Fretheil

Nr. 229 2. Jahrgang

Einzige unabhängige Tageszeitung Deutschlands

Saarbrücken, Mittwoch, 3. Oktober 1934 Chefredakteur: M. Braun

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Christian Roth

Lebensbild eines

deutschen

Gegenrevolutionärs

Seite 4

Deutsche Industrienot

Vertrauliches Rundschreiben einer Maschinenfabrik

Wir erhalten von befreundeter Seite aus Deutschland nach­folgendes Rundschreiben, dessen Inhalt für die Schwierig­

MASCHINENFABRIK KOENIG - WERK G.M. B. H. Berlin- Charlottenburg 4/ Guben

keiten der deutschen Industrie infolge der schrumpfenden Ausfuhr bezeichnend ist. Das Rundschreiben lautet:

Charlottenburg 4, im August 1934

Englischer Brief

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O. G. London , Ende September. Langsam erwacht die englische Politik wieder aus ihrem Sommerschlaf. Die Minister kommen aus ihren Ferien zurück, der erste Kabinettsrat nach den langen Ferien hat bereits unter Baldwins Vorsitz stattgefunden. Auch Macdonald ist auf dem Heimwege nach seinem drei­monatigen Erholungsurlaub nicht allzuviele freilich werden seine Rückkehr zur aktiven Politik mit der gleichen freudigen Erleichterung begrüßen, mit der seiner­zeit seine Urlaubsreise nach Ranade begrüßt wurde. Die Presse beschäftigt sich wieder mehr mit politischen Problemen, wenn aust andere Fragen, wie der Stapellauf des Riesendampfers und der Besuch der Prinzessin Marina, der Braut des jüngsten Königssohnes, nach wie vor einen Riesenplatz in den Zeitungen verschlingen. Das Parlament tritt im Oktober wieder zusammen, ohne allerdings allzuwichtigen Beratungsstoff vorzufinden.

Die wichtigen Dinge sind zunächst der Regierung allein vorbehalten: im Innern vor allem der Kampf gegen die Arbeitslosigkeit, nach außen die Stellungnahm zu den drängenden europäischen Problemen.

An einen kleinen Kreis von Fachleuten des graphischen Gebietes Englands innere Sorgen wenden wir uns in folgender Sache:

Wir suchen neben unseren Koenigs Bogenanlegern einen Fa­brikationsartikel, der geeignet ist, die Lücke auszufüllen, die der zurückgegangene Auslands- Absatz hervorruft und bitten Sie, uns zu schreiben, falls Sie etwa aus Ihrer Fachkenntnis heraus in der Lage sind, uns einen Vorschlag zu machen für einen Artikel, den wir aufnehmen könnten.

Es kommen nur maschinenmäßig herstellbare Artikel in Betracht, für die ein gewisser grösserer Mengenbedarf vorliegt sowohl schon bekannte Sachen, die z. B. durch mehr Reklame in grösserem Umfange abgesetzt werden können oder überhaupt neue Maschinen, in diesem Falle genügt uns die Angabe des Zweckes der Maschine, ohne nähere Einzelheiten.

Sie würden uns zu Dank verpflichten, wenn Sie uns einen entsprechenden Fingerzeig geben würden. Wir würden bitten, diesbezügliche Briefe unfrankiert an uns abzusenden.

Wir sehen in vorliegender Bitte eine Anregung, uns eine Gefälligkeit zu erweisen. Sollte sich aus dieser ein ersprieẞ­liches Geschäft entwickeln, so würden wir uns zu einer Beloh­nung erbieten, ohne jedoch eine rechtliche Verpflichtung zu einer solchen zu übernehmen.

Wir haben bisher schon von uns aus Erwägungen nach den verschiedensten Seiten hin angestellt, aber es ist uns nichts eingefallen, was Erfolg verspricht, zumal Sachen von einem geringeren Einzelwert ausscheiden dürften.

Wir sprechen im voraus unseren Dank aus, falls Sie versu­chen, uns mit Ihrem sachkundigen Rat behilflich zu sein und uns Vorschläge zu machen, und wir würden uns freuen, wenn sich ein Ergebnis zeigen sollte.

Den wahrhaft kläglichen Ton dieses Rundschreibens einer um ihren Ausland- Absatz gebrachten Maschinenfabrik muß man mit den Siegesfanfaren vergleichen, die Hitler und seine Unterbonzen über ihre Erfolge" für Deutschland immer wieder hinausschmettern.

Der Führer" eilt von Fest zu Fest und läßt sich triumphal feiern, aber in dem von ihm mehr kujonierten als regierten Reiche geht es überall rückwärts.

Fabrikanten setzen Prämien aus für den, der in ihrer verzweifelten Situation einen Rat weiß, welchen Artikel fie auf den unbeschäftigten Maschinen fabrizieren und durch ent­sprechende Reklame im Inlande absetzen könnten.

Für die Rückeroberung des Auslandmarktes gibt man überhaupt die Hoffnung auf. Die Fabrikanten bemühen sich

Mit deutschem Gruss

Maschinenfabrik Koenig- Werk

G.m.b.H.

vor dem drohenden Zusammenbruch zu retten und suchen verzweifelt nach neuen Produktionsmöglichkeiten, um wenig stens bis zu einem gewissen Grade den Betriebsgang auf­rechtzuerhalten.

Derartige Produktionsumstellungen bergen aber in sich große Gefahren für die gesamte deutsche Wirtschaft. Die Auf­große Gefahren für die gesamte deutsche Wirtschaft. Die Auf­nahme einer neuen Erzeugung ist stets mit Kapitalinvesti= tionen verbunden, die zu Fehlinvestitionen werden. Wenn heute beispielsweise die Kunstseidenproduktion auf Kosten der Baumwollwarenerzeugung enorm ausgedehnt wird, wenn Kunstwollerzeugnisse und Ersatzstoffe ihre Produktion auf Kunstwollerzeugnisse und Ersagstoffe ihre Produktion auf Kosten der Wollindustrie vergrößern, wenn neue Papier­warenfabriken ins Leben gerufen werden, die ausschließlich deutsches Hola verarbeiten sollen, so handelt es sich hier um

Die Arbeitslosigkeit ist in dem letzten halber Jahr ziemlich stabil geblieben, die Hoffnung auf mei teren Rückgang hat sich nicht erfüllt. Die Regierung hat bisher die Dinge treiben lassen; als Aeußerstes hat sie sich dazu entschlossen, Kommissare in die vier hauptsäch­lichen Elendsgebiete zu entsenden, wo die Arbeitslosig­keit seit vielen Jahren chronisch ist und ganze Industrie­städte verelendet sind. Die Berichte dieser Beauftragten liegen jetzt vor( veröffentlicht wurden sie nicht). Wird die Regierung nun endlich handeln? Die Jungkonser. vativen und ihre Freunde drängen, sie wollen Ak­tionen sehen, sie fordern öffentliche Arbeiten und propa­gieren zum Teil sogar Planwirtschaft. Aber noch wiegen die alten Herren in der Regierung vor. Man spricht jetzt allerdings wieder von einer Regierungs­umbildung, die jüngeren Kräften den Weg bahnen soll. Der Innenminister, ein trockener Bürokrat, der Gesund­heitsminister, der für das Versagen der Wohnungspolitik verantwortlich ist, und der Kolonialminister werden als die ausersehenen Opfer genannt, die durch Versetzung ins Oberhaus getröstet werden sollen. Außenminister Simon steht diesmal offenbar nicht mehr auf der Ab­bauliste, er ist nicht mehr so unpopulär wie vor einem halben Jahr, seine Genfer Rede gegen" Polen hat sogar eine durchweg gute Presse gehabt.

Was will Englands Außenpolitik?

Allerdings darf man sich nicht über die Tatsache täuschen, daß die englische Außenpolitik fachlich gesehen nach wie vor schwankend und unklar ist. Zeitweise sah es so aus, als habe sich England- beein druckt durch die Verlogenheit der Nazipolitik- end­gültig der französisch- russisch- italienischen Front an geschlossen. Baldwin sprach das berühmt gewordene Wort von der Grenze am Rhein ", England billigte offiziell den Ostpaktvorschlag, die oft offiziöse Times" erklärte damals in einem Leitartikel, die Stellungnahme Deutsch­ lands zu diesem Vorschlag sei ein Prüfstein für die Ehr lichkeit Hitlers. Aber als Deutschland jetzt den Pakt ab­lehnte, war man in England ganz zufrieden, weil man wieder ein Stück Verantwortung losgeworden zu sein glaubt. Auch in der österreichischen Frage sucht

Kapitalfehlinvestitionen. Denn bei Wiederherstellung nor­maler Verhältnisse wird diese fünstlich aufgeblähte Produk­tion zwecklos sein.

Die Werksfriedhöfe aus der Kriegs- und Inflationszeit, die man heute noch in Deutschland findet, reden eine stumme, aber deutliche Sprache. Sie sind eine Warnung für alle die, die denken und sehen können. Sie erinnern daran, daß Fehl= investitionen nach Jahren, wie schon einmal, zum Verhäng­nis der Allgemeinheit werden.

Vor zwei Jahren hat der gewissenlose und leichtfertige, heute nach allen Regeln der Kunst abgesägte Franz v. Papen als Reichskanzler in Lausanne die Früchte der mühevollen und dornenreichen Erfüllungspolitik" Rathenaus und Stresemanns geerntet. Deutschland wurde endlich von Repa­rationszahlungen befreit. Der Weg zum Aufstieg schien offen zu sein. Eine neue, bessere Zukunft winkte dem deutschen Volk nach Jahren der Leiden. Aber da kam am 30. Januar 1933 Adolf Hitler , und es begann das politische und wirts schaftliche Hasardeurspiel. Billiger innerpolitischer Dema­gogie wegen wurde in gewissenloser Weise allen wirtschaft­lichen Gefeßen zum Trotz der Arbeitsbeschaffungs- und Rüstungsrummel in die Wege geleitet. Heute sehen wir ben reits die Früchte dieser gewissenlosen Politik.