Beilage zur Deutschen Freiheit"
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Ereignisse und Geschichten
Er
Vor dem Kriege saßen im Münchner Café Stefanie sehr originelle Menschen. An einem Tisch dozierte Otto Groß , der Assistent Siegmund Freuds, Psychoanalyse. Heinrich Gösch war einst sein Schüler gewesen. war ihm dann davongelaufen und nun unterrichtete er, ein paar Tische weiter, mehrere Literaten in der Theosophie Rudolf Steiners . Zwischen beiden Gruppen saßen die originellsten ,, Schlawiner". In München nannte man alles so, was sich literarisch betätigte, aber kein sicheres Einkommen hatte. Neben anderen saßen da John Gorsleben, Oberleutnant a. D., der berufslose Gelegenheitsschriftsteller Dietrich Eckardt und Werner Daja aus Riga . Ihr Hauptgespräch war die Rassentheorie. Man war damals schon überzeugt. daß Chamberlain und Gobineau längst überbolt seien, glaubte aber, dank der Ammon- und Woltmannschen Meßmethoden, die Rassenforschung auf eine wissenschaftlich exakte Methode gestellt zu haben, glaubte genau feststellen zu können, wer Arier, wer Nichtarier war.
Werner Daja aus Riga paßte nicht ganz mit seinem Schädelindex in das Ariersignalement hinein, aber er war der leidenschaftlichste Prophet der arischen Hochwertigkeitsund der semitischen Minderwertigkeitstheorie. John Gorsleben brauchte er davon nicht erst zu überzeugen. Dieser blondköpfige, blauäugige Athlet ging wie eine Demonstration der Ariertheorie herum und er hörte es auch gern, wenn man auf ihn zum Beweis für ihre Richtigkeit exemplifizierte. Mit Dietrich Eckardt war es anders. Der Mann hatte zwar Augen, Nase, Ohren, Schädelindex nach Vorschrift, und er hatte zudem Vor- und Vatersnamen nach echtesten deutschen Heldensagen, aber überzeugt von der Rassentheorie war er doch nicht. Er hatte zu viel von der Welt gesehen, um Völker und Vaterländer in eine Art Schülerrangliste mit Note eins bis fünf unterzubringen. Aber Werner Daja redete in ihn und alle, die in die Schußnähe seines Mundwerks kamen, hinein, was ihm die Genien von Walhall nur so eingaben. Es gelang ihm auf diese Weise doch, den Skeptiker zu bekehren. Der Skeptiker wurde rasch ein fanatischer Eiferer. Er dankte Werner Daja zerknirscht und beglückt für die Erlösung vom Irrtum.
Der Krieg wirbelte die Bohemiens auseinander. Gorsleben und Eckardt verschwanden zu ihren Truppenteilen. Daja meldete sich als Freiwilliger. Nach ein paar Tagen erschien er in Ulanenuniform im Café Stefanie. Bevor er ins Feld zog, verrichtete er eine Heldenleistung. Er traf Erich Müh sam auf der Ludwigstraße und stellte ihn sofort zur Rede. ,, Was denken Sie über die deutschen Siegesaussichten? Glauben Sie an die Schuld Deutschlands bezüglich Kriegsausbruch?" Auf die erste Frage antwortete Mühsam sokga
tisch: ,, Ich weiß nicht!" Ueber die Schuld am Kriege wollte sich Mühsam diplomatisch ausdrücken: ,, Wirtschaftliche Rivalitäten... der eine wie der andere... usw." Plötzlich hatte Mühsam einen Faustschlag weg. Er stürzte. Der Ulan schlug weiter auf die 97 Pfund ein, die sein Gegner für den improvisierten Boxkampf auf der Ludwigstraße mitbrachte. Daja zog ins Feld. Lange hörte man nichts von ihm. Ende November kam Nachricht. Dem berühmten Freiwilligenkorps unter Liszt angeschlossen, habe er bei Dixmuiden das Schicksal fast aller Kameraden dieses Korps geteilt. Nach Weißgerber, Klein, Pfeil, Meyer und anderen Kaffeehausgrößen sei nun auch Werner Daja gefallen.
Nach dem Krieg kehrte Dietrich Eckardt sofort nach Mün chen zurück. Er gründete den ,, Völkischen Beobachter". Er, nicht Hitler , wie man heute gewöhnlich glaubt. Selbstverständlich vertont er die Rassentheorie jetzt noch fanatischer als ehemals, nur beutete er sie nunmehr fast ausschließlich für die Judenhete aus. Gorsleben geriet in den Ludendorff- Kreis und hat ihn erst den heidnischen Einschlag gegeben. Kurz vor dem Putsch starb er an der Grippe.
Im Sommer 1923 wurde eine Reihe von Hochverratsprozessen vor dem Münchner Volksgericht verhandelt. Manchmal spielten dabei Devisenschiebungen eine Rolle. So war es auch bei dem Prozeß Fuchs- Machhaus.
An einem Wendepunkt des Prozesses stellte der Verteidiger. Graf von Pestalozza, den Antrag, den Schriftsteller Werner Daja aus Riga zu vernehmen. Einige Journalisten fuhren zusammen! Stehen die Gefallenen wieder auf! Sein Geist? Sein Körper? Pestalozza kannte sich bei den Münchner Bohemiens aus. Er wußte um das Gerücht um seinen Heldentod und warf den Iournalisten einen vielsagenden Blick zu. Der bedeutete: Werner Daja? Hei lewet noch!
Der Staatsanwalt widersprach. Er fügte hinzu, daß Daja zur Zeit unauffindbar sei. Pestalozza replizierte:.Daja müsse gefunden werden, ohne ihn seien die Unklarheiten der Prozeßlage nicht aufzuhellen." Das werde wenig helfen, entgegnete der Staatsanwalt. Daja sei auch für ihn in einer anderen Sache nicht zu ermitteln. ,, Uebrigens möchte ich den Herrn Verteidiger darauf aufmerksam machen, daß besagter Werner Daja aus Riga ein solider Isidor Karfunkelstein aus Tarnopolist."
Daja- Karfunkelstein war, darüber gibt es keinen Streit, der Lehrer von Dietrich Eckardt in Sachen Rassentheorie. Der Dietrich Eckardt hat die Weisheiten Karfunkelsteins dem Hitler beigebracht. Ohne die Juden kann eben auch der Hitler in eigenster Sache nicht klug werden.
Die Tragödie der deutschen Jugend
Ein Vortrag
Ueber die Tragödie der deutschen Jugend sprach am 15. November in der Pariser Universität der Schriftsteller Ernst Erich Noth , Verfasser verschiedener Romane, darunter am bekanntesten..Die Mietskaserne". und sein jüngstes bereits in verschiedene Sprachen übersetztes Werk Die Tragödie der deutschen Jugend". Der Abend war mehr als ein Vortrag oder eine Lesestunde. Er war das erschütternde Bekenntnis eines Mannes, der, selbst noch jung, die ganzen Phrasen der deutschen Jugendbewegung miterlebt hat, angefangen von den Jugendbünden der Vorkriegszeit bis zu den Jugendpflege treibenden und politischen Organisationen der republikanischen Periode und Gegenwart. So erlebten wir in der deutschen Jugendbewegung als kulturelles Phänomen zuerst den vitalen Aufbruch, vor allem im Wandervogel" als bewußter Träger einer Kultur der Jugendlichen im Kampf gegen die unwahren, vermoderten Zivilisationsformen der Erwachsenen in Schule, Haus und
Leben.
sie ein Instrument nur war und heute noch ist. Diese im Grunde idealissche, wahrheitssuchende, kämpfende deutsche Jugend wird heute in der Hitlerjugend , im Arbeitsdienst, in SA. und SS. trotz aller früher vorhandenen Weltbildunterschiede in den Jugendbünden nicht nur in ihrer inneren Reinheit zerstört, sondern geistig und materiell bis zum Letten ausgebeutet, eine Jugendmiliz wird organisiert, der ganze Byzantismus des dritten Reiches" in die deutschen Jugendheime und-herbergen verpflanzt, wo früher der freiheitliche Geist der Jugendbewegung herrschte. Der ganze Apparat Goebbelsscher Propaganda wird aufgeboten, um in der Jugend den ihr eigenen Mythusglauben wachzuhalten im Sinne eines sicheren nationalsozialistischen Nach
wuchses.
Sehr viele sind jedoch enttäuscht worden. Dies also war das in der Ferne leuchtende, verheißungsvolle dritte Reich", das doch auch Sozialismus predigte?! Das war also jene in der Zukunft winkende glückliche Epoche ohne Klassengegensätze, in der trots aller Versprechungen weder Bank- und Börsenkapital ausgeschaltet noch der maßgebliche Einfluß der Groß- und Rüstungsindustrie gebrochen war, in der ein neues Junkertum und übelster Militarismus sich breit machten?! Man war mit dem Begriff Volksgemeinschaft hausieren gegangen, und nun war die Jugend enttäuscht durch ein Regime der Barbarei und Konzentrationslager, der Verbonzung und bis zum Wahnwit getriebenen Verflachung auf allen kulturellen Gebieten.
Welch kostbares und heiliges Gut war einst der deutschen gisch geschickt äußerlich die Formen der Jugendbewegung Jugend die Freiheit erschienen! Zwar werden psycholo
mit Fahrt, Nestabend, Wimpel und Landsknecht liederromantik gewahrt. Aber keine freie Entfaltung findet mehr statt. Alles wird von oben" befohlen und angeordnet, und
Eintopf Ballade
... wurde der Bamberger Gastwirt E. in Schuthaft genommen, weil er das Eintopfgericht sabotiert und in Zusammen. hang damit den Reichskanzler beleidigt habe...( Aus der Nazipresse.)
Zu Bamberg . dieser guten Stadt, die einen Dom nebst Reiter hat, da lebte brav, tat keinem weh der Gastwirt E.
Stets dient mit ruhigem Gewissen er kulinarischen Genüssen,
darob war seine Kundschaft froh. Er ebenso.
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Was andres war ihm gänzlich gleich.. So hielt ers auch im ,, dritten Reich". Wenn man bei ihm nur aß und zecht, war es ihm recht.
Was Wunder, wenn Herr E. voll Gram die Mär vom Eintopftag vernahm. als fränkischer Suppenkasper spricht: ..Ich eẞ' ihn nicht!"
..Der Hitler," schrie er dann voll Zorn. ... der kann mir hinten, als auch vorn einmal an meinem Eintopf lecke...! Eintopf verrecke!"
Der Gastwirt E., in seiner Zelle, ist immer noch nicht richtig helle, sonst wüßt er: was sein Führer tut, ist gut.
( Selbst, wenns ihm nicht verständlich ist) Denn Adolf ist ein Sozialist!!! Und wem nicht paßt der Eintopf- Dreh gehts wie Herrn E.!
Ein unerfreuliches Buch
Bert May
,, Justizm ord a m Catilina " nennt sich eine Schrift von Botho Laser's téin,*) die über den im Titel bezeichneten Stoff hinaus Aufklärung über das Wesen des Justizmordes und der Provokation( Lockspigelei) im allge. meinen zu geben behauptet. Leider mit vielfach sehr unzulänglichen Mitteln. Wir sind nicht Philologen genug, um die Auffassung Lasersteins von der heldenhaften Befreierrolle des vielgeschmähten Catilina und der völligen Nichtsnutig keit des Besitzschützers, des gefeierten Redners Cicero . die schon vor vielen Jahrzehnten Engels, Gottfried Kinkel und andere vertreten haben, im einzelnen nachzuprüfen. Aber soweit wir die Sache übersehen, sind wir geneigt, seinem auf reichliche Tatsachen gestützten Urteil hier im wesentlichen zuzustimmen, ohne doch die Reinheit Catilinas wie irgend eines der Helden" in jenem von oben bis unten verkommenen Zeitalter Roms zu glauben.
an
Auch einige sonstige Berichte des Büchleins, so die über Nero als Brandstifter mit seinen merkwürdigen Parallelen zu Görings Reichstagsbrand und über Fouquier- Tinville, den dienstwilligen Staatsanwalt des Revolutionstribunals in der Schreckenszeit der französischen Revolution, sind lesenswert, andere, wie die über Börne und die Affäre Dreyfus , unzulänglich und unbedeutend
Noch mehr gilt das von den allgemeinen Urteilen und Theorien, die oft oberflächlich und verworren sind. So sind die klar und unterscheidbaren Tatbestände des verzeihlichen Justizirrtums. der auf Voreingenommenheit fußenden, also fahrlässigen Partei- und Klassenjustiz und des böswillig, wider besseres Wissen verübten Justizmordes völlig durch einandergeworfen. Sokrates , der als Gegner der Demokratie und Erzieher ihrer Feinde vom Standpunkt der Justiz seiner Zeit aus kein schweres Unrecht erlitten hat, wird als Opfer eines Justizmordes, Hödel und Nobiling, die in verworrener Geistesverfassung aber subjektiv aus ihrer törichten Gesinnung heraus gehandelt haben, als Provokateure bingestellt, eine Reihe geschichtlicher Tatsachen und Zahlen sind ganz falsch angegeben, und was des Unsinns mehr ist.
Ganz scharf abzulehnen aber ist die Roheit, mit der L. religiöse und geschlechtliche Fragen, zu deren Beurteilung ihm offenbar völlig die Reife fehlt, abzutun vermeint. Und eine freche Lüge ist die Behauptung. Rosa Luxenburg sei ,, von sozialdemokratischen Ministern mittels eines Kopfpreises hingemordet" worden.
Wer solche Lügenmärchen erfindet oder nachtratscht, blamiert mit sich die Partei, der er dienen will. Herr Lasenstein sollte sich, wenn er Geschichte schreiben und Rechtsfragen beurteilen will, neben ausreichneder Kenntnis der Tatsachen, auch den Ernst und den Anstand zulegen. den man von einem Schriftsteller fordern muß, der das ProleEckart.
tariat belehren will.
*) Paris VI, Nouvelles Editions Latines, 1931.
Von Politik wollte diese Jugend noch nichts wissen. Dann aber kam das Kriegserlebnis als gewaltiger Wendepunkt. Das soziale Problem wurde nach dem Krieg das Kernproblem im Leben der deutschen Jugend. Im Kampf gegen das Alte, Morsche, Vergreiste suchte die Jugend ein neues Ziel, revolutionär, in stetem Sturm und Drang , hungrig nach einer gesellschaftlichen Neuordnung, nach einer neuen Moral, die gut, wahr und echt war, die ihrem jugendlichen, ehrlichen Aktivismus entsprach. Die Weimarer Republik hat die Jugend nie begeistern können, ein Argument, das ihre Gegner, vor allem die Nazis, häufig gegen sie anführten und heute noch vorbringen. Lag das an dem neuen Staat, an seinen neuen Zielen, Aufgaben und Taten? Nein! Wären überall die richtigen Persönlichkeiten mit innerer Jugendlichkeit und dem ihr eigenen konsequenten Aktivismus am richtigen große Massen der unkritischen Jugend, vor allen Dingen die, Neue Oper von Richard Strauß Play gestanden, die Jugend wäre ihnen begeistert gefolgt. Sozial ist sicher allerhand für sie geschehen. auch wenn fast niemand von den Jungen die Verfassung und den in ihr entbaltenen Gest studiert hatte. Aber es wurde auch schwer gesündigt an ihr. Die inneren metaphysischen Kräfte blieben unbefriedigt, ihrem Eigenleben wurde zu wenig Rechnung getragen, was sich die Staatsfeinde reichlich zunute machten. Die sozialen Krisen der Inflation und der Weltwirtschaftskrise trieben die Jugend mitten hinein ins politische Leben. Hier fand sie ein Feld, wo sie in ihrem grenzenlosen Aktivsmus Taten zu verrichten hoffte. Der Kampf gegen das kapitalistische Wirtschaftssystem, als Quelle allen sozialen Elends erkannt, wurde von der übergroßen Mehrheit der deutschen Jugend aufgenommen. In allen antikapitalistischen Lagern sammelte sie sich, bei den Kommunisten, Sozialisten und National..sozialisten ".
Bei den letzteren fand sie jene Führerromantik, jenen Irrationalismus und revolutionären Aufbruch wieder, der ihr stets eigen war. Sie merkte nicht, wie sie mißbraucht und bei allen Wahlen zum Stimmvich erniedrigt wurde, wie
die den Krieg nicht kennen, folgenden Fahnen einer despotischen Diktatur, die so unsozial, so undeutsch, so unrevolutionär ist und damit dem Ideal der Jungen nicht mehr entspricht.
Die Revolution wurde für abgeschlossen erklärt und ein Futterkrippen- und Parteibuchstaat im übelsten Sinne und nie geahnten Ausmaßes tut sich auf, in dem eine arbeits
lose, hungernde, einst hoffnungsfreudige Jugend heranwächst. Welches wird die Zukunft dieser Jugend sein? Trotz der Erkenntnis, welch erbärmlicher Mißbrauch mit ihr getrieben wurde und wird, tastet sie unstet nach einem neuen Ziel und neuen Formen. Wird die Jugend in einem neuen Freiheitskampf gegen den größten Verrat, der je an ihr begangen wurde, gegen die größte Kulturschande der Zeit einst auftreten? Wir hoffen und glauben es.
Ernst Erich Noth hat sich mit seinem Vortrag und seinem Buch ein Verdienst erworben. Das bewies der sehr starke Beifall aller Hörer. Wer ihn als Deutscher mit anhörte, der fühlte: was er hörte, war ein großer Teil seines eigenen Lebens, seine eigene Tragödie einer deutschen Jugend,
Die neue Richard- Strauß- Oper, Die schweigsame Frau" wird nach einer Mitteilung der Generalintendanz der sächsischen Staatstheater im nächsten Frühjahr unter der Stabführung von Generalmusik direktor Dr. Karl Böhm in der Dresdener Staatsoper zur Uraufführung gebracht wer. den. Richard Strauß ist zur Zeit mit der Instrumentierung der beiden legten Akte der genannten Oper beschäftigt.- Die schweigsame Frau": vermutlich ein Thema, zu dem Strauß vom ,, dritten Reiche" angeregt worden ist.
Professor Hoerth
Berlin. Professor Dr. Franz Ludwig Hoerth. Oberspiel leiter der Berliner Staatsoper und Professor an der Hochschule für Musik, ist am Dienstag gestorben.
Als Sohn eines Schriftleiters 1883 in Frankfurt a. M. geboren, studierte er in Heidelberg , München , Freiburg , Er langen und Berlin , um sich dann dem Musikstudium zuzuwenden. 1913 war er Oberregisseur an der MetropolitanOper in Neuyork