindrangen, desto häufiger und zahlreicher sahen wir deutsche Kriegsgefangene, die unter militärischer Be­wachung mit schweren Aufräumungsarbeiten beschäftigt waren. Der Jubel dieser armen Teufel, als sie unseren deutschen Zug erblickten, war unbeschreiblich. Wir waren ihnen in dieser Einöde nicht nur ein erster lebendiger Gruß aus der Heimat, von der sie zum Teil seit Jahren gewaltsam getrennt waren, wir kamen ihnen auch wie die Boten einer

wie man annehmen durfte baldigen Befreiung vor. Sie schwenkten ihre runden, schmugigen, vergilbten Mützen, wir winkten ihnen herzlich zurück. Sie riefen uns zu: ,, Bringt uns bald den Frieden!" Noch häufiger war aber der Ruf: ,, Zeitungen! Zeitungen!" Und alles, was wir an zufällig bei der Abreise als Reiselektüre mitgenommenen Blättern bei uns hatten, wanderte durch die Fenster und sie stürzten sich lachend und dankend, auch unter sich etwas raufend, darauf, wie eine Schar kleiner Kinder, denen man ein paar Kupfer­münzen zuwirft. Auch etwas Obst war noch in unserem Besitz, Aepfel und Apfelsinen wurden an die Gefangenen, auf deren Begegnung wir natürlich keineswegs vorbereitet waren, verteilt, wenigstens solange unser Vorrat reichte, und das dauerte leider nicht allzu lange.

Von

Victor Schiff

Aber in dieser verhältnismäßig kurzen Zeit sollten wir mit eigenen Augen manche sehr häßliche und zum Glück aber auch manche sehr hübsche Szene erleben. Es war an einem kleinen zusammengeschossenen Bahnhof, ich glaube Le Cateau, wo unser Zug längere Zeit hielt. Deutsche Kriegs­gefangene, die zunächst in einiger Entfernung unseres Gleises arbeiteten, näherten sich zögernd und furchtsam. Schließlich waren sie soweit herangekommen, daß man ihnen etwas zu­werfen konnte. Eine junge Sekretärin des Auswärtigen Amtes hatte aber eine Apfelsine nicht weit genug geschleu­dert, sie lag auf einem Nebengleis. Ein älterer Gefangener näherte sich schüchtern dem für ihn kostbaren Geschenk. Ein Bahnbeamter der Nordbahngesellschaft stand daneben und beobachtete mit verbissenen Lippen den Vorgang. Kurz be­vor der Gefangene die Stelle erreicht hatte, kam er mit großen Schritten dazwischen und gerade als der Deutsche sich bückte, zertrat er mit dem Absatz die Apfelsine, deren Saft nach allen Seiten spritzte! Dann blickte er ab­wechselnd uns und den Gefangenen haßerfüllt und höhnisch an und entfernte sich mit tänzelnden Schritten, stolz ob die­ser Heldentat.

Hätte ich dieses abscheuliche Schauspiel nicht mit eigenen Augen gesehen, es fiele mir schwer, daran zu glauben. Der Schaden war gewiß nur gering, die Erde hat in diesem Falle nur ein bißchen vergeudeten Fruchtsaft und kein kostbares Menschenblut gesogen und doch ist mir diese zertretene Apfelsine ein Symbol für die abgrundtiefe Gemeinheit ge­blieben, die der Völkerhaß erzeugen kann.

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Man soll aber die Menschen und die Völker nicht über einen Kamm scheren. Wenige Minuten nach dieser traurigen Szene sahen wir, wie ein französischer Korporal die Zei­tungen, die für die ihm unterstellten deutschen Mannschaften bestimmt waren, selbst lachend aufhob und verteilte und dabei uns freundlich zuwinkte. Auch andere französische Unteroffiziere und Soldaten gaben uns durch nette und witzige Zurufe zu verstehen, wie sehr sie sich über den An­blick der deutschen ,, Friedensboten" freuten, die auch ihnen das endgültige Kriegsende bringen würden. Einige schrien aus vollem Halse demonstrativ: Vive la paix! A bas la guerre!" Hoch der Friede! Nieder mit dem Krieg! Und wir hatten den Eindruck, daß dieser Ruf sozialistischer Fran­zosen nicht nur den deutschen Zivilisten galt, sondern viel­leicht noch mehr den französischen Offizieren, die uns seit Köln als Eskorte beigegeben waren und die vom Speise­wagen aus diese sehr verschiedenartigen Szenen beobachten konnten. Nach einer Weile ließen uns übrigens diese Offiziere durch den Führer dieses Teils der Delegation, den dama­ligen Geheimrat von Keller, den jetzigen Botschafter in Buenos- Aires, ersuchen, nichts mehr den deutschen Gefan­genen zuzuwerfen, um unliebsame Zwischenfälle zu meiden. Unsere Vorräte waren aber sowieso erschöpft.. Jetzt waren wir mittlerweile im ehemaligen Brennpunkt des langjährigen Kampfes angelangt. Ein Meer von Brandruinen verkündete uns St. Quentin. Schon aus der Ferne sah man das gespensterhafte Schiff der Kathedrale aus diesem Meer emporragen. Durch die hohen Mauern hindurch erblickte man den Himmel: Das Dach war eingestürzt, der stumpfe Turm zur Hälfte wegrasiert. Nun war zwar während des größten Teils des Krieges St. Quentin hinter den deutschen Linien, es war also offenkundig die alliierte, vor allem die englische Artillerie, die dieses Zerstörungswerk vollbracht hatte. Aber was halfs? Wir fühlten: Solche Unterscheidungen werden die Franzosen doch nicht machen. Wir sind es in ihren Augen, die den Krieg in ihr Land angriffslustig und mutwillig getragen haben und die an allem schuld sind.

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Langsam, immer langsamer fuhren wir weiter südwärts: Terg­nier, Chauny , Noyon überall dasselbe Bild des Schreckens: Keine Häuser, nur notdürftige, nach dem Waffenstillstand er­richtete Wellblechbaracken, die dem Bahnpersonal oder den Aufräumungstrupps als Unterkunft dienten, hier und dort ein einsames Soldatengrab mit einem verrosteten franzö­sischen oder deutschen Stahlhelm, manchmal auch, in der Ferne, ein Soldatenfriedhof mit Tausenden von Kreuzen; und im übrigen: eine tiefaufgewühlte Erde, keine Bäume, keine Aecker, nur ein Granattrichter neben dem anderen, und Steine, Steine, Steine.

Es war ein herrlicher, sonniger, warmer Frühlingsnach­mittag. Aber in der, roten Zone" hielt noch immer der Krieg, seit einem halben Jahre beendet, die Sonne und die Natur in Schach : kaum ein grüner, frischer Fleck, alles ver­brannt, vergast, verdörrt. Wir hatten das Tal der Oise er­reicht, das einst zu den lieblichsten und fruchtbarsten Land­schaften Nordfrankreichs zählte: Die sonst bewaldeten Hügel wiesen nur noch kleine, kahle Baumstümpfe auf, die oberen Teile der Bäume lagen zerstreut auf den Hängen oder sie hingen noch am Stumpf wie geknickte Streichhölzer. Zwischen­durch Schützengräben und Drahtverhaue, Granattrichter, das war der Film, Drahtverhaue, Trichter, Steinhaufen

der sich vor unseren Augen Stunde um Stunde abrollte. Erst als wir das Gebiet von Compiègne erreichten, ver­änderte sich die Landschaft wie durch ein Wunder. Bald sah man schon die ersten ganzen Häuser wieder, die ersten be­ackerten Felder, das erste Grün. Jetzt konnte die Lokomotive auf einmal schneller ziehen und nahm normales Schnellzug­tempo an. Das seelische Spießrutenlaufen, das uns die fran­ zösische Regierung zugedacht hatte, war nach etwa vier Stunden zu Ende. Ich muß gestehen, daß ich förmlich auf­atmete, als wir dieses Gebiet verließen. Die letzten, von weit­tragenden deutschen Geschützen zerstörten Häuser waren der Bahnhof von Compiègne und die angrenzenden Häuser. Dann aber herrschte wieder tiefster Friede in der Landschaft. An der Oise entlang, an Creil und Chantilly vorbei näherten wir uns der Hauptstadt. Der Nachmittag ging zu Ende. In schnel­ler Fahrt bogen wir südwestlich ab und machten nun einen großen Bogen um Paris herum. Bei Achères überschritten wir die Seine in der Dämmerung. Die Lichter der Hauptstadt leuchteten in der Ferne. Kurzer Halt in St. Germain. Einige Minuten später sind wir am Ziele, Vaucresson , einem kleinen Ausflugs und Villenort der Pariser Bannmeile.

( Fortsetzung folgt.)