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Freiheit

Nr. 245 2. Jahrgang

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Einzige unabhängige Tageszeitung Deutschlands

Saarbrücken, Samstag, den 3. November 1934 Chefredakteur: M. Braun

Wie werden

die Saackatholiken stimmen?

Die gefälschten

Seite 3

,, Weisen von Zion  "

Seite 4

Das englisch- deutsche Zahlungsabkommen

Seite 8

Freic Abstimmung oder Einmarsch

Die militärische Geste Frankreichs   und das Echo in Hitlerdeutschland

Die große Gefahr

Am 21. November tritt der Völkerbundsrat in Genf   zn= sammen. Die sagenhafte Abrüftungskonferenz will einige Tage später ihr Büro nach Genf   einberufen.

Niemals seit dem Kriegsende haben internationale Kon­ferenzen unter so drohenden Weltkonstellationen fich vers sammelt wie in diesem November.

Die russisch  - japanischen Konflikte bleiben fritisch und ungelöst. In London   stattfindende Flottens besprechungen zwischen Nordamerifa, Japan   und England stehen auf dem toten Punft. Die Hintergründe des politischen Doppelmordes von Marseille   find ungeklärt und vermehren die Spannung in Europa  , Aus Belgrad   sind bisher drei Noten, die sich mit der Be tätigung kroatischer Terroristen in Ungarn   und ihre Unter­ftügung durch ungarische Stellen beschäftigen, nach Budapest  abgegangen. Ueber die Einzelheiten dieser wichtigen Dis fussionen wird beiderseits Stillschweigen beobachtet. ruhigend ist diese geheimnisvolle Zwiesprache nicht. In Oesterreich   hält das unterirdische politische Beben an. Sicher ist nur, daß die jetzige Regierung auf der sehr schmalen Grundlage, die sie betreten hat, sich nicht mehr lange halten fann. Der außerordentliche" Gesandte Serr von Papen wird von einflußreichen Politikern Frankreichs   gefährlicher Intrigen beschuldigt, die eine Verwirrung in Desterreich zur Machtergreifung oder doch zur Machtbeteiligung der Natio­nalsozialisten dienen sollen. Das Regierungsorgan in Bel­ grad  , die Prawda", zeigt anf die Erfaiferin 3ita, die ihre Händchen und ihre Finanzen in diesen Spielen mit Explosivstoffen haben soll.

Die englische Preife, auch folche Zeitungen, die sich um Verständnis und Geduld gegenüber Hitlerdeutsch= I and bemühten, findet mehr und mehr, daß die von Teutsch: land geforderte militärische Gleichberechtigung nicht gewährt werden, das heißt also, die deutsche Aufrüftung, nicht legalis

fiert werden dürfe, Denn daß Hitlerdeutschland mit dem stärksten Tempo in das internationale Wettrüsten eingetreten ift, hat man nun auch in England allgemein begriffen. Viel: leicht hat es jogar der Ministerpräsident Macdonald ein­gesehen. Es zeugt für das wachsende Interesse der Engländer gegenüber dem militärpolitischen Problem Sitlerdeutschland, daß englische Verleger ganze Serien von Bücher über die deutsche   Aufrüstung herausbringen. Insbesondere wird das englische Luftfahrtministerium angelpornt, für die Luftficherheit Englands gegen einen deutschen   Angriff zu forgen.

Der König Leopold von Belgien ist vor einigen Tagen persönlich auf die politische Rednertribüne gegangen, um sich für die Verstärkung des belgischen Verteidigungs­instems einzusetzen, Frankreichs   Marschall Petain vers langt erhöhte Rüstungskredite mit der eindeutigen Spize gegen Hitlerdeutschland, Herriot   mahnt zum Burgfrieden mit dem Hinweis auf das kritische Datum der Saarabftim: mung am 13. Januar, das die stärkste außenpolitische Be laftung bringen könne. Und nun kommen die militä: rischen Vorbereitungen Frankreichs   an der Saargrenze. Anweisungen an die militärischen Kom: mandostellen für den Fall eines deutschen  Handstreichs an der Saar  , verstärkt durch die Gefte der öffentlichen Bekanntgabe dieser Befehle und ihrer offiziellen Notifizierung in London  , daß seine Zustimmung zu der fran­ zösischen   Geste publizieren läßt.

Es wäre findlich, sich damit zu beruhigen, daß das alles nur gefch he, um die innerpolitische Krise Franfreichs zu ents spannen und so die Verfassungsreform unter großem außen: politischen Lärm im Sinne Doumergues und Tardiens raich zur Erledigung zu bringen. Daß man die Gelegenheit be= nußen möchte, um unter der Drohung des außenpolitisch umwölften Horizontes auch innerpolitische Vorteile zu er zielen, ist zweifellos richtig. Die objektiven Tatbestände der Gefährdung des Friedens Europas   sind aber start genug, um große Sorgen zu rechtfertigen.

Einer der Brandherde und vielleicht der gefährlichste und akuteste liegt an der Saar  . Die gesamte hitlerdeutsche Preffe ist seit achtundvierzig Stunden in großer Nervosität. Das ist begreiflich genng, denn es ist eine anßergewöhnliche Maß

nahme, die Frankreich   trifft und ein Gradmesser für die Höhe

und Gefahr der Spannung zwischen den Leiden Regierungen. Nur sollte man nicht so tun, als ständen die französischen  

Truppen schon an der Saar   und die Abstimmung fände unter dem Druck französischer Bajonette statt Ob die fran: zösischen Truppen einmarschieren oder nicht, hängt einzig und allein von den Sitler: deutschen und ihrer sogenannten beutschen Front" im Saargebiet ab. Die ganze in jeder Be ziehung bedauerliche Entwicklung wäre nicht an diesen Bunft gelangt, wenn nicht Hitlerdeutschland und seine Agenten an der Saar   die Berufung einer neutralen Abstim: mungspolizei mit allen Mitteln, auch durch diploma tischen Drud auf fleine neutrale Länder verhindert hätten. Diese deutschen   Schreier treiben seit Jahr und Tag eine in ihren Wirkungen antideutsche Politik und wundern sich und entrüsten sich dann, wenn die Folgen eintreten. Wären nicht gerade im deutschen   Interesse ein paar hundert neutrale Ab­stimmungspolizisten dieser gefährlichen deutsch  - französischen Zuspizung vorzuziehen gewesen?

Nicht einmal diese neutrale Abstimmungspolizei hätte in Betracht gezogen werden müssen, wenn nicht die hitlerdentiche Front an der Saar   von An­

fang auf Explosionen hingearbeitet hätte. Die Neichsregierung und ihre Beauftragten an der Saar  haben ein politisches Verbrechen von europäischem Ausmaß begangen, als sie die Parole ausgaben, in dem engen Raume des Saargebietes werde ein Kampf zwischen Deutschland   und Frankreich   ausgetragen. Seit Monaten hetzt die ganze gleichgeschaltete Presse gegen die an= geblich beabsichtigte Annexion des Saargebietes durch Frank: reich und der Status quo wird aus rein parteipolitischen

Interessen als rein französische Lösung hingestellt,

Das bedeutet aber für den Abstimmungskamps eine böse ins Unerträgliche fich steigernde Vergiftung der Atmosphäre. Jeder abstimmungsberechtigte Deutsche  , der für die einst: weilige Beibehaltung des Völkerbundsregimes und für die spätere Rückkehr in ein befreites Reich eintritt, wird als ein Knecht Frankreichs   diffamiert, als ein Separatist und ein Landesverräter beschimpft, wird eines Verbrechens beschul­

digt, auf daß, wie gerade heute in Berliner   Meldungen her: vorgehoben wird, Todesstrafe gesetzt ist.

Wer eine solche Agitation auf rein deutschem Gebiet be treibt, wer seine Volfsgenossen, die lediglich aus nationals deutschen   Erwägungen diesen letzten Reft deutschen   Bodens gegen die Vergewaltigung durch einen blutigen Parteiterror schützen wollen, als Landesveräter diffamiert und diese Sunderttausende als im Dienste einer fremden Macht stehend beschimpft, ist entweder unzurechnungsfähig oder er arbeitet bewußt auf gewalttätige Lösungen hin. Jede Anfreizung hat ihre Grenzen, an denen der blindwütig gesäte Saß, die Alechtung des Gegners unvermeidlich Zusammenstöße hervors rufen muß.

Sinzutritt die bibische Art, mit der in den Kreisen der und verwilderten aufgewühlten nationalsozialistischen Jugend das, was man gemeinhin einen Handstreich" nennt und die blutige Abrechnung mit den Landesverrätern" be: sprochen und vorbereitet wird. Dafür ist der Brief des früheren Landesleiters, des jeßigen Staatsrats und Reichs: beauftragten Spaniol, der mit dem Einmarsch eines Heeres junger Arbeitsdienstler droht, ein flarer Beweis.

Die Verantwortung für diese Entwicklung liegt bei den Politikern und Publizisten, von Hitler   bis Pirro und Hell: brück, die immer wieder die nationale Feme   über die Landesverräter und Separatisten" verhängen. Niemand wird ihnen diese Verantwortung abnehmen. Niemals wird fie ihnen vergessen werden.

Daß der Präsident der Regierungsfommission, Herr Anor, das Recht hat, französische Truppen anzufordern, wenn Leben und Eigentum der Saarbevölke­rung bedroht sind und die einheimischen Po= lizeiträfte nicht ausreichen, darüber sollte eigent: lich nicht diskutiert werden. Soll er etwa in seinem Palais ruhig zusehen, wenn Mord und Totschlag in den Straßen Saarbrückens herrschen sollten? Freilich wird er die fran zösischen Truppen erst in Marsch seßen lassen dürfen, wenn wirklich ein anderer Answeg zur Wiederherstellung der Ordnung nicht mehr bleibt. Das ist so selbstverständlich, daß man es einem Manne auf so exponiertem Posten nicht erst zu predigen braucht. Uebrigens ist es in diesem Zu sammenhange wichtig, daß keine englische   Zeitung mehr eine

Großer Labour- Sieg

Vormarsch der Sozialisten in ganz England

London  , 2. Nov. Die bisher bekanntgewordenen Ergebnisse der am Donnerstag abgehaltenen Gemeinde­ratswahlen zeigen, daß die Arbeiterpartei in den Lon­ doner   Gemeindebezirken ihre vor drei Jahren erlittene schwere Niederlage nicht nur weftgemacht, sondern darüber hinaus Fortschritte erzielt hat. Die Arbeiter­partei beherrschte von 1928 bis 1931 in Groß- London acht Gemeinderäte. Bei ihrer Niederlage eine Woche nach den Parlamentswahlen im Jahre 1932 verlor fie fünf davon, um dann später bei einer Ersahwahl wie­der einen zurückzugewinnen, so daß sie bei den jetzigen Wahlen vier Londoner   Gemeinderäte beherrschte.

In den späten Abendstunden des Donnerstag wur­den die Wahlergebnisse in 17 von 28 Londoner   Ge­meinderäten gemeldet. In nicht weniger als 10 von ihnen hat jetzt die Arbeiter. partei für die nächsten drei Jahre die Mehrheit. Elf Ergebnisse stehen noch aus.

Bei den Wahlen in der englischen Provinz und in Wales   ist die Lage noch unübersichtlich. Dort wird in den Gemeinderäten jedes Jahr ein Drittel der Rats­mitglieder neu gewählt. Indessen besagen die ersten Er­gebnisse auch hier, daß die Sozialisten in vie­len Städten ihre Size zurückeroberf haben. In Eheffield konnten sie ihre Mehrheit erhöhen. In Hull   und Stoke- on- Trent   haben sie Size zurückgewonnen.

Die Ergebnisse sind um so bedeutsamer, als die Wahlen unter der Klassen- Parole stattfanden: für oder gegen Kommunalsozialismus.

Abberufung des Herrn Knox fordert. Vielleicht überlegen fich die Radanpolitiker der deutschen Front" an der Saar  und ihre Hintermänner in Berlin  , was das bedeutet: wel cher gewaltigen europäischen   Front fie und wir alle und unser ganzes deutsches Vaterland gegenüber stehen, wenn der Saarkampf zu Explosionen führt,

Man darf die Verantwortung nicht verschieben laffen: sie liegt in Berlin  . Dort sagt man, Frankreich  suche nach einem Anlasse, ins Saargebiet einzurüden. Nun gut, Aufgabe der deutschen   Politik wäre es dann, diesen Anlaß zu vermeiden: Schluß mit der Verfemung und Aechtung der Hitler  - Gegner an der Saar  , Schluß mit der Aufwühlrng aller gewalttätigen Juftinkte( Pirro: Mords gesindel und Mörderzentrale für die Einheitsfront), Schluß mit der Verhegung, als kämpften auf saardeutschem Boden Franzosen gegen Deutsche  , Schluß mit dem wahnwißigen Spiele durch eine Volfserhebung um den 18. Januar herum vollzogene Tatsachen zu schaffen, Schluß mit den Strategen und Quartiermachern für diesen friedlichen Einzug", Schluß mit den terroristischen Drohungen gegen die Deutschen   an der Saar  , die sich für Deutschland   gegen Hitler   bekennen und endlich die Anerkennung, daß eine wirkliche freie Ab­stimmung auch von Hitler- Deutschland geachtet werden muß. Auch dann bleiben noch bei der bekannten Vertragsbrüchig= feit der Hitler und Schacht Sorgen genug.

Wir wollen weder einen französischen   Husarenstreich noch einen hitlerdeutschen Handstreich an der Saar  .

Daz aarvolt soll am 13. Januar frei ent= scheiden, und die freie Entscheidung soll beis derseits respektiert werden. Das ist die Fordes rung der Freiheit und des Friedens.