Fretheil

Nr. 230 2. Jahrgang

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Einzige unabhängige Tageszeitung Deutschlands

Saarbrücken, Donnerstag, 4. Oktober 1934 Chefredakteur: M. Braun

Drohungen in Oesterreich  

Friedensschluß mit den Nazis oder neue Gewalttaten?

Wien  , 3. Oktober 1934. 4.

Der Bundeskanzler Dr. Schuschnigg hat in mehreren Reden und Interviews in den letzten Tagen geäußert, daß die Regierung jeden, der sich mit Gewalt gegen sie erhebe, bis zur Vernichtung" niederschlagen werde. Das ist zwar eine für die Zukunft ausgesprochene Drohung, sie wird aber auch rücksichtslos gegenüber der Vergangenheit geübt und zwar einstweilen sowohl gegen Sozialdemokraten wie gegen Nationalsozialisten. Noch immer sind viele führende So= zialdemokraten wegen des Februaraufstandes in den Konzentrationslagern und in den Gefängnissen, darunter auch Männer und Frauen, die weder direkt noch indirekt mit den Kämpfen etwas zu tun hatten. Gegen die meisten der eingesperrten Sozialdemokraten ist nicht einmal eine Unter­suchung im Gange, ein Beweis, daß sie grundlos ihrer Frei­heit beraubt werden.

die Verfolgungen zu beenden, deren Opfer die Nazis ſeien. Diese sollten in die Vaterländische Front   eingereiht werden, Diese sollten in die Vaterländische Front   eingereiht werden, die sich nunmehr deutsche   Front" nennen solle. Gegenwärtig seien diese Verhandlungen infolge der Haltung des Heim­wehrführers Fürsten Starhemberg gescheitert, in dessen Linie es liege, Italiens   Politik gegenüber Desterreich zu begünstigen.

Man wolle ja nicht davon reden, daß die Nationalsozialisten eine gewaltsame Erhebung organisierten, aber wenn der Friede zwischen der Regierung und ihnen nicht gesichert werde, wenn andererseits die Verfolgungen der Nazis weiter gingen, dann bestände die Befürchtung, daß gewisse higige Elemente aus den nationalsozialistischen Kreisen zu verzweifelten Taten ihre Zuflucht nähmen.

Anders liegt es mit den Prozessen gegen National ,, Oesterreichische Legion" besteht weiter sozialisten, gegen die immer wieder schwerwiegendes Material ermittelt wird. In einem Prozeß gegen 15 Natio= nalsozialisten vor dem Schwurgericht in Feldkirch   gab ein Angeklagter zu, daßer Sprengmittel aus Deutsch­ land   über die Schweiz   erhalten habe. Dreizehn Angeklagte wurden wegen Sprengstoffverbrechens zu schwe­ren und verschärften Kerkerstrafen zwischen 5 und 15 Jahren verurteilt. Das Militärgericht in Leoben   hat gegen den Schuhmacher Pfister, der im Juli den Aufruhr aktiv unter­stützte, die Todesstraße ausgesprochen.

Wien  , 3. Oktober. Die Innsbrucker Zeitung" veröffent­licht den Bericht eines Mannes, der aus einem deutschen  Konzentrationslager auf österreichischen Boden geflüchtet ist über die Organisation der angeblich aufgelösten Dester­reichischen Legion". Danach gibt es zur Zeit an die 9000

Es scheint jedoch, daß hinter dieser Strafjuftiz fich Be ziehungen zwischen der österreichischen   Regierung und Teilen der nationalsozialistischen Partei anspinnen, um die Feindseligkeiten zwischen beiden zu beenden und unter ge= wissen Bedingungen eine Zusammenarbeit zwischen beiden zu ermöglichen.

Die Nationalsozialisten beteuerten der Regierung, daß man am 25. Juli Dollfuß   nicht habe töten wollen. Der ganze Handstreich der Nazis sollte ohne Blutvergießen vor sich gehen. Die Nationalsozialistische Partei in Oesterreich   ver­folge ein durchaus österreichisches und kein deutsches Ideal. Sie sei viel mehr als die deutschen   Nationalsozialisten am sozialen Wohlstand interessiert.

Ein der österreichischen   Regierung genan bekannter Führer habe türzlich mit Dr. Schuschnigg persönlich Borverhand Inngen geführt mit dem Ziele, den Frieden zwischen der Wiener   Regierung und den österreichischen Nationalsozia= listen herbeizuführen.

Im Laufe der Verhandlungen sei vorgeschlagen worden,

Legionäre auf deutschem Boden, die auf ver­schiedene Lager in Wöllershof, Coburg  , Bad Aibling  , Frei­laffing, Reichersbeuern  , Egmantin, Ulm   und München   ver­teilt sind. Die Region wird von München   aus zentral ge= leitet; an ihrer Spize steht oder stand bis vor kurzem das ehemalige Mitglied des österreichischen Bundesheeres, Rechny. Die Legion als solche bildet die 9. Obergruppe der SA.

Die Legion war bis Mitte August mit deutschen   Gewehren, Revolvern, Handgranaten und Maschinengewehren ausge­rüstet. Mitte August würde sie auf Befehl von Oben zum Teil entwaffnet.

Papen   wird bewacht

Gerüchte über ein Attentat

Wien  , 3. Oftober. Infolge von Gerüchten, die in Wien  über ein angeblich geplantes Attentat gegen den deutschen  Botschafter von Papen zirkulieren, hat das Polizeipräsidium die Wachmannschaften für Papen verstärken lassen. Die mit seiner Bewachung beauftragten Polizeioffiziere haben den Befehl erhalten, Besucher nur nach einem eindringlichen Verhör vorzulassen.

Die Wintersorgen beginnen

Marmelade statt Margarine

Neue Lohnsenkungen stehen bevor

Berlin  , 3. Oktober.

Die Leitung der Deutschen Arbeitsfront  " wird seit Wochen bestürmt mit unzufriedenen Kritiken aus dem Lande und zwar sowohl von Unternehmern wie von nationalsozia­listischen Betriebsobleuten und Vertrauens= räten.

Die Unternehmer erklären, den jeßigen Lohnftand, so tief er ist, nicht mehr aufrecht erhalten zu können, und die Arbeiter beschwören die Führung der Arbeitsfront  ", wei­tere Tarifverschlechterungen nicht zuzulassen, da dies die Arbeiter nicht ruhig hinnehmen würden. Der Lebensstandard sinke ständig. Gerade die für die Ar­beiterernährung wichtigsten Lebensmittel wie kartof feln, Hülsenfrüchte und Speck hätten Preissteige­rungen bis fast zum Doppelten.

Berbilligte Margarine sei wochenlang nicht zu haben. Aus mehreren Landesteilen wird gemeldet, daß im Monat Oktober statt verbilligter Margarine Marmelade aus= gegeben wird.

Der Führer der Wirtschaft" hat nun in einem Schreiben an den Reichsführer des Handels erklärt, daß die Unternehmer Lohn- und Arbeitsbedingungen nicht aus eigenem Willen verändern dürften. Es heißt da u. a.:

Wenn den Wirtschaftsorganisationen sozialpolitische Be: treuung oder Vertretung" im Aufruf des Führers der Wirtschaft verboten werde, dann handle es sich dabei

um Dinge, die unter den Begriff fozialpolitische" Inters effenvermittlung" fallen. Was im Rahmen dieses allge= meinen Grundfazes zulässig oder unzulässig sei, müsse im Einzelfalle entschieden werden. Allgemein gesagt sei uns zulässig jede Einwirkung oder Beratung von Mitglie dern der Wirtschaftsorganisationen in allen Fragen, die das Gebiet der Lohn- und Arbeitsbedingungen betreffen, weil hier der Treuhänder und seine Beiräte zu handeln hätten. Es sei z. B. unzulässig, wenn eine Wirtschaftsorganisation zentralen Stellen Vorschläge über die inhaltliche Gestaltung von Tarifordnungen mache und hierüber in ihren Gre= mien Beratungen abhalte. Entsprechendes gelte für Be= triebsordnungen usw. Es bestehe nur das Recht, daß die Wirtschaftsorganisationen wie die Reichsbetriebs: gemeinschaften der Deutschen Arbeitsfront   den Treuhän dern statistisches Material zuleiteten, nicht aber Richtlinien.

Es wird mithin auf die Treuhänder als auf die Beauf­tragten der Regierung verwiesen, die hoch über Unterneh­mern und Arbeitern unparteiisch die Interessen ausgleichen sollen. Was geschieht aber, wenn diese Treuhänder Anord­nungen erlassen, die den Unternehmern nicht passen? Man braucht sich da nur einer Glanzleistung des rheinischen Treu­händers Börger   zu erinnern, eines alten Kämpfers", der ein besonderer Intimus Hitlers   ist und deshalb sogar zum Professor in Köln   ernannt wurde, obwohl alle geistigen Vor­

Bischof Kaller

gegen die Neuheiden

Seite 7

Schachts Dolchstop

gegen die Saarwirtschaft

Seite 3

Dec Aczt

des ,, deitten Reiches"

Seite 2

Signal und Warnung

Ein Wort an die Emigranten

Bon besonderer Seite wird uns geschrieben:

Wer in Frankreich   unter Franzosen   lebt, der weiß, daß die Ereignisse des 6. Februar noch nicht über­wunden sind. Es ist für das Volksempfinden ein solch aufwühlender und aufpeitschender Gedanke gewesen, daß. Soldaten auf Bürger schossen und ihr. Blut in den Straßen floß, daß die französische   Politik in ihrer Ver­bundenheit mit populärer Massenstimmung immer wieder auf die tragischen Februar- Ereignisse Bezug nimmt. Alles, was nachher kam, der Sturz von Daladier  , die Berufung von Doumergue   als Vater angeblicher Einheit und Eini­gung ist ohne sie überhaupt nicht zu begreifen.

Aber nun ist die Beruhigung sonniger Ferientage, die monatelang nach außen hin die französische   Politik be sänftigte, vorüber. Man kann die neuen Sturm­signale nicht überhören. Die sozialistisch- kommu­nistische Einigung, das Rettungsprogramm" Doumers gues, das seltsame Aehnlichkeit mit der Ermächtigungs­ära Brünings aus den Jahren 1930/31 aufweist, die Widerstände aus den Linksparteien und aus den Bes amtenkreisen: alles läßt darauf schließen, daß die näch ſten Monate für Frankreich   sehr unruhig sein werden. Hinzu kommen die Kantonalwahlen, die vor der Türe stehen und sich immer deutlicher zum Machtkampf zwischen der Rechten und der Linken entwickeln. Jn Lyon   kam es bei einer Wahlversammlung zu blutigen Zusammen­stößen. Berichte aus Toulouse   schildern ähnliche Zwischenfälle. Als der französische   Justizminister Chéron kürzlich im Elsaß   weilte, gab es Demonstrationen, die sich gegen seine Haltung in der Stavisky- Prince- Affäre richteten.

In Frankreich   leben heute viele deutsche   Emis granten; politische Menschen, die zu einem großen Teile an den politischen Ereignissen Frankreichs   mit fieberhaftem Interesse Anteil nehmen. Vielen von ihnen geht es sehr schlecht. Sie befinden sich in einem Zustande latenter Erregung, der leicht zu Depressionen und Explo sionen führt. Bekanntlich wurden bei den Unruhen des 6. Februar auch einige deutsche Emigranten verhaftet. Es waren nur wenige, aber die Tatsache ihrer Teilnahme an den Kundgebungen hat, abgesehen von ihnen selbst, vielen ihrer Schicksalsgefährten schwer geschadets In der französischen   Rechtspresse begann eine lebhafte Agitation gegen die Emigranten, die von ge= wiffen kleinbürgerlichen Kreisen längst als unliebsame Wirtschaftskonkurrenten angesehen wurden. Die Zahl der Aufenthaltsentziehungen in bestimmten französischen  Gebieten wuchs. Sie erfolgten, als das Ministerium Doumergue   regierte, auf unmittelbare amtliche Verfü gung hin. Viele deutsche Emigranten, die sich bereits im glücklichen Besitz eines sicheren Asyls wähnten, mußten sich nach einem anderen umsehen. Neue Lasten wurden ihnen aufgezwungen, ganz abgesehen von dem neuen seelischen Druck, dem sie schuldlos ausgesetzt waren. Wir wissen, in welch tendenziöser Weise die Beteiligung von Emigranten an den innerpolitischen Auseinandersetzungen zu innerpolitischen Zwecken übertrieben wurde. Aber diese Uebertreibungen, die von einigen Einzelfällen hervorgerufen wurden, sollen uns Warnung und Signal sein.

Diese Erfahrungen sind es vor allem, die uns zu einer Warnung an die Emigranten in Frank reich veranlassen. In der politischen Hochspannung, in

aussetzungen fehlen. Er hatte eine Urlaubsreglung erlassen, die wegen ihres fortschrittlichen Charakters allgemeines Auf­schen erregte.

Die Unternehmer beschwerten sich und prompt mußte Börs ger erklären, daß sein Ufas nur versehentlich in die Presse gelangt sei. Es sei ein rein privater und keineswegs rechts­gültiger Entwurf gewesen.

Viel anders wird es nach der Befürchtung der Arbeiter auch mit den Löhnen nicht gehen. Die Treuhänder werden anord= nen, daß die Löhne nicht gesenkt werden dürfen. Die Unter­nehmer aber werden auf die von der Regierung zerstörten Exportmöglichkeiten hinweisen, auf die Devisenschwierig­keiten, auf die behördlichen Wirtschaftshemmungen, auf die gefunkene Rauftraft, auf den verschärften Wettbewerb, auf das Dumping und auf die ganze Verworrenheit und Trost= losigkeit der Wirtschaftslage, um Lohnsenkungen zu recht­fertigen auch dort, wo der Betrieb vielleicht noch rentabel arbeitet. In Berlin   werden troß der schönen Erlasse die Unternehmer wieder mehr Gehör finden als die Arbeiter, und so wird und muß die Verelendung der Massen wachsen. Die beschwörenden Gesten des Wirtschaftsführers zeigen nur, wie sorgenvoll und ratlos er in den harten Winter geht.