0
lathu pul bolibainid
Fretheil
Nr. 254 2. Jahrgang
Einzige unabhängige Tageszeitung Deutschlands
Saarbrücken, Mittwoch, 14. November 1934 Chefredakteur: M. Braun
Neurath bricht das Genfer SaacAbkommen
Knox über den Jeccoc
der braunen Front
111 Kastrationen
in einem Krankenhaus
Seite 3
Seite 4
Seite 7
Dokumente steigender Not
Die Folgen der hitlerdeutschen Selbstblockade
Die Siegesnachrichten über die Erfolge der Arbeitsschlacht sind zwar schon längst vorbei, aber immer noch wird allmonatlich amtlich befanntgegeben, daß soundsoviel Tausende von Personen in den Wirtschaftsprozeß neu eingereiht worden sind. Noch in diesen Tagen ist verfündet worden, daß die Zahl der Arbeitslosen neuerdings um rund 14000, gejunken ist. Aber allmählich glaubt niemand mehr, selbst die cifrigsten Anhänger des Nationalsozialismus, diesen offiziellen Berichten, denn ein jeder sieht, daß die Arbeitslosigfeit nicht zurückgeht, sondern steigt und daß darüber hin aus die Lage der werftätigen Bevölkerung infolge der Breissteigerung bei gleichzeitig gesunkenem Einkommen immer schlechter wird.
Zu der gleichen Zeit, wo die Reichsanstalt für Arbeitslosenversicherung weiterhin über die„ Erfolge" im Kampfe gegen die Arbeitslosigkeit berichtet, häufen sich die Mitteilungen, aus denen hervorgeht, wie groß die Not in verschiedenen Zweigen unserer Wirtschaft ist. Damit man uns nicht wieder der Verbreitung von„ Greuelmärchen" beschuldigt, wollen wir hier ein Dokument, wiedergeben, das die wahre Situa tion im dritten Reich" grell beleuchtet.
Der Gauwirtschaftsberater der NSDAP. , Gau KölnAachen Dr. Schmidt, der berüchtigte Präsident der Industrie- und Handelskammer zu Köln . Freiherr von Schröder, die Industrie und Gandelsfammer zu Aachen , die Handwerkskammern zu Köln und Aachen , der Landesobmann der Deutschen Arbeitsfront , Bezirk Rheinland haben folgenden Aufruf au alle Drucksachennerbraucher erlassen:
Das Buchdruckgewerbe aber ist in tiefster Not. Der Umbruch der Nation hat das Zeitungs- und Zeitschriftenwesen neu gestaltet, die zweckmäßige Aufhebung und Gleichschaltung im organisatorischen Aufbau hat durch bedeutende Einschränkungen von Zeitschriften und allgemeinem Drucksachenbedarf dem Buchdruckgewerbe be. langreiche Aufträge entzogen. Einen Ersat hierfür zu schaffen, ist bis heute noch nicht möglich gewesen.
Die Arbeitslosigkeit im Buchdruckgewerbe ist sehr groß. Wir müssen deshalb Mittel und Wege suchen, um das notleidende Buchdruckgewerbe und damit den graphischen Arbeiter wieder in Arbei: und Brot zu setzen. Es wurde deshalb die Notgemeinschaft der deutschen Buchdruckereien, eine das gesamte Gewerbe umfassende Organisation zur Wiederherstellung der Ordnung der buchgewerblichen Preisverhältnisse geschaffen, welche die Unterstügung jedes. Drucksachenverbrauchers verdient. Die notwendige Mindestpreisfestsetzung für die Erzeugnisse des Buchdruckgewerbes ist unter Mitwirkung des Reichskuratoriums für Wirtschaftlichkeit erfolgt. In diesem Zusammenhang sei darauf hingewiesen:
Die deutsche Papierfabrik verwendet wieder deutsches Holz. Das russische Holzdumping ist unterbunden. Das Reichswirtschaftsministerium hat alle Papierfabriken durch ein Zwangskartell eng verbunden. Eine geringe Preiserhöhung mußte gewährt werden, um die Er. zeugungsstätten zu erhalten. Sie muß auch von allen Drucksachenverbrauchern mit nationaler Einsicht verständigerweise zu ihrem Teil getragen werden.
Wir setzen uns hiermit für das Buchdruckgewerbe ein. und fordern alle Behörden und Drucksachenverrbaucher von Industrie, Handel und Gewerbe auf:
1. das schwer ringende Buchdruckgewerbe mit allen Kräften zu unterstützen,
2. jeden Drucksachenbedarf nur bei Mitgliedern der Notgemeinschaft zu bestellen und Schleuderpreise abzulehnen,
3. von der Errichtung eigener Hausdruckereien abzusehen und die Selbst herstellung von Drucksachen und Abzügen während der größten Notzeit des Buchdruckgewerbes tunlichst einzuschränken. Köln- Aachen, im Oktober 1934.
Ergänzend zu diesem Aufruf fönnen wir berichten daß die Druderei TuMont Schauberg. die zu den größten Truckereien Deutschlands gehört, und in der die„ kölnische Zeitung" gedruckt wird, infolge Arbeitsmangels zahlreiche Entlassungen vornehmen mußte,
Während die Arbeitslosigkeit um fich greift, und die Löhne gedrückt, bleiben, steigen weiterhin die Preise. Diese Preissteigerung läßt sich nicht verhindern. Sie ergibt sich zwangsläufig, wie wir wiederholt an dieser Stelle gezeigt haben, aus der verhängnisvollen Blubopolitik des Nationalsozialismus. In dem obigen Aufruf haben die Unterzeichner wohl nicht gemerkt, daß sie selbst ein vernichtendes Urteil über die Preispolitik des Nationalsozialismus gefällt haben. Sie sagen nämlich, das durch die Drosselung der russischen Holzcinfuhr und durch die verstärkte Verwendung des deutschen Holzes die Preise gestiegen sind. Gerade heute gibt der Reichsnährstond bekannt, daß die Herausnahme des Papierholzes aus der allgemeinen Preisreglung zu überhöhten Preisen geführt habe. Aber all die„ Warnungen" vor überhöhten" Preissteigerungen können nichts nüßen, solange nicht grundsäßlich eine Aenderung der ganzen Wirtschaftspolitik erfolgt.
Daß die Preissteigerung eine natürliche Folge der natio-. nalsozialistischen Wirtschaftspolitik ist. geht beispielsweise aus folgendem Rundschreiben hervor, das uns von einem in Württemberg ansässigen Freund, der sich einige Tage in der Schweiz aufhielt, zugegangen ist. Dieses Rundschreiben ist auch deswegen bezeichnend, weil man daraus ersehen kann, wie die Fabrikanten, aus Angst vor der Gestapo , das Wort „ Preisste gerung" vermeiden, obwohl der Zweck solcher Rundschreiben ist, die Kundschaft von der erfolgten Preissteigerung in Kenntnis zu setzen.
,... Nov. 1934.
An unsere werten Geschäftsfreunde!
Die gänzlich veränderten Verhältnisse sowohl in bezug .auf die Material- Beschaffung als auch auf die Arbeitszeit durch das Faserstoffgesetz machten die Herausgabe der neuen Preisliste Nr. 29, die wir Ihnen anbei übersenden, erforderlich.
Entsprechend den vermehrten Gestehungskosten der Ware sind unsere Preise etwas verändert; wir betonen je. doch ausdrücklich, daß wir uns bei den erforderlichen neuen Berechnungen streng an die im Faserstoffgeset hinsichtlich der Kalkulation erlassenen Bestimmungen ge. halten haben. Trogdem unsere neuen Preise niedrigst kalkuliert sind, ist unsere Leistungsfähigkeit dieselbe geblieben. Infolge der Unmöglichkeit der Beschaffung verschiedener Garnsorten erwies es sich allerdings notwendig, einige Qualitäten ausfallen zu lassen; dafür konnte jedoch unser Kunstseide- Sortiment mit einigen Neuheiten erweitert werden.
Da unsere letzte Preisliste bereits vor der Herausgabe der Einheits- Bedingungen der deutschen Textil- Industrie. erschienen war und Verpackungskosten in den Preisen enthielt, brauchten wir Ihnen bislang die Verpackung nicht extra zu berechnen. Mit der Umstellung unserer Kalkulation sind wir jedoch verpflichtet, hierfür unsere Selbstkosten in Anrechnung zu bringen. Die Sätze sind überdies durch die Einheits- Bedingungen geregelt. Wir bitten also um entsprechende Vormerkung...
Mit deutschen Gruß!
Während somit die Preise durch die Blubo - und Devisenbewirtschaftungspolitif unaufhaltsam steigen müssen, und da= mit eine weitere Entwertung der Marf herbeiführen, befämpit der Reichskommissar für Preisüberwachung, Goer deler, ffeine Hausierer, die sich mit einigen Mengen von Nähgarn eingedeckt haben. Gerade dieses Leipziger Beispiel zeigt, wie unwirksam der ganze Kampf gegen die Preise ist. Er wird ebenso Schiffbruch erleiden, wie die hente schon historisch und berüchtigt gewordene Arbeitsschlacht" Hillers..
Die Kleinen hängt man...
Stuttgart , 13. Nov. Das Wirtschaftsministerium hat einige Stuttgarter Metzgereien für 4 Tage geschlossen. Es handelt sich durchweg um fleinere Metzgereien, denen vorgeworfen wird, daß sie die festgesezten Höchstpreise überschritten hätten.
Hinrichtung eines Unschuldigen Görings Verantwortung für den neuen Justizmord
Im Herbst 1988 verurteilte das Frankfurter Sondergericht den 20jährigen Lehrling Reitinger wegen angeblicher Ermordung eines SA.- Mannes zum Tode. In der Urteils: begründung selbst hieß es, daß der Sachverhalt nicht ganz aufgeklärt sei und daß möglicherweise ein anderer den tödlichen Schuß abgegeben habe; denn der getötete SA- Mann war von mehreren Schüssen getroffen. Weil es jedoch eines andern Täters nicht habhaft werden konnte, verurteilte das Sondergericht den jungen Reitinger.
Die Nachricht von dem Todesurteil drang ins Ausland, fie fam endlich auch zur Kenntnis des wahren Täters, der mittlerweile Deutschland verlassen hatte. Unverzüglich wandte er sich an die Internationale Juristische Vereinigung, damit sie alles nur mögliche veranlasse, um das Leben von Reitinger zu retten. So erklärte denn S., der Augenzeuge des ganzen Razi- Ueberfalls gewesen war und nahe bei Reitinger geftan= den hatte, alles, was er gesehen und getan hatte, zu Protokoll einer französischen Behörde. Es heißt in dem Protokoll: Ich kann mit Bestimmtheit sagen, daß Reis tinger nicht geschossen hat" und als ich sah, wie einer der SA.- Leute eine Pistole aus der Tasche zog; zog ich selbst die meine und schoß auf ihn". Dieser SA.- Mann erlag später seinen Verlegungen,
Das Original dieser alarmierenden Bekundung eines Augenzeugen fandte die Internationale Juristische Vereinis Aung mit voller Namensangabe des Zeugen und amtlicher Identitätsbeurkundung an das Justizministerium mit der Forderung nach Neuaufrollung des Prozesses. Die Behörden schwiegen. Reitinger saß in der Todeszelle. Die faschistische Justiz ist und will sein eine Rachejustiz. War der wahre Täter nicht erreichbar, so mußte der, der trotz erwiesener Unschuld verurteilt worden war, sterben. Am 10, 11, 1934 wurde Reis tinger enthauptet. In voller Kenntnis seiner Unschuld wurde die Bollziehung des aräßlichen Urteils befohlen.
Ministerpräsident Göring hat die Vollstreckuna des Urteils angeordnet. Er trägt die unverjährbare Blutschuld,
Fernwirkungen
Wir haben schon öfter darauf hingewiesen, daß der zur Weißglühhize getriebene und zur Weltanschauung erhobene Nationalismus, der heute das deutsche Bürgertum geistig verwüstet, sich gemäß den Gesetzen der geistigen Ansteckung notwendig über die Grenzen hinaus verbreiten und in letzter Linie im Hinblick auf die von Hitlerdeutschland ausgehende Weltgefahr zu scharfen Gegenmaßregeln führen muß, unter denen das Auslandsdeutschtum besonders schwer wird leiden müssen. Damit wollen mir natürlich nicht den Uebernationalismus anderer Völker, die sich nun gegen Deutsche mendet, gutheißendie internationale Arbeiterbewegung hat immer das Recht jedes Volkes und Volksteils auf Pflege seiner nationalen Kultur anerkannt und die nationalistische Verhegung in jedem Lande bekämpft aber wir dürfen nie vergessen, daß das Deutsche Reich, solange es Verständigungspolitik trieb, als Mitglied des Völkerbundes imstande war, die Rechte der nationalen Minderheiten, vornehmlich der deutschen, wirksam zu vertreten. Durch den Rassenhochmut des Nationalsozialis mus aber, der sich leichtfertig und brutal von der Gemeins schaft der Völker losgesagt hat, wurde Deutschland jede Möglichkeit abgeschnitten, die Rechte der ausländischen Volksgenossen zu wahren, zumal ja die der eigenen Staatsangehörigen rücksichtslos unter die Füße getreten
werden.
In demselben Hefte des Amtsblatts des Reichsjugendführers( Das junge Deutschland "), in dem erzählt wird, wie man jetzt den Gliedern des angesehenen, selbstbewußten deutschen Volkes besonders im Südosten Europas wieder mit größter Sochachtung be. gegnet", wird eine große Reihe Tatsachen angeführt, die sowohl das„ Erwachen" der ausländischen Deutschen wie die Einwirkung dieses Borgangs auf die Politik der an deren Regierungen schlagend beleuchten.
Da wird aus Rumänien triumphierend berichtet, mie die deutschen Siedler in Bessarabien den Juden. boykott organisiert haben. Reinerlei Verkehr mehr mit den Juden! Diese, die vordem in guten Beziehungen und Geschäftsverbindungen mit den Deutschen gestanden hatten, appellierten an das deutsche Mitgefühl. Bergebens! Sie müssen zugrunde gehen oder auswandern. Die Bewegung greift auch auf die rumänische Bevölkerung über. Abends verschließen die Juden ängstlich ihre Häuser, während die Hitlerjugend hoch zu Roß es sind also Besizer, keine Arbeiterföhne- Kampflieder singend vorüberzieht. Ein glänzender Erfolg des deutschen Volks. geistes! Beeinträchtigt wird er nur, wenn man daneben hört, mas in den Oststaaten gegen die Deutschen geschieht.
Aus der Tschechoslomakei mirb berichtet, daß der deutsche Einfluß( das Mitgefühl gilt immer den Ein