Deutsche   Stimmen. Beilage zur Deutschen Freiheit"

Dienstag, den 9. Oktober 1934

Die Haltung Thomas Manns  

Zur jüdischen Frage

Thomas Mann   hat eine Reise nach Amerika   hinter sich. Hier hat er eine Erklärung zu den deutschen   Pro­blemen abgegeben, die sehr aufschlußreich sind. Wir fin­den sie( nach dem ,, Neuen Tagebuch") in der, American Hebrew and Jewish Tribune" vom 7. September: ,, Ich möchte vorweg gleich betonen, daß sich in meiner Einstellung zur jüdischen Frage in den letzten zwei Jahren nichts geändert hat.

Ich persönlich bin überzeugt, daß die abendländische Ge­sittung auf zwei Pfeilern beruht: erstens auf der Zivilisation und Kultur der Mittelmeerländer, zweitens auf dem Chri­sntum. Und es besteht wohl kein Zweifel darüber, daß d. Christentum ohne die Juden geistig und geschichtlich un­denkbar ist. Aus der Geistesgeschichte geht klar hervor, daß ein überzeugter Abendländer unvorstellbar ist, der nicht von Judentum beeinflußt worden wäre.

Ich, als überzeugter Europäer und Mensch des Westens, fühle mich mit dem Christentum in jeder Form verbunden. Der Katholizismus ist mir fremder als der Protestantismus  , desser Gehalt mir natürlich wichtiger ist als seine kirchlichen Manifestationen. Die großen Protagonisten des geistigen Protestantismus waren ja auch Nietzsche   und Goethe. Des­wegen ist es so schwer für mich, zu verstehen, wie die deut­schen Nationalsozialisten dazu kommen. Nietzsche   jetzt offi­ziell zu ihrem Vorläufer" zu machen! Nietzsche   selbst hatte ja nur Hohnworte und Abscheu für jede Form von Anti­semitismus."

Musik- Umschau

Arnold Schönberg  , der hier kürzlich anläßlich seines 60. Geburtstages ausführlich gewürdigt wurde, ist in seiner Heimatstadt Wien   durch einige Radiokonzerte und eine Festschrift geehrt worden, in der etwa 30 der inter­national bekanntesten Dirigenten, Komponisten und Schrift­steller ihre Glückwünsche sammelten. So grüßt u. a. der be­kannte holländische Dirigent Willem Mengelberg   ,, den Pio­nier auf neuen Gebieten der Tonkunst, den genialen Kompo­nisten und den großen Menschen Arnold Schönberg  ". Alma Maria Mahler, die Witwe Gustav Mahlers, eines der ersten Förderer des jungen Schönberg  , Darius Milhaud.   der um die Verbreitung Schönbergscher Werke in den westlichen Ländern hochverdiente Pariser   Komponist, Franz Weriel, Egon Wellesz  , Anton von Webern   und Alban Berg   seien aus der Reihe der Gratulanten besonders erwähnt. Daß keiner der ,, modernen" Musik jünger des dritten Reiches" es gewagt hat, dem in Boston   wirkenden Jubilar einen Glückwunsch zu übersenden, versteht sich von selbst.

Bruno Walter  , neben Schönberg, Klemperer und dem verstorbenen Schreker wohl der prominenteste musika­lische" Emigrant, scheint endlich wieder eine dauernde Wir­kungsstätte gefunden zu haben. Wie aus Amsterdam   berichtet wird, steht das Concertgebouw Orchester in diesem Jahre drei Monate unter seiner Leitung, und wie gut informierte Kreise versichern, soll sich hieraus eine Dauerverpflichtung an das beste Orchester Hollands   entwickeln.

Auch Hermann Scherchen  , der modernste und kämpferischste aller deutschen Dirigenten, dessen Kultur­bolschewismus" den Musikbonzen Neudeutschlands ein Dorn im Auge ist, wird als Gastdirigent einige Amsterdamer  Konzerte leiten. Zunächst wird er Bachs Kunst der Fuge  " in der Bearbeitung des verstorbenen Wolfgang Gräser   zur holländischen Erstaufführung bringen.

Der Beginn der neuen Pariser   Konzertsaison wird wieder­um Gastspiele zweier großer Dirigenten bringen. Das Orche­ster Straraw wird einige Konzerte unter Arturo Tos­

Der Jooss- Ballett

Ende und Neubeginn

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Mit der Unerbittlichkeit einer Naturkatastrophe vollendet sich der deutsche   Kunstruin unter der Herrschaft der braunen Usurpatoren. Eine deutsche   Literatur existiert seit dem Beginn des Blubogestammels nur noch außerhalb der Grenzen des dritten Reiches", die besten Kräfte der deut. schen Musik befinden sich in der Emigration, selbst eine Institution wie Bayreuth  , die von den Anfängen an dem Nazismus aufs innigste verbunden war, wird von ihm lang­sam aber sicher zugrunde gerichtet, was die diesjährigen in künstlerischem Niveau und Besuch katastrophalen Festspiele schlagend bewiesen haben. Nun dehnt sich der künstlerische Bankrott auch auf ein Gebiet aus, das seiner Natur nach vom politischen Geschehen am unabhängigsten schien: Es gibt in Deutschland  , das vor einigen Jahren das Land aller Reformbestrebungen auf dem Gebiet der Körperkultur war, 80 gut wie keinen Kunsttanz mehr. Rudolf von Laban   ist aus den Staatsdiensten als Leiter des Berliner   Opernballetts ausgeschieden. Er hat einer liebens­würdigen Durchschnittskraft Plats gemacht. Seine einst welt­berühmten Schülerinnen Wigman   und Palucca spielen, ob­wohl gleichschaltungsbereit, keine sehr große Rolle mehr; und nun kommt die Nachricht aus England, daß auch Kurt Jooß   und seine Mitarbeiter das., dritte Reich" endgültig ver­lassen haben. Man erinnert sich des Welterfolges, den Jooẞ mit seinem pazifistischen Tanzdrama ,, Der grüne Tisch" hatte. Der Pariser   Tänzerkongreẞ zeichnete ihn mit dem ersten Preis für dieses mutige Werk aus, und eine Welttournee mit diesem Stück, die März 1933 begann, enthob ihn zunächst der Auseinandersetzung mit den neuen deutschen Machthabern. Jetzt hat Jooß endgültig seine deut­ sche   Stellung geräumt, hauptsächlich wohl deshalb, weil er auf seine jüdischen, nichtarischen Mitarbeiter und Mitarbei­terinnen nicht verzichten wollte. In Dardington bei Tod­ness( Südengland  ) hat er eine neue Schule gegründet, wo er bereits im nächsten Sommer Tanzfestspiele veranstalten wird und wo er eine neue Welttournee mit neuem Repertoire vor­

Auf die Frage, ob er einen richtigen Kern in der Behaup­tung sehe, daß die Juden in den ,, radikalen Bewegungen" maßgebend seien, erwiderte Thomas Mann  :

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,, Der Ausdruck ,, Radikalismus" in diesem Zusammenhang scheint mir falsch. Die Juden sind Exponenten der univer­salen Zivilisation. Sie haben von den Griechen die ordnende Macht der Vernunft übernommen den Willen, die Dinge durch Vernunft zu bewältigen. In dieser Hinsicht waren die Griechen den Deutschen   voraus. So betrachtet, scheint es mir übrigens, daß der deutsche   Antisemitismus sich eigentlich nicht so sehr gegen die Juden in dieser Eigenschaft wandte, als vielmehr in ihrer Eigenschaft als Verkörperer der Zivili­sation und Kultur des Mittelmeers. Damit eng yerbunden ist nun die Frage des ,, Radikalismus. Denn der ist das Ver­langen nach Verbesserung des menschlichen Loses, er ist der ewige Kampf, die menschliche Brutalität niederzuzwingen und der Vernunft die Oberhand zu verschaffen. Diese hohen Bestrebungen sind in den Juden eben stärker als in den Deutschen  ."

Thomas Mann   bekannte sich schließlich zu dem Glauben. ,, daß der Antisemitismus dem Geist der wirklichen Christen in Deutschland   fremd ist", und wies auf die aktive Oppo­sition unter den Katholiken hin: ,, Kardinal Faulhabers kräf­tige und mehrfach öffentlich bekundete Gegnerschaft gegen den Arierparagrafen und andere unchristliche Mani­festationen ist eines der hoffnungsvollsten Zeichen. Die wirklichen Christen wissen ganz genau, daß sie und die Judev unlösbar miteinander verbunden sind."

caninis Leitung in Paris   und in der französischen   Pro­vinz geben, während Felix von Weingartner   mit dem Orchester Pasdeloup konzertieren wird. Beide in Deutschland   nicht mehr auftretenden Künstler haben während des Sommers in Salzburg  ( teilweise als Ersatzmänner für den diplomatisch erkrankten" Richard Strauß  ) Triumphe ge­

feiert.

Im dritten Reich" ist eine Hausse in Sommer­nachtstrau m"-Musik ausgebrochen, nachdem der ge­waltige Josef höchstselbst die meisterliche, unsterbliche Men­delssohnsche Musik als unerwünscht" bezeichnet hat. So­eben ist in Berlin   das Machwerk eines braunen Ersatzliefe­ranten für jüdische Musik mit Glanz durchgefallen, was sogar die Musikkritiker gleichgschaltetster Couleur feststellen muß­ten. Nun geht die Meldung durch die Presse, daß der dies­jährige Goethe- Preisträger, Hans Pfigner, dazu ausersehen sei, die neue arische Shakespeare  - Musik zu schaffen. Wird der Musiknazi Pfitzner, der in seinen Memoiren und Pam­

Ereignisse und Geschichten

Hitler   und Goethe

Eine Ballade

Himmelstor

Herr Hitler  , der das Zeitliche gesegnet, Marschiert im Stechschritt stramm zum Himmelstor Als er Herrn Goethe unterwegs begegnet, Stellt er sich ihm als Führer Deutschlands   vor.

Stelle er sich

Herr Goethe   unterdrückt ein breites Schmunzeln: ,, Von Ihnen habe ich schon viel gehört." le Und fährt dann fort mit leichtem Stirnerunzeln: ,, Sie haben doch den deutschen Geist zerstört!"

,, Sie Untermensch!" schreit Hitler   voll Empörung ,, Sie Greuelheter! Herr, Sie wagen es, Mich anzuklagen der Kulturzerstörung? Wenn Sie nicht schweigen, ruf ich die SS.!

Ich bin der deutscherseits mit größten Zielen Betraute Heiland, völkische Sektion! Wenn meine Pläne auch ins Wasser fielen, Die Welt   zu norden bleibt des Volks Mission!

Sie aber waren schon vor hundert Jahren Ein Volksverräter und ein Pazifist; Sie sollten eigentlich zur Hölle fahren; Der Himmel ist zu schad' für solchen Mist."

Herr Goethe   lächelt fern bei diesen Worten Und sieht voll Mitleid auf den Mann vor ihm: , Verzeihen Sie, ich bin nicht Doktor Dorten. Weshalb beschimpfen Sie mich so intim?

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Ich habe, als ich lebte, viel geschrieben In einer Sprache, die man Deutsch   genannt. Von dieser Sprache scheint nicht viel geblieben, Zumindest Ihnen scheint Sie unbekannt.

Schon damals wurde ich nicht oft verstanden; Jegt aber ist in meinem Volk, mir scheint, Verständnis überhaupt nicht mehr vorhanden. Der Deutsche   wurde Deutschlands   schlimmster Feind.

Denn Deutschland  , wie es seine Lehrer wollten, Ist das Gehege für den reinen Geist. Doch Ihre Lehre, für die Köpfe rollten, Ist Unrat, den der Mob als Wunder preist.

Ich rate Ihnen, schleunigst umzukehren! Elysium ist nicht der Ort für Sie; Jnd,

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sollten Sie die Unterwelt beehren, Selbst Satan, merken Sie, empfängt Sie nie!"

PETE

phleten soviel von romantischer Gesinnung, Werktreue, Werfels neues Werk Ehrung der alten Meister schwafelt, noch so viel künstle­risches Gewissen haben, das Ansinnen der braunen Kunst­bonzen zurückzuweisen, oder wird er sich selbst für alle Zeiten zum lächerlichen Goebbels  - Kuli stempeln?

Das Mainzer Journal", einst ein katholisches Blatt, teilt in seiner Nummer vom 20. September mit: Der Landes­verband der hessischen Feuerwehren hat angeordnet, daß die Feuerwehren bei ihren öffentlichen Auftreten Schalmeien­musik als undeutsch nicht mehr spielen dürfen. Ebenso wird das Mitführen von Pauken in ihren Trommler- und Pfeifer­korps untersagt." Wir schlagen vor, die Musik im neuen Deutschland   überhaupt zu verbieten. Vom Fremdwort " Musik" bis zum französisch- amerikanischen ,, Saxofon  ", von dem demokratisch mit Ideen der französischen   Revolution tödlich infizierten Beethoven bis zum kulturbolschewistischen Schönberg, nichts an dieser hohen menschlichen Kunst ist teutsch, sie hat wal.rlich nichts im entmenschten ,, dritten Reich zu suchen!

bereitet. Man kann Jooß zu diesem mutigen Schritt nur be­glückwünschen, er hat das beste für sich und seine Kunst ge­tan: nur schleunige Flucht rettet vor dem Kunsttod im ,, dritten Reich"! P. W.

Faschistisches Panoptikum Eine internationale Ausstellung

Horatio.

Der Titel des neuen Werkes von Franz Werfel   lautet: ,, Der Weg der Verheißung  . Ein Bibelspiel." Der Dichter selbst äußert sich zu dieser Bezeichnung, daß der Untertitel darauf hinweise, daß in dem Spiel nur die Worte der Bibel selbst verwandt würden, und er, bis auf dramatisch not­wendige Anknüpfungen und Dialog- Steigerungen, nichts Eigenes hinzu erfunden habe. Der Zuschauer erlebt somit keine Bibeldichtung, sondern den ganzen geschichtlichen Weg von Abrahams   Berufung bis zur Zerstörung des Salomo­nischen Tempels in den Hauptereignissen und in den Haupt­figuren."

Das Stück zerfällt in zwei Dramen: in das reale Drama einer jüdischen, zeitlosen Gemeinde, die vor Verfolgungen in ein Bethaus flüchtet und deren Rabbi zur Stärkung des Mutes mit der Vorlesung der Bibel beginnt. Aus dieser Vor­lesung wächst das visionäre Drama, das monumental, ohne psychologische Konturierung oder Umdeutung, zu dem realen Vordergrund, den es überhöht, steht.

Großmutter muß wandern

Es wird jedem politischen Leiter verboten, zwecks Nach­forschung seiner arischen Abstammung im Ausland mit den entsprechenden deutschen diplomatischen oder konsularischen Vertretungen direkt in Verbindung zu treten.

Aus einem Erlaß des Bayreuther Gauamtsleiters, veröffent­licht in der ,, Bayerischen Ostwacht".

Die Gebeine der arischen Großmütter scheinen sich dem­nach, um den ständigen Belästigungen zu entgehen, ins Aus land geflüchtet zu haben.

Wie wir erfahren, wird im Herbst dieses Jahres in Pariseine internationale Ausstellung über den Faschismus in einer durchaus neuartigen und ori­ginellen Form stattfinden. Die Initiative dazu geht von einem Kreis französischer Wissenschaftler und Künstler, so­wie von den großen pazifistischen und fortschrittlich großen kulturellen und sozialen Problemen ausgehen, die sinnten Organisationen aus. Die Ausstellung wird von den Die drei F! in der Nachkriegszeit die europäische   Zivilisation von Grund auf erschütterten und, nach diesem historischen Ueberblick, eine reich dokumentierte Schau über alle Erscheinungs­formen und nationalen Spielarten des Faschismus geben.

Als technisches Vorbild werden die internationalen Aus­stellungen wie ,, Pressa" in Köln   und die Hygieneausstellung von Dresden   dienen; die künstlerische Leitung liegt in den Händen von Franz Masereel  . Besondere Abteilungen der Ausstellung werden gewidmet sein den modernen Formen der Sklavenarbeit, wie sie im Arbeitsdienst und in der Land­hilfe verwirklicht wurden; der faschistischen Kunst, der faschistischen Wissenschaft usw. Technisch besonders inter­essant ist die geplante Darstellung des nächsten Krieges, als eines Krieges der Maschinen, die an Modellen und Reliefs vorgeführt werden. Eine weitere Abteilung ,,, Die Genera­tion von 1950", behandelt das Problem der in der faschisti­schen Psychose heranwachsenden Jugend; schließlich wird ein Faschistisches Panoptikum" die Schreckenskammer des Terrors, der Volksverblödung, des Kitsches und der Kultur­barbarei zeigen. Mit der Beschaffung des dokumentarischen Materials wurde das Institut zum Studium des Faschismus in Paris   betraut.

Die Nummer des ,, Völkischen Beobachters" vom 17. Sep­tember enthält auf ihren ersten beiden Seiten Berichte über folgende Veranstaltungen:

Westfalentag im Münsterland,

Westdeutsche Funkausstellung( Köln  ),

Grenzlandschau für Bauernkultur( Bad Kreuzn h), Straßenbaukongreßteilnehmer am Tannenbergdenkmal, Ausstellung Deutsche   Arbeit im deutschen   Westen* ( Essen  ),

Kurhessischer Kreisopfertag( Kassel  ),

Festwoche des Deutschen Auslandsinstituts( Stuttgart  ), Gebietsführertag der HJ.( München  ). Immer noch Feste, Feiern, Feuerwerk je größer die Not, um so mehr! Es fehlt nur das ,, Fest des verhungerten Arbeiters"!

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Der deutsche   Export hat in einer Branche um ein Vielfaches zugenommen, in der illegalen Wigbranche nämlich!

,, Wie alt wollen Sie werden?" ,, Tausend Jahre!"

,, Warum so lebensüberdrüssig?"