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Nr. 267 2. Jahrgang
Fretheil
Einzige unabhängige Tageszeitung Deutschlands
Saarbrücken, Freitag, 30. November 1934 Chefredakteur: M. Braun
Nazis kaufen ,, Westland"
Schupos schreiben
Seite 2
an die ,, Deutsche Freiheit"
Ein Aufruf für Ossietzky
Seite 4
Seite 7
Die Boykottwelle wächst
Seite 8
Aufforderung an Berlin , Stand und Ziele der deutschen Rüstung bekanntzugeben Vor einer Schwenkung der deutschen Außenpolitik?
Das britische Unterhaus hat sich am Mittwoch mit der auch zu einer Außenpolitik, die mit Deutschlands Niederlage auch zu einer Außenpolitik, die mit Deutschlands Niederlage
deutschen Ausrüstung beschäftigt. Es gab bedeutsamte Abweichungen zwischen den einzelnen Reden, aber geeint war das ganze Sans in der Ueberzeugung, daß die jetzige Regierung. Deutschlands die Verantwortung für die Beunruhigung und die Vergiftung der europäischen Atmophäre trage. Das sprach auch der stellvertretende Ministerpräsident Baldwin un: aweideutig aus. Der Konservative Churchill unterschied. den Friedenswillen des deutschen Volfes von der Möglichkeit, daß die deutsche Regierung ihre Macht zu einem Angriff mißbrauchen könne. Baldwin machte das un: kontrollierbare System der deutschen Diktatur verantwortlich und hielt nebenher den Berliner Machthabern einen lehr= haften Vortrag ziemlich von oben herab. Er warf dem dent: schen Diktator vor, daß es schwierig sei, mit ihm in Fühlung zu kommen und sagte rund heraus, daß er und die anderen neuen Männer bisher sich als un= fähig gezeigt hätten, die außenpolitischen Interessen ihres Landes wahrzunehmen. In dieser Partie der Baldwinschen Rede zeigte sich eine gewisse Ungeduld und die Erwartung, daß die Lehrzeit der neuen deutschen Diplomatic nun endlich vorüber sein und irgendwie das Gesellenstück gemacht werden müsse. Weit davon entfernt, der deutschen Diftatur militärisch zu drohen, wies sie Bald: win doch nachdrücklichst darauf hin, daß Deutschland bei seiner zentralen europäischen Lage wirt: schaftlich von dem guten Willen der übrigen europäischen Länder abhängig sei. Sir John Simon schließlich sagte, daß hier kein deutsch - englisches, son: dern ein Weltproblem vorliege. Darum habe die britische Regierung ihre Erflärungen im Parlament vorher in Berlin , in Paris und in Rom notifiziert.
Die Rüstungsbestimmungen des Versailler Vertrages find praktisch erledigt. Zum ersten Male hat das eine große europäische Regierung offen zuge= standen. Die Ausrüstung Deutschlands ist international zwar nicht legalisiert, aber bekannte Tatsache. Man weiß nur noch nichts Genaues über ihren jetzigen Stand und das Ziel ihres Ausmaßes. Die englische parlamentarische Aktion hatte wohl den Hauptzweck, der Reichsregierung flar zu machen, daß England entschlossen sei, in einem Umfang und in einem Tempo hochzurüsten, daß Deutschland auf die Dauer nicht mitfommen könne. Man steht da in bezug auf die Luftrüstung vor einer ganz ähnlichen Situation wie bei den Secrüstungen vor dem Kriege. Wilhelms II, Flottenpläne veranlaßten England nicht nur zu einer Flottenrüstung, die die deutsche weit übertrumpste, sondern
im Weltkriege endete.
Wieder sagt England der deutschen Regierung:" Unsere
militärische Ueberlegenheit werden wir unter allen Umständen wahren." Und es kann jetzt viel umfassender als in den letzten Vorkriegsjahren binzufügen:„ Die Welt steht an unserer Seite und ist voll Mißtrauen gegen die deutsche
Regierung!"
Dennoch öffnen die englischen Reden der deutschen Dik: taturregierung wieder einmal die Verhandlungstore. Nur scheint die Aufforderung zum Eintritt befristet und nicht ohne Bedingungen zu sein. Baldige Erklärungen über den Stand und die geplante Ausdehnung der deutschen Rüstungen und deren Begrenzung durch den internationalen Spruch des Völkerbundes unter Teilnahme Deutschlands scheinen er= wartet und gefordert zu werden. Daß Hitlerdeutschland durch Ribbentrop solche Erklärungen schon angeboten hat, ist ebenso gewiß, wie, daß sie in London und in Berlin für ganz un= genügend erachtet worden sind.
Hitler hat erreicht, daß ihm Zeit gelassen wurde, eine Rüstungspolitik zu treiben, die sämtliche Rüstungsparagrafen des Versailler Vertrages in lächerliche Fetzen verwandelt hat, Wiederherstellung der Ehre nennen er und seine Bala: dine das. Als wenn die Ehre und der Wert einer Nation vom Stande ihrer Wassentechnik abhängig gemacht werden fönnte Die Erzesse der Hitlerei gegen alle Gebiete menichlicher Kultur haben dem deutschen Namen und den deutschen Interessen in aller Welt mehr geschadet, als es jemals die stets von allen Deutschen abgelehnte rein gewaltmäßige Diffamierung durch den Versailler Bertrag vermocht hat. Und wo ist irgendein materieller oder ideeller Vorteil für Deutschland aus seiner vertragswidrigen Aufrüstung er: fennbar? Wir warten vergebens, daß er uns je gezeigt worden wäre oder gezeigt werden könnte. Herbeigeführt wurde lediglich eine Jolierung, eine Einfesselung Deutsch lands wie nie zuvor, die zwei Möglichkeiten in bedrohliche Nähe rückt: die europäische Kriegsgefahr und die Vernichtung des Deutschen Reichs durch eine verheerende Niederlage.
London hat jetzt gesprochen, und das ist die Stimme der ganzen Welt außerhalb Deutschlands .
Berlin hat zu antworten. Man muß einstweilen bezweifeln, daß die Diktaturregierung den Mut und die Möglichkeit zu einer flaren Antwort aufbringt, denn nichts fehlt in der Residenz des„ Führers" mehr als die Führung.
Churchills Rede
Der frühere fonservative Schatzkanzler Churchill stellte zu Beginn seiner Rede feit, daß er einen Krieg weder für unmittelbar bevorstehend noch für unvermeidlich halte. Aber es scheine ihm sehr schwierig, die Schlußfolgerung zu um= gehen, daß Großbritannien unverzüglich für seine Sicherheit jorgen müsse, weil das fonit bald außerhalb seiner Macht liegen würde. Die große neue Tatsache, die die Aufmerfiamfeit jedes Landes in Europa und der Welt in Anspruch nehme, sei, daß Deutschland wieder aufrüste. Diese Tatsache dränge fait alles andere in den Hintergrund. Die Fabriken Deutschlands arbeiteten eigentlich unter Kriegsumständen. Deutschland rüste auf zu Land, in gewissem Maße zur See, und was Großbritannien am meisten berühre, in der Luit. Die furchtbarste Art des Luftangriffs sei die Brandbombe.
Eine Woche oder zehn Tage nachhaltiger Bombenangriffe auf London würden 30- oder 40 000 Menschen töten oder verstümmeln, und in furzer Zeit würden drei oder vier Millionen Menschen aufs Land hinausgetrieben werden. Es ist so gut wie zwecklos, wenn man plane, die britischen Arsenale und Fabriken nach der Westküste zu verlegen. Man müsse dieser Gefahr dort, wo man stehe, gegenübertreten und könne sich nicht von ihr wegbewegen. Er hoffe, daß die Regierung nicht die wissenschaftliche Seite des Schutzes der Bevölkerung vernachlässigen werde. Die einzige prakische und sichere Verteidigung sei, dem Feind ebensoviel Schaden zuzufügen, wie er England zufügen Anne. Dies Verfahren tänne in der Praxis völligen Schuk
bieten. Wenn das erreicht werden könne, was bedeuten demgegenüber 50 oder 100 Millionen Pfund Sterling, die durch Ablösung oder eine Anleihe aufgebracht werden. Großbritannien müsse jetzt beschließen, koste es, was es wolle, in den nächsten zehn Jahren eine Luftstreitmacht zu unterhalten, die wesentlich stärker ist als die Deutsch : lands.
Es würde ein großes Verbrechen gegen den Staat sein, wenn irgendeine britische Regierung es zulassen würde, daß die Stärke der britischen Luftstreitkräfte unter die der deutschen falle. Churchill streifte dann die Frage, ob es nüßlich sei, durch den Völkerbund die Schaffung von Schutzvorposten auf dem Kontinent zu betreiben, und fuhr fort, es bestehe kein Grund zu der Annahme, daß Deutsch land Großbritannien angreifen werde.
Aber es könnte bald in der Macht der deutschen Re= gierung liegen, dies zu tun, wenn Großbritannien nicht handle.
Alles, was bei der Organisation der deutschen Regierung notwendig sei. um ohne Ankündigung einen Angriff vom Stapel zu lassen, sei der Beschluß einer Handvoll Männer. Es sei eine Gefahr für ganz Europa , daß England sich in dieser Stellung befinde. Die Gefahr würde Großbritannien in sehr furzer Zeit beimsuchen, wenn es nicht sofort handle. Das Geheimnis der deutschen Rüstungen müsse geklärt werden. Deutschland rüste in Verlegung des Versailler Vertrages.
Heute habe Deutschland seine Luftstreitkräfte mit den notwendigen Ergänzungen auf dem Erdboden, mit Reserven. Wortsetzung fiche nächste Seite)
Genf Geni vor schweren Entschlüssen Die jugoslawische Denkschrift
Die politische Lage in Europa hat sich in den letzten Tagen weiter verschärft. Die Debatten im englischen Unterhaus über die deutsche Aufrüstung beweisen, welch schwerwiegende Entschlüsse England vorbereitet. Die Erklärungen des Abgeordneten Archimbaud in der Kammer über eine französisch- russische Militärentente sind eben falls ein Zeichen dafür, wie ernst die Situation in Europa geworden ist. Auch das Saarproblem bleibt Brennpunkt der europäischen Politik. Hitlerdeutschland hat durch feine skrupellose Agitation die Saarfrage zu einer Prestigefrage ersten Ranges gemacht. Darüber hinaus spitzt sich der jugoslawisch ungarische Konflikt gefährlich zu.
Jugoslawien hat seine Anklagenote in Genf überreicht. Ungarn hat seinerseits in schärfster Form gegen den Schritt Jugoslawiens protestiert und die sofortige Behandlung der jugoslawischen Klagen vor dem Völkerbund ver langt. Daraufhin hat jetzt der ständige Vertreter Jugo slawiens beim Völkerbund, Fotitsch, dem Generalsekretär Avenol die Denkschrift der Belgrader Regierung überreicht.
Die jugoslawische Denkschrift stellt ein umfangreiches Dokument dar, das über 60 Seiten mit zahl= reichen Dokumenten und Bildern umfaßt. Jugoslawien versucht den Nachweis zu erbringen, es hä.te wiederholt Ungarn auf die Umtriebe kroatischer Terro risten auf ungarischem Boden aufmerksam gemacht. Es wird in der Denkschrift dokumentarisch nachgewiesen, daß die ungarischen Behörden die kroatischen Terroristen und ihr Treiben stets begünstigt hätten. In der Zeit von 1929 bis 1931 feien auf jugoslawischem Boden 20 terroristische Akte verübt worden, die auf ungarischem Boden vorbe reitet worden seien. Wiederholt sei die Belgrader Regierung in Budapest vorstellig geworden, daß dem ein Ende gemacht werde. Aber die jugoslawischen Proteste seien stets unberücksichtigt geblieben.
Geradezu sensationell wirkt die Stelle der Denkschrift, die sich auf eine Note Jugoslawiens vom 1. August 1933 bezieht. Die Belgrader Regierung hat mit dem Vermerk sehr dringlich" Budapest ersucht, sofort den kroatischen Terroristen Mijo Kralj( einen der künftigen Teilnehmer des Attentats auf König Alexander und Louis Barthou ) zu verhaften. Auch diesem Ersuchen sei nicht stattgegeben worden. Mijo Kralj konnte im Gegenteil ungestört seine Tätigkeit in Ungarn fortsetzen, und er hat im September einen regulären ungarischen Baẞ erhalten, der ihm die Möglichkeit gab, mit den anderen Terroristen nach Frankreich zu gelangen, und hier das Attentat von Marseille durchzuführen. Die Denkschrift erinnert auch an das Exposé, das Jugoslawien im Juni dieses Jahres dem Völkerbund unterbreitet hatte. In dieser Denkschrift wurde die Tätigkeit der kroatischen Terroristen im Lager Janke Buszta enthüllt. Es handelt sich um dasselbe Lager, in dem tatsächlich später das Marseiller Attentat in allen Einzelheiten vorbereitet wurde. Die Denkschrift enthält außerdem ein Dokument, worin die enge Verbindung zwischen den offiziellen ungarischen Kreisen und den kroatischen Terroristen nach gewiesen wird. Dabei werden auch indirekte Beschuldigungen gegen den Vertreter Ungarns beim Völkerbund, Tibor von Eckart, erhoben.
Genau so, wie man nach dem Attentat in Marseille. unwillkürlidh an Serajewo gedacht hat, genau so steigt beim Lesen der jugoslawischen Denkschrift die Erinnerung an das österreichische Ultimatum im Juli 1914 auf. Es ist zivar ein großer Unterschied zwischen der damaligen österreichischen und der jetzigen jugoslawischen Note: Letztere trägt keinen ultimativen Charakter. Aber thr Inhalt ist so schwerwiegend, die Spannung zwischen den beiden Ländern ist so groß, daß die Gefahr schwer ster Erschütterungen nicht von der Hand zu weisen ist. Nicht umsonst schließt die jugoslawische Denkschrift mit den Worten:
,, Die ungarische Regierung hat eine schwere Verantwortung auf sich geladen, die vor dem höchsten Organ der Staatsgemeinschaft aufzuzeigen, die jugoslawische Regies