Deutsche Stimmen. Stimmen Beilage zur Deutschen Freiheit"

Cheree

Mittwoch, den 14. November 1934 aleb mi- puterni

Die Reise nach Zion

Ereignisse und Gesɗfiioiten

Die Sklaven- Emanzipation

Die Juden von Palästina- normale Menschen 19dmevo

Ist Goebbels doch ein Jude? ,, Weltverschwörer" singen die ,, Melodie der Arbeit!" Ein Nazi fuhr nach Zion! Welch eine Todesverachtung! Hat denn dieser Nazi nicht den ,, Stürmer" gelesen? Kennt er die ,, Protokolle der Weisen von Zion " nicht? Aber daß er hinfuhr, ist allein noch nicht das Er­staunliche. Dieser Nazi kam sogar wieder zurück! Lebendig, noch mit allem arischen Blut, das er in seinen Adern hatte! So kann man tatsächlich zu der Annahme gelangen, daß es weniger gefährlich ist ist, als Nazi nach Palästina, denn als Jude nach Deutschland zu fahren.

Aber das ist noch nicht genug des Erstaunlichen. Es wird noch viel geheimnisvoller. Dieser Nazi hat nämlich einen Reisebericht darüber geschrieben, der im Angriff erschien. Und noch mehr: dieser Bericht läßt uns die Juden Palästinas als ganz normale Menschen erscheinen. Das ist das Erstaunlichste!

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Da hören wir, daß viele Intelligenzler ihren alten Beruf aufgegeben haben und in die kollektiven landwirtschaft­lichen Siedlungen gingen, da erfahren wir, daß die Juden dort in Arbeiterjuden, Händlerjuden usw. zerfallen, daß sie sehr helfsbereit sind, und sie die ,, Geldgierigen!"- oben­drein noch ablehnten, für geleistete Hilfsarbeiten eine Ent­schädigung zu nehmen. Wir hören von dem Berichterstatter, der sich schamvoll hinter dem Pseudonym Lim versteckt, daß die Kinder dort so selbständig sind, daß schon die Babys in diesem Land ohne das Führerprinzip auskommen, wir sehen Abbildungen im ,, Angriff", die manchen ins Er­staunen setzen werden. Wenn Herr Leers diese Bilder in seine nächste Auflage von Juden sehen Dich an" über­nehmen wird, werden seine Parteigenossen entrüstet fragen, wie er dazu kommt, Bilder von arischer Arbeit einzureihen! Ueber die jüdischen Babys hat Lim klugerweise ganz ge­schwiegen, denn das deutsche Rasseamt hätte diese Kinder auszeichnen müssen, weil sie blond und blauäugig zur Welt kommen und die Ziele des deutschen Rasseamtes vorweg­nehmen. Erst wenn die Kinder bewußter werden, wenn sie wachsen und reifen, streifen sie diese arischen Eigenschaften großzügig ab, weil sie da schon zu innerlich sind, um auf solche Aeußerlichkeiten zu bestehen.

Anerkennend muẞ Lim über die kolonisatorischen Fähig. keiten der Juden sprechen, er muß zugeben, daß die Juden das alte Land zu neuem Leben erweckt haben und sich in mühevoller Arbeit die Grundlagen eines neuen Lebens schufen. Das arbeitende Palästina erzwingt von ihm ein solches Bekenntnis, daß in diesem Land die ,, Melodie der Arbeit ertönt". Auf der anderen Seite sieht er jedoch auch sehr richtig kapitalistische Juden, denen es erheblich besser geht, wodurch er ungewollt zugeben muß, daß die Juden, wie alle Völker, sozial differenziert und keineswegs ein Volk von Rothschilds sind. Auch in politischer Hinsicht ent­hält dieser Reisebericht kaum Gehässigkeiten, sieht man von redaktionellen Bemerkungen ab. Keineswegs erscheinen die Juden als Urheber der Unruhen, im Gegenteil, sie kommen sehr gut weg. Ist Goebbels vielleicht doch ein Jude? So fragt man sich, wenn man den Bericht verschlungen hat.

Haben wir Palästina nicht stets als das Zentrum der jü­dischen Weltverschwörung" kennengelernt? Sind die Proto­ kolle der Weisen von Zion " wirklich schon überholt? Will Hitler seinen Kampf wieder einmal in einem Punkt revi­dieren und Rosenberg seine Schriften neu schreiben?

Lob und Heil, ihr großen Mächte, jubelnd euch gesungen sei,

daß ihr ehrtet Menschenrechte und die Sklaven machtet frei! Und warum sie's nicht schon waren Lange, das ist einerlei!

Jetzt nach wen'gen hundert Jahren, sind die schwarzen Sklaven frei!

Oder wollen die Nazis gar ihre Emissäre aus Palästina zurückziehen, die mit den Mitteln der deutschen Regierung konsequent ihrem Programm folgend gegen Alljuda auch in Palästina kämpfen? Aus dem Bericht Lims müßten sich solche und andere Folgerungen ergeben. Aber die deutsche Stellungnahme zum Judentum ist doppelzüngig ge­blieben bis auf den heutigen Tag. Während Lims Berichte erschienen, ging die Hetze weiter. Die ,, Deutsche Zeitung" brachte einen niederträchtigen Artikel über das Scheunen­viertel, der beispiellos verlogen ist. Zugleich teilt sie mit, daß den jüdischen Jugendverbänden durch eine, begrüßens­werte Anordnung des Berliner Polizeipräsidenten" nun end­lich das Handwerk gelegt werde. Die Anordnung bedeutet praktisch die völlige Lahmlegung der zionistischen Tätig­keit. Auf der einen Seite sagt man also: gut so, geht nur los nach Palästina, unsere SA. wird noch für euch sammeln. Theater in Paris

Auf der anderen Seite sucht man die zionistischen Vorberei­tungen mit allen Mitteln zu stören. Inzwischen wurde sogar die Jüdische Rundschau " verboten, die immerhin ein be­deutendes Ausland hinter sich hat, das allein ihre Existenz ermöglicht haben dürfte. Streicher wütet nach wie vor, Kube und andere bescheinigen ihm seine ,, historische Berechti­gung" und viele Juden leben in der Furcht vor neuen Ak­tionen gegen sie. Unter diesen Umständen ist das Erscheinen dieses palästinafreundlichen Reiseberichtes sehr geheimnis­voll. Auffallend ist es, daß für die Serie Lims eine rege Propaganda entfaltet wurde, die echt goebbelssch war. Silber­stücke wurden auf den Straßen verteilt, die in den Dienst der Propaganda für diese Serie und darüber hinaus für den " Angriff" gestellt wurden. Besonders der Berliner Westen

wurde bearbeitet.

Ganz bestimmt handelt es sich nicht um eine Wendung in der Judenfrage. Aber es ist nicht ausgeschlossen, daß nationalsozialistische Kreise besonders die regierungs­frommen und solche, die der Wirtschaft nahestehen, den Antisemitismus ,, staatsmännisch klüger" und etwas ,, kulti­vierter" machen wollen, um bei den Deutschnationalen und der alten Bürokratie nicht ganz in Ungnade zu verfallen. Darüber hinaus will man auch mehr gelesen werden. Dem Angriff" geht es ja bekanntlich so, daß auch er eher sterben als leben kann. Und wenn jemand ,, saftigen" und auf­wühlenden Antisemitismus" genießen will, dann liest er den ..Stürmer" und nicht diese ,, Angriff- Stümperei".

Aber das kann der Nationalsozialismus nicht tun. Anderer­seits kann ihm allen Ernstes auch nicht daran liegen, alle Juden Deutschland verlassen zu sehen. Wenigstens einer muß zurückbleiben, denn wer soll für die herannahenden Pleiten und schließlich für die endgültige Katastrophe des Regimes verantwortlich gemacht werden?

Streicher aber wird im nächsten ,, Stürmer" schreiben:., Es bleibt das Geheimnis der Weisen von Zion, mit welchen hinterlistigen jüdischen Mitteln sie den alten ,, Angriff"-Geist gebrochen haben, wie sie diese furchtbare Sabotage unseres besten nationalsozialistischen Gedankengutes in ein Haupt­organ unserer herrlichen antisemitischen und bis über unseren Tod hinaus judasfeindlichen Aufklärungsliteratur hineingeschmuggelt haben. Ist der ,, Angriff" den Drohungen Judas erlegen? Oder haben die Freimaurer hier ihre Hände im Spiel? Nagt die jüdische Weltpest nun auch schon an unserem arischen Körper einer judenlosen Zukunft?

Berichte vom Kirchenkampf

Aus kleinen nordwestdeutschen Städten

Ein illegal im Reich tätiger Freund sendet uns die beifolgenden Berichte, Sie geben wichtige Einblicke in den Kirchenstreit und seine Wirkung an den Orten, von denen man weniger hört. Es handelt sich um die nordwestlichen Gegenden Deutschlands . Der Ver­fasser ist Akademiker.

In unserem kleinen, rein bürgerlichen Ort, Sig einer Zentralbehörde und einer Reihe anderer Behörden, treibt ein fanatischer, blutjunger brauner Geistlicher sein Unwesen. Er nimmt trotz seiner Jugend und seiner absoluten Ungeistigkeit in der Hakenkreuz- Hierarchie einen hohen Rang ein. Zu Pfingsten hatte er im Hauptgottesdienst der großen Kirche sieben Zuhörer. Am zweiten Pfingsttage ist die Predigt des zweiten Geistlichen, seines schärfsten Geg. ners, demonstrativ überfüllt. Ende September verliest dieser zweite Prediger, ein älterer Konsistorialrat, von der Kanzel einen Protest gegen die unrechtmäßige Autorität des Reichs­bischofs. Zwei Tage darauf meldet die Presse lakonisch, seine Beurlaubung. Am folgenden Sonntag schließt sich der dritte Geistliche, ein noch sehr junger Mann, dem Protest des Kon­sistorialrats ausdrücklich an. Die Folgen sind nicht bekannt.

In dem gleichen Ort wird eine Protestkundgebung gegen die Hitlerchristen improvisiert, bei der um 3 Uhr nachmit­tags bekanntgegeben wird, daß als Sprecher der Landes­bischof Mahrarens- Hannover, reden wird. Der Zulauf ist enorm. Da alle Säle der Stadt dem Bischof gesperrt werden, stellt ein Händler eine große Scheune zur Verfügung. Sie ist für die Massen viel zu klein, so daß auf freiem Felde, bei völliger Dunkelheit, getagt wird. Ein Gottes­dienst von stärkster Wirkung. Dies um so mehr, als ein paar Wochen vorher der Herr Müller aus Berlin in dem gleichen Ort angekündigt war, aber nicht gesprochen hat.

Noch deutlicher trat die Oppositionsstimmung gegen die Vergewaltigung der evangelischen Freiheit in einer anderen Stadt im hohen Nordwesten in Erscheinung. Auch dort wird der Landesbischof Mahrarens als Redner angekündigt. Im Nu sind die 1500 Plätze des größten Saales verkauft. Man organisiert zwei Parallelversammlungen in einem klei­neren Saal und in einer Turnhalle. Noch einmal sind 1500

Plätze vergriffen. Im nachtdunklen Garten aber stehen bei schlechtestem Wetter weitere 3000 Menschen und harren de­monstrativ aus, trotzdem sie durch die geöffneten Fenster knapp ein Wort verstehen können. Sie bleiben bis zum Schluß. Die sogenannte Gesellschaft sitzt vorn im Saal und gibt bei den Kraftstellen ebenso demonstrativ das Zeichen zum Beifall. An der Spitze die beiden bekanntesten Beamten der Stadt. Allerdings wird der Bischof beim Betreten des Saales mit dem Faschistengruß begrüßt. Statt Heil Hitler " begnügt man sich mit ,, Heil". Die SA., die keine Karten mehr erhalten hat, wird von der Polizei nicht in den Saal gelassen, da der Saal überfüllt sei.

Der Bischof spricht rein referierend über die juristischen und theologischen Differenzpunkte. Starke Beifallsäuße­rungen. Nach ihm aber, in des Bischofs Anwesenheit, tritt als zweiter Redner ein jüngerer Pfarrer, Träger eines neuer­dings sehr bekannt gewordenen Namens auf. Er spricht mit größter Leidenschaft. Jeden Augenblick erwarten die Anwesenden seine Verhaftung durch die Polizei. Dem Sinn nach und teilweise wörtlich äußert er: Soeben haben

Sie ihren Landesbischof gehört, hinter den sich in schrift. licher Abstimmung unter voller Namenszeichnung 88 Prozent der Geistlichen ihrer Provinz gestellt haben. Wir haben in Westfalen auch einen Landesbischof; aber er hat mit Ihrem Bischof nicht mehr gemein als den Titel. Hinter ihm stehen vielleicht 10 Prozent der Geistlichen unserer Provinz. Doch im ,, dritten Reich" genügt ja das bekanntlich, um darauf einen Führeranspruch zu begründen.( Starker Beifall, iro­nische Zwischenrufe). Ueber die heutige Versammlung wer­den Sie in Ihrer Zeitung oder im Rundfunk selbstverständ­lich kein Wort hören. Im ,, dritten Reich" darf bekanntlich die Wahrheit nicht ausgesprochen werden.( Demonstrativer Beifall). Im..dritten Reich" gibt es keine Wahrheit( Hände­klatschen). Wir sind zu dreien in unserer Familie gemaß­regelt worden. Mein 75jähriger Vater, dem man die Pfar­rerpension sperrte, mein Bruder, ein früherer Seeoffizier. Vater von sechs Kindern, und ich selbst. Bis heute hat man uns selbst vorenthalten, worauf jeder Mörder vor seinem Tode ein Recht hat: eine Begründung des Urteils gegen uns. In dieser Form redet der Geistliche zu den Massen, die ihm immer wieder lautesten Beifall zuklatschen.

O wie glücklich ist's auf Erden! Völker, singt Juchhei, Juchhei! Wenn's die weißen nun noch werden, dann sind alle Sklaven frei!

( Stenokritiken)

Adolf Glaẞbrenner ( 1810-1876)

Im französischen Staatstheater spielt man ,, Die Geisel" ( ,, L'otage") von Claudel.

Claudel : Botschafter und Poet, Katholisierend; sehr inner­lich; Gewissensdenker.

.

Vorgang:

-

II

Der Papst ist die Geisel in der Zeit Napoleons . Flücht­ling in einem französischen Schloß.

Das Schloßfräulein: Letzte ihres Stammes. Ihr Vetter: Legter seines Stammes. Verlöbnis. Beide konservativ- aristokratisch.

III

Aber nun kommt ihr Gegenspieler: ein zur Macht ge­langter Knecht. Er wili das Fräulein zur Frau. Sie opfert um den Papst, die Geisel, zu retten.

sich

-

Zuletzt jedoch schießt der Vetter auf den gestiegenen Knecht. Der Knecht schießt schneller. Vetter tot. Base tot. Der Streberisch aber wechselt konjunkturflink von Bona­parte zum gekrönten Bourbon. Er wird Graf dafür.

IV

Kern: hier absteigende Geschlechter; dort aufsteigende Geschlechter. Und weil Claudel ein Dichter ist, sprechen beide Gegner überzeugend.

Aber zu lang... Paul Claudel soll zwar im Krieg den merkwürdigen Ausspruch getan haben: Goethe ist eiu Esel"- er scheint aber doch germanisch beeinflußt.( In der Länge).

Darstellung:

V

Stil des älteren Théatre Française; mit einem gewissen Singsang. So besonders Hervé, welcher den Vetter macht. Aber das Fräulein Ventura, die Base, singsangt' seltner; fein­fühlig ist sie. Und jener Emporkömmling wird saftig er­frischend bei Herrn Ledoux.

.... Hinter den Wänden, den Leinwänden: Summchöre, Stimmen, Responsorien wie einst im Mai. zu Berlin , als Deutschland ein Theater hatte.

( Hier ist solcherlei was Neues).

Die Methode

Kauf Nazi- Bücher oder

stirb!

K..r

Die Läger der verängstigten Verlagsfirmen sind mit die­sen Schmarren überfüllt. Kein Mensch will sie kaufen. Das Reichsbuchamt der Reichsschrifttumkammer weiß wie wir auch

der Fachschrift ,, Leihbücherei" entnehmen konnten

in diesem Falle Rat. Im Laufe der kommenden Wochen wer­den alle Leihbüchereibestände einer eingehenden Prüfung unterworfen mit dem Ziele, alles nicht zulässige Schrift­tum aus diesen Büchereien zu entfernen. Gleichzeitig wurde eine Liste derjenigen Bücher aufgestellt, die von den Bücher­verleihern in kürzester Frist beschafft werden müssen. Ne­ben einem kleineren Prozentsatz bekannter älterer Schriftsteller ist auf dieser Liste vor allem das oben gekenn­zeichnete ,, zeit( partei) genössische" Schrifttum vertreten.

Das Fehlen oder Vorhandensein dieser Bücher ist bei der Feststellung maßgebend, ob ein Leihbüchereibesitzer die er­forderliche Eignung besitzt, um seinen Beruf auszuüben. Warum die Reichsschrifttumkammer diesen Umweg macht, um die Leihbüchereien zu ruinieren, ist nicht recht klar. Man könnte sie doch einfach verbieten oder verbrennen. Oder hat der Mut schon nachgelassen?

Die braune Wehrschule

Die Leistungen immer schwächer

Das sächsische Volksbildungsministerium hat zum ersten­mal in diesem Jahre sämtliche Oberprimaner der sächsischen höheren Schulen vor dem Abiturienexamen einer Vor­prüfung nach einer von Erich Wohlfahrt ausgearbeiteten psychologischen Methode unterzogen, um festzustellen, wem von ihnen nach dem Abitur die gesetzlich für die Immatri­kulation an einer Hochschule verlangte Hochschulreife- erkannt werden könnte.

Die jetzt veröffentlichten Prüfungsergebnisse rechtfertigen das oben erwähnte Gesetz in vollem Maße. Denn es stellte sich, wie der sächsische Volksbildungsminister Hartnacke erklärt, heraus ,,, daß es eine Fülle von Geistern selbst in den obersten Klassen der höheren Bildungsanstalten gibt, deren Einfältigkeit und Beschränktheit diesem Orte schwerste Besorgnis er­regt". Der Unterschied der Bestleistung und der ge­ringsten Leistung erwies sich als gerade zu unfaßbar groß" und zwar überwogen die Minderleistungen,

an