Deutsche   Stimmen Beilage zur Deutschen Freiheit Ereignisse und Geschichten

Feste! Los!

,, Die Diktatur des Hausknechts"

Das große Vorbild bleibt Victor Hugo  . Als der Staats­streich des 2. Dezember 1851 den schmutzigen Emporkömm­ling samt seinen schmutzigen Kreaturen zur Herrschaft ge­bracht hatte, machte der französische   Nationaldichter es nicht wie Gerhart Hauptmann  , der flugs seine bessere Ver­gangenheit gleichschaltete und zum Worstkessel- Lied die Rechte grüßend hebt, nein! er brach entschlossen alle Brücken hinter sich ab und ging ins Exil, um gegen das Regime des dritten Napoleon Krieg zu führen, Krieg in gebundener und ungebundener Rede, Krieg im Namen der Freiheit und Gerechtigkeit. Krieg ohne Ermatten und Gnade achtzehn lange Jahre hindurch. Sein Versband..Les Chatiments", auf deutsch   etwa ,, Die Peitschenhiebe", war die grausame Abrech­nung eines großen Poeten mit einem kleinen Abenteurer; wie viele dieser Strophen, die 1930 noch als Literatur wirkten, sind seit 1933 wieder Leben geworden! Auf der gleichen Linie wie die ,, Chatiments" liegt, soeben im Verlag., Les Associes" zu Brüssel   erschienen. Alfred Kerrs..Die Diktatur des Hausknechts": als Vers- und Prosaband, als Stäu­pung widerlichen Gesindels, als Manifestation des Geistes, der nur außerhalb der Grenzen des dritten Reiches" zu atmen vermag, neben Heinrich Manns.Der Haẞ", das ein­prägsamste, das erfrischendste Werk der deutschen   Emigran­tenliteratur.

-

Nur der Titel..Diktatur des Hausknechts"? Wäre der Verband der Hotel  -, Restaurant- und Café- Angestellten" nicht dem Schicksal aller Gewerkschaften verfallen, er würde sich zum Protest erheben, denn wie kommt ein ehrenhafter Beruf wie der des Hausknechts dazu, als Vergleich mit den verlogensten Hochstaplern und den blutbesudeltsten Ban­diten der Weltgeschichte herangezogen zu werden? Aber so hat Kerr es gar nicht gemeint. Um in einer Kritik über den ,, Sturmgesellen Sokrates" Sudermanns zu zeigen. welch ..ein Widerspruch zwischen einem solchen volkerziehenden Thema und der Person dieses Theaterschriftstellers" bestehe, setzte er, vor Jahren einmal. drei Gleichnisse hin: ,, Was würde man denken, wenn ein Gerichtssekretär sich mit einem Rechtsphilosophen verwechselte? Wenn Oberkellner als öffentliche Erzieher aufträten? Wenn Bezirksvorsteher napo­leonisch blickten? So wenig wie er damals den Gerichtssek­retären und Bezirksvorstehern zu nahe treten wollte, so we­nig denkt Kerr daran, mit dem Titel seines Buchs die Haus­knechte herabzusetzen. Ein Hausknecht als Hausknecht wackerer Mann! Aber ein Hausknecht als Diktator, und zwar auf Grund seiner Hausknechteigenschaften das ist etwas anderes.

-

Als Ferdinand Kürnberger   um 1866 herum zu den Tagesereignissen das Seine im Wiener   Feuilleton sagte, recht­fertigte er sich: ,, Ich schreibe den Theaterbericht der öster­reichischen Tragödie". Aehnlich dürfte Kerr, der als Büh­nenkritiker seinen europäischen Ruhm begründet hat, dar­tun, daß er nur bei der Stange bleibt, wenn er das schlechte Rüpelstück Deutschlands   Erhebung" und seine miserablen Komödianten rezensiert. Aber er hat solche Rechtsertigung nicht nötig. Seit je war ihm Theaterkritik nicht Selbstzweck, sondern Vorwand, auszupacken, was immer er auf dem Her­zen hatte, denn er gehört zu den wenigen begnadeten Gei­stern Deutschlands  , die nicht im Elfenbeinturm hockten und ihren Nabel bestarrten, sondern mit seinen eigenen Worten zu reden, einen lachend leidenschaftlichen Anteil an der Er­neuerung menschlicher Dinge nahmen. Immer kurbettierte er auf seinem Pegasus um die Vorhut der Menschheit, immer fühlte er sich als Vorwärtspeitscher der Entwicklung am wohl­sten, und statt mit den Jahren und Jahrzehnten ruhiger, be­tulicher und anpassungsfähiger zu werden, wurde er stets rescher und deftiger, stets kühner und kesser. Davon zeugt auch ,, Die Diktatur des Hausknechts" mit den Beiträgen aus jenen Jahren, da die braune Schlammflut erst heranrollte. Nicht umsonst heißt dieser Teil..Die vergebliche Warnung", denn immer wieder suchte er in Feuilletons   und Radio- Vor­trägen die sanft schlummernde Republik durch Rippenstöße auf die Beine zu bringen und rief unermüdlich zur Einigung der Republikaner   gegen den gemeinsamen Feind auf:

Nachgiebigkeit? Im Zeitenstrom

Bleibt sie ein mulmiges Symptom. Euch fehlt die Kraft zum Stoß.

Pufft mal die Republike grob

An ihren schlappen Schlummerkopp. Feste! Los!

Darum haßten ihn die..Fäkalsozialisten" unterm Haken­kreuz und setzten ihn auf ihre Aechtungsliste. Unvorstellbar, was die Folterknechte Görings mit ihm angefangen hätten,

Sonntag- Montag, den 2. und 26. Nov mber 1934

Der Angstjubel

Von Erich Weinert  

stepnctional

wäre er ihnen in die Klauen gefallen. So mußten sie sich zähneknirschend damit begnügen, seine Bücher dem Scheiter­haufen zu überantworten, sein Eigentum zu stibitzen und ihm die Staatsbürgerschaft abzuerkennen er quittierte mit munteren Versen, die länger dauern werden als jener lächer­liche Urteilsspruch:

Die haben die Stirn, nach fred. Verbrechen Andren das Deutschtum abzusprechen. Sie gaben Mördern den Fingerzeig. Förderten Greuel und leugneten feig. Sie graben der deutschen Ehre das Grab.

Drum sprech ich ihnen das Deutschtum ab.

Von der ersten bis zur letzten Zeile ist..Die Diktatur des Hausknechts" köstlich als Pamphlet der Pamphlete. Einer, der immer aus klaren Augen in die Welt schaute, sieht auch hier klar, was die sogenannte Erhebung Deutsch­ lands   ist: tiefste Erniedrigung, einer Volksüberrumpe­lung durch plumpe Gewalthaben, ein Gemisch mensch­licher Roheit mit grundsätzlicher Lüge, die Wieder­geburt von Rechtlosigkeit und Erbarmungslosigkeit. Wie nur so schwingt er die Geißel eines schmissigen Stils, von dem blutige Striemen zurückbleiben. Er läßt den Anführer sprechen zu den Angeführten:

-

Mich hat ein mulmiger Mittelstandsgott Zum Macher auserlesen

Ich tätige einen Totalbankrott,

Wie keiner dagewesen.

Ich rede Quatsch; die Spucke voll Speck; Das Volk hört zu mit Rührung;

Denn nie kam Deutschland   so in den Dreck Wie unter meiner Führung.

Sie saßen auf sechshundert Stühlen Im Halbkreis um ihn herum In Logen und Vestibülen, Sein Applauditorium.

20

Ein Ring von schwarzen Gendarmen Umspannte mit eisernem Blick Und schwerbewaffneten Armen Die treuen sechshundert Stück. Es waren da leere Stühle, Es fehlten so einige nur. Und außerdem war eine Schwüle Doch nicht von der Temperatur.

Und jedesmal, wenn das Geschwätze Des Führers zum Donner schwoll, Dann sahn sie die leeren Plätze, Da brüllten sie alle wie toll. Sie mußten sich so gebärden. Die schwarze Armee paẞte auf. Es wollte sich keiner gefährden Den weiteren Lebenslauf.

Es waren gemischte Gefühle. Die Treue ist auch kein Kitt. Denn, ach, die leeren Stühle, Die brüllten ja auch einmal mit. Wer weiß, wer bei nächsten Putschen Einen leeren Stuhl hinterläßt! Es ist eben alles im Rutschen. Und da steht keiner mehr fest.

( Stenokritiken)

Wer weiß, wie noch alles geschoben! Vielleicht sind beim nächsten Tumult Die leeren Sitze da oben;

Und ein neuer Chef steht am Pult!

Und seit Heinrich Heine   über das klägliche Haupt des Herrn Wolfgang Menzel   in Stuttgart  " die Ehrlosigkeit, die Film in Pacis Infamie aussprach, kannte die deutsche   Literatur keine so erbarmungslose Exekution wie jene, die Kerr hier an Ger­ hart Hauptmann   vollzieht blutenden Herzens, denn ein ganzes Menschenleben lang war er der Freund. der Weg­bereiter. der Ruhmestrompeter des ,, Weber"-Dichters.

1

Das Niederziehendste ist für Kerr ,, nicht, daß Grauen­haftes geschieht, sondern daß fünfundsechzig Millionen es mit ansehen; es in Kauf nehmen; einstecken: jede Lumpentat mitmachen", das Erstaunlichste bleibt ihm nicht der Hitleris­mus, sondern der Eindruck. den zu machen man ihm erlaubt". Wie die republikanischen Parteien in Deutschland   angesichts der braunen Pestgefahr zagten und zauderten. so gewahrt der Dichter jetzt voller Entsetzen die Untätigkeit der demo­kratischen Staaten:

Deutschland   verrottet und verroht.

Die Luft von Giften schwül und schwer. Das Blutrecht herrscht. Dem Erdball droht Der dunklen Urzeit Wiederkehr;

Man schärft das Beil zum großen Streich

Im Dritten Troglodvtenreich;

Schon stelzt vor..Staffeln und Standarten" Der Mordbandit, der braune Wicht;

Die andren flüstern. wägen, warten Und rühren sich nicht.

Beeilt man sich nicht..mit der neuen, starken. ethischen Poli­tik", so ahnt Kerr für Europa   den Anbruch einer Epoche, die der römischen Kaiserzeit verdammt ähnlich sieht: ,, mit wechselnden Diktaturen, dunklen Bandenführern. unüberseh­barem Chaos". Trotz allem glaubt er an die Heraufkunft einer Zeit, da, wie es Karl Marx   in der..Inauguraladresse" von 1864 verkündet hat, die einfachen Gesetze der Moral und des Rechts die obersten Gesetze des Verkehrs der Nationen" sein werden.

Börne, vor hundert Jahren als Emigrant im selben Paris  lebend, spottete bitter: Französisch werde ich schon rasch

lernen, aber wie fange ich es an, Deutsch   zu vergessen". Nicht so Kerr. Zwar grüßt er, wie sein Daseinsgefühl in dieser apokalyptischen Zeit unverändert stark bleibt, auch auf die­sen Blättern seine alte Liebe Paris  . Stadt ,,, die von Göttern und Menschen geliebt wird, der die Kraft ist: Ringende glück­lich. Glückliche glücklicher zu machen", aber zugleich bricht aufrichtigste. schmerzlichste Liebe zu Deutschland   durch. ja, im Grunde ist das ganze Buch auch an den Stellen, wo der Haß gegen..die Blutschmarotzer, die Machtfledderer. die Fol­terer. die Hepp- Hepp- Hunde" in Weißglut aufsprüht und ge­rade dort, ein klingendes und beschwingtes Bekenntnis zu Karl Max. dem Deutschland  , das sein wird.

Die Führersgattinnen- mondän­

Blick in die ,, Neue Linie"

Die ,, Neue Linie" ist eine reichsdeutsche Damenzeitschrift, in der große und kleine Abendkleider mit und ohne Breit­schwanzmäntel aufs wärmste empfohlen werden, in der rie­selnde Spitzenfischüs, schnittige Autos und Rivierareisen eine große Rolle spielen. Das mondänste vom Mondänen also. Zu den ,, Dingen, die man haben muẞ", gehören Orchideen in eigener Zucht. Abendblusen aus Lamé und Armspangen aus Silber oder Bronze, die sich an altgermanische Formen an­lehnen. Die Leser der... Neuen Linie" reisen. wie man aus der Zeitschrift erfährt, im Winter nach Valdemosa oder Miramar, Menorca   oder Ibiza  . sie wohnen in Meran   im Grand Hotel Bristol, in Rom   im Hotel Atlantic  , in Lugano  , in Lausanne  , in Ragusa  überall im ersten Hotel am Plate.

Und was für Leute lassen sich für die Neue Linie" foto­grafieren? Wessen Porträts erscheinen da? Nun. wie sichs ge­hört. die Bilder von Filmstars, Sportgrößen und General­direktoren. In der letzten Nummer sah man zum Beispiel Fran Erich Niemann. Gattin des Direktors der Mannesmann.

Werke.

-

Aber merkwürdig! In ihrer Gesellschaft fanden sich noch idere Gesichter, Gesichter, die z. B. ein SA.- Mann an diesem Plate sicher nicht zu finden erwartete. Wer war es? Anna- Sofie Rust, Gattin des Reichsministers für Volks­bildung, mit ihrem zehn Jahre alten Töchterchen Sieglinde, Frau Eva Marie Lehmann, Führerin und Leiterin der deut­ schen   Lyzeen, Harro von Zeppelin, politischer Adjutant des Reichsministers für Unterernährung, Darré mit seiner Frau Edith. Frau Marie- Luise von Zengen, Gattin des nationalso­

I.

Rein französischer Film: Angèle". Erdacht von einem Franzosen  ; verfilmt von einem anderen Franzosen; gespielt von lauter Franzosen.

II.

Jean Giono   schrieb: ,, Ceux de Baumugne" den Roman der guten Menschen und eines Bösewichts.

Der Bösewicht verführt( gemeinerweise) die Tochter eines Landmanns; macht sie zum Straßenmädchen in Marseille  . Aber der treue, redliche, junge Albin heiratet sie trotzdem samt ihrem Kindchen von unbekannter Herkunft. Und Vater verzeiht.

Vater spricht allerdings zuvor: Ich... hatte eine Tochter!" Doch sonst ist es unpathetisch; ehrlich; hübsch.

III.

Hübsche Heimatkunst. Das mittägliche Frankreich   ersteht: Volksgestalten; Landschaft; Sprache.  ( Das drollige, doch scheußliche Südfranzösisch.)

Und weil Pagnol   Unternehmer des Ganzen ist( der Drama. tiker von Marseille  , welcher den Goldenen Anker" oder ..Marius" und seine Fortsetzung, Fanny", fürs Theater schrieb): so wird alles mehr ein verfilmtes Sprechstück als ein sprechendes Filmstück.

Also bißchen ausgedehnt. Aber, wie gesagt, sehr wacke und ohne Mätzchen.

IV.

Dies geht so weit, daß zur Darstellerin des Landmädchens keine Schönheit genommen wird, kein Lilienmilchplakat, keine Ansichtskarten- Marseillerin: sondern eine ganz ungeleckte, kenzeichnende Person: das unerschrockene Fräulein Demazis. Kurz: ein ehrenwerter französischer Heimatfilm vor. wiegend für Franzosen. Doch nicht nur für Franzosen  .

Sowjet- Schriftsteller in deutscher Sprache

Im Verlag ausländischer Arbeiter erscheint in deutscher Sprache eine Reihe Bücher von Sowjetschriftstellern. 1. nächster Zeit erscheinen die ausgewählten Werke von Gorl in sechs Bänden. Die Bände: Unter fremden Menschen" um ,, Die Mütter" sind bereits erschienen ,,, Das Werk der Arta­monows" und ,, Die Kindheit" erscheinen noch in diesem Jahr. Die weiteren zwei Bände der Werke von Maxim Gorki  erscheinen Anfang 1935.

Der Verlag gab das Buch von Awdeenko ,, Ich liebe" und ,, Der Pfad der Samurai" von Rubinstein heraus. In nächster Zeit erscheint der Roman ,, Das Wasserkraftwerk" von Maiette Schaginjan ,,, Mit festem Schritt", der dritte Teil des Romans von Panferow ,, Bruski" und ,, Der zweite Tag", von Ilja Ehrenburg  . Vorbereitet zur Herausgabe wird der Roman von Gladkow   ,, Energie".

Im Portefeuille der Leningrader Abteilung des Verlags be. findet sich eine Anthologie der Sowjetlyrik. Die Anthologie enthält Gedichte von Majakowski  , Assejew, Besymenski, Sharow, Prokofjew  , Tichonow  , Kornilow   u. a. Die Ueber tragung ins Deutsche stammt von Hugo Huppert  , Olga Halpern, Streit und Jannsen. Umfang des Sammelbuches 15 Druckbogen. Das Buch soll Anfang nächsten Jahres er­scheinen,

zialistischen Vertreters für da. Land Hessen   in Berlin   mit Das Becliner Theater

ihren Kindern Jutta und Dieter.

Aber das ist gar nicht alles. Wenn man im Jahrgang zurück­blättert, taucht eine Führersgattin" nach der andern auf, im ganzen etwa ihrer zwölf.

Wir entsinnen uns nicht, die Frauen republikanischer Staatsbeamten jemals als An hängesler in mondänen Luxuszeitschriften gesehen zu haben. Der spartanische Geist, die ,, Einfachheit" der leitenden Oberarier, die Bescheidenheit und Volksnähe machen sichtliche Fortschritte

Die Stadt Berlin   hat den Gebäudekomplex in der Charlottenstraße, zu dem das derzeit vom Kulturbund Deutscher Juden gepachtete Berliner Theater" gehört, für 100 000 Mark erworben. Der ganze Gebäude- Komplex soll abgerissen werden, um die Errichtung von Großgaragen zu ermöglichen. Hierzu teilt die Intendanz des Kulturbundes Deutscher   Juden mit, daß der Kulturbund sowohl vertraglich wie baupolizeilich zunächst bis zum Ablauf dieser Spielzeit das Recht hat, seine Theateraufführungen fortsuseggen