Deutsche Stimmen Bellage zur Deutschen Freifieit"

Sie Ernest Cassel

Mittwoch, den 31. Oktober 1934

Ereignisse und Geschichten

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Diese Emigranten!

Der jüdische Ahn verseuchter Geschlechter nezzel 19b tus

Es war in der Mitte des vorigen Jahrhunderts, als sich ein junger Mann aus seiner Vaterstadt Köln auf die Wanderung machte. In einem bekannten Bankhause, das alles andere denn arischen Ursprungs war, hatte er eben ausgelernt. Jenes Bankhaus übrigens, aus dem noch weitere ,, Wirtschafts­führer" hervorgingen, deren Mentor aus dem ältesten Adel der Welt" für einen der Begründer des glorreichen ,, dritten Reiches", nämlich Herrn Baron von Schröder , ebenfalls un­entbehrlich gewesen ist.

Dieser Mentor hieß Louis Hagen- Levy, das Bankhaus, von dem die Rede ist, war dasjenige der Gebrüder Oppenheim. Die Barone Oppenheim sind seit Generationen getauft, Herr Hagen - Levy, der die alten Traditionen fortsetzte, starb kurz vor dem ,, Umbruch".

Aber nicht von diesen Herren soll hier die Rede sein, die also zur Geburt des ,, dritten Reiches" ungewollt- gewollt ihr Teil beigetragen haben.

Kehren wir in die friedlichen Zeiten des vergangenen Jahrhunderts zurück, als sich eine alteingesessene Kölner Familie über die Ausreise eines der Ihren empörte. Konnte der Junge nicht zu Hause bleiben? Mußte er über Land und Meer ziehen, bis in die ferne Stadt London ? Die Juden, endlich saturiert und seẞhaft geworden, schüttelten zu den ewigen Stürmern und Drängern den Kopf....

Aber als Jahre vergangen waren, als der junge Ernst kein junger Ernst mehr, sondern ein bedeutender Bankier ge worden war, gewichtiger Freund des Prinzen von Wales, der ihm in allen Nöten( und Prinz Edward hatte immer Geldnöte!) beisprang, da begann die bescheidene Kölner Familie sich zu erinnern. Da sprachen sie plötzlich voller Stolz: ,, Unser Bruder, unser Vetter!"

Prinz Edward wurde König. König von England, längst in die Geschichte ruhmvoll eingezogen als Eduard der Sie­bente. Aus Ernst, dem kleinen Juden Ernst Cassel aus Köln wurde ein mächtiger Mann. Fortan durfte er sich ,, Sir Ernest Cassel " nennen. Er war der Hofbankier Seiner Majestät. Tür und Tor zur höchsten Gesellschaft stan­den ihm offen. Auch die Familie und die Vaterstadt hat er in jenen reichsten Jahren nicht vergessen. Heiratete eine seiner Nichten oder Großnichten, wollte ein Neffe studieren oder ein Geschäft gründen, Onkel Ernst" sorgte in groß­zügigster Weise für alle Zukunft seiner Angehörigen. Die Stadt Köln jedoch wurde mit einer besonders reichen Stif­

tung bedacht, die den Namen Sir Ernest Cassels für alle Zeiten in ihre Annalen schreiben sollte. Auch für die ,, braunen" Zeiten? Darüber wurde noch keine Verlaut­

barung gehört. Sir Ernest Cassel ist in Frieden am Gestade der Themse zu seinen Vätern, deren Andenken er treu ge blieben war, gegangen. Erbin des riesenhaft gewachsenen Vermögens war seine Enkelin.

Aber nun beginnt erst die Geschichte des ausgewanderten kleinen Juden aus Köln interessant zu werden. Diese junge Dame vermählte sich vor wenig mehr als einem Jahrzehnt mit dem Herzog von Battenberg . Was bedeutet das? Lady Battenberg wurde auf diese höchst legitime Weise die Schwägerin der einstigen spanischen Königin Ena, der Gemahlin des Exkönigs Alfons aus dem feudalen Erzhause Habsburg . Aber die Geschichte der Dynastien hat sich mit dieser ,, Rassenschändung" noch nicht begnügt. Lady Battenberg- Cassel ist außerdem die Schwägerin der schwe­dischen Kronprinzessin, deren Schwiegertochter eine geborene Prinzessin Coburg ist, aus dem Hause der nationalsozialistischen Dynastie" der Republik Deutschland . Ach, die arme Dynastie, so was überlebt sie nie... Nur ein Glück, daß die Coburger trotz ihrer heißen Liebe zu Herrn Hitler noch nicht wieder in Amt und Wür­den eingesetzt sind. Die rassisch- verseuchte Tante nicht auszudenken!

ersten

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Perfides Albion! Die teutschen Patrioten haben Grund, Eduard dem Siebenten jetzt nicht nur ,, die Schuld an der Einkreisung Deutschlands " vor 1914 zu geben. Dieser selbe Eduard hat sich nicht gescheut, man höre!, den von ihm geschaffenen Adel in seine eigene allerhöchste Familie auf­zunehmen! Gott strafe England!"

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Kleines, aber wahres Nachwort:

Auf der Flucht in den Norden suchte ein marxistischer Untermensch seine Angehörigen im skandinavischen Paris , in Stockholm , auf. Die Schwester des Hausherrn, Palast­dame, war zu irgendeinem Empfang zu Hofe befohlen. ,, Wir sind ja auch mit unserm Königshause durch Euch verwandt!" So erfuhr das Flüchtlings­paar die wundersame Geschichte von der um einen sympto­matischen Fall bereicherten Rasseschändung der europäischen Fürstenfamilien....

Solange Gott es will...

Vom heroischen Leben

aus­

,, Und werde auf meinem Plate furchtlos harren, solange Gott es will..." ( Aus Hitlers ungesammelten Reden.) Jedes Staatssystem entwickelt eigene Ehrauffassungen. Es gilt für den Staatsmann der Demokratie verächtlich, Attentate zu fürchten. Ein demokratischer Politiker, der sich scheut, ohne besonderen Schutz in Massenversammlungen zu gehen, erscheint mindestens als komisch. Für diese poli­tischen Ehrauffassungen hat die deutsche Republik allerhand Opfer gebracht. Eisner wurde gemeuchelt, Hugo Haase erschossen, Erzberger und Rathenau wurden ab­geknallt, Scheidemann mit Blausäure attackiert. Jeder erlebte die Ermordung seiner Vorgänger, keiner ließ sich deshalb durch eine Gestapo von der Außenwelt abschließen Als Erzberger auf einem Spaziergange erschossen worden war, fuhr Rathenau noch immer und trotz aller hakenkreuz­lerischen Attentatshetze mit seinem Auto unbewaffnet durch die Berliner Straßen. Er ahnte den Tod und sprach das Freunden gegenüber auch aus, aber an seinen demokrati­schen Lebensgepflogenheiten änderte sich nichts. Ebert und Stresemann dachten trotz aller nationalistischen Drohungen nicht daran, der Oeffentlichkeit anders als ungeschützt gegen­überzutreten. So haben es die republikanischen Führer ge­halten bis zu Severing und Otto Braun , die bei der Reak­tion aller Spielarten bestgehaßtesten Männer Preußens. Sie lebten trot zunehmender Hege, wie immer, zeigten sich Parlamenten und öffentlichen Volksversammlungen, wie in den Zeiten ihrer Abgeordnetentätigkeit, und Severing konnte man täglich allein in einem bekannten Berliner Volksrestau­rant essen sehen. Es fehlte nur noch das Schild an seinem Stuhle: ,, Hier werden Attentate entgegengenommen!"

Keiner der modernen starken Männer" ist so inmitten des Volkes, inmitten ungehemmtester Oeffentlichkeit zu sehen, keiner wagt es. Mussolini hat sich seit dem Marsch

Signale

Liebliche Düfte

In einer Berliner Musikzeitschrift ,,, Signale", Heft 38/39, Jahrgang 1934, steht unter der Ueberschrift ,, Ist das im Sinne des Führers?" folgendes Klagelied zu lesen:

Jene Kreise, die sich in dem Wahn befinden, daß sie ihre eigenen Interessen auf Kosten ihrer Mitmenschen unter dem Deckmantel der Parteizugehörigkeit weiter eigenmächtig ,, fördern" können, sollen es sich gesagt sein lassen, daß auch für sie eines Tages die Stunde der Generalabrech­nung schlägt. Man wird fortan jedes Wirtschaftsgebiet er fassen, um überall die Schädlinge rücksichtslos an den Pran ger zu stellen. Hoffentlich übergeht man hierbei nicht das musikalische Gebiet! Es gilt auch hier, geschäftstüchtigen Leuten, die sich amtliche Funktionen anmaßen, zu beweisen, daß für Elemente, die da glauben, mit den sauer verdienten oder abgehungerten Groschen der verarmten Musiker Eigen. nut treiben zu können, in einem sauberen Deutschland kein Plat mehr ist. Die Kunst von derartigen Parasiten zu be­

auf Rom nicht mehr ins Ausland getraut, und wie Hitler heute mit Vorliebe und möglichst überraschend durch Neben­straßen fährt, darüber berichtete die deutsche Presse bereits. Als er jüngst in der Krolloper die Winterhilfe eröffnete, mußte eine lange Mauer geliebter SS. dafür sorgen, daß die Begeisterung des Volkes sich in gehöriger Entfernung ent­lud. Die Straße frei..." sie war frei, kein Untertan konnte heran! Einst organisierten sie Massenovationen, wenn die Oberbonzerie irgendwo versammelt war, am Samstag aber meldete der deutsche Rundfunk, daß die Polizei in der Wilhelmstraße eine Menschenansammlung, die sich vor dem Regierungsgebäude gebildet hatte, zerstreuen mußte ,,, weil die Ovationen zu störend auf die Kabinettssitzung wirkten"! Einst appellierten sie an die Straße und heute fürchten sie nichts so sehr wie diese Straße, als deren Oberdemagogen sie zur Macht kamen. Wie sie immer gern von dem quat­schen, was sie nicht sind und nicht haben, nennen sie sich Erwählte des Volkes und Werkzeuge Gottes aber die Straße meiden sie lieber, weil sie sich dort zu sehr in Gottes Hand fühlen. Man denke sich das Hohngelächter dieser Hel­den, wenn sich je die Männer der Demokratie so tapfer vom Volke abgesperrt hätten! Die entsprechende Schlagzeile des ,, Völkischen Beobachters" ist in ihrer Dicke und Breite gar nicht auszudenken.

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Eines Tages wird das verrückte Märchen geschrieben wer­den von dem Selbstherrscher, der kalkig wurde, wenn ein Autoreifen in seiner Nähe zerknallte, den ein Heer von Türhütern, Oberkostern, Bettwächtern, als Publikum ver­kleidete Leibstatisten und Schwerbewaffnete das teure, für das Volk zu teure Leben schützen mußte und der nichts­destotrots ununterbrochen über eine dicke Mauer hinweg Heroisches redet und von der Schönheit des gefähr lichen Lebens quasselt. Ferne Geschlechter werden das lesen und lachen wie bei Andersens Geschichte vom König mit den neuen Kleidern und werden nicht wissen, daß diese ver­blasene Groteske im Zeitalter des Radios pure Wirklichkeit Bruno Brandy. gewesen ist.

freien, ist gegenwärtig der rechte Zeitpunkt, wenn nicht alles, was in einer zähen, jahrzehntelangen Aufbauarbeit an Kulturgütern und Einrichtungen geschaffen wurde, ganz in Trümmer gehen soll. Komponisten von zweifelhaftem Ruf, die auf Grund ihrer guten Beziehungen ihre Stunde für gekommen halten, sollte man energisch in ihre Schranken gekommen halten, sollte man energisch in ihre Schranken

verweisen."

An jedem Uebel, wie bekannt, Trägt Schuld allein der Emigrant.

In Deutschland droht ein harter Winter, Da steckt ein Emigrant dahinter! Verloren ist die Arbeitsschlacht, Ein Emigrant hat das gemacht! Dem Schacht entgleiten die Devisen, Die Emigranten zieh'n an diesen! Kein Leder, keine Woll' im Land,- la, wiederum der Emigrant!

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eichsbischof Müller steckt in Nöten, diese Emigrantenkröten;

Wie Röhm mit Heines hat verkehrt, lat sie ein Emigrant gelehrt! Das braune Reich voll Defraudanten? Die Treue floh zu Emigranten!

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Die haben, eh' sie abkosackt, Flugs allen Vorrat eingepackt, Der nun bei Emigranten steckt: Juher in Deutschland der Defekt! Das braune Lumpenpack in Massen, chmarott in Aemtern, in den Kassen. Sie werden fett, die Kassen leer, te Ehrlichkeit, die gibts nicht meh'' ie ist abhanden ganz gekommen, a sie ins Ausland mitgenommen. Vimmt nun das Laster überhand, Wer ist dran Schuld der Emigrant!

Jüdisches Blut

Kleine Umschau

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Mucki.

Ganz im Gegensatz zu den Erwartungen, die mandi ge­hegt haben, behält das Deutsche Reich sein Scherbengericht gegen die Juden bei. Jetzt hat man verschiedenen der be­kanntesten deutschen Theater- und Filmkünstler das Auf­treten auf deutschen Bühnen untersagt, sei es deshalb, weil sie nicht ihre rein rassische arische Abstammung beweisen konnten, sei es, daß sie mit einer Jüdin verheiratet sind. Unter den also ,, Geächteten" befinden sich Adolf Wohl­ brück , Otto Wallburg , Leo Slezak und viele andere. Gegen Leo Slezak ist das Auftrittsverbot für Deutschland erlassen worden, weil seine Gattin jüdischer Ab­stammung ist. Auch gegen Paul Hörbiger wurde ein Spielverbot wegen seiner Gegnerschaft gegen das herrschende Regime erlassen. Adolf Wohlbrück darf in deutschen Filmen nicht mehr auftreten, da ihm der Nachweis arischer Abkunft nicht gelungen ist.

Graf Reventlow, einer der wenigen Intellektuellen in der Nationalsozialistischen Partei, beschäftigt sich in einem Artikel, der jüngst im Reichswart" erschien, wie schon so oft mit dem Juden- Problem. Er billigt die Haltung des Naziregimes in dieser Frage, weil das Judentum ein Fremd­körper im deutschen Volke sei, aber er erklärt, daß der Anti­semitismus ,, nicht in persönliche Feindseligkeit" ausarten solle. Von Ausnahmen will auch Reventlow nichts wissen, so daß die Aeußerung Hitlers in vollem Umfange aufrecht erhalten bleibt: ,, Wenn ich von Schwierigkeiten spreche, so denke ich nicht an Uebergabe." Graf Reventlow meint weiter, ob der deutsche Jude sich bemühe bei Abstimmungen mit ,, Ja" zu stimmen, oder ob er sich direkt gegen das Regime ausspreche, könne vom deutschen Standpunkt aus keine Be­deutung haben, da der Jude zu einem anderen Volke gehöre. Die Judenfrage könne nur international gelöst werden, denn sie stelle ein internationales Problem dar. Alle Völker, die sich eines Tages dieser Frage gegenüber sähen, würden in der Weise darauf reagieren, wie es das deutsche Volk getan hätte, nämlich im völkischen Sinne.

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Auch die Volks- Gesundheitswacht", das Organ der ,, Fach­leute für ethnologische Fragen, beschäftigt sich mit der Judenfrage. Ein Dr. Staegle aus Stuttgart behauptet in diesem Blatt, es gebe spezifisch jüdische Krankheiten, die im biologischen Sinne die Raffgier dieser Rasse erklärten. Dr. Staegle beschäftigt sich in seinen Ausführungen des langen und breiten mit der Entdeckung des Professors Banhoff in Leningrad , der mikroskopisch Juden- und Arierblut unter scheiden zu können glaubt. Der Artikelschreiber hofft, daß diese Versuche praktisch ausgewertet werden, und er beglück­wünscht sich schon im voraus, daß er dank dieser Entdeckung im ,, dritten Reich" die Nichtarier von der höher zu be­wertenden arischen Rasse klar werde sondern können. Der Verfasser schließt diese Ausführungen:, Keine Taufe, kein Namenswechsel, keine physische Veränderung, selbst keine noch so gelungene Verbesserung der gebogenen Nase werden irgend etwas wert sein. Man kann das Blut nicht verändern. Es kann nicht germanisiert" werden, und es verrät die jüdische Rasse noch in den fernsten Geschlechtern"."

Und so geht es weiter. Man sieht: es stinkt selbst in jenen Kreisen, die weitab von jeder Politik liegen. Und die Stim- Er weiß Bescheid! mung wird von Tag zu Tag besser und besser. Das sind in der Tat ,, Signale".

Büchereingänge

Bruno Frank : Cervantes, Ein Roman. Ludwig Bauer: Leopold der Ungeliebte König der Belgier und des Geldes.

Emil Ludwig : Führer Europas .

Im Verlag Allert de Lange , Amsterdam : Jahrbuch 1934) dam dudit Max Brod : Heinrich Heine .

1935.

Gar nichts

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das darf er noch sagen

Die Deutsche Zukunft", das Blatt Dr. Frits Kleins, ver­öffentlicht ein Gespräch zu Dritt zwischen einem Rechts­anwalt, einem Journalisten und einem nationalsozialistischen Arzt. Thema: Der Nürnberger Parteitag. Der Rechtsanwalt sagt u. a.:,,Rundfunk habe ich keinen und die Tagespresse lese ich, wie sie wissen, nicht mehr. Aber die Berichte über Nürnberg , insbesondere die dort gehaltenen Reden, habe ich mir doch aufgehoben und sie auf einen Sig gestern abend gelesen. Ich hätte soviel dazu zu sagen, daß ich es vorziehe, gar nichts zu sagen!" Der Mann wird wissen, warum!