Aktivität des Quai d'Orsay

Paris  , 29. November.

Von unserem Korrespondenten.

Der Quai d'Orsay steht zur Zeit im Zeichen ganz beson­ders angespannter Arbeit. Zwischen dem rumänischen Außenminister und seinem französischen Kollegen Laval finden wichtige Unterhaltungen statt, der türkische   Außen­minister führt bedeutungsvolle Gespräche mit Laval, und dann wieder treffen sich beide ausländischen Gäste mit dem Leiter der französischen   Außenpolitif, um gemeinsam alle die Fragen zu diskutieren, die den drei Staatsmannern und den von ihnen vertretenen Völkern ganz besonders am Herzen liegen. Die französische   Presse begleitet alle dieje Konferenzen mit ihren Kommentaren, ohne daß sie jetzt schon auf ein bestimmtes Ergebnis hinweisen kann. Man will wissen, daß Tembik Ruschdi Bey nach Paris   gekom­men sei mit dem Vorschlag, einen französisch- tür= fischen Paft abzuschließen. Diese Absicht stößt nicht überall auf freundliches Verständnis. So jagt zum Beispiel a in: Brice im Journal", Frankreich  würde Italien   mißtrauisch machen, wenn es jetzt ein Einzel­abkommen mit der Türkei   abichließen würde. Es gäbe tat­sächlich im Mittelmeer   feine Sicherheit ohne die französisch­italienische Verständigung, in Mitteleuropa   ohne die Ver­ständigung zwischen Italien   und Jugoslawien   im Often ohne die Verständigung zwischen Polen   und der Tschecho­ slowakei  .

Im Deuvre" hofft Genevieve Tabouis  , daß zwischen der Kleinen Entente   und den Mächten des Balkan= paktes, also Jugoslawien  , Bulgarien  , Griechenland   und Türkei  , bald die noch bestehenden Gegensätze beseitigt wür­den und dadurch ein wirklicher Balkanpaff zustande käme, dem alle Balfanmächte angehören. Italien   habe vor kurzem in Genf   der Kleinen Entente   und insbesondere der Tichecho= slowaker und Jugoslawien   ein Abkommen angeboten, in dem Desterreichs Unabhängigkeit garantiert werden sollte. Die Antwort habe gelaufet, daß beide Mächte mit den an= deren Balkanmächten solidarisch seien und nichts mehr wünschten, als mit Italien   friedlich zusammen zu arbeiten, aber unter der Bedingung. daß Italien   friedlich auf seine Politik auf dem Balkan   des Divide et. Impera"( die Gegner voneinander trennen, um sie einzeln zu beherrschen) verzichte. Die französische   Journalistin meint. daß dieses Biel jeßt erreichbar sei. Ein Abkommen mit der Türkei  bestehe für Frankreich   noch nicht. Es sei wünschenswert, dürfte aber erst dann verwirklicht werden, wenn Frank­ reichs   Verhandlungen mit Italien   günstige Gestalt an= genommen hätten.

Die italienisch- französische

Verhandlungen

Rom  , 30. November. Infolge der Verschärfung des ungarisch   jugoslawischen Konflikts ist in verschiedenen politischen Kreisen die Ansicht vertreten worden, daß die geplante Reise Lavals nach Rom  neuerdings verschoben wird. Von unterrichteter Seite wird erklärt, daß die italienisch- französischen Verhandlungen feine Unterbrechung erfahren haben und daß angeblich der bis­herige Verlauf sogar zu optimistischen Aussichten Anlaß gese. Nach wie vor wird angenommen, daß Laval   voraus sichtlich am 20. Dezember hier erwartet werde.

BRIEFKASTEN

An mehrere. Auf Ihre Anfrage geben wir das von dem neuen Organ des Saarfömminars Bürcel Nazi- ,, Westland" in französischer Sprache abgedruckte Schreiben des früheren Herausgebers des ,, Westland", A. Thalheimer, in deutscher   Uebersetzung wieder: Herrn Weißenberg, Paris  . Ich bestätige unsere Vereinbarung und Unter­haltung von heute früh. Ich habe Ihnen die gegenwärtige Lage von ... Westland" und die Geschichte seiner Gründung auseinandergesetzt. Das Kapital der Gesellschaft in Höhe von 100 000 Fr., das ich aus meinen eigenen Mitteln und ohne Hilfe von dritten Personen ein­gezahlt hatte, ist infolge der enormen Schwierigkeiten, auf die ich an der Saar   gestoßen, bin, ungenügend gewesen. Ich habe nicht ge­zögert, fortwährend bedeutende Summen einzuzahlen, die weit das Gründungskapital überschreiten. Es ist mir ein Leichtes, Ihnen dafür einen Beweis auf Grund meiner Bücher und Bankausweise zu liefern.

Ich habe Ihr Angebot, Ihnen die Gesellschaft für den Preis von 200 000 Fr. zu verkaufen, nur angenommen, um die Existenz der Zeitschrift zu sichern. Ich habe mit Genugtuung von Ihrem Ber­sprechen über die Möglichkeit einer Erhöhung des eingezahlten Kapitals Kenntnis genommen, was die Möglichkeit bieten würde, aus Westland" ein noch bedeutungsvolleres Blatt zu machen und so dazu beitragen würde, eine noch wirksamere antihitlerische und saarländische Propaganda in die Wege zu leiten..."

Die Rechtsstelle für deutsche   Flüchtlinge in Paris   schreibt uns: Seit etwa 6 Wochen hält sich in Paris   ein gewisser Martin Ruder auf. Er wohnt jest 67, rue des Moines, Paris   17. Er gibt an, am 29. 10. 1902 in Frankfurt am Main   geboren zu sein und zuletzt in Berlin- Tegel  , Brunowstraße 56, gelebt zu haben. Nach seinen Be­Hauptungen ist er ab Februar 1933 bis September 1934 in ver schiedenen Konzentrationslagern festgehalten und angeblich schwer verstümmelt worden. Er zeigt seinen linken Arm vor und ver­sichert, dieser sei im Lager gebrochen und. ausgeschnitten worden, so daß er jetzt nicht brauchbar ist. Kuder will auch Gerichtsassessor féin, aber in der letzten Zeit kaufmännisch gearbeitet haben. Kuder gibt an, durch die Leiden im Konzentrationslager einen nervösen Sprachfehler erhalten zu haben; er. hat beim Sprechen 3udungen im Gesicht und wirkt sehr nervös. Möglicherweise ist dies simuliert. Nach den letzten zuverlässigen Ermittlungen in Deutschland   ist Ruder unzweifelhaft ein Hochstapler und Betrüger. Er hat niemals studiert, hat in Deutschland   wegen krimineller Vergehen im Gefäng nis gesessen und hat es hier in Paris   verstanden, sich bei allen nur erdenklichen Stellen Unterstüßungen und Empfehlungen zu verschaffen. Es erscheint zumindest höchst zweifelhaft, ob er überhaupt im Konzentrationslager gewesen ist; es besteht die Befürchtung, daß er von seinen hiesigen Erfahrungen meiteren unlauteren Ge­brauch macht. Wir warnen dringend, sich in irgendeiner Weise mit ihm einzulassen und bitten, etwa bei ihm vorgefundene Empfehlungs­schreiben einzubehalten.

A. M., Neuyork. Wir danken Ihnen für die wertvolle Zeitungs­sendung. U. a. schreiben Sie: Der Bund   der Freunde des neuen Deutschland  " hatte einer seiner regulären Versammlungen im Ebling Casino", 156, Street und St.- Ann- Avenue, an welcher etwa tausend Personen teilnahmen. Im selben Gebäude hatte der Gler mont- Club" in einem Saale, welcher gerade über dem Nazijaal gelegen ist, eine Versammlung, welche von ungefähr sechzig Personen besucht war. Als Dave Wallach, ein Mitglied des Clermont- Clubs", den Lift besteigen wollte, wurde er von einem Razisten mit einem Knüppel über den Kopf geschlagen. Wallach teilte dies seinen Klub­fameraden mit, diese stürmten dann in die Naziversammlung, eine Prügelei entstand und die Polizei wurde von den Nazis alarmiert. Die Polizei drang mit gezogenen Revolvern in die Versammlung und verhaftete den Nazisten Siebert, welcher Wallach angegriffen hatte. Inzwischen demolierten die Mitglieder des Clermont- Clubs" die vor dem Gebäude stehenden Naziautos. Die Nazis wurden dann

von der Polizei im Gilmarsch nach der nächsten Sochbahnitation ges leitet, begleitet vom Clermont- Club", die Milchflaschen, Steine und andere Wurfgeschone in die Nazireihen schleuderten. Auf der Hoch­bahnstation tam es noch einmal zu einer lustigen Prügelei, in welcher es viele blaue Augen und verbeulte Köpfe gab." Alles in allem: die Nazis scheinen bei Euch so beliebt zu sein, wie sie es verdienen.

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Freund in Budapest  . Sie übersenden uns den Pester Lloyd" mit 5 Uhr veranstalteten folgender Notiz: Der Geburtstag Erbfönig Ottos. Heute nachmittag wie aus Wien   telegrafisch gemeldet wird die jüdischen Frontsoldaten in der Synagoge der Inneren Stadt einen Otto- Gottesdienst, zu dem auch Erzherzog Eugen in Marschalluniform erschienen war. Der Erzherzog wurde vom Führer der jüdischen Frontsoldaten, General Sommer, begrüßt. Erzherzog Eugen drückte seine Freude darüber aus, daß er an diesem Gottes dienst erscheinen und sich von der dynastischen Treue der südischen Frontkämpfer überzeugen könne. 203 ist Geist vom Geiste des Hitlerjuden Naumann im dritten Reiche". Ins Land der Franken fahren." Bei Ihrem Besuche im Reiche Streichers haben Sie das dortige Achtuhrblatt" in die Hand be­kommen. Es bringt das Bild einer Judenverbrennung in Nürnberg  mit folgenden gemütvollen Zeilen darunter: So faßte man die Juden im Mittelalter an. Unter der Zustimmung der erbitterten Bolksmenge wurden die schlimmsten dieser wuchernden Fremdlinge verbrannt. Wieviel humaner ist dagegen der nationalsozialistische Staat, der diesen Volksfeinden, wenn sie sich auch nur ein wenig anständig benehmen, nicht nur Gastrecht gewährt, sondern ihnen sogar die freie Ausübung des Berufes gestattet. Unser Bild zeigt

eine Judenverbrennung in Berlin   auf dem Neuen Markt."- Man spürt das Bedauern, daß Juden im dritten Reich" einstweilen nur in Konzentrationslagern und in SA.- Kellern nichtöffentlich tot geschlagen werden, statt daß man sie öffentlich verbrennt.

Willy Schäferdied. Sie haben ein Hörspiel geschrieben, das Sie aus Ihrem Zimmer im Reichssender Köln   nach Berlin   schickten. Von hier aus ging es in diesen Tagen über fast alle deutschen  Sender, und es hieß: Jakob Johannes". Das ist nämlich der Name des neuen Schlageter von der Saar  . Jakob Johannes war ein Saararbeiter, der im Jahre 1919 vom französischen   Militär­gericht zum Tode verurteilt und erschossen wurde. Man hatte ihn eines Mordversuchs beschuldigt. Wir prüfen nicht, ob das Urteil zu Recht erfolgte, aber immerhin hatte man ihn mit der Waffe in der Hand verhaftet. Ihr Hörspiel zu dieser Episode ist pompös und knallig, voll schwelender Tendenz gegen die französische   Rachejuſtiz, nicht ganz ohne Talent. Damals, als Sie unter der Protektion des heuter unter Anklage stehenden früheren Intendanten und Dichters Ernst Hardt   von einem kleinen Angestelltenposten in den Weft­deutschen Rundfunk einrückten, da waren Sie gut Freund mit allen Sozialisten und Marristen im nahen und weiten Umfreise. Sie drückten ihnen gesinnungstreu die Hand und machten hinter Ihren Brillengläsern traurige Augen, wenn sich Strömungen von rechts her im Rundfunkhause durchzusetzen suchten. Sie schrieben sozial­radikale Verse und spotteten mit anderen Spöttern über die Nazis. Als Jhre Kollegen der Reihe nach im Frühjahr 1933 herausgeworfen wurden und Ihr Protektor, der Intendant, gefangen gefeßt wurde: Sie blieben. Heut stehen Sie vermutlich bereits im Geruch eines alten& ämpfers" mit den feinsten braunen Beziehungen. Vielleicht tommet Jhresgleichen wieder angefrochen, wenn es anders herum geht. Vielleicht bereiten Sie sogar schon ein Heldenepos vor über Ihre einstigen Brüder, die erschossenen, geföpften und erschlagenen Proleten. In Ihrem Rundfunkdrama Hallte es wider von der un­sterblichen deutschen   Idee, verkörpert durch Johannes.

Für den Gesamtinhalt verantwortlich: Johann Pig in Dud. weiler; für Inserate: Otto Rubn in Sacrbrücken. Rotationsdruck und Verlag: Verlag der Rolfsstimme GmbH. Saarbrüden 3, Schüßenstraße 5. Schließfach 776 Saarbrüden.

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Es kommen zu Wort: Der Großindustrielle Hermann Röchling  . Der Führer der Deutschen   Front, Pirro. Der Pfarrer Wilhelm. Der Vor­sitzende der Handwerkskammer  , Schmelzer. Gräfin von Roedern. Der Propagandaleiter der Deutschen   Front, Peter Kiefer. Minister Zoricic., Drouard, Vorsitzender der französisch  - saarländischen Han­delskammer. Raspail  , Direktor der Mines Domaniales. Dr. Velleman, Generalsekretär der Abstimmungskommission. Exzellenz Galli, Vor­sitzender des Obersten Abstimmungsgerichtes. Dr. Martiner, General­Advokat beim Obersten Abstimmungsgericht. Landgerichtsdirektor Steinfels. Johannes Hoffmann  , Führer der katholischen Front. Max Braun  , Vorsitzender der Sozialdemokraten. Fritz Pfordt und Philipp Daub, führende Funktionäre der Kommunisten. Julius Schwarz  , Vor­sitzender des Bergarbeiterverbandes. Arbeiter und Bauern, Geist­liche und Handwerker, Hausfrauen und Schulkinder, Kaufleute und Lehrer.

Inhaltsangabe: Mitten in Europa   1934. Deutsch   sein. Hitler   vor den Toren. Hier regiert der Völkerbund  . Die toten Seelen. Kommt die Wirtschaftskatastrophe? Gleichschaltung der Sklaverei?. Die Front der Schwankenden. Die katholische Fronde. Die Einheits­front. Das andere Deutschland  . Ein Würfel fällt an der Saar  

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