Deutsche   Stimmen

Beilage zur Deutschen Freiheit"

Donnerstag, den 29.November 1934

Ereignisse und Geschichten

Dreigroschen- Roman  

Das neue Buch Bertolt Brechts

Herbst 1928. In Berlin  , im Theater am Schiffbauerdamm, gab man ein seltsames Stück, ein Gemisch von Oper und Schauspiel, die ,, Dreigroschenoper". Der Text stammte von Bert Brecht  , die Musik von Kurt Weill  . Es war ein Erfolg, wie ihn die Theaterstadt Berlin   seit Shaws ,, Heiliger Johanna" nicht mehr erlebt hatte. Jeden Abend sah man im ausverkauften Hause allerfeinstes Publikum mit leuchten­den Hemdbrüsten, die der Smoking umrahmte, mit Roben von den teuersten Schneidern.

Was gab es oben auf der Bühne? Eine Bettleroper, die unter Londons   niederstem Volke spielte, mit Figuren aus dem Schattenreiche der Großstadt, nachgedichtet einer alten englischen Oper, die für Bettler bestimmt war. Von der Bühne her wurden wilde und anklägerische Verse ins Parkett geschleudert, Peitschenhiebe ins Gesicht der herrschenden Klassen aller Zeiten, grimmer Witz und beißender Hohn: ,, Nur wer im Wohlstand lebt lebt angenehm." Im Par­terre und auf den Rängen saßen die Angeklagten. Statt zu pfeifen, klatschen sie, als gelte es, das schlechte soziale Ge­wissen durch ein Bekenntnis zu den im Grunde so lieben Armen zu verscheuchen.

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Der Dichter half ihnen dabei etwas mit.

Denn zuletzt

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Dieser Mackeath spricht von der Schicksalsverbundenheit

zwischen Führern und Geführten"

wir erkennen ihn nur zu gut, obwohl ihm kein schmales Bärtchen unter der Nase wächst. All die andern: wir begegnen ihnen jeden Tag in den Hofberichten des dritten Reiches", unter den Treu­händern und Wirtschaftsführern, die beim Geschäftemachen, am liebsten mit korrupten Staatsbeamten, den Phrasenbrei rühren. Wir geben nachstehend einige markante Stellen aus dem Buche wieder. Sie ersparen uns jede Erläuterung, unübertrefflich, unerbittlich in ihrer Konzentration auf das Wesentliche, auf die Auklage wider den Kapitalismus, der seine Garden honoriert und sich seine Monumente errichtet.

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Ein großartiges Buch. Es ist ohne Pathos geschrieben und darum viel pathetischer als einige der heftigen Thesen­romane, die in der Emigration erschienen. Bert Brecht  , der mit den ,, Trommeln in der Nacht  " begann, beweist mit diesem

Beförderungen

Die ultima ratio der Diktatur

bewegt sich noch immer auf gleicher Spur. Der Oberdiktator muß von den Mördern, die ihm halfen, den Gegner überzurollen, wenn sie die Lust nicht verlieren sollen, mal welche befördern.

Die Stärksten befördert er Knall und Fall vermittelst Revolverschuß nach Walhall. Die Schwächeren erben ein Amt als Leiter, mit Berechtigung, von den unteren Mördern wiederum welche zu befördern.

Und so geht das weiter.

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Befördert wird jeder des Stammes Nimm. Man hängt sich voll Tressen und treibt es schlimm. Doch kommt einst die Abrechnung mit den Mördern. wird das Volk in geeinter, zorniger Masse alle die Herrn der betreẞten Rasse zum Teufel befördern.

Buche, daß er mehr als ein Trommler für den kommen Theater in Pacis

den Tag ist. Sein Drei- Groschen- Roman" überzeugt durch die geistige Leistung eines leidenschaftlichen Mitkämpfers, dessen Stärke in dem Mangel an Illusionen besteht.

erschien der reitende Bote des Königs" und rettete den Aus dem, Dreigroschen- Roman  "

kühnen und amoralischen Helden vor dem würgenden Strick. Das war nun freilich die beißendste Satire auf die täglich erlebte Wirklichkeit Aber da war die handfest gezimmerte Handlung, im Hintergrund der Bühne saß die Kapelle, die nach den Rhythmen Kurt Weills über sie hinwirbelte, und man sang und man spielte in Kürze überall die Songs aus der Dreigroschenoper  , die später zum Wahrzeichen des aller­schlimmsten Kulturbolschewismus avancierten. Es gab nur wenige deutsche Bühnen, die in den Jahren 1929 und 1930 nicht im Dreigroschen  - Tempo nachexerzierten. Auch ein Film wurde gedreht, der freilich die Wirkung der atmender Gestalten auf der Bühne nicht zu erreichen vermochte.

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Wir wissen es alle noch. Inzwischen ist etwas eingetreten, was Bert Brecht   und Kurt Weill   nebst ihrer Hauptdar­stellerin Karola Neher  , die inzwischen durch Entziehung der Staatsangehörigkeit geadelt wurde, zu Emigranten machte. Es erschien ein Gedichtband Bert Brechts  ( Editions du Carrefour, Paris  ), und nun sein bisher größtes und sein bisher stärkstes Werk: ,, Drei- Groschen- Rom ( Verlag: Allert de Lange  , Amsterdam  ). Wer nur den Namen des Buches kennt, wird einen Augenblick versucht sein, zu glauben, daß Bert Brecht   den Welterfolg des Theaters im Reiche des Epos fortsetzen wollte. Aber wer sich das Buch mit seinen fast 500 Seiten vornimmt und liest und nicht

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mehr aufhört zu lesen, der bittet Bert Brecht   solche Ge­

danken ab.

Er findet die alten Gestalten wieder. Macheath, Peachum, Polly und den Polizeiinspektor Brown, aber sie haben in­zwischen Karriere gemacht. Bettlerkönig Peachum, der einch mit Almosen hervorlockenden Lumpen, Prothesen und Instrumenten handelte, nun steht er als Kapitalist von hohen Graden wieder auf, dessen Millionen von scharfem Stavisky­Hauch umwittert sind. Er gelangt, als der große Coup mit dem Staat geglückt ist, zu den höchsten Ehren, die das Bürgertum zu vergeben hat. Wie lange hat er sich gewehrt, Macheath- Mackie Messer, als Schwiegersohn in den Schoß seiner reputierlichen Familie aufzunehmen! Macheath- der einstige Held dunkler Kaschemmen, hat gelernt, groß­kaufmännisch mit dem Geld in der Hosentasche zu klimpern. Seine Polly gewinnt er für immer, als er Peachum von seiner stabilisierten Lebenstüchtigkeit hinreißend überzeugt. Zwar sitzt er eines düsteren Verbrechens wegen im Ge­fängnis, aber seine Genialität durchschlüpft nicht nur die Gitterstäbe, sondern es glückt ihm gleichzeitig eine sieg. reiche geschäftliche Transaktion. Den Herren Großkonfek­tionären und den Bankiers mitsamt dem Schwiegervater bringt er den höchsten Psalm des kapitalistischen   Profits so überzeugend bei, daß die selige Harmonie ein von grausamer Ironie erfülltes Ende bestrahlt.

*

Es ist schwer, das Tatsächliche dieses dreifingerdicken Buches in wenigen Sätzen zusammenzudrängen. Schließlich ist es auch nicht wesentlich. Die Gestalten sind Objekte, die von der Zeit geformt und getrieben werden. Denn spielt der Roman auch um die Jahrhundertwende, im England des Burenkrieges, so steht doch alles, was uns Heutige betrifft, auf jeder Seite und fast zwischen jedem Satz. Bert Brecht  findet Parallelen, die wir grimmig belächeln, weil sie alle­samt unter uns sind. Auch die heldischen Gestalten des ..dritten" Reiches gucken dauernd aus etwas altväterlichen Rockschößen und Hemdkrägen hervor.

Mackeath, woher kennen wir dich eigentlich so gut? Was für Sätze kommen aus deinem Munde, du, der..g eborene Führer", der weinend vor Entschlüssen zusammenbricht?

Gewissensfrage und 500 RM

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In der Deutschen Zeitung" wurden unlängst tönende Worte gegen die äußere und innere" Emigration re­schleudert. Wir wollen es endlich in Deutschland   lernen," hieß es da, daß wir uns auch für die künstlerischen Stand­punkte und Entscheidungen füsilieren lassen, wenn keinen anderen Ausweg in der Auseinandersetzung des Tages gibt."

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Ein Leser, und zwar, wie die Zeitung selber zugibt, ein ,, künstlerischer Mensch unserer Zeit, elastisch. klarsichtig. deutsch aus der Herkunft", scheint durch das hochtrabende Pathos mißtrauisch geworden zu Schreiber schlicht und eindeutig folgende Frage:

sein, er stellte dem

» Was machen Sie, wenn ein neuer Staat die Macht über­

..Jedermann weiß," sagte Peachum oft.., daß die Ver­brechen der Besitzenden durch nichts so geschützt sind, wie durch ihre Unwahrscheinlichkeit. Die Politiker können über­haupt nur deshalb Geld nehmen, weil man sich ihre Korrupt­heit ungemein feiner und geistiger vorstellt, als sie es ist. Würde sie einer genau so schildern, wie sie ist, nämlich ganz plump, dann würde jedermann ausrufen: was für ein plumper Patron! und damit den Schilderer meinen. Dabei wirkt nur das Plumpe, eben schon deswegen, weil es unwahr­scheinlich ist! Herr Gladstone könnte in aller Seelenruhe Westminster anzünden und behaupten, die Konservativen haben es gemacht. Niemand würde das natürlich von diesen glauben, denn sie haben nach Ansicht der Welt viel feinere Mittel, um zu bekommen, was sie wollen, aber niemand würde die Schuld auch jemals auf Herrn Gladstone schieben. Ein Minister läuft doch nicht mit Petroleumkannen herum!...

Macheath zu seinem ,, Unterführer" Grooch

,, Grooch," sagte er ,,, Sie sind ein alter Einbrecher. Ihr Beruf ist einbrechen. Ich denke nicht daran, zu sagen, daß er seinem inneren Wesen nach veraltet wäre. Das wäre zu weit gegangen. Nur der Form nach, Grooch, ist er zurück­geblieben. Sie sind em kleiner Handwerker, damit ist alles gesagt. Das ist ein untergehender Stand, das werden Sie mir nicht bestreiten. Was ist ein Dietrich gegen eine Aktie? Was ist ein Einbruch in eine Bank gegen die Gründung

einer Bank? Was, mein lieber Grooch, ist die Ermordung

eines Mannes gegen die Anstellung eines Mannes? Sehen Sie, noch vor ein paar Jahren haben wir eine ganze Straße ge­stohlen, sie bestand aus Holzwürfeln, wir haben sie ausge­stochen, aufgeladen und weggeführt. Wir meinten wunder, was wir geleistet hatten. In Wirklichkeit hatten wir uns un­nötige Arbeit gemacht und uns in Gefahr begeben. Kurz darauf hörte ich, daß man sich nur als Stadtrat etwas um die Auftragverteilung kümmern muß. Dann bekommt man eine solche Straße in Auftrag und hat mit dem Verdienst dabei für eine Zeitlang ausgesorgt, ohne etwas riskiert zu haben."

Peachum denkt:

..Merkwürdig," dachte er,., wie die komplizierten Geschäfte oft in ganz einfache, seit urdenklichen Zeiten gebräuchliche Handlungsweisen übergehen! Wirklich, nicht allzu weit ent­fernt ist unsere so viel gepriesene Zivilisation von der jener Zeiten, wo der Neanderthaler seinen Feind mit der Keule niederschlagen mußte! niederschlagen mußte! Mit Verträgen und Regierungs­stempeln fing es an, und am Ende war Raubmord nötig!"

Macheath zu Polly: ,, Man darf nicht der Stimme des Hasses folgen, wenn Vermögenswerte auf dem Spiel stehn!" Macheath, zu sich selbst, im Gefängnis:

,, Man sagt mir, meine Leute beschweren sich über meine Unentschlossenheit. Aber wenn es darauf ankommt, habe ich noch immer meine Entschlußkraft gefunden. Ich weiß besser als jeder andere: man muß durchgreifen, mitunter. Man muß über alles unterrichtet sein, was im Geschäft vorgeht, und man muß alles ausreifen lassen wie eine Eiterbeule. Und eines Tages muß man durchgreifen, plötzlich aus heiterm Himmel, wie der Blitz, als Chef. Die ganze Unmoral wird aufgedeckt. schonungslos. Alles erstarrt. Der Chef hat lange zugesehen, aber dann hat er durchgegriffen. Er hat nicht seine ältesten Kameraden geschont, als er merkte, daß da etwas faul war. So ist er, man kann ihn nicht täuschen..."

nimmt und ich Ihnen fünfhundert Mark in die Hand drücke? Gehen Sie über die Grenze? Was tun Sie?" Eine klare Antwort bekommt er zwar auf seine klare Frage nicht, den vernebelten Phrasen werden vielmehr ein paar neue hinzugefügt aber er kann Wotan danken, daß er für seine Wißbegier nicht füsiliert" wurde.

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,, Wenn ein neuer Staat die Macht über­nimmt" dem Manne scheinen ja tausend Jahre recht kurz vorzukommen. Und wenn wirklich ein neuer Staat die Macht übernähme, wie dürfte er es wagen, einem Natio­nalsozialisten fünfhundert Mark anzubieten? So billig hat's noch keiner von ihnen getan. Er mag sich mal bei Göring  erkundigen. was dessen feudale Emigration nach dem miß­glückten Münchener   Putsch gekostet hat.

Immerhin ist es interessant, welche Katastrophenfragen in Deutschland   bereits aufzudämmern beginnen.

( Stenokritiken)

I

Der Rote Hans.

Das zweite Staatstheater, Odéon, bringt ein Werk von St.- Georges de Bouhélier: Jeanne d'Arc  , la Pucelle de France".

Noch eine Jungfrau von Orleans  ! Die, wievielte? Hoch­betrieb in Jungfrauen" Dazu diesmal sechsunddreißig Bilder. Von der Wiege bis zur Bahre. Nein, das Stück be­ginnt vor der Geburt. Mutter wird in der Hoffnung vorge­führt bevor Hannchen aussteigt. Denn erst geht es los. II

Bouhélier verarbeitet auch sonst französische Geschichts­figuren, sobald sie ihm vor die Flinte kommen. Da gibts kein Halten.

Die Herstellungsart ist aufreizend anständig. Ein Durch­schnitt zum Rasen.

Bloß zuletzt ein menschlicher Zug: wenn Johanna, fünf­undzwanzig Jahre nach der Verbrennung, ehrengerettet wird und die alten Eltern( ungefähr) sagen:., Jetzt? Was kauf ich mir darfür?!"

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Johanna war zuvor gefoltert worden. Und erst der Zu­schauer...

III

Abram, Direktor und Spielvogt; gibt geschmackvoll ein Ausstattungswerk( wenn auch nicht so üppig, wie das zu London   im Drury- Lane- Theater passiert). Statistenheere, stundenlang. Und alles klappt.

Fräulein Falconetti war einst im Film hinreißend als Johanna. Heut ist der Umfang ihres Rollenfachs nicht so groß wie ihr eigner. Eine Kugel kam geflogen ( Uhland). K..r

Der Herr der Welt

Harry Piel   und die Volksgemeinschaft

Harry Piel   ist ein smarter Gentlemanverbrecher. Ein Mann, der aus dem fahrenden Flugzeug in ein rasches Auto springt und der es allein, als Sherlock Holmes  , mit zwei Dutzend schwerer Jungens aufnimmt.

In diesen Tagen, da das deutsche   Volk einen inneren Umbruch erlebte, änderte sich aber manches. Ein Jahrmarkt­schreier wurde zum Chef von Kunst und dergleichen, ein mystischer Wirrkopf zum Chef der Ideologie.

In diesen Tagen des inneren Umbruchs verließ auch Harry Piel   seine Flugzeug- Saltomortale und seine Verbrecher­jagden. Er verfilmte Hitlers   ,, Mein Kampf  " und die anderen epochalen Werke dieser neuen Bruchepoche. So entstand sein ,, Herr der Welt".

Also der Herr der Welt. Das ist ein böser Gehirnmensch, eine Intellektbestie, die Menschenmaschinen, also Roboter, erfindet. Roboter, die die Arbeiter aus den Betrieben drängen, Roboter, die im Kriege eine unbesiegbare Macht sind.

Dieser böse Geist hätte zu anderen Zeiten sicher gesiegt. Nicht aber im gegenwärtigen Deutschland  . Da hat er sich gründlich verrechnet. Was, Blitz und Feuer speiende Kampf­roboter? Weg mit ihnen, das friedliche ,, drittes Reich" braucht sowas nicht!

Der böse Geist unterliegt. Der charmante und blonde neue Geist siegt. Die Roboter werden zu gefährlichen und schweren Arbeiten verwandt. Die Unternehmer aber müssen den entlassenen Arbeitern Siedlungsland kaufen. Beim Kino­ausgang sagt jemand: Aber wer kauft denn die Agrarstoffe, wenn alle Arbeiter zu Bauern und alle Roboter zu Bauern werden?

Lieber Fremdling, zerbreche Deinen Kopf nicht mit solchen Fragen. Denn in diesem Knäuel von Widersprüchen ist das nicht der einzige. Der Herr der Welt von Harry Piel  . Das ist das Deutschland   von heute, das ist der schalste Kitsch und das Armutszeugnis für eine Kunst, die es nie zu etwas bringen kann.

Denn wie Eisenstein in seinem Brief an Goebbels   richtig sagte: ,, Wahrheit und Nationalsozialismus sind unvereinbar!" Und ohne Wahrheit keine große Kunst, Herr Harry Piel  in Firma Joseph Goebbels  . ( ,, Das Rote Blatt")

Kampf um Kisch

Egon Erwin Kisch  , der zunächst von den australischen Behörden verhaftet, dann aber freigelassen worden war, wurde von der Schriftsteller- Vereinigung Australiens   ein­geladen, an einem Diner zu Ehren des englischen., Poeta laureatus" Masefield teilzunehmen. Gegen diese Einladung wurde aus offiziellen Kreisen protestiert, weil zwei Minister die Absicht hatten, der auch an sie ergangenen Einladung Folge zu leisten. Daraufhin hat der Sekretär des Verbandes der Schriftsteller seinen Rücktritt erklärt,