Pentjake

Fretiel

Nr. 234 2. Jahrgang

Einzige unabhängige Tageszeitung Deutschlands

Saarbrücken, Dienstag, den 9. Oktober 1934 Chefredakteur: M. Braun

Illegaler Heldenkampi

Ein Bericht aus dem unterirdischen Deutschland  

Berlin  , 7. Oftober.

Die täglichen Meldungen von politischen Verhaftungen und Hochverratsverfahren im dritten Reich" lassen erken­nen, daß der Widerstand der Masse gegen die Hitler- Diftatur zu einer immer größeren Gefahr für das Regime wird und daß die revolutionären antifaschistischen Kämpfer in Deutsch­ land   sich auch durch den mörderischen Terror der Gestapo  und der SS. nicht abschrecken, durch Spizeleien und Verrat nicht verwirren lassen.

Dabei ist zu beobachten, daß seit etwa zwei Monaten eine starke Ernüchterung und eine bemerkenswerte geistige Um­stellung im unterirdischen Deutschland   eingetreten ist. Bis etwa zum Tode Hindenburgs haben viele Illegale eine tiefe Erschütterung oder gar einen Sturz des Regimes von den Spannungen zwischen den alten konservativ- autoritären Schichten, wie sie sich ur die Reichswehr   und die hohe Büro­fratie gruppieren, und dem mit der Revolution" fofettieren­den Hitlerfaschismus erwartet. Diese tiefen Gegensätze be­stehen trotz aller äußeren Gleichschaltung auch heute noch, aber die Illegalen stellen sie zunächst nicht mehr in ihre politischen Berechnungen ein. Insofern hat die Emigration von draußen richtiger gesehen als die Illegalität im Reiche, die eine Zeit­lang von allzu großem Optimismus beseelt war und den Steptizismus der Emigration, der umfassendere Nachrichten quellen zur Verfügung stehen, nicht recht begriff.

Es ist bemerkenswert, daß die Verabschiedung aller Jllu­fionen über den Aktivismus der Opposition von Rechts, die unsere Freunde natürlich keineswegs zu unterstützen beab­sichtigen, feineswegs zu einer Depression unserer Kämpfer neführt hat. Ganz im Gegenteil!

Die Organisationen sowohl der Sozialdemokraten wie der Kommunist und der Vertrieb von illegalen Schriften, die zum Teil aus dem Auslande eingeschmuggelt, in wachsen= dem Maße aber auch im Reich hergestellt

geiftig etwas ganz anderes zu verstehen als das, was uns in alten friedlichen Zeiten unter SPD   bekannt war. Die alten lotul oder in größeren Bezirken bekannten Funk­tionären müssen schon aus Gründen der Vorsicht in der ille­galen Betätigung zurückstehen. Man stößt durchweg auf noch jüngere unbekannte Rämpfer, die mit erstaunlicher Umsicht, ohne jede Romantik und dafür mit einer Bähigkeit, die aus tiefer Einsicht erwächst, ihre lebensgefährliche Tätigkeit ver­richt.... vs wächst da eine neue führende Schicht heran, die durchaus gewillt ist, dem revolutionären Befreiungsfampfe des deutschen   Arbeitsvolfes eigene und spezifisch deutsche Charakterzüge zu geben. An der theoretischen Klärung wird eifrig gearbeitet. Man richtet sich auf längere Fristen ein drängt jedoch auch auf Vorbereitungen, die Eingreifen er­möglichen, wenn die Entwicklung in Deutschland   rasch einen stürmischen Verlauf nehmen sollte.

Die Illegalen, ohne Unterschied der Richtung, glauben nicht an eine friedliche Ablösung oder Evolution des jezigen Systems, sondern an die Unvermeidlichkeit innerer und wahrscheinlich auch äußerer Ratastrophen, die das von Hitler betre ne Wolt der Arbeiter, Banern und Intellefs tuellen zur sozialistischen   Aktion auf die große welt: geschichtliche Bühne Deutschlands   führen werden.

Es ist richtig, daß von den indifferenten politisch un­geschulten Massen viele dem Propagandasystem Hitlers er­ Tegen   sind, jedoch wird kein Nationals zialist im vertrauten Gespräch behaupten, daß Hitler irgendwo nennenswerte Pro­felyten bei den geschulten Maryisten gemacht hätte, und heute darf man ruhig und ohne jede Uebertreibung sagen, daß die wirfuch sozialistische Bewegung längst wieder im Vor­dringen ist.

werben Aus einer illega'en Zel'ung

mehr und mehr ausgebaut und spannen sich über das ganze Land.

Jede illegale Gruppe grenzt sich gegenüber der anderen ab, meil ce Vorsicht geboten ist. Man arbeitet nebenein­ander aber nicht gegeneinander. Diese Geheimorganisationen stehen: Mitgliederzahlen gewiß weit hinter den Riesen­zahlen zurück, die in der Legalität die proletarischen Organi fationen aufzuweisen haben, rechnen aber schon wieder mit zehntausenden Mitgliedern, die mit Material beliefert wer­den und bestimmte finanzielle Opfer bringen. Hinter diesen illegal arbeiten n Kaders stehen die Massen der früheren Gunungsfreunde, die noch passiv bleiben, aber durchaus in Treue zu ihrer alten sozialistischen   Ueberzeugung verharren. Bon illegalen Sozialdemokraten hört man, daß ihre Par tei schon wieder in etwa 1000 deutschen   Orten arbeitet. Unter Partei" ist da allerdings sowohl organisatorisch wie

Berlin  , 8. Oft.( Inpreß). Wir entnehmen der in Berlin  er, cheinenden illegalen Zeitung Parole" den folgenden Be­richt:

" In Glasleth bei Bremen   fand vor einigen Wochen eine Versammlung mit dem Thema Stellung des Stahl­helms zur SA." statt. Referent war der Bremer   Statthalter Röwer höchst persönlich. Nach dem Referat wurde er öffent= lich von einem Mann gefragt, ob es wahr sei, daß er 30 000 Mark im Jahre verdiene. Röwer mußte das. bejahen. Da antwortete ihm der Mann: Sie sind ein Lump und gehören ins Zuchthaus!" Er wurde natürlich sofort verhaftet. In der Gerichtsverhandlung erklärte der Tapfere, daß er Rö­wer nur mit seinen eigenen Worten geantwortet hätte. Er wies ein von Römer unterzeichnetes Flugblatt vor, das vor der Machtergreifung der Nazis verteilt worden war. Es trug in fetter Schrift die Worte: Wer mehr als 10 000 Marf im Jahr verdient, ist ein Lump und gehört ins Zuchthaus!"

Staatsgefährliche Reklameprospekte...

Was ein Engländer beobachtete

Bezeichnend für die Kühnheit, den Umfang und die Er­folge des illegalen Kampfes in Deutschland   ist ein Bericht, den der Berliner   Korrespondent des Londoner Daily Tele­ graph  "( der dem englischen   Außenministerium nahesteht) soeben in seinem Blatte veröffentlicht hat. Er erzählt in diesem Bericht, daß man in Berlin   auf Schritt und Tritt mit der illegalen antifaschistischen Propaganda in Berührung tomme. Die Terrormethoden der Hitler  - Regierung haben den illegalen. Kampf zu einer ständigen Verbesserung seiner Methoden gezwungen. In welcher Weise man es heute in der Reichshauptstadt versteht, illegale Schriften öffentlich zu ver­breiten, dafür nennt der englische   Korrespondent zwei selbst­erlebte Beispiele: Auf der Straße, so berichtet er, wird dem Paffanten von einem Vorübergehenden eine Broschüre in die Hand gedrückt die äußerlich wie der Reklameprospekt einer Seifenfabrik aussieht, die aber im Innern eine Auf­klärung über die Vorgänge am 30 Juni, über die Zustände in der deutschen   Wirtschaft und über die Gefchehnisse der Rüstungsindustrie enthält und im Gaftbona. so erzählt er weiter. erscheint ein Bettler an einem mit Arbeitern be setzten Tisch und bietet ihnen für ein paar Pfennige ein Paket Ansichtskarten an, das sich nach Deffnung als eine Sammlung von photographierten illegalen Zeitungen er weist.

Der Kerrespondent des Daily Telegraph  " bemerkt, daß sich seit dem 30. Juni die Haltung der illegalen deutschen  

Propaganda gegenüber der SA geändert habe. Mit der Auf­flärung über die blutigen Vorgänge jenes Tages und über ihre Hintergründe wende man sich nun auch an die früheren Parteisoldaten Hitlers  . deren Unzufriedenheit immer offen­sichtlicher werde.

Die Verbreitung dieser antifaschistischen Propaganda er­fasse troß der verschärften Unterdrückungsmaßnahmen sei­tens der Polizei und der SS. immer weitere Streise des Vol­fes. Sie wachse, wie der englische   Korrespondent meint, in demselben Maße, in dem die Verbreitung der gleichgeschal­teten Presse sinkt also unaushaltsam. Denn eben erst berichtet die Neue Zürcher Zeitung  " wieder von dem rapi­den Sinken der Auflagenziffer der reichsdeutschen Blätter und vom Tode dreier ehemals großer deutscher   Provinz­zeitungen: der Bremer Weser- Zeitung", der Mainzer Tageszeitung" und der Danziger Allgemeinen Zeitung". Besonders bemerkenswert ist die Feststellung des Korre­spondenten des Daily Telegraph  " daß die illegalen Zei tungen in Deutschland   nicht nur über einen großen und esten Abonnentenfreis verfügen. sondern auch mit einer erstaunlichen Regelmäßigkeit erscheinen. Jüngst, so berichtet der Korrespondent, habe sich eine illegale Wochenschrift bei ihren Lesern in aller Form dafür entschuldigt, daß sie einmal wegen besonderer Schwierigkeiten nicht an demselben Wochentage erscheinen konnte, an dem sie bis dahin immer erschienen und erwartet wurde,

Die Aufcüstung

dec Reichswehr  

Seite 2

Rückgliederung bedeutet Vecteuerung d Lebenshaltung

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Der Aufstand in Spanien  

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Mussol'n's Abkehr von Hitler  

Am Samstag hat Mussolini   vor einer Menge von schätzungsweise 300 000 Personen auf dem berühmten Domplatz zu Mailand   eine außerordentlich bedeutungsvolle Rede gehalten. Der Duce hat sich mit der außenpolitischen Lage beschäftigt und ist unter anderem auf die öster­reichische Frage eingangen, hat die Beziehungen Italiens  zu Jugoslawien   erwähnt und auch die sich anzeigende fran­ zösischen  - italienische Annäherung behandelt. Ueber diesen legten Punkt sagte Mussolini   folgendes:

,, Es besteht kein Zweifel, daß seit ungefähr einem Jahr sich unsere Beziehungen zu Frankreich   wesentlich ge= bessert haben. Die Atmosphäre ist günstiger geworden, und wenn wir, wie wir hoffen, zu einer Verständigung gelangen werden, so wird diese sehr nützlich und förder­lich für die beiden Länder und für Europa   werden. Zahl­reiche Verhandlungen sind augenblicklich im Gange, die einen schreiten günstig fort, die anderen noch nicht. Gegen Ende des Monats und nachdem ich Herrn Barthou  gesprochen habe, werde ich wissen, ob wir in der Lage sein werden, mit der befreundeten großen Nation ein Aufbauwerk zu vollbringen. Auf jeden Fall ist eine Verständigung mit Frankreich   für den Frieden unum­gänglich, selbst wenn diese Verständigung ohne Teil­nahme Deutschlands   zustandekommen sollte."

Diese Worte Mussolinis bestätigen die Tatsache, daß augenblicklich Verhandlungen im Gange sind, die den Zweck haben, die Grundlage einer französisch- italienischen Freundschaft zu legen.

Die Schüsse von Wien  

des=

Die Schüsse vom 25. Juli trafe kanzler Engelbert Dollfuß   tödlich. yaben auch die bisherige deutsch  - italienische Freundschaft mitten ins Herz getroffen. Mussolini   erkannte an jenem Tage, daß er sich auf Hitlers   Worte nicht verlassen könne, daß der deutsche Reichskanzler ihm bei der Zusammenkunst in Venedig   in bezug auf seine österreichische Politik irrag führt hat. Die Zusammenziehung der italienischen Truppen om Brenner stellten nicht nur eine deutliche Demonstration gegen Hitlerdeutschland dar, sondern sie leiteten einen neuen Ab­schnitt in der italienischen Außenpolitik ein. Die Unab­hängigkeit Desterreichs ist für die imperialistische Politik Mussolinis im Donauraum eine Lebensfrage. Die soge= nannten Lebensinteressen des faschistischen Jtaliens ver­langen zwingend, daß der Brenner nicht an ein vergrößertes und erstarktes Deutschland  , sondern an das schwache, anlehnungsbe bedürftige Oesterreich grenzt.

Mussolini   war es klar geworden, daß seine österreichische Politik, auf lange Gicht betrachtet, eine Annäherung mit Frankreich   erfordert, da der deutfce Partner für ihn eine Gefahr geworden ist. An ererisits hot and Trankreich an­gesichts der Verschärfung der Gegnffie uitlerdeutsch­land das größte Interesse, seine Biehungen zu seinem früheren Bundesgenossen, die in den often Jahren viel zu wünschen übrig lieken, zu verben Frankreich   will vor allem erreichen, dehin ukunft Musso­Iinisich der französischen   Politikin Europa  nicht widersetzt, daß er sich insbesondere für die Unantastbarkeit der Friedensver= träge einsetzt und daß er in der Rüstungs­frage die französische   These akzeptiert.

Die Kolonialansprüche

Was steht nun, vom if lienischen Sonopunkt aus be­trachtet, einer dauernden französidolienischen Freund­schaft im Wege? Um sich darü muß man wissen, welche Riele der

Arbeit zu verschaffen, alleniche Imperialis­

Jahrzehn e Zuch haus! Kommunistenprozesse in Kassel  

Kaffel, 6. Oft. Der Strassenat des Kaffeler Overlandes gerichts verhandelte gegen 17 Kommunisten aus Thüringen  , die dort die KPD. neu aufgebaut und eine illegale Bezirks­leitung mit starkem Propagandaapparat gebildet hatten. Das Gericht erkannte wegen versuchten Hochverrats gegen die 17 Angeklagten auf insgesamt 40 Jahre, 6 Monate Zuchthaus   und 2 Jahre, 3 Monate Gefängnis; die höchste Zuchthausstrafe lautete auf 8 Jahre.

In einem anderen Verfahren hatten fich 5 Kommunisten aus Mühlhausen   in Thüringen   wegen Vorbereitung zum Sochverrat zu veron' worten Sjoberinin fommunistische Organisation als Einerantoflub gelarut Das Urteil lautete auf 5 Jahre Zuchthaus gegen den Hauptangeklagten, den 24jährigen Herbert Becherer. Der 35jährige Franz Riedke erhielt 4 Jahre, 2 weitere Angeklagte je 3 Jahre, der fünfte Angeklagte 2 Jahre Zuchthaus bei Aberkennung der bürgerlichen Ehrenrechte. Als straferschwerend wurde das hartnäckige Leugnen" der Angeklagten angesehen,