Pan

Nr. 263 2. Jahrgang

Frethei

Einzige unabhängige Tageszeitung Deutschlands

Saarbrücken, Sonntag/ Montag, 25./26. Nov. 1934 Chefredakteur: M. Braun

Französisch- cussisches

Militärabkommen

Seite 2

Göcing peüft Richter( Bild)

Dokumente

4 Seite 4

zum Kirchenkampf

,, Sie sind von Hitler gekauft!"

In Deutschland verboten! Unschuldig ingerichtet

Der Justizmord in Frankfurt a. Main

Seite 7.

Seite 8

Ein früher in Frankfurt a. Main führender National­sozialist schreibt uns:

Vor einigen Tagen habe ich eine Notiz über den Franks furter Justizmord an Reitinger gelesen, der angeblich den

Verlegene Erklärungen zu der Doppelzüngigkeit des Führers" A.- Mann Hans Handwerk erschossen haben soll und von dem

Man darf im Saargebiet den ührer" der Nazis und ber gleichgeschalteten Deutschen nicht beschimpfen. Das ist anch wirklich nicht nötig. Es genügt, diesen Menschen in feinen eigenen Worten und Taten sprechen zu lassen.

Wie hat er länger als ein Jahrzehnt in Bierfellern und im Zirkuns Krone gegen die Franzosen und jede Ber: ständigung mit ihnen getobt. Mit allen seinen Gesinnungs: freunden hat er Beifall geschrien, als die Eisner, Erz­ berger , Rathenan wegen ihrer landesverräterischen" Ver: ständigungspolitik von Leuten seines Geistes niedergeknallt

wurden.

Sein Buch Mein Kampf " wurde ein einziger wilder Daßgesang gegen das bastardisierte, vernegerte, forrupte Frankreich , das zu vernichten er als sein politisches Hoch: ziel pries. Auf solcher friegerischer Hezarbeit stieg er empor. Diese politische Haßliteratur machte ihn vom Bettler zum Millionär.

Als Dr. Stresemann aus Locarno zurückkehrte, schrieb der Völkische Beobachter", herausgegeben von Adoli Hitler, man solle Stresemann , den Außenminister to t: ichlagen wie einen nnd".

Die Drohung zu verwirklichen, war nicht nötig. Strese mann, ebenso wie Ebert, wurden zu Tode gehetzt durch elende Berleumdungen. Daß fie von den Franzosen gekauft feien, gehörte zum täglichen Repertoire der nationalsozia= listischen Bersammlungsreden. Noch die Witwe Stresemanne mußte dagegen die Gerichte in Anspruch nehmen.

Der Führer einer so rohen Bewegung konnte in Deutsch­ land Reichskanzler werden. Die Reichswehr benutzte ihn, um endlich die riesenhasten Rüstungen durchführen zu kön: nen, die sie von den republikanischen Außenpolitikern ver: nünftiger Ueberlegung und weitschauender europäischer Sicht nicht erlangen fonnte.

Auch im schnellsten Tempo braucht die Ausrüstung ihre Zeit. Die Spanne bis zun Rüstungsziel füllt Sitler durch Friedensreden ans. Er beflagt sich, daß die Welt, die den Lärm der deutschen Rüstungsindustrie in den Ohren hat, seine Friedenspredigten, seine späten Liebesschwüre an das ritterliche und edle Frankreich nicht ganz ernst nimmt. Die Welt erinnert sich nebenher auch noch, daß Sitler seinen Borgänger von Schleicher und dessen Freund General von Bredow erschießen ließ, nur weil sie sich mit Franzosen unterhielten. Daß sie gemeinsam mit Frankreich Landes­verrat" getrieben hätten, behauptete der Reichskanzler Hitler im Deutschen Reichstag mit derselben Unbekümmert heit, mit der einst der Zirkusschreier Hitler Stresemanns Totschlag gefordert hat. Daß der Reichskanzler Hitler dann seine Behauptungen gegenüber der französischen Regierung in aller Form zurücknehmen mußte, hat das deutsche Volk nie erfahren.

Mit der Rüstungsindustrie wuchs Hitlers Friedens: offensive. Ein französischer Parlamentarier und ein Pariser

Stadtrat konnten der Lockung nicht widerstehen, einer Ein­ladung des Führers" in die Reichskanzlei zu folgen. Wie man diese französischen Hitlergänger in Frankreich ein: schätzt, ist an anderer Stelle dieses Blattes zu lesen. In Deutschland jedenfalls waren die Friedensbetenerungen Hitlers an Frankreich nirgends zu lesen. Der Führer" wurde unter Zensur gestellt, wenn wir nicht annehmen sollen, daß er selber nicht wagte, Aeußerungen zu ver öffentlichen, die in Deutschland niemand ernst genommen hätte.

Der Führer" und Reichskanzler läßt zu; daß seine Er: flärungen an die beiden französischen Halbfaschisten in Frankreich und der ganzen Welt veröffentlicht werden. Die deutsche Presse aber erhällt Schweigegebot, und als der Widerhall aus dem Auslande auch nach Deutschland dringt, was läßt dann der große Führer" erklären? Er habe sich mit den Franzosen nur zwanglos unterhalten. Eine Ver öffentlichung über den Inhalt dieser Unterredung war nicht in Aussicht genommen." So ein Gefasel! Als ob der Führer" eines großen Reichs feine Zeit mit zwei ihm un= bekannten Franzosen am Kaffeetisch verplauderte, nur da= mit sie daheim im engsten Familienkreise von der gemit: lichen Stunde mit dem deutschen Staatsoberhaupte er: zählen sollen.

Noch schöner ist die Entschuldigung des Berliner Tage: blattes", die der französischen Presse auf deren mißtrauisches Fragen, warum denn die Deutschen die Franzosenfreund: schaft ihres Führers" nicht erfahren dürften, erwidert, aber Sitler have doch nur wiederholt, was er seit dem Mai 1983 so oft über seinen Verständigungswillen gesagt habe. Dann ist aber doch für einen Menschen, dessen Logik noch nicht gleichgeschaltet ist, um so weniger zu begreifen, warnm Adolf Hitlers zu erfahren. Man ist doch sonst nicht so gegen mau der deutschen Presse verboten hat, die goldenen Worfe Wiederholungen, denn schließlich hat sich allmählich herum: Repetitionen sind. gesprochen, daß der Hauptinhalt von Hitlerreden ewige

Das Ergebnis der neuesten außenpolitischen Aftion des sonderbaren Führers" ist also neue Riesenblamage, deren Folgen leider nicht nur er bersönlich, sondern wieder Namen Pazifisten eingesperrt und gefoltert werden nur das deutsche Volf zu tragen hat. Ein Mann, in dessen wegen ihrer Gesinnung, gilt als total unglaubwürdig, wenn er Friedensertlarungen abgibt.

Seine neueste Leistung des Verbots seiner eigenen Frie: densbeteuerungen in Deutschland , das erfüllt ist von Kriegs­gerüchten und Kriegsvorbereitungen, läßt aber ihn erst drohenden politischen Intriganten erscheinen. recht aller Welt als doppelzüngig und als den Frieden be­

Gerechterweise muß allerdings hinzugelegt werden: die Gefährlichkeit von Intriganten bemißt sich nach dem Grade ihrer Intelligenz.

Land der Korruption und der Gerüchte

Neue Verzweiflungsrede Goebbels Signale

Am Samstag in den frühen Morgenstunden erschien die Stimme des Stuttgarter Ansagers besonders müde. Sie hatte freilich auch feinen Anlaß zu beschwingteren Reden. Denn als Vortragsmaterial lag eine Rede von Goebbels vor, gehalten vor den in Berlin versammelten Gauleitern, die der grauen Novemberſtimmung der nationalsozialistischen Herr schaft aufs genaueste entsprach. Goebbels wandte sich gegen die Unzufriedenen und Ewig- Gestrigen, die immer noch nicht die Größe der Leistungen des dritten Reiches" anerkennen wollten. Die Reichsregierung müsse den Mut zu unpopulären Maßnahmen haben um Deutschlands Zukunft willen. Da­bei wälzte der Herr Minister alle Schuld und Verantwortung auf Hitlers Vorgänger in der Reichsführung. Sie hätten in verbrecherischer und unmoralischer Weise Millionenkredite aufgenommen, die das ganze Volf belasten. Goebbels scheute fich nicht, hinzuzufügen. daß die Regierung des britten Reiches" bereits Milliarden zurück bezahlt habe! Der Banfrotterklärung des Gauklers Schacht fügte Goebbels den rhetorischen Hohn bei.,

Der Eindruck, daß es allenthalben im Gebälf fracht, ver­stärkt sich zusehends. Der Führer" selbst hielt es für nötig,

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vor?

Was gehl in der Reichswehr vor? die Gauleiter in stundenlanger Ansprache in die Geheimnisse jeiner Politif einzuweihen. Sie war für die Murrenden be= stimmt. vor allem für diejenigen, die noch nicht aufgehört haben, auf den jest versprochenen Sozialismus zu warten. Selbstverständlich war es, wie die Presse berichtet, ein ein­drucksvolles Erlebnis" für die Hörer. Es war das Erlebnis einer wachsenden Führerlosigkeit. Die natio­nalsozialistischen Funktionäre fenne.. sich nicht mehr aus. Jeder Odre pil: gt gewöhnlich in kürzester Frist eine Gegen ordre zu folgen. Die Apparatur der Macht, die äußerlich nach wie vor fest gefügt erscheint, ist innerlich angefressen. Keiner traut dem andern, keiner ist sicher vor dem andern. Piest man die Notizen über offiziell zugegebene Unterschlagungen brauner Amtswalter, dann begreift man diese innere Un­sicherheit. Hitlerdeutschland ist ein Korruptionsstaat geworden, für den man höchstens gewisse balkanische Zu­stände im 19. Jahrhundert vergleichsweise heranziehen kann. Die formale Disziplin, diefes äußere Strammstehen, teils freigewählt, teils zwangsweise, ist der uniformierte Deck­mantel einer wilden Aemter- und Gelderjagd.

Frankfurter Gericht zum Tode verurteilt und hingerichtet worden ist.

Ich versichere hiermit an Eides Statt und bin bereit, vor jedem unabhängigen Gericht unter Eid was folgt auszus sagen:

Reitinger ist vollkommen unschuldig. Er ist furz nach der Machtergreifung unter dem Verdacht, Hans Handwerk ers schossen zu haben, von der SA. verhaftet worden und wurde in den Kellern der früheren Bolfsstimme" in Frankfurt Nacht um Nacht grauenhaft verprügelt. Der Sturmführer Bauer, der spätere Adjutant des Sturmbannführers Roth, ließ Nacht um Nacht an dem schmächtigen jungen Menschen die gräßlichsten Mißhandlungen vornehmen, bis der völlig zusammengebrochene junge Mensch ein Schriftstück unterschrieb, daß er auf Hans Handwerk geschossen habe.

Diese Angaben machte mir der Sturmführer Baner in der Geschäftsstelle des Lehr­bataillons 30/81, die ich im März bis Juni 1933 führte, persönlich. Bauer brüstete sich offen mit dieser traurigen Heldentat. Reitinger wurde nach diesem erzwungenen Geständnis in das Frankfurter Untersuchungsgefängnis eingeliefert und gegen ihn das Strafverfahren eröffnet. Ich selber hatte nach der Bauerschen Mitteilung an dem Fall Reitinger Inters effe und fragte eines Tages den Gefangenenaufseher Sod vom Untersuchungsgefängnis Hammelsgasse, der im Lehr­Sturm( 700 Mann start) mir unterstand, was der Hans- Hand­lichen, saft schüchternen Menschen die Mordtat nie und nim werf Mörder mache. Er gab mir an, daß er dem schwäch mer zutraue. Er glaube bestimmt, daß da ein Irrtum vor: liege.

Daraufhin nahm ich mit dem Landgerichtsrat Joseph sering, der ebenfalls als SA.- Mann mir unterstellt war und mit dem ich privatim etwas befreundet war, Rück= sprache" ber den Fall Reitinger. Der Landgerichtsrat Hering erklärte mir, daß er wohl zum Richter über Reitinger be= stimmt würde und sich deshalb den Reitinger einmal in sei= ner Dunfelzelle angesehen habe. Er selbst glaube auf Grund seiner besonderen Menschenfenntnis, daß Reitinger voll kommen unschuldig ei und er werde seine Stimme gegen den Schuldspruch abgeben, wenn er nur die geringsten Zwei­fel an der Schul Reitingers habe. Ich ging mit dem Land­gerichtsrat noch in dessen Wohnung Festraße 5 und dann zu feiner Brant, wobei er mir wiederholt die Zusicherung gab, den Unschuldigen zu retten. Ich beorderte ihn einige Tage später zu dem Standartenführer Wehner von der Stans darte 81, Mozartplatz, und der Landgerichtsrat Hering ließ sich auch dort melden. Wehner ging auf den Fall nicht ein, obwohl ich ihn dazu eine Viertelstunde zuvor aufgefordert hatte. Auch den Sturmführer Bauer forderte ich persönlich auf, eine ehrenwörtliche Erklärung über das Zustande: kommen des Geständnisses abzugeben, aber der erklärte mir, er wisse nicht mehr, was da in der Volksstimme" vorges fallen sei. Ich wandte mich daraufhin an die Ehefrau Buer mit der Bitte, ihren Mann zu veranlassen, einen Unschuls digen zu retten. Ich habe keinen Weg gescheut, jedoch alles war umsonst.

Die Gerichtsverhandlung fand statt. Man trug den armen Jungen in den Gerichtssaal, und als einziges Bewetsmittel hielt ihm der Staatsanwalt fein eigenes Geständnis vor. Sonst feinen Schatten von Beweis. Reitinger erklärte mit würgender Stimme, er sei so furchtbar geschlagen und ges foltert worden, daß er überhaupt nicht mehr gewußt habe, was er da unterschrieb. Man habe ihm nur gesagt, wenn er das unterschreiben würde, dann sei alles gut. Diese Angabe Reitingers löfte einen Entrüstungssturm bei dem Richter, der die Verhandlung führte, aus. Es wurden der Sturmführer Bauer, der Standartenführer Wehner und der damalige Brigadeführer, jetzige Polizeipräsident Beckerle vor das Gericht geladen und dieselben schwuren, daß Reitinger nicht geschlagen worden wäre, leisteten also einen glatten Meineid. Reitinger wurde zum Tode verurteilt, sein Gnadengesuch wurde abgelehnt, obwohl er noch keine 21 Jahre alt war. Er wurde hin gerichtet.

Bei persönlichen Differenzen im früheren Sturm Bauers famen eine Anzahl Unterschriften unter ein Schriftftück, daß Bauer, Beckerle und Wehner einen Meineid geleistet hätten und etwa 10 SA.- Männer und Führer versicherten in dem Schriftstück an Eides Statt, daß Bauer und Wehner und Beckerle von den Mißhandlungen Reitingers Kenntnis hatten. Diese ungeheuer Aussehen erregens den Tatsachen wurden der Obersten SA.- Führung einges reicht. Röhm selber verlangte Stellungnahme der SA .. Fortsetzung siehe Seite 2 Führung in Frankfurt . Die Sache wurde endlos verschleppt