Deutschien
Gockis
Donnerstag, den 11. Oktober 1934
• Ereignisse und Geschichten
Das Lied vom SA.- Mann
Briefwechselni a
Das Genre des privaten Schriftsteller- Briefwechsels zeichnet sich nicht immer durch Interesse aus. Nur solche Briefe, wie die Voltaires, Flauberts, Puschkins oder Tschechows werden zu einem reichhaltigen Genre der Epistolarkunst, indem sie das literarische und gesellschaftliche Suchen der Epoche wiedergeben, die sie gezeugt hat. In den Briefen Puschkins und Tschechows lernen wir den scharf ausgesprochenen publizistischen Gedanken, philosophische Sentenzen, diese oder jene Staatsideologie kennen, die in den künstlerischen Werken dieser Schriftsteller fein drapiert sind. Deshalb bringt ihr Briefwechsel einiges Licht in ihre Kunst und deckt ihre sozialen Tendenzen auf.
A. M. Gorki gehört zu der Zahl der Künstler und Publizisten, der gesellschaftlichen Kämpfer, deren soziale Tendenzen in jeder Zeile hervortreten. Daher befitzen die eben veröffentlichten Briefe Gorkis ( Verlag der Akademie der Wissenschaften) aus der Periode zwischen der Revolution von 1905 und der Februarrevolution, eine gewaltige Bedeutung zur Erforschung der Schriftstellergestalt Gorkis selbst sowie der Epoche, in der die Briefe geschrieben wurden.
Wir sehen hier einen Schriftsteller des Proletariats in der Umzingelung der gesellschaftlichen Reaktion des berüchtigten Henkers Stolypin , als die Revolution in die Illegalität getrieben war, auf der Oberfläche des russischen Lebens meistens nur Galgen und Feldgerichte zu sehen waren, als Leo Tolstoi sein ,, Ich kann nicht schweigen" schrieb und darum bat, ihm den Galgenstrick um den Hals zu werfen, und Korolenko, die erschütternden Bilder der zum Tode verurteilten entwarf. In dieser Zeit ging in der russsichen Literatur ein förmlicher Zerfall der großen Traditionen vor sich. Neue Schriftsteller erscheinen, die die volksfreundlichen Tendenzen und alle gesellschaftlichen Ideale mit Füßen treten. Leonid Andreje w verherrlicht die Finsternis. Sein Held, ein Revolutionär in der Illegalität, der sich in einem Freudenhause verbirgt, erklärt sich einverstanden mit einer Prostituierten, die ihn belehrt, daß es eine Schande ist gut zu sein, wenn rund herum Finsternis herrscht". Sologub verherrlicht den Tod. Arzybas chew predigt sexuelle Zügellosigkeit.
In dieser Zeit erklang die Stimme Gorkis , wie eine Verkündigung des baldigen Untergangs der Reaktion. Er schreibt seine besten Werke, wie„ Die Mutter ",„ Die Kindheit", ,, Das Städtchen Okurow" u. a. Er ist durch die Fragen über neue Schriftstellerkader aus der Stadt, aus der Arbeiter- und Bauernmitte, vollständig in Anspruch genommen. Seine Briefe kann man in zwei Abschnitte teilen. Den ersten Abschnitt bildet der polemische Briefwechsel mit den Vertretern der literarischen Reaktion, den Symbolisten Andrejew, Solo gub , Brussow u. a., mit dem bürgerlichen Publizisten Amfiteatrow u. a. Hier sehen wir einen Kämpfer des Proletariats, einen Schriftsteller und Revolutionär, der mit seinen scharfen Pfeilen die Gegner durchbohrt, alle reaktionären Beweg gründe und jede Ideen- Dekadenz entlarvt, jedes Kompromiß ablehnt und jede Vergoldung von allem, was die Vorwärtsbewegung hindert, herunterreißt. Diese Briefe sind zeit
gemäß, weil sie alle literarischen Mitläufer des Faschismus gemäß, weil sie alle literarischen Mitläufer des Faschismus auf den Kopf treffen.
Der zweite Teil besteht aus dem Briefwechsel mit anfangenden proletarischen Schriftstellern. In diesen Briefen sorgt sich Gorki nicht nur um die ideelle Richtung der geistesverwandten Schriftsteller, sondern auch um deren literarischtechnische Ausrüstung. Er gewöhnt die Schriftstellerjugend daran, scharf und genau jede Metapher zu bearbeiten, an zutreffende Aepitheta, an einen richtigen Satbau, an das Musikalische der Gesamtkomposition. Ueberhaupt bringt uns der Briefwechsel die Grundzüge der literarischen und gesellschaftlichen Aesthetik Gorkis , deren Fahne Alexei Maximo witsch auch in der Epoche der finstersten Reaktion hochzuhalten verstanden hat. Diese bemerkenswerten Briefe Gorkis an die Schriftsteller bringen uns ideeliche Beständigkeit und den Glauben an die schöpferischen Kräfte der Arbeiterklasse bei. B. Walbe im„ Roten Blatt".
Ein Maxim- Gorki- Institut für Literatur
Die Sowjetregierung hat beschlossen, in Moskau ein Institut für Literatur zu gründen, das den Namen Maxim Gorki tragen soll. Dieses Institut soll zum Zentrum der wissenschaftlichen Forschung auf dem Gebiete der Literaturgeschichte und gleichzeitig eine Hochschule für Literatur wer. den, die den Sowjetschriftstellern zur Erhöhung der Qualifikation dienen soll. Die wissenschaftliche Forschungsarbeit des Instituts wird die gesamte Weltliteratur, in ihrer Entwicklung von der Volkskunst bis zur Gegenwart, erfassen. Es werden voraussichtlich fünf Hauptabteilungen errichtet: Geschichte der Weltliteratur, Theorie der Literatur und Geschichte der Aesthetik, Sprachwissenschaft, Theorie und Geschichte der literarischen Kritik und Geschichte des künstlerischen Buches( Buchgrafik, Illustration usw.). Die pädago gische Tätigkeit des Instituts sieht dreijährige Kurse vor. Es sollen dabei nur solche Personen zur Ausbildung im Institut aufgenommen werden, die bereits in irgendeiner Form ihre schriftstellerischen Fähigkeiten bewiesen haben und die zu ihrer weiteren Entwicklung einer systematischen Erweiterung ihrer Kenntnisse bedürfen.
Für den Bau dieses Instituts ist einer der schönsten Plätze am Ufer der Moskwa bestimmt worden, in der Nähe des ,, Palastes der Arbeit". Hier werden sich die mächtigen Gebäude des Gorki - Institutes erheben, als symbolischer Ausdruck der Kraft, Größe und Schönheit der neuen soziali.
stischen Kultur. Das Bauprojekt sieht neben einigen großen Auditorien Hunderte von Zimmer für Einzel- und Gruppenunterricht, eine Bibliothek mit einer Million Bänden, einen besonders eingerichteten, großen Raum für die Aufbewahrung von Handschriften und literarischen Archiven. Wohnungen für Studierende usw. vor.
Ferner soll im Institut eine Galerie mit Skulpturen der großen Meister der Literatur geschaffen werden. Zum Direktor des Gorki- Instituts ist L. B. Kamenew ernannt worden.
SA. erzählt sich Anekdoten usmiHU
Die Rache der Kreatur
Den deutschen Untertan kennt man in verschiedenen Farben, aber immer war er servil, immer heuchelte er gute Gesinnung" und Unterwürfigkeit. Das war unter Wilhelm so wie heute unter Hitler . Einem Magdeburger Genossen passierte es, daß er einem kleinen Industriellen weltwirtschaftliche Notwendigkeiten klar machte; der andere stimmte zu, plötzlich aber stammelte er eine Frage, die man in HitlerDeutschland selbst bei harmlosesten Gesprächen häufig hören kann ,, Sagen Sie, diese Ansichten sind doch nicht liberalistisch?!" ,, Nein, nein," beruhigte ihn der Genosse und der andere ging befriedigt von dannen. Ein Liberaler, der nicht mit liberaler Meinung herumlaufen wollte, seitdem sie verboten war! Dieser Untertan ist in Gangsterien in allen Schichten sonder Zahl wieder auferstanden. Er will nichtmal heimlich eine eigene Meinung, sondern nur seine Ruhe haben. Aber ab und zu schafft er sich heimlich Genugtuung für Enttäuschungen, indem er sich an oppositionellen Witgen
erfreut.
Die Nazipresse hat in letzter Zeit mehrfach darauf aufmerksam gemacht, daß künftig auch gewisse Wigeleien" verfolgt würden und hat vor Weiterverbreitung gewarnt. In einigen Fällen forschten die braunen Spitzel nach den Urhebern und siehe da, immer waren einige Prätorianer unter den Kolporteuren. Jeder in Deutschland weiß, daß die SA. zu den ergiebigsten Brutstätten der verbotenen Satire gehört. Auf ihren Dienststellen, auf ihren Arbeitsplätzen, bei ihren Umzügen: immer bringen SA.- Leute die neuesten Schlager mit, immer sind es bissige Verhöhnungen der führenden
Bonzen.
Jedes unterdrückte Volk hilft sich durch Satire und der Wert dieser Art Kritik soll nicht verkleinert werden. Aber wenn schon die Anhänger einer Diktatur biereifrig zu dieser Waffe greifen, so steht es um diese Anhängerschaft
Daraus schon mag man ermessen, wie turmhoch die Sozialdemokratie über der Hitler - Partei steht. Welch ein Maß von Falschheit, Gehässigkeit und deutscher Treue in diesem braunen Gebilde! Sie haben diese„ Führer" gewollt, sie haben ihnen Weihrauch gespendet, sie stehen heute noch vor den verkommensten Bonzen stramm, aber sie rächen sich für alle Enttäuschungen durch bösartige Sottissen und gepfefferte Geschichten und gehen dann hin und brüllen Heil Hitler! Auch Wilhelms Palladine hielten sich für manche Demütigungen durch SM. - Anekdoten schadlos und das Bürgertum freute sich im Stillen, aber diese Satiren des damaligen Untertans konnten sich weder an Zahl, noch an Bösartigkeit mit den von der SA. erfundenen, weitergereichten, gegen die eigene Bewegung und die eigenen Führer gerichteten Zoten
und Anekdoten messen.
Sie wachsen täglich sowohl an Quantität wie an Qualität, gehen über ganz Europa und sind wohl das einzige Produkt des Dritten Reiches , das keine sinkende Exportziffer aufGregor.
weist.
Eine jüdische Zeitschrift in der Tschechoslowakei erhielt von einer Hamburger Kaffee- Großrösterei einen Propagandaartikel mit der Aufforderung, ihn zu veröffentlichen. In dem Begleitschreiben, das mit Heil Hitler endete, stellte die Firma fest, daß ,, Kaffee in allen zivilisierten Ländern eines der beliebtesten und täglich genossenen Getränke ist. So wird auch die Leser Ihres Blattes... usw." Die Redaktion der Zeitschrift schrieb zurück: ,, Sie sind vollkommen im Recht, wenn Sie die Tschechoslowakei zu den zivilisierten Ländern rechnen. Aus diesem Grunde ist es uns auch nicht
möglich, Zuschriften aus Hamburg zu veröffentlichen. Mit jüdischem Gruß( Unterschrift)."
und ihre Sache sehr faul. Uns Sozialdemokraten ist diese versteckte Bloẞstellung der eignen Führung völlig fremd. In den Zeiten, da wir die Mitverantwortung im Staate hatten, Ein Blubo- Faust gab es in Kabaretts gelegentlich Witze auf Kosten Eberts oder anderer sozialdemokratischer Minister. Immer wurden diese Kalauer von unseren Anhängern abgelehnt. Noch heute würde eine Umfrage ergeben, daß in unseren Reihen niemand auch nur vier Witze gegen sozialdemokratische Führer kennt. Zwischen dem, was unsere führenden Genossen sagten, und dem, was sie taten, klafften nicht solch verlogene Wider sprüche, wie sie das dritte Reich" lächerlich machen, und die Demokratie in unseren Reihen sorgte dafür, daß jeder aussprechen konnte, was er auf dem Herzen hatte. Wige gegen die eigene Partei, von uns der Oeffentlichkeit weiter gegeben das kannten wir nicht.
S
In der Frankfurter Zeitung schreibt Ernst Heilborn , früher einmal als Theater- und Literaturkritiker und als Herausgeber der einstmals wertvollen Zeitschrift ,, Die Li teratur " bestens bekannt, über eine Faustaufführung im Berliner staatlichen Schauspielhaus, die er eine„ Neudurchblutung" nennt. Den Faust spielte Eugen Klöpfer . ,, Dieser Faust ist nicht der Prototyp des Gelehrten, sondern der Arztsohn des alten Bauerngeschlecht... Gesundes Gebiß. Ein unvergleichlicher Sprecher, weil es ihm nicht darauf ankommt, ob und was er spricht." Das kommt bei diesem Blatt wirklich nicht mehr darauf an
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Vor Hunger ein.
hört sie ins
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Deutschland rachel schrein al sia
Da sah ich viele marschieren
Sie sagten, ins ,, dritte Reich". Ich hatte nichts zu verlieren
Und lief mit, wohin war mir gleich.
Als ich marschierte, marschierte, Neben mir ein dicker Bauch.
Und als ich ,, Brot und Arbeit" schri Da schrie der Dicke das auch
Der Staf hatte hohe Stiefel Ich lief mit nassen Füßen mit Und wir marschierten beide Im gleichen Schritt und Tritt.
Ich wollte nach links marschieren, Nach rechts marschierte er Da ließ ich mich kommandioren Und lief blind hinterher.
Und die da Hunger hatten Marschierten matt und bleich, Zusammen mit den Satten
In irgend ein ,, drittes Reich". Sie gaben mir einen Revolver Und sagten, schieß auf unsern Feind! Und als ich auf ihr Feind schoß, Da war mein Bruder gemeint.
Jett weiß ich, drüben steht mein Bruder. Der Hunger, der uns eint
Und ich marschiere, marschiere Mit seinem und meinem Feind.
So stirbt mir jetzt mein Bruder, Ich schlacht ihn selber hin
Und weiß doch, daß, wenn er besiegt ist Ich selber verloren bin.
( Aus„ Geschichte, Lieder, Chöre" von Bert Brecht , Editions du Carrefour, Paris .)
Was soll die deutsche Frau? Spießerideologie des ,, Führers"
Dr. von Leers hat vor den Schriftleiterinnen im Haus der Presse über ,, die arbeitende Frau und den Nationalsozialismus" gesprochen. Er verbeugte sich ein übers andere Mal vor der berufstätigen Frau und sagte u. a. nach einem Be richt des ,, Berliner Tageblattes":
,, Die Spießerideologie, die die unverheiratete arbeitende Frau vom Arbeitsplats verdrängen wolle, sei nichts anderes als Futterneid. Der Vortrag gipfelte in der Forderung nach Lebens- und Existenzverhältnissen für die erwerbstätige Frau, die sowohl der Kulturhöhe unseres Volkes wie der in unserer Rasse begründeten Ritterlichkeit entsprächen."
Der Schüler Leers hat wiedermal nicht aufgepaßt, sonst müßte er wissen, daß sein Führer anderer Meinung ist, sonst müßte er wissen, daß sein Führer der ,, Spießerideologie" nach Kräften huldigt, sonst müßte er wissen, daß sein Führer und Meister auf dem letzten Parteitag in Nürnberg zu den versammelten Parteiglucken also sprach:
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Wir empfinden es nicht als richtig, wenn das Weib in die Welt des Mannes, in sein Hauptgebiet eindringt, sondern wir empfinden es als natürlich, wenn diese beiden Welten geschieden bleiben. Jedes Kind, das die Frau zur Welt bringt, ist eine Schlacht, die sie besteht für Sein oder Nichtsein ihres Volkes. Wenn früher die liberalen und intellektualistischen Frauenbewegungen in ihren Programmen viele, viele Punkte enthielten, die ihren Ausgang vom sogenannten Geiste hatten, dann enthält das Programm unserer nationalsozialistischen Frauenbewegung eigentlich nur einen einzigen Punkt und diese Punkt heißt das Kind."
Wo bleibt hier die in ,, unserer Rasse begründete Etter lichkeit" gegen die erwerbstätige Frau? Der Schüler Lees wird seine Worte besser wägen und sich mehr zusammen nehmen müssen, sonst ist an seine Versetzung in eine höhere Klasse nicht zu denken. Und was sagt die deutsche F zu diesem Kampf um ihre Haut? Sie hat nichts zu sagen!
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Der Traum des Dreizehnjährigen
In Deutschland noch nicht erwacht
Der berühmte sozialistische Schriftsteller H. G. Wells ver. öffentlicht jetzt im ,, Daily Herald" seine Selbstbiographie. Er schildert in feiner Selbstironie die unfreien Träume seiner Knabenzeit: wie er einmal ein Cromwell, dann wieder ein George Washington oder ein Napoleon in seiner Frühzeit werden wollte. Als Dreizehnjäriger trieb Wells mit Leidenschaft Germanistik und begeisterte sich für reines Ariertum. ,, Tatsächlich," schreibt er ,,, ist Adolf Hitler nichts anderes als die Verwirklichung meines Dreizehnjahr- Knabentraumes. Eine ganze Generation in Deutschland hat es nicht fertig ge. bracht, erwachsen zu werden."
H. G. Wells unterschätzt in liebenswürdiger Bescheidenheit sich selbst. Er überschätzt ebenso die heutigen Regenten Deutschlands . Sie sind wohl so unreif wie durchschnittliche Jungen, aber viel unreifer als ein 13jähriger H. G. Wells! Barbusse in Moskau
Henri Barbusse ist in Moskau eingetroffen. Er wurde auf dem Bahnhof von den Vertretern der Arbeiterorganisationen und der Gesellschaft für die kulturelle Verbindung mit dem Ausland empfangen.