Mittelständler als Sündenböcke J. W. d."

Schließung von Geschäften

Berlin , 7. Nov. Zwei Fleischergeschäfte in Berlin - Steglig Eine Reise in die Unterwelt Berlins

find wegen Zuwiderhandlung gegen die Preisaushang­bestimmungen polizeilich geschlossen worden.

Der Polizeipräsident von Kassel teilt mit, daß er auf Grund des Erfasses des preußischen Ministerpräsidenten über Preissteigerungen im Laufe des Montag eine Anzahl Fleischereibetriebe und Kolonialwaren­geschäfte vorübergehend hat schließen lassen, weil fest­geſtellt wurde, daß diese Geſchäfte die Preisverordnungen nicht beachtet hatten. Nach Abstellung der Mängel sollen die Geschäfte wieder eröffnet werden.

Der Polizeipräsident von Gleiwit gibt bekannt: In Verfolg des Erlasses des preußischen Ministerpräsidenten über ungerechtfertigte Preissteigerungen habe ich am 5. November in Hindenburg einen Fleischereibetrieb und in Beuthen vier Fleischereibetriebe polizeilich geschlossen, weil die Geschäftsinhaber sich geweigert haben, den auf Grund der Verordnung des Reichsfommissars für Preisüber­wachung getroffenen Anordnungen des Regierungs­präsidenten vom 23. Oftober 1934, Preisverzeichnisse in den Schaufenstern auszuhängen, nachzukommen.

In Bürckels Reich

Oder, wer lügt?

Unsere Darlegungen über die Lage in der Pfalz habea w.ederholt zu heftigen Wutausbrüchen der Verantwort­lichen geführt, aber es war ihnen bis jetzt niemals mög­lich, auch nur das geringste zu widerlegen. Unser letzter Bericht scheint nun angesichts der frampfhaften Be­mühungen, das Saarvolt über die wirkliche Lage im Reich h.nwegzutäuschen, besonders eingeschlagen zu haben, denn Herr Bürckel hat in der pfälzischen und in der gleich= geschalteten Presse des Saargebietes eine umfangreiche Widerlegung" veranlaßt.

Zu dieser Widerlegung" mit dem Untertiel, Emi­grantenlügen in der Saarseparatistenpresse werden ent= Tarvt", sind uns Zuschriften aus der Pfalz zugegangen, von woher auch unsere Pfalzberichte kommen. Es ist nicht mög­lich, alle diese zuschriften zu veröffentlichen, aber dies ist auch gar nicht nötig. Man kann den Bericht aus Bürckels Lügenküche noch so aufmerksam lesen und man wird auch nicht die geringste Widerlegung finden. Wenn eine Senfung der Wohlfahrtsausgabe, die unter der Naziherrschaft um 1 Prozent erhöht wurde, wirklich erfolgt ist, dann hat die Bevölkerung jedenfalls noch feine Kenntnis davon In allen entscheidenden Punkten wird die Richtigkeit glatt zu­gegeben. Daß beim Schmalz eine Senfung um 10 Pfennig ..unmittelbar bevorsteht", fann mit Interesse zur Kenntnis genommen werden, aber unsere Feststellungen zu diesem Puntt sind mit dieser Enthüuung" nicht w.derlegt.

Zu der besonderen Notiz über die Pirmasenser Schul­verhältnisse werden wir in den erwähnten zuschriften darauf aufmerksam gemacht, daß eine schlimmere Ver­drehung der Tatsachen kaum noch möglich ist. Es wird in der Berichtigung so hinzustellen versucht, als ob die Ver= antwortlichen des alten System einen Saustall" und Mist­haufen" hinterlassen hätten und sich nun als Emigranten im Saargebiet befinden würden. In Wirklichkeit ließ sich der in erster Linie verantwortliche, früher der deutschen Volkspartei angehörende Oberbürgermeister und Geheim­rat Strobel gleichschalten und arbeitete noch fast ein Jahr unter den höchsten Lobsprüchen der Nazis unter deren Herrschaft. Auch nach seinem erzwungenen Rücktritt ging dieser Mann nicht ins Ausland. Von der bürgerlichen Sehrheit einschließlich Nazia, die iedes Jahr bei der Budgetberatung die sozialdemokratischen und kommu­nistischen Anträge auf Bau eines Shulhauses abgelehnt hat, befindet sich unseres Winens nicht ein einziger im Saargebiet. Das gleiche trifft nach unseren Infor­mationen hinsichtlich der seit vielen Jahren als Antrag= steller in Fragen des Schulfortschritte aufgetretenen Sozialdemokraten zu. Uebereinstimmend weisen alle Zu­schriften darauf hin, daß die Bevölkerung die Berich= tigungen des Herrn Bürckel als Selbstentlarvung und als gität und einer unacheuerlichen Verschlechteruna der Lage gegenüber der Zeit vor der Hitlerdiktatur betrachtet.

Oestereichische Reportage

Bon Peter Bitter.

Das ist das offizielle Oesterreich: Das Leben und Gesicht des Landes ruhig, als ob nie schwere, politische Stürme darüber hinweggefegt hätten. Dem Inhalt der gleich­geschalteten Zeitungen nach, alles in bester( gottgewollter) Ordnung. Die Wirtschaft hat eine bisher nie gefannte Be­lebung erfahren, die Arbeitslosigkeit abgenommen, die über­wiegende Mehrheit der Bevölkerung steht fester denn je zu der ebenfalls fester denn je stehenden Regierung; furz, es ist eine Freude Oesterreicher zu sein. Der Reisende, der bloß oberflächlich mit der Bevölkerung Fühlung nehmen fann, wird sicher voll des Lobes über den österreichi chen Faschismus sein. Ihn stören nunmehr keine Bombenwürse auf Eisenbahnen seitens der Nazis Kein Böller kracht mehr aus dem nationalen Lager.( Uebrigens das einzige Verdienst der Regierung daß der braune Terror eingedämmt wurde.) Die werftätigen Anhänger der Nazis haben eingesehen, daß man mit Bomben allein nicht viel ausrichtet. Ein Teil von ihnen ist zu den Kommunisten und Sozialisten abge­schwenft, und der andere, Teil, der dies mit Entsetzen wahr­rimmt, bemüht sich durch den Ingenieur Reintaller, einem Mittelsmann Hitlers , um eine Verständigung mit dem Hahnenschwanz, indem er seine Bütteldienste gegen die zu­nehmende Revolutionierung der arbeitenden Schichten des Rolfes anbietet Die Zeitungen bringen sehr selten Be­richte über Verbaitunen aftiver Sozialisten oder Kommu= nisten Man schweigt den erbitterten, unterirdischen Kampf einfach tot.

Dem Charakter des österreichischen Systems enttsprechend, versuchte man die Arbeiter, nach der Niedermeßelung des Februaraufstandes, mit dem Zuckerbrot für den Staat der Vaterländischen Front " zu gewinnen. Irgendein indiger tat den Ausspruch daß im Februar auf beiden Seiten für Oesterreich gekämpft wurde". Man bot den führerlos ge­wordenen Arbeitermassen die noch vom Blut dampfende Hand. Man stahl ehemalige sozialistische Blätter, gewann einige Ueberläufer, ließ die Zeitungen mit demselben Kopf ericheinen wie früher. zog die Aktion Winter auf. Dr. infer hat sich redlich in feinen Versöhnungsversammlun sen" um die terreichlichen Profeten bemüht. Es traten

auch welche der Baterländischen Front" bei. Un doch mußte Starhemberg dieser Tage erklären: Laßt die Arbeiter in Ruhe! In Sprechabenden werden wir fie nie gewinnen."

In die Unterwelt", in das unterirdische Deutsch­ land haben sich die mutigsten Angehörigen jener Opposition geflüchtet, die die deutsche Polizei in den Tod het. Xavier de Hauteclocque , der im Gringoire" seine Artikelreihe Hitler am Scheidewege" veröffentlicht, will dieses unter­irdische Deutschland kennen lernen und verirrt sich dabei auf einen Apachenball im..Münzhof" in Berlin . Paris , 29. Oftober.

( Von unserem Korrespondenten) Man erinnert sich wohl noch an Willi, den roten Auto­droschkenchauffeur, dem ich es zu danken habe, daß ich in die Wohnungen von Schleicher und Frau Ernst gelangen konnte. Wie ich Willi fennen lernte, warum er mir mit allen Kräften half, darüber möchte ich beareiflicherweise nichts sagen.

Den größten Teil dieser Untersuchung, die sehr schwierig war, danke ich dem Berliner Droichfenchauffeur. Es gibt feine Zunft, deren Mitglieder mehr zusammenhalten, und die dem Hitlertum gegenüber widerspenstiger geblieben sind als sie.

An einem Abend im Juli schickt Willi mir Bruno zu. Man will mir interesante Dinge zeigen, will mich zu dem bringen, was von der Unterwelt übrig ist, der unterirdischen Welt", zu jenen vogelfreien Menschen, denen der Nationalsozialis­mus glaubt, das Lebenslicht ausaeblasen zu haben, weil er viele von ihnen getötet und mehr noch in seinen Gefängnissen eingeferfert hat.

Vor dem Hotel, in dem ich wohne, stehen amei dickhänchine gallonierte Pförtner, deren stattliche Schattenbilder sich wie Peuchttürme in dem blendenden Gitter des Portals in die Höhe recken.

Vor ihnen die Nacht und die schleichenden, verstohlenen Schatten, die die Berliner internis auftauchen läßt: Bettler, Prostituierte beiderler Geichte Reobachter".

Bruno streift im Dunkeln umher. Er ist ein Pude", ein Mensch, der von Frauen lebt, so wie man in dem Elend dieser Hauptstadt leben kann, wo man die Schönheit schlechter be­sablt als getragene Kleidungsstücke. un, sehr fräftig ge­baut, angenehmes Gesicht, im modernen, aber von der Stange gekauften Anzug, mit feinen ausgetretenen Schuhen. Wohin gehen wir, Bruno?"

Lachend antwortet er:. w. d."

Eine Redensart im Berliner Dialekt, die besagen soll janz weit draußen". J. w. d. liegt im Norden, nicht weit vom Alexanderplatz und dem alten Polizeipräsidium, Zwischen

gelaunte Handelsgehilfen. An ihrer Seite befinden sich Frauenzimmer, deren Aufgabe es ist, ihren Kavalieren das Geld abzunehmen. Die aber, die in Wahrheit davon den Nußen haben, die Beschüker dieser Damen, warten nicht draußen, wie sie das mit einer gewissen rückhaltung bei uns tun. Die Berliner Luden" lauern am Nebentisch. Die Zuhälter von der SS.

Unter diesen Ruden" sind viele in Uniform mit dem Toten­fcpf, viele SS. - Leute. Denn gerade das Lumpengefindel hat sich der Hitlerbewegung angeschlossen. Wenn man eine bessere Dame dorthin führt, dann empfiehlt es sich, ihre Hand­tasche in der eigenen Rocktasche zu verbergen.

Der Münzhof besteht aus zwei Sälen: der eine, riesig und vollgepfropft von einer Maise jämmerlicher Gestalten, ist eine Art Lokal, wo man im Stehen sein Getränk zu sich nimmt. Dort spielen Musiker, die recht schäbig ausiehen. Der andere dient als Tanzlokal. Nischen, die mit künstlichen Rosen ge­schmückt sind, wo man für das Bier einiae Pfennige mehr zahlt. Nur die Glücksritter, die schwarzen SS. - Leute und die Gäste, die über einige Reichsmart verfügen, tummeln sich dort mit den Damen ihrer Wahl.

Bruno, der Lude, führt mich zu einer Nische, wo ich meinen Chouffeur Willi mit einem Mädchen treffe, das Beachtung verdient. Um sie nicht der Polizei zu verraten, wollen wir sie Sara nennen.

Sara ist noch recht iung 19 Jahre. Vor fünf Jahren ver­handelten sie ihre Eltern, bankrotte Krämersleute, an einen Kuppler. Sara ist schlecht angezogen. Ein elendes Kleid aus lanell, eine knallrote Bluse, genügen, um ihre runden und fräftigen Formen in Erscheinung treten zu lassen. Dichtes, gemelltes. dunkelschwarzes Haar, verborgene Augen, die so icheinen, als ob in der Ferne Leidenschaften schlummern, eine Art scheuer Anmut, die es ihr ermöglicht. ieden zu täuschen, sogar die Herren von der Geheimen Staatspolizei, denen sie faliche Anafünfte oibt. Man sieht. ein mahres Wunder.

In den fünf Jahren, wo die fleine Sara im Norden auf den Strich geht, ist sie mit revolutionären Bewegungen sehr viel in Berührung gefommen. Gestern suchte sie ihre Lieb= haber in den SA.- Kreisen okt. wo diese nicht mehr da sind, fucht sie sie unter den SS - Leuten. Sie erzählt interessante Dinge.

Unmöglich ist es nicht, daß die Fleine Sara bei der nächsten Schießerei mit einer Kugel in ihrer roten Bluse zu= grunde geht.

Wedding , Pankow und Weißensee , wo man tagtäglich nicht So kam es!

so viel zu essen hat, wie man eigentlich braucht, erstrecken sich die Bezirke einer noch tieferen und schrecklicheren Armut. Uniere ichlimmen Winfel im Gharonne- Quartier in Paris fönnten einem feine Vorstelluna davon geben.

Man muß diese weiten Straßen gründlich fennen, die ein= sam scheinen und doch von Menschen wimmeln, die dicht an den Wänden entlana streifen, diese Straßen, an denen schwärzliche Häuser fich entlana ziehen, in denen der Hunger der Arbeitslojen lauert. Zwischen diesen. den Verhältnissen engemessenen Glendsquartieren schlängeln sich übelriechende Gäßchen. Ab und zu unbebaute Grundstücke, solche mit An­sammlungen von stehendem Wasser. Die Beleuchtung hat man eingeschränkt: Svariamfeit.

Die Straßenbahnen lassen ihr Licht da hineinfallen, und die nereinzelten Autodroichten raien mit Supengetön vorüber. man möchte sagen. Schleppdamnfer, die fich in einem zu Stehen gekommenen Sturm flüchten, unter Verzicht darauf, arose in Not befindliche Schiffe zu retten, die voll stummer Schiffbrüchiger sind.

*

An der Ecke der Münz- und Schönhauser Straße erhebt sich der bekannte Münhof" itolz auf seine Blechmusik­fanelle und feine elektrischen Lichtbogen.

Ein großes Fanzlofal der unteren Schichten, eine Art Anochen" ball. aber voher und weniger auf Formen bedacht als die in unserer Rue de Panne Tie Peute an der Unter­welt der Reichsharntitadt wollen sich hier amieren.

Muffer wie Soldaten angezonen. Trommler. Trompeter, Beckenschläger Ticie Rurichen heben ausgesprochene( Balgen­viesichter. Tas Ruhlifum paßt dan. Mon che ein­mal Samstags hin. Ta sieht man zahlreiche Betrunkene, gut

Demagogisch bewunderte er den Soldatengeist" der Ar beiter und sagte zum soundsovielten Male, daß der Marris­mus eine Irrlehre sei. Dann fündigte er irgendwelche Richt­linien gegen die wenigen der Vaterländischen Front " bei­getretenen ehemaligen Marristen an. Denn diese wären aus ganz anderen als vaterländischen" Gründen beigetreten...

Sehr große Anstrengungen macht der neugegründete Ge­werkschaftsbund der Arbeiter und Angestellten". Von den 800 000 ehemals freigewerkschaftlich Organisierten hat er an­geblich schon 100 000 gewonnen. Niemand glaubt an diese 3iffer. Mit großem Tamtam wurde die Gründungsver­jammlung an der ich teilnahm. in einer kleinen Provinzstadt einberufen Ich hatte Gelegenheit, mit den Arbeitern vorher zu sprechen. Fast alle sagten erbittert, daß sie einfach nicht hingehen würden. Das sei falsch, erklärte ich ihnen- im Gegenteil, alles am Samstag hin und recht viele Fragen gestellt. Es war nach langer Zeit die erste Arbeiterversamm­lung in dieser Stadt. Aus Innsbruck waren einige neu­ernannte Bonzen gekommen, und der ehemalige Sekretär ( der im Stillen hoffte, wieder einer zu werden) sah, etwas ſtubig geworden in den überfüllten Saal. Ohne die Anwe­senden anzusehen. eröffnete er die Versammlung und gab dem Herrn Referenten" das Wort. Nach dieser Ankündi­gung verließ ein beträchtlicher Teil der Zuhörer den Saal. Mit Herren Referenten" wollten sie nichts zu tun haben. Früher hieß es einfach Genosse. Der Rest der Anwesenden fragte, fragte Dinge, die mit einer Gewerkschafts­versammlung, nach der Meinung des Vorsitzenden, sehr wenig zu tun haben. Wann endlich die Gefängnisse für die politischen Gefangenen geöffnet würden, wann Wöllersdorf ( das Konzentrationslager) aufgelöst würde, ob der Gewerk­schaftsbund höheren Lohn durchseßen könne und ob er die Schuld an den bisher abaeschlossenen verschlechterten Kollek-­tivverträgen habe. Mit eisigem Schweigen beantwortete die Versammlung das Referat des zweiten Herrn", der über den organisatorischen Aufbau dieses Verbandes sprach. Zum Schluß verstieg sich der ehemalige Sekretär sogar zu der Be­hauptung: Schauts Leut'le, wenn wir in die Gewerkschaft eintreten. io ich es ia unsere Gewerkschaft, ist nicht mehr vaterländisch..." Er vergaß zu sagen, daß die Sekretäre von der Regierung ernannt werden... Am nächsten Tage traf ich den Vorfinzenden. Im Vertrauen: Wieviel fir schon beinetreten?"( Mir verirant er, da er mich für vaterländisch" häft.) in einziger," sagte er betrübt, und was hab'. ich ihnen zugeredet na Sie haben's ja gehört." Ja,"

-

Die Deutsche Bergwerkszeitung", das Organ der rheinisch- westfälischen Schwerindustrie, schrieb am 24. Juli 1932, ein halbes Jahr vor Hitlers Machtergreifung:

AY

Aber trotzdem bleiben Sozialismus und So= zialisierung" bei uns noch die neueste Mode, der dernier cri" des 20. Jahrhunderts, und auch die größte parteipolitische Bewegung aller Zeiten, die Nationalsozia­listische Partei, fann es sich nicht versagen, diefer Mode ihre Reverenz zu erweisen. Sollte fie freilich, zur Macht gelangt, ernstlich an irgendwelche Sozialisierungsexperimente( im bisherigen Sinne des Wortes) herangehen, so ist zu ver= muten, daß ihr alsbald neun Zehntel ihrer Anhänger wieder davonlaufen. Aber vielleicht benutzt auch sie das Wort Sozialismus" nur als Aushängeschild und 19h gibt ihm nachher in der Praxis eine vollkommen andere Auslegung- was, nebenbei bemerkt, herzlich zu wünschen

wäre."

Die Bergwerkszeitung hatte allerdings leicht prophe­zeien. Während das deutsche Volk sich durch Hitlers Rund­funkreden die Röpfe vernebeln ließ, wußte sie über die intimen Gespräche gut Bescheid, die in schalldicht abge­schlossenen und kontfortabel eingerichteten Räumen zwischen Thyssen und Hitler gepflogen wurden. Inzwischen ist alles eingetreten, was die Schwerindustrie so herzlich gewünscht hatte. Das Wort Sozialismus" benutzt Hitler in der Tat nur als Aushängeschild und gibt ihm in der Pragis eine vollkommen andere Auslegung", als viele Hitlergläubige dereinst erwartet hatten!

sagte ich ebenfalls mit traurigem Gesicht, die sind alle sehr verstockt..."

Auf dem Stadtplatz stehen die Arbeitslosen in Gruppent beisammen und besprechen das Neueste. Nachrichten werden ausgetauscht, verstohlen wird ein Flugblatt berumgereicht oder zwischen den Zeilen der gleichgeschalteten Presse ge­lesen. Hier steht nur Belanglojes sickert nur hie und da troß der Zensur etwas durch, das zum Nachdenken zwingt Oesterreich , stubig macht. Wie zum Beispiel die riesigen Auf­und den Leser, der alles in Ordnung glaubt im Staate rufe zur Winterhilfe, die im Vorjahre 10 Millionen Schil ling verausgabte und heuer mindestens das Doppelte be­nötigt. Da sieht man gleich, wie die Arbeitslosigkeit gefallen ist. Oder die lakonische Meldung, daß in Wien seit Einbruch der kalten Witterung Obdachlose auf dem Zentralfriedhof wiederholt den Versuch unternommen haben, in frisch aus gehobenen Gräbern Unterschlupf zu finden. Diese Versuche scheitern jedoch stets daran, daß der Zentralfriedhof während der Nacht von Wachbeamten mit Polizeihunden abgestrei wird..."

Dieser Tage erfuhr die Oeffentlichkeit, daß der Marris­mus" eigentlich gar nicht so tot" und überwunden sei, wie es die Regierung immer darstellte. In Wien war eine ille­gale Druckerei der Sozialisten aufgeflogen. Und die Zei tungen brachten plöblich Leitartikel gegen die Illegalen". Auch die Kommunisten sind sehr aktiv. Es besteht eine Ein­heitsfront zwischen letzteren und den revolutionären So zialisten. Die Kommunisten, die früber in Desterreich fait keine Bedeutung hatten, sind durch die Illegalität zu einem Faktor geworden. mit dem die Regierung rechnen muß. Deshalb auch die Anbiederungsversuche der Nationalsozia listen an die Regierung, um die kommunistische Gefahr" einzudämmen.

Hunderte von Verhaftungen wurden dieser Tage vorge­Verwaltungsstrafen nicht unter sechs Monaten Arrest, bazu nommen. Wieder sind die Gefängnisse überfüllt, es regnet tommt noch danach die Transportierung ins Konzentrations lager. Zehntausende Exemplare illegaler Zeitungen wurden wahrscheinlich durch Verrat, gefunden und beschlagnahmt. Darunter auch 10 000 Stück der Revolution", einer führen­den marristischen illegalen Zeitung.

Die Friedhofsstille, die über dem Lande liegt, wurde vor­übergehend gestört. Nun ist wieder Ruhe und Ordnug" gc­

währleistet.

Aber die Revolution" erscheint wieder. Sie wird von einem papierenen Organ zu einem Orton werden.