Den

Frethel

Nr. 261 2. Jahrgang

-

Einzige unabhängige Tageszeitung Deutschlands

Saarbrücken, Freitag, 23. November 1934 Chefredakteur: M. Braun

Die Regierungskommission des Saargebietes hat angeordnet, daß ihre Verordnung gegen die po­litische Betätigung der Beamten dreispaltig in vorgeschriebenen Schriftgraden an der Spitze der Zeitungen erscheint.

Infolgedessen mußte ein be­sonders wichtiger Be­richt über die innerpo­litische Situation im Reiche an die zweite Stelle ge­rückt werden.

Verordnung betreffend die politische Betätigung der Beamten

Auf Ersuchen der Abstimmungskommission sowie auf

Grund der Artikel 47, 49 und 50 des Abschnitts IV ( Teil 3) des Friedensvertrages von Versailles vom 28. Juni 1919, ferner des Kapitels III der Anlage zu Ab schnitt IV( Teil 3) des Friedensvertrages und in Aus führung des Beschlusses des Völkerbundsrates vom 28. September 1934 wird folgendes verordnet:

In Erwägung,

daß dem Beamten bei seiner Betätigung im öffentlichen politischen Leben bereits durch sein Amt Rücksichten auf­

erlegt sind, die für andere, nicht unter dem 3wange der im öffentlichen Interesse unerläßlichen Disziplin stehenden Staatsbürger nicht in Betracht kommen;

daß der Beamte allgemein, insonderheit aber während der gegenwärtigen Abstimmungsperiode auch bei dem politisch anders Gesinnten Vertrauen auf seine Un­parteilichkeit erwecken muß, er sich dieses Vertrauen aber nicht bewahren kann, wenn er in den politischen Kampf

eingreift, oder seine politische Werbetätigkeit gar zum Gegenstand von Erörterungen und Angriffen wird, ins­besondere auch in der Presse;

daß es Pflicht der Abstimmungskommission ist, nach Möglichkeit dafür Sorge zu tragen, daß keiner Partei im Saargebiet die Möglichkeit gegeben wird, unter Be­nutzung der öffentlichen Staatsgewalt, politische Ziele zu

des Saargebiets

verfolgen und die öffentliche Meinung für sich zu

gewinnen;

daß dieser Mißbrauch aber nur durch eine Einschränkung des Rechtes der außerdienstlichen politischen Betätigung des Beamten wirksam verhindert werden kann,

hat die Abstimmungskommission beschlossen, die Regie­rungskommission des Saargebietes zu ersuchen, die nach stehende Verordnung baldmöglichst verkündigen zu woller 190 Artikel 1

lichen, aus Anlaß der Volksabstimmung stattfindenden Veranstaltungen verboten, sofern die Teilnahme in der Eigenschaft als Vertreter einer Behörde erfolgt.

Artikel 3

Wer den Bestimmungen der Artikel 1 oder 2 zuwider handelt, wird mit Gefängnis nicht unter drei Monaten und mit Geldstrafe nicht unter 1000,- Franken bestraft. Sind mildernde Umstände vorhanden, so tritt Gefängnis strafe nicht unter einer Woche und Geldstrafe nicht unter buches finden keine Anwendung.

Den unmittelbaren und mittelbaren Staatsbeamten ist 500,- Franken ein. Die§§ 42a und 42b des Strafgesetz­es untersagt:

1. in oder für Vereinigungen, die eine Einwirkung auf die Bolksabstimmung bezwecken, irgendwelche Parteifunk tionen oder irgendwelche Werbe- oder Agitationstätig keit auszuüben,

2. politische Versammlungen zu veranstalten, zu leiten oder in ihnen als Redner aufzutreten,

Der Oberste Abstimmungsgerichtshof ist für die Unter­suchung und Entscheidung zuständig.

Artikel 4

Diese Verordnung tritt in Kraft drei Tage nach ihrer Veröffentlichung im Amtsblatt. Alle ihr entgegenstehen­

3. in periodischen oder nicht periodischen Druckschriften den Bestimmungen werden aufgehoben.-

Angelegenheiten der Volksabstimmung zum Gegen­stand der Erörterung zu machen.

Artikel 2

Vertretern von Behörden, sofern diese Vertreter die Beamteneigenschaft besitzen, ist die Teilnahme an öffent­

Saarbrücken, den 20. November 1934.

Im Namen der Regierungskommission: Der Präsident: gez. G. G. Knog

Der Dreibund Hitler- Schacht- Blomberg

Aussichtslose Revolte der alten Kämpfer" Darré, Ley. Feder und Graf von der Goltz

Der Führer" trennt sich von Hitter

Berlin, 22. November.

Man macht sich außerhalb der Reichsgrenzen, wahrscheinlich auch im Saargebiet, sicher feine genügende Vorstellung da von, in welchem Maße der 13. Janugr als Tag der Volfs= abstimmung an der Saar im dritten Reiche" alles beschäf= tigt, sowohl die Regierenden wie die Regierten. Nicht nur in der noch immer wachsenden Propaganda, die sich einem auf Schritt und Tritt entgegendrängt, in den ewigen Ge­sprächen aller Peute über die Aussichten der Saarabstim= mung und im Anschlusse daran über die Frage, rieg oder Frieden?", sondern auch in der Sorge des Führers", außen- und innenpolitische Entscheidungen zu ver: meiden, die an der Saar über die inneren Zustände Deutsch­ lands und die Absichten der Reichsregierung aufklärend wirfen könnten. Zum Beweis für unsere Behauptung wer­den wir der Saarbevölkerung noch rechtzeitig vor der Ab­stimmung dokumentarisches Material vorlegen.

Die wichtigste Tatsache ist, daß die Gruppe ch a cht= Blomberg- Göring den Führer" immer weiter von den Ideologien feiner Partei zir den Realitäten fapita­listischer Wirtschaftsführung und fonservativer Staats­führung abdrängt.

Man läßt ihn zwar noch die donnernden Reden halten, die von Treueerklärungen zu den alten Kämpfern" nur so triefen, aber in der Praxis verbreitert sich der Abgrund zwischen Hitler und den Kumpanen seiner ersten Jahre immer mehr, und es ist zweifelhaft, ob er ihn, wenn er eines Tages möchte, noch zurück überspringen fann. Es sieht wie eine Kleinigkeit aus und ist für die Situation doch wichtig genug: das Reichspropagandaministerium hat unter die Gegenstände, die auf. Grund des Gesetzes zum Schuße der nationalen Symbole unzulässig sind, An­sichtspost farten aufgenommen, darstellend den Führer und Gauleiter Julius Streicher ( Nürnberg )". Vor zwei Monaten erit hat Hitler den Streicher anläßlich des Parteitages in Nürnberg hochgefeiert. Und nun empfindet zwar nicht er aber die ihn beherrschende Kamarilla ben weltbekannten den weltbekannten Antisemitenhäuptling als fompromittierend. Gegen Streicher vor allem war auch der jüngste Erlaß des Führerstell­vertreters Heß gerichtet, der einen Bannstrahl gegen den Byzantinismus schleuderte. Wie sich Streicher im Augen­blid schwach fühlt, geht daraus hervor, daß er sich dem Be­fehl gefügt hat. Aus seiner Fränkischen Tageszeitung" sind

die täglichen Fotografien und Beweihräucherungen Streichers verschwunden. Einweilen wenigstens. Wichtiger und aufschlußreicher noch ist das nun endgültige Verfinfen des Programmatifers und Theoretifers der Par tei Gottfried Feder . Er war in allen wirtschaftlichen, finans ziellen und sozialen Fragen vom Jahre 1919 on geistiger Nährvater Hitlers , der auf diesen entscheidenden Gebieten vollkommen unwissend seine politische Tätigkeit begann uud auch seither nicht viel dazu gelernt hat.

Sitler hat seinen Feder in zahlreichen literarischen und rednerischen Zeugnissen nicht minder hoch gepriesen, wie einst seinen Röhm, der ja den unbekannten und unbeholfenen Gefreiten der Reichswehr mit den reichen Mitteln und Be­ziehungen der Reichswehr erst gemacht" hat. Seitdem aber Hitler mit Hilfe des schieberischen Geschicks Görings schon vor der sogenannten Machtergreifung unter den Einfluß Schachts geriet, der ihm als unerlässig für die Regierungsfähigkeit aufgeschwätzt wurde, ging es mit der Treue zu dem alten Kämpfer", man darf wohl sagen ältesten Kämpfer Feder zu Ende. Zwar wurde er gerade noch Staatssekretär im Reichswirtschaftsministerium, aber es wurde ihm jede Mög­lichkeit der Betätigung abgeschnitten. Ein ihm außerdem zu­gewiesener Posten als Reichskommissar für Vorortsiedlung war schon beinahe offener Hohn. Nun geht Feder in Urlaub, und das ist wohl ein Verschwinden für immer.

Nur das von ihm ausgearbeitete Programm zeugt noch von verklungenen Tagen. Es ist, wie man weiß, ewig und uns abänderlich, was man jetzt wohl dahin denten muß, daß kein Wort davon jemals aus dem Reiche der Ideen in die Wirklichkeit übertragen werden wird,

Es scheint, daß Hjalmar Schacht triumphiert, und jede seiner Reden offenbart sein Siegergefühl. Er veripottet öffentlich die Brecher der Zinstnechtschaft und die Pläne­macher und proklamiert hochfapitalistische Wirtschaftsgrund­sätze, so daß er in den Kreisen der arrivierten alten Kämpfer" wie Ley, Darre usw. uur als Liberalist " oder auch als weißer Jude" bezeichnet wird. Das von diesen sozia­ listischen " Streifen der Partei gegen den Reichsbantra! Köppen, unternommene Kesseltreiben, weil dieser angebli.h einen Erwerbslosen wegen 4 Mark Mietschuld ermittieren wollte, war in Wirklichkeit eine Aftion gegen Schacht, der sich durch Abreise aus Berlin und durch Absagen einer Rede im Sportpalast dagegen wehrte. Außerdem streifte der Reichsbankdirektor Focke, der zu den Saarverhandlun jen des Dreierausschusses nach Rom fahren sollte.

Nachdem ihm das Beiseiteschieben Gottfrieds Feders volls Tommen gelungen ist, verfolgt Schacht als Exponent der mirtschaftlich führenden Schichten die Kaltstellung Er. Robert Lens, der sich mit zappelnder Verzweiflung das gegen wehrt, daß ihm ein Stück Macht nach dem andern- es fing bezeichnenderweise mit der Entmündigung auf dem Kaffengebiete der Arbeitscont" an fortgenommen wird.

Er ist in Wahrheit schon seit längerer Zeit nur roch Wanders prediger, und nun hat man ihn dahin gebracht, daß er nis nach der Saarabstimmung eine Predigtfahrt durch ganz Deutschland macht, die er sei st damit begründet, er wolle fest­stellen, ob der morgendliche Betriebsappell an Stelle der Kon trolluhr flappe. Damit beschäftigte sich mona'elang der Präs sident der Deutschen Arbeitnt! Es ist die vollendete Niederlage, die nur kümmerlich dadurch maskiert wird, daß man den übermächtigen Gegenspieler Schacht da und dort in ganz vereinzelten seltenen Ausnahmefällen durch die Maß­reglung eines Betriebsführers zu ärgern versucht.

Hinzukommt, daß am 31. Dezember die unter dem Em­flusse des r. Len stehende politische Tageszeitung Der Deutsche" eingehen wird. Es ist richtig, daß sie an Abon­nentenschwund leidet und Zuschüsse erfordert, aber das würde bei den Mitteln der Deutschen Arbeitsfront " natürlich kein Grund sein, das Blatt aufzugeben, wenn Ley noch die Macht hätte, ein eigenes politisches Sprachrohr durchzusetzen. Dr. Ley Position ist schon zu geschwächt, als daß er sich öffentlich gegen Schacht zur Wehr sehen konnte. Das hat der Reichsbauernführer Darre auf dem romantisch aufs gezogenen Reichsbauernthing in Goslar versucht. Schacht war nicht eingeladen und war auch einer der wenigen obersten Würdenträger, die fein Glückwunschtele­gramm geschickt haben. Darre redete nicht nur in dem ordi­närsten Antisemitismus daher, den Schacht wegen seiner Bemühungen um ausländische Finanz- und Wirtschafts­freise nicht brauchen kann, sondern machte auch einen flaren Vorstoß antarfischer Wirtschaftspolitik gegen die Be mühungen Schachts den deutschen Außenhandel wieder flott zu machen. Darre verlangte nicht mehr und nicht weniger als daß die gesamte übrige Wirtschaft sich den Grundsätzen der Reichsbauernführung unterordnen müsse.

Es wird von Teilnehmern der Tagung erzählt, daß am Schlusse der Rede Darres in dem endlosen Beifallssturm der Präsident der Deutschen Arbeitsfront Dr. Len, der übrigens ganz einflußlose und geistig beschränkte Reichss