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Freiheit

Nr. 246 2. Jahrgang

Einzige unabhängige Tageszeitung Deutschlands  

Saarbrücken  . Sonntag Montag, 4. 5. November 1934 Chefredakteur: M. Braun

,, Wien  , du Stadt

meiner Träume"

Seite 2

Wie, Picco von Gottes Gnaden

Seite 3

Schachts Kapitulation

voc England

Seite 4

Trierer Bischol gegen ,, nationalkirche"

Seite 7

Der englische   Arbeitersico

Labour auf dem Wege zur Regierungsmacht

London  , 3. November.

Die Siege der Labour Party   bei den Gemeindewahlen am 1. November übersteigen alle Erwartungen. Schon in der Nacht zum Freitag wurden weit über 500 nen eroberte Ge= meinderatssitze gemeldet, die in der Hauptsache den Konser vativen abgenommen worden sind. Die Gesamtzahl der Ge= winne wird aber weit über dieser Zahl liegen. In den Lon= doner Gemeinden Popler und Bermondsey   wurden alle Gemeinderatssitze von der Labour Party   genommen, so daß diese Gen einderäte nun hundertprozentig von Labour: Leuten besetzt sind. Die Labour Party   hat jetzt in 15 von 28 Londoner   Gemeinden die Mehrheit. Bisher lag in London  ihr höchster Aufschwung im Jahr 1919, wo sie in 14 Gemeinde­räten die Mehrheit erlangen fonnte. Im Jahre ihrer großen Niederlage 1931 hatte die Labour Party   nur noch in drei Lon= doner Gemeinden die Mehrheit, Das zeigt den jetzigen großen Aufschwung.

In Manchester   wurden 9 Size gewonnen, die zwar noch keine Labour- Mehrheit schaffen, aber immerhin die bis: herige konservative Wahrheit beseitigen. Nur mit der Unter­stützung der Riberalen würden die Konservativen die Verwal tung dieser Großstadt noch behalten können. Aus Liver pool werden 13 nene Labour- Sike aemeldet. In Shef= field hat sich die bisherige schwache Labour- Majorität von 2 auf 12 Site verstärkt.

Welches Ausmaß und welches Tempo die Fortschritte der Labour- party erreicht haben, mag darans ersehen werden, daß beispielsweise in einer Gemeinde wie Lambeth, in der feine Labour- Mehrheit erreicht wurde, sich die Zusammen:

Enttäuschte Kämpfer

setzung des Gemeinderates immerhin so verändert hat, daß aus einem einzigen bisherigen Labour- Mitglied 29 geworden sind, während 59 bisherige konservative Man­date auf 31 zusammengeschmolzen sind.

In Fullham( Großlondon) gab es bisher einen Ge­meinderat, den 40 Konservative ausschließlich beherrschten und in dem die Ziffer Labour  - Mandate null war. Aus der Null ist eine absolute Mehrheit von 27 geworden und von den 40 Konservativen Gemeinderäten werden nur 13 Gelegen: heit haben, sich in Zukunft mit der Gemeindeverwaltung zu beschäftigen.

Die Konservativen sind die Hauptleibtragen: den mit 357 Verf sten, denen nur 37 Gewinne gegenüber­stehen. Bei den Liberalen betragen die Gewinne 7 und die Verluste 57, und die übrigen Parteien haben 24 Size ge= wonnen und 110 verloren,

Macdonalds Ende?

Die

Kölnische Zeitung  " läßt sich aus London   melden: Das Ergebnis der Gemeindewahlen wird nicht ohne Rüd­wirkung auf die Regierung bleiben können, die nunmehr ge= zwungen ist, in ganz andrer Weise als bisher die Arbeiter­opposition in ihre Berechnungen einzubeziehen. Eine weitere Folge dürfte eine Stärfung der bereits sehr beträchtlichen Gruppe innerhalb der Konservativen Partei sein, die von der nationalen Regierung Ipskommen will, um eine rein konfer vative Parteipolitik verfoloen zu können, von der sie sich eine bessere Propagandamöglichkeit gegen die Arbeiterpartei verspricht."

Noch immer ohne Arbeit und Brot

Berlin  , 31. Oftober. Viele Nationalsozialisten und Neu­gierige hatten sich gestern abend auf dem Luisenstädtischen Friedhof eingefunden, wo unter großen Ehren einer der wirklich alten Kämpfer" Adolf Hitlers  , der Standarten­führer Walter Hellvoigt der Standarten Horst Wessel   zu Grabe geleitet wurde. Am offenen Grabe sprach der Reichs­minister Goebbels   in seiner Eigenschaft als Gauleiter von Berlin  . Seine Rede wurde in anderem Sinne ein Er­eignis, als wohl die meisten erwartet haben.

Wir haben Goebbels   oft gehört, sowohl in öffentlichen Versammlungen wie im Reichstage, und er war immer ein fämpferischer, aggressiver Redner. Diesmal aber sprach er recht pessimistisch, und im Tone geradezu jammernd. Man sah ihm an und fühlte, wie ihn gerade in dieser step­tischen Berliner   Bevölkerung die Sorgen bedrängen, und wie sehr der Glaube an den Nationalsozialismus sinft. Mehrere Male sprach er von den Tausenden und Tausen den, die man an dieses Grab eines opfervollen Kämpfers rufen müsse, jene Tausende, die um kleinlicher mate= rieller Vorteile willen das Leben der Nation aufs Spiel setzten. Er schimpfte in seiner Grabrede regelrecht auf die Trägen und Faulen und Opfer unt Iustigen, die über die nationalsozialistische Revolution triumphieren wollten.

Es schien nicht, als ob die wimmernde Grabrede des durch seine politische Hezze Millionär gewordenen Goebbels auf die Anwesenden, die fröstelnd an dem regnertschen Herbst­abend herumstanden, erwärmend und überzeugend gewirkt hätte. Auch mit der Goebbelsschen Popularität geht es zu Ende, wenn auch von der allgemeinen Enttäuschung bis zur revolutionären Aktion, die man dennoch herannahen fühlt, noch ein weiter Weg sein mag.

Nicht einmal den so hochgefeierten alten Rämpfern" wird geholfen, und wenn man uns täglich vorlügt, die Arbeits­losigkeit werde durch das Regime überwunden, so brauchen wir nur festzustellen, daß bisher nicht einmal die alten Kämpfer" in Lohn und Brot gebracht werden konnten. Uns ist ein Aufruf bekannt geworden, den dieser Tage alle bayerischen Behörden und mit ihnen alle bayerischen Gauleitungen und SA.- und SS.  - Führer Bayerns   an die Wirtschaft erlassen haben. Darin werden folgende alle wirt­schaftlichen Siegesberichte über die Arbeitsschlacht" Lügen strafende Feststellungen gemacht:

Unser Führer hat am 24. Februar d. J. seiner alten Parteigenossen gedacht und den Ausspruch getan: Vera geßt mir meine alten Rämpfer nicht!" Heute, nach eineins

halbjährigem erfolgreichen nationalsozialistischem Wirken find viele(?) unter ihnen noch ohne Arbeit und Brot. Verschiedene U..ternehmer haben im Laufe dieses Jahres in anerkennenswerter Weise dem Wunsche des Führers Rechnung getragen. Einige Firmen stellten zwar Alt­fämpfer ein, haben sie jedoch nach kurzer Zeit wieder ents laffen. Soweit nicht die wirtschaftlichen Verhältnisse des Betriebes oder die betreffenden Altkämpfer Veranlassung gaben, muß das Verhalten solcher Firmen als anti: nationalsozialistisch bezeichnet werden, ebenso wie die ablehnende Haltung einzelner Firmen, die bisher sich überhaupt nicht entschließen konnten Altfämpfer einzu­stellen."

Man stelle sich doch einmal vor, wie es den nichtnational­sozialistischen Erwerbslosen ergeht, wenn solche Notrufe schon für die alten Kämpfer" erlassen werden, die man überall in den Vordergrund schiebt.

Wichtig ist allerdings auch das Eingeständnis, daß die Unternehmer Hitlers   alte Kämpfer" nicht wollen. Warum nicht? Weil die alten Kämpfer" nicht selten menschlich und

beruflich minderwertige, oft kriminell vorbestrafte Leute sind, darunter auch zuhältertypen, die niemals richtig ar­beiten gelernt haben. Manche freilich trifft teine eigene Schuld, da sie als Opfer des Krieges und der wilden Frei­forpsjahren nach dem Kriege jede Lust an einer geregelten Tätigkeit verloren haben.

Nachdenkliche Leute im Unternehmertum, die es doch auch noch gibt, weisen manchmal in vertrauten Gesprächen it marristischen Arbeitern, deren berufliche Tätigkeit und wirt­schaftliche Vernunft sie jetzt richtiger einschäßen als früher, darauf hin, wie doch eigentlich auch die Entwicklung des Führers manche Aehnlichkeit habe mit manchem seiner ge­scheiterten alten Kämpfer". Adolf Hitler   habe in keinem wirtschaftlichen Berufe auch nur Durchschnittliches geleistet. Auf der Schule habe er versagt und sei nur bis zu den unteren Klassen einer Realschule gelangt. Dann habe er alle möglichen Berufe vom Bauhilfsarbeiter über den An­streicher bis zum Kunstmaler" ergriffen, und in jedem sei er gescheitert, bis der Krieg und die Nachkriegszeit ihn auf die Landsknechtsbahn und die Landsknechtsführung und so durch die Organisation von Söldnerscharen bis zur Er­oberung eines schwachen Staates gebracht habe.

Wir wollen nicht sagen, daß diese Erkenntnisse schon all­gemein sind, aber die Enttäuschung wächst doch sehr, und das Zappeln und Schreiben des kleinen Goebbels an dem Grabe in der Hasenheide zeigte uns, daß er die von unten heraufströmende Kälte spürt.

..Kein 25 Juli an der Saar  "

Von unserem Korrespondenten

A. Ph. Paris, 3. November

Als die Auseinandersetzungen zwischen der deutschen  " Freiheitsfront" einerseits und der deutschen Front" andererseits im Saargebiet begannen, konnte man nicht ohne Verwunderung die Feststellung machen, daß die große französische   Deffentlichkeit wenig Interesse für diese Dinge bekundete. Nur selten und kurz berichtete hier und da einmal eine französische   Zeitung von dem, was sich an der Saar   abspielte. Das hat sich in den letzten Wochen wesentlich geändert. Die Leser der Deutschen Freiheit" hatten Gelegenheit, an der Hand von Stimmen aus dem französischen   Blätterwalde festzustellen, wie das Interesse für die Saar   hier von Tag zu Tag wächst, und man kann wohl sagen, daß seit einigen Tagen das Saar­problem überhaupt nicht mehr aus der hiesigen Presse verschwindet.

Dabei muß man, wenn man ganz objektiv sein will, eins feststellen: Das Saarstatut sieht für die Abstimmung am 13. Januar als eine der drei von dem Abstimmenden zu wählenden Möglichkeiten auch die vor, das Saargebiet zu Frankreich   zu schlagen. Man wird aber vergebens eine französische   Zeitung finden, in der für diesen Ge­danken Propaganda gemacht wird. Niemand denkt hier daran, die Saar   französischen   Besiz werden zu lassen. Jeder weiß genau, daß die Saar  deutsch   ist und deutsch   bleiben till Aber man kann es verstehen, man hält es für selbstverständlich, daß die Saarländer   zu einem wesentlichen Teil keine Lust haben, unter das braune Joch zu gehen und der Seg­nungen des dritten Reiches" teilhaftig zu werden.

Frankreich   weiß, daß nicht nur Deutschland   im Ver­sailler Vertrag Verpflichtungen auferlegt worden sind. Es hat seinerseits seine Verpflichtungen noch anerkannt durch die Zustimmung zu dem am 14. März 1925 und am 18. März 1926 vom Völkerbund angenommenen Ent­schließungen, wonach die Saarregierung militärische Hilfe im Notfalle außerhalb des Saargebiets anfordern darf. Es wäre übertrieben, zu sagen, daß die Franzosen geradezu begeistert sind von dem Gedanken, ihre Soldaten unter Um ständen bei einem Nazihandstreich an der Saar   einzusetzen. Aber auf der anderen Seite sind sie sich dessen bewußt, daß es am 13. Januar nicht um die Saar   allein geht, sondern um Bölkerbund und Bölkerrecht, um Treu und Glauben überhaupt. Die fran zösische Presse drückt ihre Genugtuung darüber aus, daß das amtliche deutsche   Nachrichtenbüro die Saar­ länder   ermahnt, Disziplin zu bewahren. Wenn diese Disziplin auch im Reiche der Herren Hitler  , Göring  und Goebbels   gewahrt wird, um so besser für alle Be­teiligten.

Das ist auch der Gedanke, den Wladimir d'Or messon im Figaro" ausspricht, wenn er sagt, es bleibe also all denen, die an der Saarfrage interessiert seien, die Aufgabe, loyal in einer Atmosphäre von Würde und Ruhe, den Vertrag auzuführen. Ruhe, ja," schließt der bekannte Journalist. Aber Ruhe mit Festigs heit. Eins ohne das andere geht gar nicht. Die Agi­tatoren müssen genau wissen, daß wir entschlossen sind, Der Ordnung und Gesetz Achtung zu verschaffen. 25. Juli war eine Lehre für die ganze Welt. Er wird sich an der Saar   weder vor noch nach dem 13. Januar wiederholen."

Der ,, Temps"

Über frankreichs Maßnahmen

Paris  , 8. November.

Der Pariser Temp3", der als Sprachrohr des Quai d'Orsay gilt, beschäftigt sich in der heutigen Ausgabe in einem Leitartifel mit dem Problem der Aufrechterhaltung der Ordnung an der Saar   Zunächst einmal stellt der Temps" fest, daß die militärischen Maßnahmen Frankreichs   in der deutschen   gleichgeschalteten Presse in völlig verdrehter Weise fommentiert wurden. Das Organ des Quai l'Orsay fügt hinzu, daß es überflüssig sei, auf die böswilligen Kommen= tare der brannen Presse überhaupt einzugehen. Dann schreibt das Blatt:

Kein Mensch in der Welt kann vernünftigerweise Frank­ reich   verdächtigen, daß es einen Handstreich an der Saar   vorbereite, oder daß es etwa den Wunsch hege, angesichts der bevorstehenden Abstimmung einen militäri­schen Druck auszuüben. Der Saarbevölkerung steht das Recht zu, eine freie Entscheidung zu treffen, ob es zurück zum dritten Reich", eine Union   mit Frankreich   oder die Aufrechterhaltung des bisherigen Zustandes wünsche. Die Ergebnisse der Abstimmung vom 13. Januar fönnen, wie sie auch ausfallen mögen, in feiner Weise das Ansehen Frank­ reichs   schmälern. Was aber eine schwere Schädigung des französischen   Prestiges und deshalb unzulässig wäre, das ist die Tatsache, wenn die Ergebnisse der Abstimmung mit Mitteln erreicht würden, die in Wirklichkeit eine Fälschung der freien Willensäußerung der saarländischen Bevölkerung