Fretheil

Einzige unabhängige Tageszeitung Deutschlands

Nr. 228-2. Jahrgang

Saarbrücken , Dienstag, 2. Oktober 1934

Chefredakteur: M. Braun

Wickung einer Hitlercede

Schachts

Seite 2

betrügerischer Bankrott

Seite 4

Außenpolitische Uncuhe

in Paris

Seite 7

Kreuz

auf dem Spicherer Berg

Seite 8

Der deutsche Bonzenherzog

Des Führers" Bell

Ein Opfer des Blutgerichts

Hamburg, 29. September. Am Samstagmorgen ist das vom Hanseatischen Sonders gericht am 25. September ausgesprochene Todesurteil gegen den Terroristen" Johann Wilhelm Jasper, geboren am

Kostümfest in der 28. Januar 1898 zu Meldorf , im Hof des Untersuchungsgefäng=

Die Riesenkirchweih von Bückeberg Bauernrevolten in Schleswig

Kaiserpfalz

Der riesenhafte nationalsozialistische Fest- und Wander­girfus war am Sonntag von Nürnberg auf den Bückeberg bei Hameln an der Weser verlegt. Seit Wochen haben große Ko­Ionnen von Arbeitsdienst und Militär unter Millionen Kosten das Gelände für die neueste Massenveranstaltung vorbereitet. Ueber die Zahl der aufgebotenen Bauernarmee streitet sich die Presse mit dem Führer". Er begrüßte in seiner Rede 700 000 Männer und Frauen. Viele Zeitungen, so die gleich­geschaltete Saarbrücker Landeszeitung", haben nur 500 000 gezählt. Auf einige hunderttausend mehr oder weniger fommt es bei diesem ewigen Reflamerummel nicht an.

In Nürnberg waren neben dem Führer die alten Kai­serinsignien des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Na­tion aufgebaut.

In Goslar , auf dem Wege zum Bückeberg hat der Füh­rer" unter Standarten und Fahnen der SA. und der Reichs­ wehr in der Pfalz der alten deutschen Kaiser Wohnung ge=

1: ommen.

Der Reichsbauernführer Darré rief Adolf von Braunau, einstweilen noch rein privat und inoffiziell, zum Herzog aller Deutschen aus: Was Heinrich dem Löwen, dem Herzog, einem Bauern wie Sie nicht gelang, erleben heute Sie, mein Führer, in der alten Stadt Goslar die Huldigungen des ge­einten Bauerntums."

Mit der Einigung zwischen Hitlers Bonzofratie und den deutschen Bauern ist es allerdings nicht weit her. In Schles: wig mußten soeben bäuerliche Unruhen gegen die zwangs= weise Lieferung von Getreide und Mehl durch Gendarmen und SS. unterdrückt werden. Mehrere führende bäuerliche Nationalsozialisten wurden verhaftet und sollen wegen Landesverrat verfolgt werden.

Der Bauernführer von Schleswig hat die Bauern in einem Rundschreiben zum Gehorsam ermahnt und darauf verwiesen, daß angesichts der immer noch bestehenden Kriegsgefahr jede Kritif untersagt sei".

Von solcher Stimmung war rings um den deutschen Herzog cuf der Fahrt von der Kaiserpfalz zum fahyenumrauschten Hügel des Bückeberg nichts zu spüren. Es war genau wie unter Wilhelm II. : die Sorgen des Tages wurden hinter Bunten Tüchern versteckt. Triumphfahrt und Volksjubel, Fest­stimmung schlug überall dem großen Führer des größten Reichsbankrotts entgegen:

Der Präsentiermarsch flingt auf, das Deutschlandlied, als der Führer begrüßt wird und dann die Ehrenformation abschreitet. Bald darauf beginnt die Fahrt des Führers durch das Ehrenspalier in der zauberhaften Giebelstadt Goslar, die zu einer bunten Farbensinfonie geworden ist. Vor der Kaiserpfalz steht stramm ausgerichtet, wie aus Erz gegossen, die Ehrenkompanie der Reichswehr , Goslarer Jäger, die hier ihren Oberbefehlshaber präsentieren....

Als der Führer den Kaisersaal nach einer Stunde der Aussprache mit seinen deutschen Bauern wieder verläßt, überreichen ihm Bergleute aus dem Oberharz ein traditio­nelles Grubenlicht. Nun tritt der Führer aus dem alten

Er, der Milliarden Reichsbank- Gold und-Devisen vergeudet, er, der das ganze deutsche Staatsgefüge und das deutsche Volksleben politisch forrumpiert hat, er, der Zweidrittel des deutschen Außenhandels vernichtet hat, er, der die Ehre und die Gleichberechtigung Deutschlands durch eine allgemeine Weltverachtung zu ersetzen verstand, er wagt immer wieder seine Vorgänger zu besudeln.

Und wie er lügt! Er behauptet, man hätte ihm nur eine Regierungsfrist von vier oder sechs Wochen zugemessen. Nie hat irgendwo ein solcher Unsinn gestanden. Er braucht diese demagogischen Schwindeleien, um mangels jeglichen Erfolgs wenigstens das eine feststellen zu können: Seht, ich habe mich an der Macht gehalten! Von seinen millionenfachen Greueln bis zu der Hinschlachtung seiner allernächsten Freunde, die er jetzt wahnsinnige Verbrecher" schmäht, spricht er freilich nicht. Kein Wort natürlich über seine Wirtschaftspolitik! Der Reichsbauernführer Darré hat jüngst in einer Rundfunkrede hervorgehoben,

daß der Weizen bei uns fast dreimal so viel wie auf dem Weltmarkt kostet, Schweine das Zweieinhalbfache dessen, was man in Amerika bezahlt, Butter zwei bis dreimal so viel wie beispielsweise in Kopenhagen , Eier ebenfalls mehr als das Doppelte. Die Lebenshaltungskosten sind von Mitte 1988 bis zur Gegenwart um etwas über 4 v. H., die Kosten für die Ernährung allein um etwa v. H. gestiegen. Nach der schönfärberischen deutschen Statistif! Mindestens 8 Milliarden Reichsmark im Jahre sind aus den Taschen der städtischen Verbraucher in die Kassen der Land­wirtschaft geflossen. Und das bei sinkenden Löhnen und So­zialrenten und bei gestreckter Arbeitszeit!

Hat diese gewaltige Einkommensverschiebung nun wenig­stens der bäuerlichen Wirtschaft geholfen? Nein! Die deutsche Agrarfrise ist troß dem romantischen Erbhofgesetz tiefer und hoffnungsloser denn je. Zugunsten des Getreide bauenden Latifundienbesizers wird die mittel- und kleinbäuerliche Ver­edelungswirtschaft gehemmt und geschädigt. Durch eine Kriegszwangswirtschaft mit bürokratischen Schikanen, ver­mehrt durch schmierige, forrupte und bestechliche Parteibon­zen, werden die Bauern bestohlen und erbittert. Nichts von den nationalsozialistischen Forderungen der Bodenpolitik wird erfüllt.

Der Nationalsozialismus scheitert in seiner Bauernpolitik so sehr wie in seiner Industriepolitik. Das kann alles hohle Gepränge nicht verschleiern, und bäuerliche Kostümfeste wie diese Riesenkirchweih auf dem Bückeberg halten die Entwic lung nicht auf: die Revolution der deutschen Arbeiter und der deutschen Bauern, die nach der Vernichtung des Industries und des Agrarfeudalismus und des Finanzkapitals in einem von Arbeitern und Bauern beherrschten Staate in freier so: zialistischer Selbstverwaltung sich zu dem sozialistischen Auf­bauwert der deutschen Nation finden werden.

Bau der Kaiserpfalz heraus. Die Znstrumente der Reichs- Korrupte braune Bonzen

mehrfapelle funfeln in der Sonne, Marschmufit klingt auf. Dann besteigt der Führer seinen Wagen. Nun geht die Fahrt durch jene Triumphstraße. die der deutsche Bauer dem Führer bereitet hat...

So mag die Stadt an einem mittelalterlichen Turnierfest ausgesehen haben. Die himmelhohen Giebelhäuser mit den herrlichen Fachwerkfassaden, mit den Inschriften, Fahnen, Bändern, Blumen und Kränzen sind ein entzückender Ge­nuß für das Auge, das gar nicht genug trinken fann von der Pracht dieses Tages....

Jst nun Herzog Adolf glücklich in diesem triumphalen Fest­gepränge? Doch nicht ganz! Seine bei aller rohen Stimm­gewalt wieder matte und sorgenvolle Rede beweist es. Ueber den Wald von Fahnen und über seine bewaffneten Söldner Linweg sieht er uns: die Emigranten und ihre Rampfblätter draußen.

Zweimal reckt der scheinbar allmächtige deutsche Bonzen: herzog die Fauft gegen die bettelarme, aber geistig stolze aggressive deutsche Emigration, gegen deren polemische Attacken er ohnmächtig und trog aller seiner Apparatur schutzlos ist. So erbärmlich schwach, daß er ausländische Re­gierungen um Schuß gegen uns anbettelt. Zweimal tobt er in seiner Erntedankrede gegen uns, aber niemand unter den Hunderttausenden zollt ihm gerade an diesen Stellen Beifall.

Die Rede war nichts. Sie verlohnt keine Erwiderung. Der allerhöchste Reichsbankrotteur schimpfte wieder auf alle faut­len und leichtsinnigen" Staatsführer Deutschlands vor ihm.

Aus Hitlers Sumpf

Der Leiter der Finanzabteilung der Reichsjugendführung, Loose, ist aller seiner Aemter enthoben und verhaftet worden. Man nimmt an, daß er der Sündenbock für Baldur v. Schirach sei, dem schon lange Unter­schlagungen vorgeworfen werden.

Der Vertrieb des Völkischen Beobachters" für Pommern lag bisher in den Händen des Oberbannführers der Hitlerjugend Lohel. Der Bezug des VB." war für

uiffes durch das Beil vollstreckt worden.

Das Urteil wurde von einem der parteiisch zusammengesetz­ten Sondergerichte gefällt, die den Regierungsauftrag erhiel­ten, gefährliche Gegner durch lange Kerferstrafen oder durch den Scharfrichter zu vernichten.

Die Urheber des Reichstagsbrandes leben und sißen in hohen Aemtern.

Der Mann, der am 30. Juni über 1200 Morde als Ober­ster Gerichtsherr" ohne Untersuchung und ohne Urteil aus= führen ließ, lebt und läßt weiter köpfen.

Künftige wahre Volksgerichte werden urteilen, wo die Ter­roristen und Mörder sitzen, und wie sie zu bestrafen sind. Jasper geht ein in die große Ehrenhalle der deutschen sozia­ listischen Revolution.

Ein Mord ist ein Verbrechen

Tausend Morde sind Weltgeschichte

Neme

( Aus dem ,, Neuen Vorwärts")

die Mitglieder der Hitlerjugend und des Jungvolts obligas Verbrechen als Unterrichtsfach

torisch. Obligatorisch war aber auch, daß die gelesenen Grem­plare zurückgegeben werden mußten, angeblich, um den arbeitslosen Pgs. und SA.- Mitgliedern zugestellt zu werden. In Wirklichkeit hat Rohel die gelesenen Eremplare als Remittenten an den Verlag zurückgeschickt und so ein einträg­liches Geschäft gemacht. Als man dahinter fam, wurde ein Verfahren vor dem Amtsgericht in Kolbera eingeleitet, das aber auf höhere Anweisung schon vor der Amnestie einge­stellt werden mußte. Zobel ist jetzt in der Gebietsführung Ostsee der Hitlerjugend tätig.

In Pommern waltet der Gau fulturwart Rehberg. Rehberg ist ein junger Dichter, der durch ein Keppler- Drama und ein Rundfunkhörspiel befannt geworden ist. Er ist ein Schwiegersohn Schwiegerfohn des bekannten Stahlhelmmannes und Deutschnationalen Lübbert, der seit dem 30. Juni flüchtig ist. Rehberg hat seinerzeit den Intendanten Flesch, von dem er sehr gefördert worden ist, denunziert. Jetzt ist Rehbera wegen Unterschlagung von einigen tausend Mark verhaftet worden,

Der Minister der Kirchen und Schulen in Oldenburg hat folgende Anordnung erlassen:

Die geschichtlichen Ereignisse der letzten Zeit, die Röhm Revolte und ihre Niederschlagung, die Rede des Führers und Reichskanzlers vom 19. Juli, der Tod des Reichspräsidenten und Generalfeldmar. schalls v. Hindenburg , die Verfassungsänderung. die Rede des Führers und Reichskanzlers vom 17. August und die Volks5efragung vom 19. August sind, soweit das nicht schon geschehen sein sollte, in sämtlichen Schulen eingehend zu besprechen, und in ihrer Bedeutung zu würdigen. Hierfür können die nächsten Geschichtsstunden und in den Volks­schulen außerdem die Stunde der Nation benutzt werden." Als Ergänzung schlagen wir einen Kursus im Killen sowie praktische Uebungen im Fälschen von Testamenten sowie von Wahlergebnissen vor. Was eignet sich auch besser fürs kind­liche Gemüt?