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Deutsche Stimmen

Beilage zur Deutschfien Freifieit

Mitiwoch- Donne stag, den 21. und 22. November 1934

Ereignisse und Geschichten

Bußtag

von Carl Fatho*)

Tut Buße und glaubt an das Evangelium. Markus I, 15

Euße ist Abrechnung mit der Vergangenheit. Sie ist ein Argwohn und Zweifel an allen Werten und Wertschägungen. von denen ich seither gelebt habe ein Argwohn gegen mein Böses und ein Zweifel an meinem Guten.

Wei büßt. verueint sein altes Leben; nicht weil es ihm leid ist. es gelebt zu haben, sondern weil ihn nach stärkerem Leben dürstet. Nie kommt der Edle los von dem Willen zur Macht. Er will lieben, er will dienen und sich opfern, er will zeugen und schaffen Dazu gehört Macht. Aus Leid aber fließt Ohnmacht. Drum laß dich's nicht reuen, geirrt und gefehlt zu haben. Ahne Irren und Fehlen hättest du nicht gelebt. Laß dich's aber reuen. wenn du je den Mut zum Leben verloren hattest. Das ist die Sünde aller Sünden: Feigheit und Furcht Das ist Gottes Tod und der Seele Tod: Feigheit und Furcht. Das ist dein Teil an der ewigen Schuld: Feigheit und Furcht. Den Feigen kann niemand erlösen: er kann es selbst nicht, und ein anderer kann es auch nicht. Den Furchtsamen spricht niemand frei, weder sein Gewissen noch die Allmacht des Lebens. der allwaltende Gott. Vor seinem Gewissen zittert er: vor dem mächtigen Gott flieht

er,

Wer wollte dem Fliehenden nachrufen: du bist ein Held? Wer wollte den Ziternden glauben machen: du bist frei?

Buße ist Lebenshunger: Buße ist Lust. nen geboren zu werden und Neues zu gebären. Denn des Lebens Wahrheit besteht darin, daß es immer..sich selbst überwinden muß". Wie darfst du also Buße verlangen, wenn du lehrst, daß der Mensch nichts vermag aus eigener Kraft? Dann ist die Buße die größte Lebenslüge. Der Büßer ist dann mit lanter fremden Federn geschmückt. Er schwingt ein Schwert, das er nicht schmiedete, das ein anderer ihm aus Barmherzigkeit lieh. Er führt Streiche, zu denen er seinen eigenen Arm nicht *) Aus ,, Der ewig kommende Gott", Diederichs, Jena , 1913

De ungeduldige Emigrant

zinpristopnall

regieren kann. Gibt es einen des Spottes würdigeren Gegen­stand? Wahrhaftig, der einst rief: ,, tut Buße", er war ein Starker und suchte Starke. Er liebte die Helden, die lebens­frohen. mit dem Willen zur Macht, mit dem Durst nach Selbstüberwindung. Sie gehorchen, weil sie befehlen können. Sie befehlen, weil sie es, wagen, sich selbst zu überholen. Um andere in ihrer Liebe zu bergen. müssen sie ihre Liebe zwingen, die Arme auszustreckne. Um anzubeten, müssen sie erlösende Richter ihres Eigenen geworden sein. Denn Liebe ist Verzicht, und Anbetung ist Hineinfließen der Seele ins wete Menschenland mit seiner Schönheit und sei­nen Schrecken.

Wer Buße tut, glaubt an das Evangelium. Wer seine Kraft am Schwersten, an der Ueberholung und Ueberwin­dung seiner selbst erprobt, der zweifelt nicht mehr, daß sie auch für das Leichtere ausreichen wird, für die Beseligung der Welt und ihre Befreiung. Welt und Ich in ihrem harten Anstoß aneinander haben ihn in die Schule genommen. Sie wirbeln ihn herum und schütteln ihn zurecht. Und wenn sie ihn dann einmal aufatmen und rasten lassen, dann sind ihm die Augen aufgegangen über des Lebens Tiefen und Ge­walten. Der Büßer zieht Feierkleider an. Er verläßt seine einsame Klause und steigt von der unzugänglichen Felswand hinunter ins Tal. Und wo er anklopft, und man tut ihm auf, da schenkt er Tiefen und teilt Gewalten aus. Wahrheit und Liebe strömt ihm von den Lippen und Händen. Denn aus harter Wahrheit und beweglicher Liebe schuf er sich seine Tiefe und seine Gewalt.

O daß wir doch Buße täten als die Starken und Freien! Daß wir uns doch besinnen wollten auf unsere heiligste Kraft: auf den Willen zur Macht der Wahrheit und der Liebe! Vernichter der Lüge wären wir dann und Henker des Hasses. Je mehr wir zerstörten, desto Größeres bauten wir auf. Wir würden nimmer müde werden, denn wir hätten uns das Anrecht auf jenen Lebensglauben erworben, der unter der Schneedecke des winterlichen Landes bereits den kommenden Frühling erwachen sieht.

Herzchen unterm Hakenkreuz

Dec unbekannte SA- Mann Gotthard Kitsch

In einem kürzlich erschienenen ,, Roman " ,, Gotthart Kraft, die Geschichte eines unbekannten SA.- Mannes", von Julius Heinrich Witthuhn, schreibt der unbekannte SA.- Mann Gott­Lart Kraft darin folgenden Liebesbrief: ,, Meine Lotte!

-

Meine Seele ruft Dich so oft, hörst Du es? Dann, liebe Lotte, nehme ich Dein liebes Bild hervor, sehe Dich an, lese die lieben Worte, die Du mir daruntergeschrieben hast: ,, Ich bin Dein, Du bst mein!" Lotte, und dann weich ich.. Nein, es ist ja kein Traum, es ist ja wahr, Du bist mein, und ich bin Dein, Lotte.

Heute kann ich nun auch mein Bild beilegen, da hast Du Deinen braunen Jungen, von dem Du noch nicht viel mehr weißt, als daß er Dich lieb hat, mehr als sein Leben! Und noch etwas anderes füge ich bei. Ein silbernes Hakenkreuz, ich hab' es gestern für Dich gekauft! Leg' das feine Kett­chen um Deinen Hals, und trag das Kreuz mir zuliebe auf Deinem reinen Herzen. Willst Du, meine Lotte? Du sollst es heilig halten und daran glauben, wie ich es tue, der ich täglich unter seinem heiligen Zeichen kämpfe. Willst Du das, meine süße Lotte? Ich drücke einen Kuß auf das kleine Kreuz. Leg es auf Dein Herz, das mir gehört. Lotte, liebes, süßes Lottekind, in Gedanken halt' ich Dich im Arme und küsse Dich, küsse Dich Lotte, meine Lotte!

Und dann geht es weiter:

Dein Gotthart."

Sie

,, Meine Liebste auf der Welt! Gestern hatten wir Saalschutz in der roten Vorstadt. Die Kommune versuchte, die Versammlung zu sprengen. wird's so leicht nicht wieder wagen, denn in kaum fünf Minuten hatten wir sie hinausgeschlagen. Sie haben fürchter­liche Senge bezogen, und von uns sind nur zwei M: nn ge­ringfügig verlegt." usw. usw.

Aber auch das süße Lottekind ist nicht bange. Sie schreibt an ihren heldischen unbekannten SA.- Mann:

..Du mein Liebster!

Ich habe lange darüber nachgedacht und habe mir gelobt. Gotthart, an dem Platz in unserem Garten, an dem wir uns für immer gefunden haben: Ich will nie in Deinem Lebenskampf an mich denken, auch wenn es mir manchmal schwer fallen mag, weil ich Dich lieb habe, weil ich

Die Friedensschalmei

Wir lesen:

-ww

.. begaben sich dann zum Feldgolt lit Inmitten des Plages war der Feldaltar errichtet, zu dessen Seiten Ge­wehrpiramiden und Tiommeln sowie Geschütze standen. Unter Trommelwirbel marschierten die Kämpfer auf, dann hielt Feldbischof Dr. Dohrmann die Predigt. Er sprach von der Opferbereitschaft und Begeisterung der Jugend, die mit dem Deutschlandlied auf den Lippen gegen einen über­mächtigen Feind anstürmte und ihr Leben dahingab. Er mahnte die Ueberlebenden, es jenen jungen Frontsoldaten an Opfermut und Vaterlandsliebe gleichzutun."

Woher stammt dieses Zitat? Aus einem Kriegsbericht? Aus einem Schlachtenbuch? Aus einer Zeitung von 1914? Nein, es stammt aus dem Bericht über die Langemarck­feier im Berliner Lustgarten anno 1934

darauf vertraue, daß Dein Weg stets der rechte sein wird, auch der, auf dem Du heute unter Adolf Hitlers Fahnen für unser armes Vaterland kämpŕst. Meine Liebe aber soll zu jeder Stunde um Dich sein und Iir helfen, und mein Gebet zu Gott soll Dir Schutz sein. Du bist mein, und ich bin Dein. Mein Glück bist Du! Und ich will das Deine sein, mein Liebster Du! Lotte."

Dieser Roman", der gegenwärtig in der Zeitung des ehe. maligen Fabrikarbeiterverbandes Der Arbeiter" läuft, hat Dutzende, wenn nicht Hunderte von Ebenbildern. Die etwas ernster veranlagten Leute im dritten Reich" sind ver­zweifelt. So läßt sich z. B. Dr. Günther Haupt in einer im Rainer Wunderlich- Verlag in Tübingen erscheinenden Schrift Was erwarten wir von der kommenden Dichtung folgendermaßen aus:

,.Es hängt mit den Erörterungen des vorigen Kapitels zusammen, wenn heute eine ekelhafte Konjunk turhascherei festgestellt werden muß, die sich in der Dichtung des Revolutionsjahres breitgemacht hat. Ich will nicht noch einmal vou al diesen SA.- Romanen und sonstigen politischen Dichtungen sprechen, die plötzlich mit aufdringlicher Selbstanpreisung unter Mißbrauch der nationalen Symbole aus der Erde geschossen sind. Hier ist der plumpe Schwindel, und die niedrigste Anbiederei so offenbar, daß sich darüber jedes Wort erübrigt. Es stellt dem deutschen Verlegertum und dem deutschen Buch­handel, soweit er sich dazu hergegeben hat, Mittler dieses Konjunkturschrifttums zu sein, kein schmeichelhaftes Zeugnis aus, daß dergleichen überhaupt möglich wurde. Um gerecht zu sein, muß allerdings zugegeben werden, daß, abgesehen von der breiten Oeffentlichkeit, auch mancher gute Nationalsozialist nicht verstanden hat, hier Kitsch und Kunst zu unterscheiden. Manche Empfehlungen. die einigen der schlimmsten Konjunkturbücher mit auf den Weg gegeben wurden, dürften schon heute und erst recht in Zukunft ihren Ausstellern mehr als peinlich ge­worden sein, vorausgesetzt, sie wissen überhaupt, wie man ihren Namen u plumper Geschäftemacherei mißbraucht!"

Da hat also einer den Mut, haargenau die Wahrheit zu

sagen.

Reines deutsch

Der Philips Pressedienst" bringt in seinem., Radio­Allerlei folgende Nachricht: In Deutschland sind die bis­herigen Bezeichnungen wie Sopran, Tenor usw. in reines Deutsch übersetzt worden. Der Sopran heißt jetzt Vogel­stimme, der Alt Fuchsstimme, der Tenor Wolfsstimme der Baẞ Bärenstimme."

Und wie heißt die Stimme seines Herrn?

Wehrwillen in der Windel

,, Unsere Reichswehr " heißt ein Bilderbuch u bar! von H. Friedrich. In schlichten Bildern führt e- unseren Kleinkindern die Reichswehr vor und macht sie... bekannt mit dem Waffenträger des deutschen Volkes." ( Aus einer Buchbesprechung".)

Ich brenne vor Haß und Liebe. Ich brenne vor Ungeduld. Trüge unsühnbare Schuld. Wenn kalt und träge ich bliebe. Ich brenne wie Deutschlands Seele Vor Zorn und glühender Scham: Es pressen sich Ekel und Gram Würgend um meine Kehle.

Könnten doch beißende Qualen Zeugen die rächende Tat! Untätigkeit ist schon Verrat, Solange die Teufel noch prahlen.

ZUA

Ich schleppe mein schwelendes Leben

In stummer Raserei

Und warte auf den Schrei:

Es wird kein Pardon gegeben!

Film in Paris

( Stenokritiken)

1.

Horatio.

Was ist kennzeichnend?.... Was die Franzosen i Film erzeugen?

Gewiß. Aber auch, die Franzosen einen fremden Film aufnehmen. Insonders einen deutschen oder österreichischen Beispielshalber gibt es jetzt eine französische Fassung von..Leise flehen meine Lieder" nachdem dieser Film ( unter dem Namen Die unvollendete Symphonie") seit Jahresfrist in Paris läuft. Viele Franzosen wollten ihn französisch sehen.

II.

ver­

Schubert wird hier ,, Schubähr" ausgesprochen. Das Ver­traute des österreichischen Sprachklangs geht zwar loren und doch weinen, schluchzen, schnuffeln die Hörer..

Die Klügeren merken wohl den Kitsch. Es ist jedoch ein unwiderstehlicher Kitsch.... Noch in dieser sprachlich ent­fernteren Fassung.

III.

Die Hörer fühlen das Gekünstelte, das Zurechtgemachte, wenn wasserholende Mädel die paar Takte von., Am Brunnen vor dem Tore" nicht etwa vor sich hinsummen, sondern in einer Konzertaufführung als gemischten Chor tätigen.... Oder wenn am Schlusse das Ave Maria" mit allem fetten Opernpomp geleistet wird. Aber die Fran.. zosen weinen trotzdem.( Deutsche mitunter desgleichen indem es ein hochbegabter Kitsch ist.)

IV.

Mitten in der französischen Fassung steht ein deutsches Wort.

Nämlich: die Darstellerin Maria Eggerth liebt hier den Schubähr aber sie ist die Braut eines anderen, weißt du? .... da schreit sie wehzernagt, in die Symphonie mitten hinein auf deutsch: Aufhören!!!"

Und das vergißt keiner. Die Franzosen verstehen de Wort nicht: aber sie verstehen den Schmerz, der dahinte steckt.

Darum treten ihre Taschentücher in Kraft.

( Indem dieser Kitsch, nochmals, ein unwiderstehliche Kitsch, ja gewissermaßen ein wunderbarer Kitsch ist.) K... r.

Zeit- Notizen

46 300 Franken für Napoleon- Brief

Ein Brief Napoleons I. an Josephine Beauharnais wars in Paris für 46 300 Fr. versteigert( fast 8000 Mk.). Dar Sieger blieb ein Pariser Buchhändler, der schließlich gegen­über einem Londoner Antiquar den längeren Atem behielt.

*

Dreiundfünfzig Briefe des russischen Romanschriftstellers Iwan Turgenjew wurden jetzt dem russischen Literatur. institut zum Geschenk gemacht. Die Briefe, die bisher un­veröffentlicht waren, sind von hohem literarischen Interesse.

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In einer Neuyorker literarischen Zeitschrift, dem Organ der Modern Language Association of Amerika, herausge­geben von Josef A. v. Bradish. erscheint jetzt zum ersten Male ein unbekannt gebliebener Briefwechsel zwischen Hugo von Hofmannsthal und Anton Wildgans. Dieser Briefwechsel beginnt im Dezember 1914 und behandelt neben Fragen der Zeit auch die dichterische Arbeit der beiden österreichischen Dichter.

Plischke weist ins Jahr

In dem Kalender aus dem dritten Reich" früher..Jahres­kalender" geheißen, der jetzt auf den schönen Namen ,, Plischkes Jahresweiser" hört, steht eine neue Jahresw unter der Ueberschrift ,, Intellekt":

..Hinweg mit diesem Wort, dem böser mit seinem jüdisch grellen Schein! Nie kann ein Mann von deutschem Wesen ein Intellektueller sein!" ' lischke bestimmt nicht

Bis zu 1789 zurück

Angesichts der Tatsache, daß für die SA de seis arischer Abstammung bis zum Jahre 1789 gefordert wird und die Küstereien vielfach der großen Arbeit der Ur­kundenbeschaffung nicht mehr gewachsen sind. will jetzt ter Stadtsuperintendent in Halle für die älteren Kirchengemein­den ein besonderes kreiskirchliches. Amt für Erforschung der arischen Abstammung schaffen.