Deutsche   Stimmen Beilage sur Deutschen   Freiheit

Dienstag, den 13. November 1934

Das tausendjährige Reich

Meister des Massenbluffs

Das mit dem tausendjährigen Reich ist nicht von heute und gestern, es spukt schon bei den alten Juden, geht von dort aufs Christentum über, wird im Laufe der Jahrhunderte immer wieder zur lockenden Vision und findet immer wieder Massenanhang. Denn das Bedürfnis hoffnungsarmer Schichten nach Erlösungsillusionen ist schlechthin grenzenlos. Alle Religionsstifter ebenso wie alle sozialen Scharlatanerien profitieren von diesen wirklichkeitsfremden Erlösungs träumen, während alle gesunden, der kritischen Erkenntnis folgenden Bewegungen den irrationalen Illusionsdrang zum Feinde haben.

Will man eine Serie dieser Traumverirrungen anführen, so braucht man keineswegs bis ins Mittelalter zurückzugehen. Die neuere Geschichte der Sektenbildung genügt. Erst vor einigen Jahren stampfte in Amerika   ein kleiner zwerghafter Neger eine Millionensekte aus dem Boden, der er kein anderes Heilsrezept predigte, als Sorglosigkeit, Heiterkeit, sich nicht um den nächsten Tag sorgen, getreu dem urchrist­lichen Wort: Seht die Vögel unter dem Himmel an..." Diesem kleinen Neger, der immer von vier riesenhaften schwarzen Walküren flankiert war, strömte das Geld nur so zu, er predigte in luxuriösen Hallen, lebte wirklich sorglos und elegant. das Gericht machte ihm wegen Betrugs den Prozeß, aber seine Anhänger blieben fest. Millionen Neger sahen in ihm den schwarzen Messias   und verübelten ihm beinahe, daß er sich nicht als solchen ausgab. Denn so oft auch die verschiedenen Erlöser versagten, so oft haben sich doch durch alle Jahrhunderte hindurch immer wie­

der Jünger und Massen gerade für die irrationalsten Verheißungen gefunden. Wir skizzieren hier einige dieser lehrreichen, scheinmessianischen Wunschtraum- Bewegungen, die schon aufgeklärteren Zeitaltern entwuchsen.

Geschäftstüchtige Propheten

Um die Mitte des neunzehnten Jahrhunderts verlassen 16 000 Menschen den wohnlichen Osten der Vereinigten Staaten   und wandern in den wilden Westen. Sie nennen sich Mormonen, glauben an ihren Propheten Ioseph Smith und gründen die großen Mormonen- Siedlungen im wilden Westen, um sich dort auf Weltuntergang und tausendjähriges Reich vorzubereiten. Eine Stadt des Heils" entsteht am Ufer des Michigansees. Hier herrscht der Prophet John Dowie   und das bevorstehende tausendjährige Reich wird gleich mit rationeller Bodenspekulation verbunden. Denn Dowie ist ein guter Geschäftsmann, was ihn nicht hindert, sich den ,, dritten Elias des neuen Reiches" zu nennen. Aber dieses Zion City   wirft nur anfangs fette Dividenden ab, der Bankrott läßt nicht lange auf sich warten und der Prophet Dowie landet wegen unehrlicher Manipulationen vorm Richter. Aber nichts vermag den Glauben der Jünger zu er schüttern, und noch heute sind die Mormonen von Zion City  davon überzeugt, daß der predigende Bushinesman ein Ab­gesandter Gottes war.

Der andere Mormonen- Prophet. Josef Smith  , bluffte methaphisischer. Er wollte, von Engeln geleitet, in einem Hügel bei Palmiro( Staat Neuyork) eine neue Bibel gefunden haben auf Goldplatten geschrieben, in einer Kiste depo­niert. Es fanden sich Leute, die ihm ihr Vermögen für den Druck des Buches Mormon" und für die Propaganda des neuen Glaubens opferten. Als einige Jünger die Neugierde nicht mehr zähmen konnten und durchaus einen Blick in die Kiste tun wollten, war sie leer. Einige Stunden später je­doch glauben die drei Jünger bereits, die heilige Schrift ge­sehen zu haben und Smith bleibt der große Prophet. Der wiedergekehrte Heiland

Zahlreich und erfolgreich sind jene Narren und Schwärmer, die in allen Ländern auftauchen, sich als wiedergekehrte Heilande ausgeben und Massen gläubiger Anhänger um sich sammeln. Zu diesen Heilanden gehörte auch die zwei­undzwanzigjährige Buglerin Anna Lee  , die 1760 ver­kündete, sie sei die zweite Verkörperung Christi  ". Eine Sekte hängt sich an ihre Fersen, Anna wird von der Obrig keit verfolgt und geht mit einer solchen Schar..Shaker" nach Amerika  , gründet am Hudson religiöse Gemeinden; ihr Grab­mal ist für die Shakergemeinden noch heute ein Wallfahrts­ort. Sie enttäuschte ihre Anhänger immerhin weniger als jene Magd Johanna Southcott   in Südengland  , die eines Tages

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behauptete, sie sei das im zwölften Kapitel der Apokalypse verheißene schwangere Weib, das den neuen Heiland gebären werde. Apostel finden sich, und bald pilgern Scharen über­zeugter Jünger zur neuen heiligen Jungfrau, stiften große Geschenke, harren des großen Augenblicks der Jesusentbin. dung, lassen ein goldenes Bett bauen, warten unverdrossen vor Johannas Haus warten selbst dann noch, als die Messiasgebärerin in diesem Prunkbett starb. Zynisch, wie Aerzte sind, öffneten einige von ihnen den Bauch der Heiligen er war leer. Worauf ihre Anhängermassen die ungeduldige Welt für das Fiasko verantwortlich machten.

Zu einem Messias der Juden wurde 1666 der Sohn eines Smyrnaer Händlers, der vierundzwanzigjährige Sabbatai Zewi. Die Not der Juden war groß, ein paar Predigten über seine Berufung genügten und schon erkannte eine Schar Frauen in ihm den längst erwarteten Erlöser. Zum König der Juden gekrönt, von Massen umjubelt, unterzeichnet er seine Dekrete: Ich, der Herr euer Gott, Sabbatai Zewi".

Da der Sultan   einen jüdischen Aufstand befürchtete, stellte er dem Messias   ein Ultimatum: entweder den Märtyrertod

auf sich zu nehmen, oder öffentlich zum Islam überzutreten und Türhüter im Serail von Konstantinopel   zu werden. Der Gottgesandte entschied sich für das lettere, aber der Glaube seiner Ghettogefolgschaft blieb ihm treu. Hatte nicht auch Moses eine Zeit am Hofe des Pharao   weilen und die Kleider der Aegypter tragen müssen? Massenpsychosen sind gegen Entlarvungen der Hauptfigur immun.

Der Mahdi   und der Kulikönig

Von politisch größerer Tragweite und erfolgreicher waren zwei andere Gottgesandte des Orients. Der eine begann als dürrer mohammedanischer Asket und Bettler, predigte koran­treue Enhaltsamkeit, wollte den rechten Glauben wiederher­stellen und damit das grenzenlose Reich Mohammeds, sammelte im Sudan   eine Armee um sich, schlug damit die Feinde des orthodoxen Islam und endete dick, fett, unbe­

weglich, ein Zerrbild seiner Lehre. Der andere, der arme epileptische Student Hung Hsin- tsung aus Kwangtung in Süd­china, verkündete im Reich der Mitte einen neuen Glauben, um China   von der Fremdherrschaft der tartarischen Dynastie zu erlösen. Zu den Knechtschaftszeichen gehörte der Zopf -herunter damit! Massen schließen sich dem Kulikönig an, ganze Divisionen gehen für ihn gegen die kaiserlichen Truppen vor. Sein unaufhaltsamer Siegeszug führt ihn durch das Riesenreich bis Nanking, seiner künftigen Residenz; er selbst bezeichnet sich als Sohn Gottes und jüngeren Bruder Christi  , richtet sich in der Macht wohnlich ein, läßt seine An­hänger für den neuen Glauben kämpfen und sterben, zieht sich in seinen Palast zurück und ergibt sich dunklen Aus­schweifungen. Unbequeme Mahner läßt er hinrichten. Ein. volles Jahrzehnt behauptet sich seine Herrschaft in neun Provinzen. Wie das Reich des Mahdi von einem englischen Expeditionskorps, so wurde das Hung Hsin- tsungs schließlich von tartarischen Truppen und einem internationalen Expe. ditionskorps vernichtet. Beide gaben sich als Gottgesandte und Erneuerer ihres Volkes" aus, beide versprachen das große neue Reich des Heils, beide wurden von ihrer Zeit rasch überrannt, beiden blieb trots allem der Nimbus ihrer

ehemaligen Rolle bis über den Tod hinaus treu,

Der Asket aus Braunau  

Die aus diesen Beispielen sich ergebenden Parallelen zum verrücktesten politischen Erlöserrummel unseres Jahrzehnts drängen sich geradezu bestürzend auf. Auch hier der Traum verwirrter Millionen vom auserwählten Retter, auch hier fabrizieren interessierte Jünger einen asketischen Gottge­sandten und sein Bild hängt neben Jesus  ; auch hier der Tausendjahres- Schwindel, die neue Religion", die Verfassung alles realen Denkens, die Anrufung Gottes bei jeder öffent­lichen Gelegenheit, das Doppelkinn des reich und fett ge­wordenen Auch- Asketen, seine guten Geschäfte und Luxus­paläste, die Hosianna rufende Komparserie, das Festhalten von Abermillionen am längst ramponierten Traumbild, denn: ..Der Führer weiß es nicht..."

Die Konfusion im braunen Lager ist echt und eigenes Ge wächs, die Regie ist abgeschrieben. Die Oberbonzen des ,, dritten Reichs" haben die Geschichte des Massenbluffs gut studiert.

» Die Gedanken sind frei!«

Die Kritikaster leben noch

boshaftes Kabarett im Volksliedton

Der Deutsche  ", das Organ der Arbeitsfront, hat im ..dritten Reich" etwas entdeckt, worüber er sich entrüsten darf. Der Deutsche   lobt alles, den Lohnabbau und die Zwangsarbeit, den Hinauswurf junger Arbeiter aus den Be­trieben und den Unterstügungsraub jetzt aber darf er sich endlich mal entrüsten, und er tut es mit einem Feuer, mit einer Leidenschaft, als gelte es, das ,, dritte Reich" zu retten. Der Deutsche  " schreibt:

,, Dieses Kabarett Alt- Bayern" ist ein Skandal. Es ist es um so mehr, als hier rein formal das Unerhörteste ge­leistet wird. Die Leute können was! Das ist nicht zu leugnen. Aber weil sie etwas können, weil hier jede Nummer raffiniert durchgefeilt ist, jedes Wort auf An­hieb sitzt. jede Geste bis ins Kleinste vorstudiert, jedes Chanson, ja jedes Volkslied mit einer unglaub. lichen Bosheit hingestellt wird, gerade des­halb ist dieses Kabarett eine Unmöglichkeit.

Wenn diese Leute das Volkslied: Die Gedanken sind frei" singen, dann ist das eine niederträchtige Bosheit, wenn diese Leute vom fetten Unterkinn, von Orden usw., die wieder modern sein sollen, sprechen, dann ist das kein Wit mehr, sondern eine Verhöhnung...

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B. Br.

Sie können alle viel. Und doch weiß jeder einzelne im Publikum, was da gespielt wird. Die niemals aufbauen wollten, weder künstlerisch noch politisch, die niemals tief im Boden einer Heimat gewurzelt haben, die niemals be­griffen haben, was inzwischen im Volke vorgegangen ist die sind wieder da!"

Die sind nicht nur wieder da" die scheinen sogar sehr viel Anklang zu finden. Wenn das Publikum, das ,, weiß was gespielt wird", Aeußerungen des Mißfallens von sich gäbe

der Deutsche  " griffe sie mit Freuden auf, wenn das Kabarett leer wäre( und nicht gefüllt bis zum letzten Plats), der Deutsche  " teilte das mit und nähme die ganze Sache weniger wichtig. Aber das ist es ja gerade: wo im deutschen Zuchthaus einer den Mut findet, auszusprechen, was Mil­lionen andere denken, da strömen ihm die Menschen in Scharen zu, wenn heute in Theatern oder Kabaretts eine danebengeschaltete Bemerkung fällt, wird sie im ganzen Lande weitergegeben, wird sie aufbewahrt, wie ein seltsame Kostbarkeit.

Und daß die Leute vom Kabarett Alt- Bayern" etwas können, ist durchaus kein Zufall. Alle Mittelmäßigkeit, alle Unterwertigkeit sammelt sich in den offiziellen Partei­

Ereignisse und Geschichten

mi

An die Illegalen

Ihr bliebt in Deutschland  , ihr seid zu Hause, Und doch lebt ihr mitten im feindlichen Land, Gehett und geächtet. Der dümmste Banause Hat euer Schicksal in seiner Hand.

So schleicht ihr durchs stöhnende Dunkel der Jahre Und tastet zum Bruder euch mühsam heran; Ihr flüstert nur vor der Erschlagenen Bahre Und rings um euch zieht sich ein schweigender Bann.

SS.. Gestapo   und Zuchthausmauern Hunger und Folter und Henkersbeil, Das sind die Feinde, die euch umlauern; Aber die Menge, die feige, brüllt..Heil!"

Opfernd und kämpfend, ohne zu prahlen So lebt ihr Treue und Lauterkeit. Ihr seid die eisernen. Illegalen, Die einzigen Helden in schändlicher Zeit!

Heldischer Einsatz

Horatio.

Die letzte Reserve für das deutsche Buch

Im dritten Reiche" lebt und webt die Woche des. Buches". In Berlin   leitete sie Goebbels   durch eine große Rede ein. Der Herr Propagandaminister ist gegenwärtig auf allen Gebieten etwas pessimistisch. In seiner Rede leuchtete keine große Hoffnung auf den Siegeszug des neuen braunen Buches. Es soll dem Volke nah sein aber das Volk inag es nun mal nicht.

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Die Kölnische Zeitung  " sagt es ziemlich deutlich: ,, Neben den verzweigten und schwierigen Erklärungen gibt es eine einfache noch: zu den kulturellen Dingen, wie dem Buch und dem Buchkauf, gehört entweder ein klei ner Ueberfluß( und der ist heute fast nirgend vor­handen) oder der Wille, sich das Buch sozusagen vom Munde abzusparen. Früher hat man das getan, heute tut man es selten; worin liegt wohl der Grund? Einmal darin, daß in Deutschland   der Glaube an das geschriebene und gedruckte Wort wankte; zum andern darin, daß es Leute genug gab, nicht zulett Intellektuelle, die diese an sich vielleicht nötige und nüẞ­liche Krise durch Generalangriffe auf den schöpferischen Geist unnötig und gefährlich verstärkten. In diesem Sinne verfocht Dr. Goebbels   das Recht und den Anspruch volks­tümlich schlichter Dichtung, nach ihrem Entstehen ,, braucht man nicht zu lamentieren, daß das Buch das Verhältnis zum Volk verloren habe, weil das Volk dann das Verhält­nis zum Buch wiederhergestellt hat. Aber auch hier soll man sich vor Optimismus hüten und soll sich bewußt bleiben, daß sehr oft das gute Buch nur durch den zähi­schen, heldischen Einsatz der Verleger, Buchhändler und Dichter durchgesetzt werden kann."

Der zäheste und heldischste Einsatz wird nicht viel helfen. Wenn die Deutschen   die Wahl zwischen einem Brot und einem von der zuständigen Parteistelle abgestempelten Buche haben, so dürfte ihnen die Entscheidung nicht schwer fallen.

Indische Weisheit

Beklage nicht das Vergangene, sorge nicht um die Zukunft, sondern versuche, aus dem Heute das Beste zu machen. Der ist weise, der einen Bekannten wie einen Freund be­handelt, und der ist töricht, der einen Freund nur wie einen Bekannten behandelt, und wer Freunde und Bekannte wie. Fremde behandelt, dem ist nicht zu helfen.

Es kommt nicht auf die Art und Weise an, wie ein Mensch seinen Gott verehrt, sondern auf die Innigkeit und Auf­richtigkeit.

Wahrheit allein kann Erfolg haben. Unwahrheit ist Zeit­vergeudung und Kräfteverlust.

Wenn der Mensch den Ozean betrachtet, so kann er davon nur den Teil sehen, der in seinem Gesichtskreise liegt. Ge nau so ist es mit der ewigen Wahrheit.

Das

Beispiel

Inayat Khan  .

Der berühmte Chirurg Bergmann war als Schulknabe keineswegs fleißig.

Eines Tages hatte sein Lehrer einen Preis ausgesetzt für den besten Klassenaufsatz über das Thema: Was ist Faul­heit?"

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Bergmann lieferte stolz den längsten Aufsats ab- drei Seiten!

Auf der ersten Seite stand ,, Das" Auf der zweiten Seite stand ,, ist" Auf der dritten Seite stand ,, Faulheit". Er bekam den Preis.

theatern, die ihr Publikum zwangsweise requirieren. Die etwas können und drüben geblieben sind, haben den gleich geschalteten Kunstbetrieb, haben die knechtische Blut, Boden- und Speichelleckerei, haben den sturen braunen Dilettantismus bis zum Erbrechen satt. Darum opponieren die, die etwas können, und darum können die etwas, die opponieren.

Die üble Denunziation des Arbeitsfront- Reptils wird den ,, Alt- Bayern" vielleicht den Mund schließen aber das ..drite Reich" ist damit noch lange nicht gerettet. Eine Herrschaft, die den Wit, die das Lachen fürchtet und erstickt. steht auf schwachen Füßen. Zehn, hundert Kritiker kann man zum Schweigen bringen, zehntausend neue stehen dafür auf, und ihre Stimmen werden lauter von Tag zu Tag. Wie heißt es in dem verpönten Volkslied, das zu singen eine niederträchtige Bosheit ist? Denn unsere Gedanken, sie brechen die Schranken und Mauern entzwei..." Die Kerkermauern nämlich. Da hilft kein Maulkorb!