Deutsche   Stimmen

Beilage zur Deutschen Freiheit" Ereignisse und Geschichten

Mittwoch, den 28. November 1934

Bekenntnis zu Europa  

Wir geben hier einen Auszug aus der bedeutsamen Rede Thomas Manns   am zweiten Tage der Völkerverständigung in Basel  . Thomas Mann   sprach.  in der Schweizer   Mustermesse vor über 2000 Personen gemeinsam mit dem Schweizer Nationalrat Dr. A. Ga­dient und dem französischen   Schriftsteller Gaston Riau.

Am Tag der Völkerverständigung sprach der Verfasser der /..Buddenbrooks  " in Basel   im großen Saal der Schweizer  Mustermesse und legte, immer wieder unterbrochen durch die stürmischen Ovationen von über 2000 Personen, ein mu­tiges und wunderbares Bekenntnis ab, ein Bekenntnis des Geistigen gegen den Ungeist unserer Zeit. Thomas Mann  führte u. a. aus:

,, Man sagt wohl, der Künstler, der Dichter habe es nicht nötig oder tue wohl gar Unrecht, sich in die Weltdinge ein­zumischen und Meinungen zu propagieren, aber wenn die Kultur selbst in Frage gestellt ist, hat es keinen Sinn, im Kulturellen zu arbeiten, ohne auch bereit zu sein, für sie zu zeugen, für sie seinen Mann zu stellen. Es darf sich keiner diesem Ruf entziehen, damit er nicht, wenn das Grauen her­einbricht, sich sagen muß: du hast gefehlt, als es galt zu warnen!

Die innere Unmöglichkeit und verbrecherische Absurdität eines neuen europäischen   Krieges ist etwas, das der logischen oder gar moralischen Argumentation gar nicht mehr bedarf. Es genügt, sich das schauerliche Wüten Europas   gegen sich selbst, das wechselseitige Sichausräuchern mit Giftgasen und was für Irrsinnsbilder sonst noch dazu gehören, in Wirklich­keit vorzustellen, es genügt für einen Menschen von Gefühl und Phantasie vollkommen, dieser Unmöglichkeit inne zu werden. Damit ist nicht gesagt, daß, wenn es das Unglück will, nicht tatsächlich der Krieg doch noch Wirklichkeit wer­den kann. Aber Wirklichkeit bedeutet unter Umständen nicht Wahrheit, es würde einer solchen Wirklichkeit jede Wahrheit in einem höheren Sinne fehlen.

Man kannte früher Gottesleugner. aber das waren harm­lose Leute im Vergleich mit den I deenleugner, der sich eine Philosophie daraus macht, den Unterschied zwischen Wahrheit und Lüge nicht mehr anzuerkennen. Unter dem Einfluß der Verwechslung des Ewiggültigen mit dem Zeit­bedingten ist ein Menschen- und Geistestypus in Europa   her­aufgekommen, der die geistige Gesundheit und selbst die physische Zukunft unseres Erdteils schwer bedroht. Es ist klar, daß unter dieser Geistesverfassung und moralischen Krise auch die Idee des Friedens bedroht ist, denn sie hängt mit den andern unveräußerlichen abendländischen Ideen, denen der Wahrheit, der Freiheit und des Rechtes aufs engste

zusammen.

Von Thomas Mann  

Die Welt starrt in Waffen, die Jugend wird militärisch er­zogen, und die Weltlage bringt das traurige Paradoxon mit sich, daß friedliebende Völker mit den Waffen den Frieden schützen müssen. Dieser leidig- widerspruchsvolle Zustand, der so viel Selbstverleugnung fordert, und dessen Gefährlichkeit auch niemandem entgeht, weil Waffen, die man schmiedet, am Ende auch angewandt sein wollen, wird, wenn nicht die Katastrophe ihm ein furchtbares Ende macht, andauern, bis der Friede und die europäische Idee nirgends mehr ein Lip­penbekenntnis, sondern als Wille und Glaube allbeherr­schend geworden sind.

Am Schlusse seiner Rede ehrte Thomas Mann   seine neue Heimat, die Schweiz  , und umriß ihre Aufgabe in der euro­ päischen   Völkergemeinschaft:..Die Schweiz   ist, ihrem Wesen und Ursprung nach, der pazifistische Staat par excellence, schon in ihrer Eigenschaft als Völkerstaat, der verschiedene Volksteile, Sprachen und Rassen unter demselben staatlichen Dach vereinigt. Im Herzen des Erdteils gelegen, ist sie ge­wissermaßen ein Vorbild, ein Beispiel, die Vorwegnahme Europas  , wie es bei einem glücklichen Gang der Dinge einmal aussehen soll. Wenn gerade in diesem Lande eine Volks­bewegung erstarken könnte, welche im weitesten und menschlichsten Sinne demokratischen Ideen, die Ideen des

Friedensworte

Friedenstaten

Wenn je in den verruchten ,, vierzehn Jahren" Ein Staatsmann solchen Friedensschleim geschwigt, Wie wär' das Pack ihm an den Hals gefahren, Wie hätt es ihn mit ärgstem Kot besprigt.

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Der darf beschwörend um gut Wetter winseln ( Und sorgen, daß man Kriegsmaschinen baut), Darf Einfalt mimen, wie vor Einfaltpinseln; Vom Frieden plärren, dem doch keiner traut. Der darf auf ,, echtes deutsches Land" verzichten, Weil ihm so sagt er nur der Friede lieb ( Indes die Seinen die Geschütze richten Und jede Schmiede wird zum Kriegsbetrieb!) Daß seine Sklaven scheinbar ihm vertrauen, Wen wunderts, der dies weite Zuchthaus kennt? Hier hinter jedem Zweifel wohnt das Grauen. Die sind von der Kulturwelt abgetrennt.

Doch will Europa   die Vernunft verachten? Sind alle wahren Friedensfreunde blind? Vergaß man sie, die noch im Kerker schmachten; Die starben, weil sie- ,, Pazifisten" sind?!

Friedens und der Freiheit, zu verbreiten und zu verfechten Theater in Paris  

entschlossen ist, sie wahrhaft zu ihrem Willenszentrum macht und dem stumpfen, die Katastrophe erwartenden Fatalismus den klaren, menschlichen Willen eines Volkes entgegensetzt, sie abzuwenden, so könnte das für alles Gute in der Welt eine starke Stütze, einen mächtigen Auftrieb bedeuten und zur Rettung der Kultur Europas   Entscheidendes beitragen."

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Thomas Mann   sprach im Rahmen der Europa­Union", die in der Schweiz   den Kampf für eine solche Volksbewegung aufgenommen hat und im ganzen Lande schon viele Tausende um sich gruppiert. Die Europa- Union bildet die schweizerische Sektion des ,, Bundes für die Ver­einigten Staaten von Europa  - Jung Europa  ", der in Frank­ reich  , Holland   und besonders auch in Belgien   starke Sektio­nen zählt und zu dessen Zielen sich Männer bekennen wie: Prof. Louis de Brouckère  , Brüssel  ; der französische   Volks­wirtschaftler Francis Delaisi  ; Redakteur Dr. Hans Bauer, Basel  ; Prof. Georges de Leener, Brüssel; der Soziologe Hen­ drik de Man  ; Minister Jules Destrée  , Brüssel  ; Prof. Dr. E. Gsell, St. Gallen  ; Prof. Albert Einstein  ; Graf E. De Grunne; a. Minister Senator Henri de Jouvenel  , Paris  ; Prof. Henri Pirenne  , Gent  ; Colonel Picot, Paris  ; Wladimir d'Or. messon, Paris  ; Gaston Riou, Vizepräsident der Union Doua­nière Européenne, Paris  ; R. P.   Rutten, Senator, General­sekretär der Christlichsozialen Werke Belgiens  ; Paul Valéry  von der Academie Française  ; Stephan Zweig.

Märchen, ach so wunderbar...

So soll der Religionsunterricht aussehn

Die Zeitschrift..Die evangelische Lehrerin" gibt einen Entwurf zu einem Religionslehrplan" wieder, der von einem Lehrer Becker in Neukölln in der preußischen Lehrerzeitung ,, Erziehung und Bildung"( Nr. 3, 1934) veröffentlicht ist.

Dieser Entwurf macht für den Religionsunterricht folgende Vorschläge:

Erste Schuljahr:

1. Märchen: Rotkäppchen.( Beziehung auf den- Heiland nud auf Gott  . Wer hat die Blumen nur erdacht..., 1. und 3. Strophe.) Der Wolf und die sieben Geißlein.( Vom Ge­wissen als göttliche Stimme. Vom Glauben. Erklärung des vierten Gebotes.) Aschenputtel.( Kampf zwischen Gott   und Teufel, Pflicht des Menschen, Kampf mit dem Bösen. Der Begriff Gnade.)

2. Jesusgeschichten.... 3. Feste und Feiertage... 4. Aus der Natur...

Zweites Schuljahr:

1. Märchen: Der Arme und der Reiche.( ,, Fahr aus der Pforte den Fremdling nicht an, und gib dem Bedürftigen gerne", Edda.) Die Gänsemagd.( Begriff: Evangelium. Frohe Botschaft. Aus tiefer Not schrei ich zu dir, 1. Strophe.) Tischlein deck dich.( Gottes Wirken in der Natur. Unsere Pflichten: 7. und 8. Gebot.) Fran Holle.( Beziehung auf Je­ sus   in Gethsemane   Von Gebet und Erlösung.) Die Stern­taler.( Von Ernte und Dank.)

2. Jesusgeschichten... 3. Feste und Feiertage... 4. Aus der Natur...

Viertes Schuljahr:

1. Märchen: Dornrösschen.( Von guten und bösen Wünschen: göttlich teuflischi. Leben ist göttliches Gut, ist unsterblich. Jesu Wünsche. Jesu   segnet die Kinder.) Ma­rienkind.( Versuchung, gutes und schlechtes Gewissen, Fol­gen. Kampf um die Seele, der Sieg, Matthäus 5, 8.) Rumpel­stilzchen.( Die beiden Mächte: Gut und Böse, Gott   und Teu­fel. Die Erkenntnis der Sünde und die Erlösung. Jesus   Ver­suchung. Tobias 4, 6 und Matthäus 6, 24) usf.

Fünftes Schuljahr:

6. Die Götterdämmerung  ( dazu 1 Mose 2 und 3: vom Para­dies und Sündenfall; dazu Matthäus 7, 13 und 14). 7. Ger­manische Kultstätten und Kultgeräte, z. B. Externsteine, Steinkreise, der Sonnenwagen von Trundholm, Luren. 8. Zu sammenfassung: Altgermanische Frömmigkeit  . 9. Germani­sche und christliche Frömmigkeit im Vergleich.

Der größte Teil des Jahres ist der Betrachtung des Lebens Jesu gewidmet. Grundlage ist das Markusevangelium. Stets ist deutlich der Gegensatz zwischen Jesus   und der jüdi­schen Gesetzlichkeit, die wachsende Feindschaft der Juden und der heldenhafte Kampf Jesu   zu zeigen.

Abschnitt 4 dieser Betrachtung des Lebens Jesu ist überschrieben: ,, Des Herzogs Tod", und schließt mit dem

Gebet:

..Vater im Himmel!

Ich glaube an deine allmächtige Hand, Ich glaube an Volkstum und Vaterland, Ich glaub' an der Ahnen Kraft und Ehr', Ich glaube, du strafst unseres Landes Ver­

rat

Und segnest der Heimat befreiende Tat! Deutschland  , erwache zur Freiheit!"

Beim achten Schuljahr heißt es:

In dreimonatiger Behandlung, lernen die Kinder die ju­dischen religiösen Führer und Dichter in ihren Hochzielen kennen, jedoch nicht als Vorbereitung auf Jesus  ; denn das deutsche   christliche Glaubensleben bedarf nicht des Alten Testamentes   als Stütze für seine Entfaltung."

*

Die Zeitschrift..Die evangelische Lehrerin" macht dazu folgende Bemerkungen: Es wird unserer Leserschaft beim Lesen dieses Entwurfes gehen wie uns in der Vereinsleitung: Es dreht sich in uns etwas um, wenn wir die Größe der Gefahr erkennen, in der unsere Jugend, unser Volk steht bei solcher Verfälschung der biblischen Lehre. Der von einem Neuköllner   Lehrer verfaßte Entwurf läßt fast darauf schlie­ Ben  , daß es Tatsache ist, was wir hörten und das zu glauben wir uns sträubten, daß es unter den Augen der Reichskirchenregierung geschehen wäre."

Das fünfte Schuljahr dient der Erkenntnis, daß das reli­giöse Leben des deutschen Volkes zwei Wurzeln hat.. Die eine entspringt der germanischen Zeit, die zweite Die erneuerte Nation

geht auf das Leben und die Wirksamkeit Jesu   zurück. Im ersten Viertel des Jahres wird die germanische Mythen­welt als Quelle deutscher Weltanschauung behandelt. Ver­bindungen zu Jesus   und Luther werdea an geeigneter Stelle aufgezeigt.

1. Die Lieder vom Werden der Welt und der Menschen. Da­neben werden die zwei Schöpfungs gen der Bibel gelesen ( 1. Mose 1 und 2). 2. Die Weise von der Weltesche  . 3. Die Nornen, 4, Hel Asgard and Walhall. 5. Wodan. Baldur  . Loki  ,

Aus der Frankfurter Zeitung  :

..In der letzten Zeit haben die Sittlichkeitsverbrechen so zugenommen, daß sich das Sittenkommissariat der Frank­ furter   Kriminalpolizei jetzt an die gesamte Bevölkerung wendet, um die Mithilfe aller im Kampf gegen diese ver­brecherischen Elemente aufzurufen...

Was dem Streicher recht ist, ist den anderen Sittlich­keitsverbrechern eben nicht billig

( Stenokritiken)

Eine Renaissance des scheint zu beginnen.

I

Willy Eckenroth.

,, Théatre Français  " unter Fahre

Nach dem Erfolg des Coriolan"; nach dem Wagnis der Tragikomödie L'otage" von Claudel  : nachdem bietet er alten Stammsiglern das Werk eines jüngeren Dramatikers, bis jetzt nur von Versuchsbühnen dargestellt: ,, Martine".

Der Autor ist Jean- Jacques Bernard  . Sohn Tristan Ber­nards, dessen gütiges Humorgenie so oft ein Trost in dieser dummen Zeit ist.

II

Martine... Ein junger Städter kommt aufs Land. Er wird für ein argloses Landmädel der Gott  . Er heuert hernach eine andre. Sie nimmt einen Bauerngütler. Schluß.

Dies feine Trauerspiel des Alltags entstand in der soge. nannten ,, Schule des Schweigens". Will sagen: das Gefühl des Mädelchens wird nicht geäußert, sondern verhehlt. Nicht festzustellen, sondern zu erraten.

Sie sagt nur das Einfachste.( Noch weniger als etwa, zwei Akte lang, die Christine, bei Schnitzler  , in der ,, Liebelei". III

Stimmungen. Lebenspausen.( Stille Musik: mit Fermaten.. und einem smorzando.)

Der graue Alltag: wie bei Tschechoff; wie bei Ossip Dymoff. Doch mit eignem französischem Ton.

Bernard( der nach Neuem trachtet) schrieb das vor zwölf Jahren. Es ist ein zartes Werk... indes rings um den Pla­neten der Bombendonner droht.

IV

Madeleine Renaud  : demütig; klein; schlicht. Bezaubernd wortarm; ergreifend tonlos in verstocktem Schmerz.( Ein schlecht behandeltes Vöglein... ohne Gepiep.)

-

K..r.

Wir können es uns nicht leisten" Furtwängler für Hindemith

Wilhelm Furtwängler   nimmt heute in der..Deutschen All­gemeinen Zeitung" zum Fall Hindemith  " Stellung. In ge­wissen Kreisen, so schreibt Furtwängler  , ist ein Kampf gegen den Komponisten Paul Hindemith   eröffnet worden. Was wirft man ihm vor? Zunächst Dinge rein politischen Charakters: er sei jüdisch ver sippt und habe jahrelang in dem teilweise aus Juden bestehenden Amar- Quartett, das er ins Leben gerufen habe, als Bratscher mitgewirkt. Weiter habe er noch nach der nationalsozialistischen Revolution sich konzertierenderweise mit zwei emigrierten Juden auf Schallplatten aufnehmen lassen. Es handelt sich hier, so schreibt Furtwängler  , um eine bereits Jahre vor dem Um­sturz bestandene Streichtriogemeinschaft, deren übrige Partner nicht Emigranten waren, sondern der hervorragende Konzertmeister des Berliner   philharmonischen Orchesters Goldberg und der in Berlin   lange Jahre als angesehener Lehrer wirkende Oesterreicher   Feuermann­der als einer der besten europäischen   Cellisten allgemein an­erkannt ist.

erste

Die Hauptgründe für ihre Haltung erblicken Hindemiths Gegner in denjenigen seiner Werke, die irgendwie weltan­schaulich anfechtbar erscheinen, und zwar in drei Einaktern. Furtwängler   versichert, daß es sich hier um Kompositionen. aus der Jugendzeit handelt, als Hindemith   noch nicht einmal wußte, ober er überhaupt Komponist werden wolle. Furt­wängler zieht einen Vergleich dieser drei Werke mit Strauß Salome  ", der man gleichfalls den Vorwurf der Perversität machen könnte. Wer aber wollte um des ..Salome  "-Textes willen Richard Strauß   ablehnen? Furt­wängler stellt Hindemith   das allerbeste Zeugnis aus. Er be­zeichnet ihn auch blutmäßig als rein germanisch und als einen ausgesprochenen deutschen Typus, was seine letzten Werke beweisen. Furtwängler schließt seine Ausführungen mit folgendem Satz: ,, Wir können es uns nichtleisten, angesichts der auf der ganzen Welt herrschenden unseligen Armut an wahrhaft produktiven Musikern auf einen Mann wie Hindemith   so ohne weiteres zu verzichten."

,, mich hungert": verboten

,, Der Schriftsteller", das Verbandsorgan der National­sozialisten und Gleichgeschalteten, teilt mit, daß Verkauf und Verbreitung des Buches von Finkh: Mich hungert" in Deutschland   verboten worden ist. Auf der neuen Verbots­liste befinden sich ebenfalls ein Buch von Ludendorff  : ..Die deutsche   Zukunftswirtschaft" und ein Dutzend national­sozialistischer Bücher, in denen Röhm oder andere am 30. Juni Ermordete vorkommen,