Fretheil

Nr. 256 2. Jahrgang

Einzige unabhängige Tageszeitung Deutschlands

Saarbrücken, Freitag, 16. November 1934 Chefredakteur: M. Braun

Mussolini und die Pläne

dec Wilhelmstraße

Seite 2

Kael May gegen G. G. Knox

Katholische Bischöfe vogelfcei?

Seite 3

Seite 7

Ein Kriegslesebuch

Jugenderziehung von der Humanität zur Bestialität

Unter den dunklen Kapiteln des dritten Reiches" gibt es eins, dessen Schatten weit über die heutige Generation hin­ausreichen. Es handelt von der Vergiftung und von der Ver­rohung der deutschen Jugend, die aus der Wärme neuzeit­licher, in allen Kulturstaaten gültigen Pädagogik vertrieben und dem uniformierten Kriegsschulmeister cusgeliefert wor­den ist. Der Schulunterricht, diszipliniert von Wehrwillen und nationaler Ueberhebung, macht uns vor der Jugend grausen, die aus diesen Unterrichtsstätten ins Leben ent­lassen wird.

Dieser Tage fam uns ein amtliches Beweisstüd dieses Un­geistes in die Hände, das zu verleugnen unmöglich ist. Es ist das Ergänzungslejeheft 1934 für die Ober­stufe des Lesebuches des 7. und 8. Schuljahres ( Verlag Velhagen u. Klasing, Bielefeld und Leipzig ). Auf diesen 92 Seiten gibt es nichts anderes als Kriegsverherr­lichung und heldische Verklärung der sieghaften Führer des ,, dritten Reiches". Wir Aelteren sehen beschämt, daß unser Glaube, das deutsche Volk könnte die schmierige Servilität vor den Herrschenden nie mehr dulden, sehr bitter durch die deutsche Wirklich feit von 1934 enttäuscht werden konnte. Sit­Ier, Göring , Goebbels , Horst Wessel werden in diesem Lesebuch deutscher Kinder von 12 bis 14 Jahren als Halb­götter geschildert, mit Erzählungen und Legenden, die diese aufnahmebereiten jungen Seelen als feststehende Wahrheiten annehmen müssen.

..Zehn Franzosen sind es.

Da ist Adolf Hitler als Kriegsgott. Mit seinem blitzenden Auge hat er eines Tages zehn Feinde so gebannt, daß sie ihre Waffen niederlegten und sich gefangen gaben:

Dann steht Adolf Hitler vorn im Schüßengraben und überbringt seine Meldung. Wie sind Sie denn durch die Hölle von Granaten gekommen?" fragt der Leutnant. ,, Man muß Glück haben," jagt der Meldegänger. Der Morgen grant. Es geht über eine Brücke, Was ist denn los? Da leuchten im Gras rote Hosen. Hitler zählt: 3 ehn Fran zosen sind es, schwer bewaffnete, eine feindliche Pa trouille. Er springt vor, den Karabiner schukbereit. Sände hoch!" ruft er auf französisch. Ergebt euch, hinter mir steht eine ganze Komvanie!" Sie heben verblüfft die Hände hoch. Hitler nimmt ihnen die Waffen ab. Die zehn Gefangenen treibt er über eine Stunde vor sich her. Von der Kompanie ist nichts zu sehen. Die Franzosen fnirschen vor Wut, aber das hilft ihnen nichts Sie haben ja feine Waffen mehr. Dann liefert Adolf Hitler sie beim Regiment ab. Er erhält dafür das Eiserne Kreuz 1. Klasse." Man sieht, er hat sie alle zehn umzingelt. Jetzt wissen wir, wie sich der Führer" das bisher immer noch sagenhafte Eiserne Kreuz 1. Klasse verdiente.

Goebbels s'egt mit Bierse'de'n

Von Goebbels hat man freilich keine Kriegserlebnisse zu berichten. Er saß zu Kriegsende im Hörsaal der Heidelberger Universität zu Füßen des nichtarischen Literarhistorikers Gundelfinger. Erst als die Belgier seine niederrheinische Heimat besetzten, entdeckte er in sich den Löwen. Damals wurde er in einem belgischen Gefängnis wegen seiner treu­deutschen Gesinnung geprügelt. Diese Geschichte hat er wenig­stens vor Gericht erzählt. Als ihn jedoch der Führer der ein­itigen Staatspertei, der Jungdeutsche Ma hranu, zum Eide vor den Richter zitierte, flüchtete Joseph Goebbels in die Reihen seiner A. Selbst hier hat man über sein belgisches Abenteuer herzlich gelacht. Noch heute wird der Herr Pro pagandaminister als ein inzwischen in Legenden tausendfach Erprobter an sein heldisches Erlebnis nicht gern erinnert.

Er konnte es damals, in den Jahren 1929 bis 1932, mit der Wahrheit freilich nicht so genau nehmen. Er hatte mit der Eroberung von Berlin ", wie wir aus dem Lesebuch mit vielen Details erfahren, alle Händen und Zungen voll zu tun. Das erzählt uns ein Aufsatz von Arthur Bach. Eine Versammlung in Berlin- Wedding sollte stattfinden. Die Kommune" hatte gedroht: 3u Brei wird der geschlagen, der sich einfallen läßt, auch nur einen Fuß in die Pharus- Säle zu setzen." Ge: 5bels siegte durch eine Saalschlacht, deren Gipfelpunkt in diesem amtlichen Lesebuch folgendermaßen ge= schildert wird:

Aber was ist das? Plötzlich formiert sich die SA. und SS. In fleinen Sturmtrupps stehen sie zusammen, und dann dringen sie vor, genau fo, wie sie es draußen im Schlachtgewühl gelernt haben, wie fie es später besonders

ausprobiert. Wie auf dem Ererzierplay ist es, Irgend etwas haben sie ergriffen, einen Stuhl, ein Tischbein, und nun fällt Schlag auf Schlag auf die sich stauende, nicht vorwärts und rückwärts fönnende kommunistische Menge. Aber sie sind das Kämpfen gewohnt, sind vor allen Dingen im Raufen geschult. Sie setzen sich zur Wehr. Blut rinnt den SA. - und SS. - Män: nern über das Gesicht, Auf der Bühne steht ein junger SA- Mann und wirft Bierglas auf Bierglas in die Reihen der Feinde, bis er von einem weit: herkommenden Bierglas an den Kopf getroffen wird Eine flaffende Wunde tut sich auf. Das Blut strömt herunter. Doch der junge Mann nimmt die letzte Kraft zusammen und schleudert noch einmal eins seiner Geschosse in die Reihen seiner Feinde. Dann bricht er nieder. Zehn Minu: ten etwa währt die Schlacht. Dann ist sie entschieden. Die SA. und SS. haben gefiegt. Die Kommune ist auf der ganzen Linie zurückgeschlagen. Der Saal ist von ihr befreit."

So kämpfte Goebbels . Wenigstens ließ er die andern so für sich kämpfen. Mit Hilfe der Biergläser hatten die Scharen des dritten Reiches" die Bahn gebrochen zum letzten ent­scheidenden Vormarsch". Es ist zum Lobe des Herrn Goebbels ders es gesagt werden, die einzige Stelle in dem ganzen Buche, wo ein Sieg nicht durch Handgranaten, Trommelfeuer, Minen und Flugzeugbomben, sondern durch etwas Gläsernes er­fochten wurde.

Ein., niedlicher Zwischenfall"

Aber es gibt in diesem Schülerlesebuch ein Kapitel, das selbst in der an Roheit und Sadismus nicht armen braunen Literatur ohne Beispiel ist. Es ist ein Aufsatz über das Thema: Wie das Horst Weisel Bied entstand". Das Kapitel wurde dem Buche eines sicheren Emil ellen­berg entnommen und setzet ihr nicht das Leben ein"( aus der Sammlung Deutschlands Erwachen", Verlag Velhagen & Klajing). Es beginnt mit der Schilderung, wie Horst Wessel , der erprobteste Schläger im weiten Umkreise von Berlin Alexanderplaß , Zeuge eines niedlichen Zwischen­falls"( wörtlich!) wurde. Er ging eines Abends zu einem Sanitäterfurjus beim Sturmbannarzt". Der erteilte Unterricht in Erste Hilfe bei Unglücksfällen". Lesen wir im Wortlaut, was Horst Wessel hier anhörte:

,, Als Horst eintrat, wurde er Zeuge eines niedlichen 3wischenfalles. Der Kursleiter prüfte die Teilnehmer. Nun sagt mal, was würdet ihr tun, wenn bei einer Keilerei ein verwundeter Sozi zwischen uns liegen bliebe?" Der erste: d schlüge ihm dot." Der zweite:" I d piejackte ihm erst noch eine Weile." Der dritte: " Ick holte den Herrn Sturmbannarzt, dann stürber von alleene." In das fröhliche Lachen rief der Mediziner: Ihr seid mir ja schöne Sonitäter!" Sauitäter, Herr Doktor, dürfen wir nicht sagen. Das klingt den Pazi fiften zu sehr nach Militarismus und verstößt gegen den Vertrag von Versailles !" meinte bifig Horst Wessel . Ruf ans der Vammlung: Wat dürfen wir denn eegentlich noch?" Antwort irgendwoher: Luftschnappen! Aber auch det möglichst nur im Aler und unter Aufsicht von Isidor." Nun die schmetternde Stimme des Kursleiters: Ruhe!... Stillgestanden!"

Das war der Geist der deutschen Erneuerung. So lachten sie fröhlich in Gedanken daran, daß sich ein Halbtoter auch ganz totschlagen ließe. Ein Idherziger wollte erst noch etwas piesacken". Worauf SA. mit Heil Hitler" in den Straßen fampi marschierte. Da schossen Horst Wessels Blauaugen Blize. Der ganze prachtvolle Mensch loderte, stand in Flam­men." So hatte ih das Gespräch gefallen.

In solchen Flammen wollen die heutigen Pädagogen die ganzen Schulen sehen. So lodern HJ. und die militanten Mädchen von BdM. So steht es in ihren amtlichen Lese­büchern. Grillparzer , vor 50 Jahren gestorben, sieht sein Wort in den Schulen des dritten Reiches" endlich bestätigt: Von der Humanität zur Rationalität, zur Bestialität."

O du fröhliche, o du selige..."

Nun wird bald wieder gesungen: D, du fröhliche, o, du selige..." Die Verleger überschütten das deutsche Volf mit Prospekten. Eine neue Jugendliteratur, bisher un­

Gesunkene Kaufkraft

Rückläufiger Bierverbrauch

Wie sehr die Kauffraft der Bevölkerung, trotz aller Siegess meldungen über die Arbeitsschlacht" gesunken ist, geht aus den Mitteilungen über den rückgängigen Bierverbrauch her vor. Der Bierfonsum war in Deutschland stets ein Grada messer für den Wohlstand und die Kaufkraft der Bevölkerung. Zwar ist eine fleine Zunahme( 7,2 Prozent) des Gesamtbiers verbrauchs im Vergleich zum Vorjahre erfolgt, aber bemers kenswert ist, daß in den beiden letzten Quartalen, trotz bes stimmter günstiger Umstände, der Bierabsatz als Auswirkung der allgemeinen Preissteigerung und der damit erfolgten Berarmung der Bevölkerung rapide zurückgegangen ist. Das zeigen folgende Zahlen, die der Deutsche Brauer- Bund " vers üffentlicht:

im 1. Vierteljahr( Oktober- Dezember). im 2.

im 3. im 4.

"

"

( Januar März) ( April- Juni) ( Juli- September).

im Jahresdurchschnitt

1933/34 mehr(+) bzw. weniger()

ala 1932/33

1,2 Prozent

+ 13,1

.

+ 12,1

PP

+ 5,0 27. +7,2 Prozent

Auf Grund dieser Zahlen erklärt der Brauer- Bund fleins. Tant:

Die Gestaltung des Absages überrascht um so mehr, als sowohl wegen des gewaltigen Rückganges der Arbeitslosigkeit, den die plauvoll ineinandergreifenden Maßnahmen der Regierung herbeiführten, als wegen der ausgesprochen günstigen Wetterlage in den Sommermonaten auf ein starkes Ans steigen des Bierverbrauchs hätte gerechnet werden können Wenn zur Erklärung der verhältniss mäßig fch wa chen Belebu'ng des Bierabsages hier und da auf eine Abwendung der Verbraucher vom alkohalhals tigen Getränkt im allgemeinen hingewiesen wird, so wird diese Annahme durch die Entwicklung des Trinkbrannte weinabsages widerlegt. Ist doch der Absatz der Reichsmonos polverwaltung in Trinkbranntwein im Wirtschaftsjahr 1933/34 gegenüber dem Vorjahr um 15,3 und gegenüber dem Jahr 1931/32 fogar um über 47 Prozent gestiegen. Der Settverbrauch hat sich, so schließt der Brauer- Bund vors wurfsvoll seinen Bericht, fogar verdoppelt."

So sieht der Hitler, Sozialismus" aus: Das vers armte Bolf kann sich das Bier immer weniger leisten, wäh rend die Partei- Bonzen auf Kosten der Allgemeinheit prassen und Seft saufen.

bekannter Autoren ist ausgebrochen. Wir haben eins dieser Bücher vor uns liegen, eins von vielen und gleichen. Es heißt ern deutsche Jungen", eine Erzählung aus dem ersten Jahre des Weltfrieges von Reinhold Bach= mann, Verlag Anton und Co., Leipzig . Es ist ein ferniges Kriegsbuch aus Deutschlands erster und größter Zeit." Im Prospekt heißt es:

Die Geschütze donnern und dröhnen, Maschinengewehre fuattern ihr gleichmäßiges Tac- tack, Granaten trepieren und speien Tod und Verderben. Und durch das Kampf= getümmel dröhnt der Marschtritt der deutschen Soldaten, dröhnt das Hurra der Feldgrauen, die siegreich zum Sturm vorgehen. Dieses Buch ist das Hohelied der Freundschaft und Kameradschaft, die selbst über den Tod hinaus Bestand hat. Nicht nur unsere Jungen werden dieses Buch mit heller Begeisterung Iefen, sondern auch jene, die die Schrecken einst selbst an der Front miterlebten." Aber das ist nichts gegen die Bilder, die das Buch schmücken. Man sieht, wie junge Krieger mit aufgepflanztem Bajonett vorgehen. Endlich, endlich sind sie im Nahkampf. Hei, wie schmettert der Gewehrkolben auf den Schädel eines Franzosen, wie bohrt sich das Bajonett in einen zurück­sinkenden Leib. Wir zweifeln, im Einvernehmen mit dem Verleger, nicht daran, daß die ertüchtigten Jungen so etwas mit heller Begeisterung" lesen werden.

Eins werden sie freilich nicht begreifen: Warum redet ihr Führer noch von Frieden und Verständigung, wenn ihnen draußen die höchsten menschlichen Ehren durch den Tod auf den Schlachtfeldern verheißt? Zum Glück ist diese Jugend bes reits politisch" geschult. Sie weiß, daß der Kriegswillige, wenn er rüstet, den Frieden proklamieren muß, Kriegslist und Strategie.

Das ist die Jugend, die der Führer" liebt. Kommt es zum letzten Einsatz, in wird freilich nicht nur die Jugend, son­dern das ganze Deutschland geopfert, Deutschland , Europas Herzstitch, um dessen Bestand und um deffen Zukunft wir zittern.