TIOWTHW

Fretheil

Nr. 243 2. Jahrgang

-

Einzige unabhängige Tageszeitung Deutschlands

Saarbrücken, Mittwoch, den 31. Okt. 1934 Chefredakteur: M. Braun

Dec Donnerstag dieser Woche

ist im Saargebiet gesetzlicher Feiertag( Allerheiligen).

Unsere Zeitung kann deshalb

morgen nicht erscheinen

108

Hermann und Lily

Von blauen Augen, olympischen Göttern und Politik

Ein Göring - Interview

aliborb? nola

Belgrad , 30. Oftober.

Die 22jährige Malerin und Journalistin Lily Sergueiew Fereist gegenwärtig auf ihrem Fahrrad Europa . Nachdem fie bereits 3600 ilometer auf diese Weise zurückgelegt hatte, befand sie sich gerade zur Zeit der Beisetzungsfeierlichkeiten für den ermordeten jugoslawischen König Alexander I. in Belgrad , wo es ihr auf Grund freundschaftlicher Beziehungen in der jugoslawischen Hauptstadt gelang, eine Unterredung mit Göring zu haben.

Sie erzählt, welche Schwierigkeiten sie überwinden mußte, um Görings Zustimmung zu einem Interview zu erhalten. Sie wird um 3 1hr nachmittags zur deutschen Gesandtschaft in Belgrad bestellt, aber um 6.15 Uhr wartet sie noch immer. Endlich ruft sie Görings Adjutant Bodenschatz: Bitte Fräu­lein!" Doch lassen wir sie nun selbst erzählen.

,, Man öffnet mir die Tür. Der Augenblick ist da. Ein großer Salon, Blumen, helle Beleuchtung. Göring steht, er fehrt mir den Rücken zu, blättert in einer Zeitung. Er trägt die blaue Uniform eines Fliegergenerals. Bei meinem Ein­tritt dreht er sich um und reicht mir die Hand.

Sie sprechen, glaube ich, weder französisch noch englisch," sage ich zu ihm. Leider spreche ich nur sehr schlecht deutsch ." " Ich kann etwas französisch, aber sie reden sehr gut deutsch . Wir wollen uns also in dieser Sprache unterhalten. Wo haben Sie deutsch gelernt?"

In Deutschland ."

Und ich erzählte ihm von meiner vorjährigen Reise. Als ich ihm erzähle, daß ich den Weg Paris - Warschau zu Fuß zurückgelegt habe, ruft Göring : Unglaublich!"

Lilli Sergueiem erzählt nun begeistert von Görings blauen Augen. Ich wage faum zu glauben, daß ich mich dem ersten Manne Deutschlands nach Hitler gegenüber befinde. Seine Stimme, die ich im Reichstag hallen gehört habe, hat einen sanften Klang. Er hat ganz helle blaue Augen, blonde Haare, sein energisches Gesicht kennt ja jeder.

Ich hatte ihn für unnahbar gehalten, als ich ihn zum ersten Male in der Reichstagssigung am letzten 13. Juli auf seinem Präsidentensitz wie einen olympischen Gott dafizzen sah. Ich finde ihn so ganz anders, von einem Wesen, das noch durch sein oft ironisches Lachen unterstrichen wird.

Ich habe Sie warten lassen?"

Ja, ich habe zwei Jahre auf diesen Augenblick gewartet." Er hebt die Augenbrauen. Lächelnd befreit er mich aus meiner Berlegenheit.

Ja," sage ich. Seit zwei Jahren besuche ich Berlin , um Hitler und Sie fennen zu lernen. Natürlich ohne jeden Erfolg!"

" Sie hätten mich telefonisch anrufen sollen, und ich hätte schon alles zustande gebracht."

Werden Sie mir einen Besuch beim Führer ermöglichen, wenn ich wieder nach Berlin fomme?"

" Ja."

Dann werde ich wieder hinfommen." Wann?"

Im Januar."

Einverstanden. Sie sollen Ihn dann sehen."

Jezt bin ich ruhig. Gestatten Sie mir, Ihnen einige Fragen zu stellen?"

Ich höre Ihnen zu."

Welchen Eindruck haben Sie von Ihrem Aufenthalt in Belgrad ?"

" Ich bin tief ergriffen von dem Schmerz dieses Volkes. Von diesen Leuten, die, während wir im Zuge dahinrollten, auf den Knien lanen als der Lichenzug vorüberfam. Von den Kerzen, von den Blumen, die sie mitbrachten. Von dem Emp­

fang, den sie ihrem toten Herrscher in Topola bereiteten. Ich

fand die Trauerfeier großartig in ihrer Einfachheit und in­felge des Anteils, den die Bevölkerung daran nahm. Aber vor allem bewundere ich, wie ausgezeichnet die Polizei or= ganisiert ist. Ich bin selbst Chef der deutschen Polizei. Schließ­lich konnte ich mich noch vor der Königin verneigen, die sich so tapfer bei der Trauerfeier aufrecht erhielt."

" Welches werden Ihrer Meinung nach die Folgen des traatschen Endes des Königs auf die europäische Politik sein?" ,, Das fann man schwer voraussehen. Alles wird von dem Einfluß abhängen. den dieser Tod auf die innere Politif des Landes haben wird. Denn von dieser Politik hängt gegen­wärtig das ganze europäische Gleichgewicht ab. Wenn Prinz Paul, die Minister, das Volk( und das ist meine tiefe Ueber­zeugung) die Politik des Königs Alexander fortsetzen, dann

holik Exotten stelsen; mihts wi atbilfarba

wird die Ruhe erhalten bleiben; nichts wird sich dann im Innern ändern und nichts wird also die Außenpolitik be= einflussen können.

Wenn dagegen die Parteien, die vom König für entbehr: lich gehalten und von ihm beseitigt worden waren, wieder in die Erscheinung treten und zur Macht kommen, dann fann man sich auf die Anarchie im Innern des Landes und auf die schlimmsten Folgen in der ganzen Welt gefaßt machen."

Diese letzten Ausführungen machte Göring in französischer Sprache, wohl, um jedes Mißverständnis bei seiner Hörerin auszuschließen.

,, Und glauben Sie, daß der Tod des Königs Einfluß auf die französisch- jugoslawischen Beziehungen ausübt?"

Meiner Meinung nach nicht. Denn die Beziehungen zwischen Jugoslawien und Frankreich sind eine Tradition"."

Eine Tradition?"

Ja, eine Tradition seit dem Kriege."

Und auf die deutsch - jugoslawischen Beziehungen?"

Die Beziehungen zwischen unseren beiden Ländern sind gut und ich glaube nicht, daß sie sich irgendwie ändern merden."

Welches wird, Ihrer Meinung nach, die Wirkung der Er­mordung des Königs auf die Kleine Entente sein?"

" Ich will Ihnen antworten, wie in der Außenpolitik: alles wird von der Innenpolitik des Randes abhängen. Obgleich die eigentliche Seele und der Schöpfer der Kleinen Entente dahin ist, glaube ich nicht, daß, sofern seine Nachfolger die vom König vorgezeichnete Linie innehalten. irgendeine Aenderung eintritt."

Glauben Sie nicht, daß nun, wo der König nicht mehr da ist, die beiden anderen Staaten der Kleinen Entente ver­suchen werden, die deutsch - jugoslawischen Beziehungen zu stören?"

" Obgleich Benesch ein erbitterter Feind meines Landes ist, glaube nicht nicht, daß er die vorhandenen Beziehungen beeinflussen könnte."

Da ich kein Wort verstehe, sagt mir Göring dies auf fran­zösisch.

" In welcher Sprache unterhielten Sie sich gestern mit Mar­schall Petain?"

" Französisch. Marschall Petain ist eine bedeutende Gestalt, nicht nur in physischem, sondern auch in moralischem Sinne. In dem Zuge, der uns nach Topola brachte, bot er mir einen Platz neben sich an, und wir plauderten lange. Er ist ein wirklich vornehmer Soldat, und ich begreife, daß er im Heere einen solchen Einfluß hat und bei seinen Leuten so beliebt ist."

Und jetzt wollen wir noch zu einem anderen Lande über­gehen: was halten Sie von Oesterreich? Wird dort der Nationalsozialismus ans Ruder fommen?"

Präsident Göring lacht: Oesterreich? Das ist gegen: wärtig der dunkle Punkt! Sicher ist, daß die augenblickliche Regierung nicht lange danern kann. Sie steht im Gegensaß zu Menschenrecht und zur Gerechtigkeit"

Dreimal schon hat man dem Ministerpräsidenten mitgeteilt, daß man auf ihn wartet. Ich bin beschäftigt. Noch einen Augenblick," erwiderte er jedesmal. Ich will ihn nicht länger zurückhalten. Ich stehe auf und bitte ihn, etwas in mein Kleines Buch zu schreiben. Er trägt ein: Ein Deutschland der Ehre wird immer der sicherste Garant für den Frieden der Welt sein. Hermann Göring . General der Infanterie. Bel­ grad , 19. 10. 1934."

Werden Sie Ihr Versprechen nicht vergessen?" ,, Nein! Nein! Jm Januar in Berlin !"

Lied ohne Worte

Mendelssohns Denkmal entfernt

Düsseldorf , 29. Okt. Am Stadttheater auf dem Hindenburg­wall ist das Denkmal Felix Mendelssohn- Bar= tholdys entfernt worden.

Diese Tat ist die Schlußfolgerung aus der öffentlichen Aechtung Mendelssohns durch die Reichsmusikfammer. Dieser deutscheste aller deutschen Komponisten hat, troß un= arischer Abfunft den Ruhm deutscher Musik in die Welt ge= tragen. Jetzt soll auch seine Musik zu Shakespeares " Sommernachtstraum", die von der Reichsmusikkammer aus= drücklich genial" bezeichnet wird, auf dem Wege über ein germanisches Preisausschreiben ersetzt werden. Unzählige Künstler sind bereits am Werke.

West- Ost oder Süd- Ost?

Wo liegen die gefährlichsten Spannungen?

Paris , Ende Oktober.

A. Sch. Reinen Tisch im europäischen Südosten machen: Dieses Ziel steht heute im Vordergrunde der französis schen Außenpolitik. Für Quai d'Orsay ist gegenwärtig die Verständigung mit Italien das aktuellste Bedürfnis. Darüber hat Laval mit dem französischen Botschafter in

Rom ausführlich konfertert, es geht dabei bereits um ein

fest umrissenes Programm und ganz bestimmte sachliche Rompenſationsobjekte. Für die große europäische Bolitik ist der Südosten gewiß ein Nebentheater, ihre entscheiden­den zentralen Gegensätze liegen nicht an der Donau , es sind die deutsch - französischen und die deutsch - russischen Gegensätze. Die Achse der großen europäischen Spannungs­felder liegt an der Linie Paris - Berlin - Moskau in der Richtung West- Ost. Aber der Wirrwarr im Südosten hindert die Vorbereitung der großen kontinental- euro­päischen Entscheidungen. Solange zwischen Bukarest und Innsbruck , zwischen München und Saloniki die Verhält nisse unübersichtlich sind, der Kampf aller gegen alle tobt, ist die Reglung der Sicherheitsfragen in West- und Ost. europa unmöglich. Wie 1914 kann der Funke aus dem Süd- Osten ganz Europa zur Explosion bringen. Für das Hitlerdeutschland ist der Süd- Osten eine Gefahrenzone, weil der deutsche Faschismus hier auf den italienischen Faschismus stößt. Aber das dritte Reich" sieht im Süd­Osten auch seine große Chance, hier treibt es seine ge­wagtesten Kombinationen, hier sucht es krampfhaft nach neuen Verbündeten, hier will es alle Fronten auflockern. Hier wird der tolle Versuch unternommen, den Erbfeind Jugoslawien gegen den faschistischen Verbündeten Italien auszuspielen.

Frankreich will dieser Unsicherheit im Südosten ein Ende bereiten. Laval will jenen, neben der Rußlands­Politik wichtigsten Teil des außenpolitischen Testaments von Barthou realisieren, der die Ausschaltung des britten Reiches" aus dem europäischen Süd- Osten vorsieht. Die Mittel dazu sind die fran zösisch- italienische Verständigung und die Herstellung des Gleichgewichts zwischen Italien und der Kleinen Entente im Donau - Becken. Erst nach der Lösung dieser Aufgabe wird die Gewähr geschaffen werden, daß die Explosion im Süd- Osten die Sicherheitspolitik in der Richtung West- Ost nicht durchkreuzt.

Frankreich ist bereit, Italien dafür Kompensationen zu geben, aber es stellt auch seine Bedingungen. Die wichtigste unter ihnen ist, daß Jtalien jede Unterstügung des ungarischen Revisionismus einzu stellen hat, daß der Faden zwischen Rom und Buda pest zerschnitten werden soll. Jtalien wird vor die Wahl gestellt, für Ungarn oder für die Kleine Entente zu optieren, die Wahl für Ungarn wird einer Entscheidung gegen Frankreich und gegen die Kleine Entente gleich­gestellt. Solange Italien Ungarn unterstützt, bleibt die Kleine Entente bedroht, fungiert Budapest als eine Brücke zwischen Rom und Berlin . Rom mit Budapest kann in das neue System des Gleichgewichts im Süd- Osten nicht einbezogen werden. Mit anderen Worten: die Stabili sierung der Verhältnisse in Süd- Osten kann unter Beteili­gung Jtaliens nur durch die Spaltung des faschistisch­revisionistischen Staatenblocks erfolgen. Nur Rom allein kann sein Nuznießer werden, Berlin und Buda­ pest sollen ausgeschaltet werden, die außenpolitische Stabilisierung der gesamteuropäischen Gegenrevolution wird dadurch unmöglich. Budapest ist bisher der ent scheidende Stützpunkt Jtaliens im Süd- Osten gewesen. Der von Frankreich verlangte Bruch mit Budapest würde also eine radikale Umkehr in der Außenpolitik Mussolinis zur Folge haben müssen.

Kann Mussolini diesen Bruch vollziehen? Er kann ihn wohl versprechen. Aber ausführen- und auf die Dauer? Das System der festen Bündnisse oder auch nur auf die Dauer gefaßten Reglungen widerspricht dem außenpolitischen Grundsatz des italienischen Faschismus. Hier gilt das Wort, das Mussolini jeden außenpoliti schen Kontrahenten gleichzeitig als den Feind und den Freund betrachtet. Die Proportion der gleichzeitigen Feind- und- Freund- Behandlung kann geändert werden, nicht das System. Hier gibt es keine endgültigen Brüche und keine festen Verbündeten. Das bedeutet noch nicht, daß Mussolini legten Endes die Politik von 1915 nicht wiederholt. Aber erst nach unzähligen Schwankungen und Zweideutigkeiten. So wird die französische Außen. politik, auch bei den allergrößten Anstrengungen, kaum imstande sein, im Südosten eine bleibende Stabilisierung der Verhältnisse zu erwirken. Die großen konti. nentaleuropäischen Sicherheitsfragen in der Richtung West Oft werden kaum vom Süd- Osten her entlastet werden können. Jn Mazedonien und in Desterreich, in der Slowakei und in Dalmatien , in Siebenbürgen und in Kroatien bleiben Sprengstoffe bestehen, die im Moseltal und an der Memel furchtbare Detonationen erzeugen können.