Deutsche   Stimmen Beilage sur

Deutschen Freiheit" Sonntag- Montag, den 2. und 3. Dez mber 1934

Ereignisse und Geschiciter

Furtwängler in Acht und Bann?

Die NS.  - Kulturgemeinde verwahrt sich entschieden...

Furtwängler, der festlich und feierlich Gleichge­schaltete, den Göring als besonders Vertrauenswürdigen in den Staatsrat berief, erlebt eine hohe Enttäuschung. Unter dem Diktat seines künstlerischen Gewissens war in diesen Tagen lebhaft für den Komponisten Hindemith   in der ,, Deutschen Allgemeinen Zeitung" in einem Leitartikel ein­getreten, aus dem die Deutsche Freiheit" einen Auszug veröffentlichte. Sein Aufsatz geißelte in dem Appell, daß wir es uns einfach nicht leisten könnten, bei dem bedrückenden Mangel an musikalisch- kompositorischen Talenten einen Mann von der hohen Begabung Hindemiths in die Wüste zu schicken.

Welche Antwort erhält er? Eine scharfe Verwah­rung und Verwarnung der NS. Kulturge­meinde, deren ,, Reichsamtsleitung" schreibt:

Wir verwahren uns dagegen, daß der von der NS.­Kulturgemeinde offen und ehrlich vorgetragene Angriff gegen Hindemith   mit der Bezeichnung von gewissen Kreisen" abgeschwächt und als politisches Denunzianten­tum" verdächtigt wird. Herrn Staatsrat Dr. Furt wängler sei in aller Deutlichkeit gesagt, daß eine amtliche Aeußerung einer Organisation der nationalsozialistischen Bewegung nichts mit politischem Denunziantentum gemein hat. Wir weisen daher diesen Versuch Furtwänglers und der ,, Deutschen Allgemeinen Zeitung", die sachliche Ab. lehnung eines Kulturbolschewisten mit solchen zu diskriminieren, entschieden zurück. Bei der Ablehnung des Komponisten Paul Hindemith  durch die NS  .- Kulturgemeinde steht der Wert oder Un­wert seines derzeitigen musikalischen Schaffens gar nicht zur Diskussion Der Nationalsozialismus   setzt vor die Be­wertung des Werkes die Wertung der schaffenden Persön­lichkeit. Die Tatsache, daß Hindemith   jahrelang vor der Machtergreifung eine bewußte undeutsche Haltung an den Tag legte und schon damals nach den eigenen Worten Furtwänglers aus Rücksicht auf den Zeitgeist tat, läßt ihn

für die kulturelle Aufbauarbeit der Bewegung als un­tragbar erscheinen, zumal da anzunehmen ist, daß er auch seine heutige Haltung aus Rücksicht auf die Kon­junktur einnimmt, womit er lediglich einen äußerlichen Stellungswechsel vollzieht."

Furtwänglers Vorstoß ist aber nicht nur ohne Ergebnis geblieben. Es droht ihm selbst Hindemiths Schicksal. So setzt sich Hitlerdeutschland mit den wenigen bedeutenden Künstlern, die ihm freudig dienstbar sind, auseinander.

*

Noch wilder geht der Angriff" gegen Furt­wängle ins Zeug. Das Blatt schreibt, daß die An­zeichen für einen ausgesprochenen Machtkampf sich ver­dichten".. Hindemith   betrieb einen Kulturbolschewismus tollster Art. Ihm war nichts, aber auch das Heiligste nicht heilig. Seinesgleichen gab es auf jüdischer Seite vielleicht gerade eben noch, auf deutscher nicht wieder. Er war die musikalische Größe im Novemberstaat. Die Großmut des nationalsozialistischen Regimes, das Hindemith als Hoch­schullehrer beibehalten habe, hindere ihn nicht, sich mit jüdischen Kollegen in der Schweiz   zu treffen und dort Ver­brüderung zu feiern. Furtwänglers Angst, daß Hindemith  . wenn man ihn nicht in Ruhe lasse, auswandere, wird als lächerlich dargestellt. Um Hindemith   auszustechen, stellt der ,, Angriff" einen Katalog von jungen Musikern auf. Die Namen sind Carl Ehrenberg  , Hermann Grabner   und dessen Schüler Kurt Thomas  , Sigfried Müller, Wolfgang Fortner   und Hugo Distler  . Gegen Furtwängler erhebt der Angriff" den Vorwurf, daß in Deutschlands   ersten

Durchgreifendes

Wer weiß, was das bedeuten soll? Erst klang es Dur, jetzt tönt es Moll..:

Zunächst, da war es eine Pracht: ..Sieg in der Arbeitsschlacht"

Wurde zweimal täglich bekanntgemacht.

Nun aber

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pfui nochmal! zeigen

Sich Kehrseiten: die Preise steigen.

Man liest, peinlich betroffen Der Mund bleibt offen

Ueber den Mangel an Rohstoffen.

Für gewisse Tückebolde

Wird auch dieses Defizit zu Golde.

Man predigt den deutschen Familien: ... Sehet die Lilien..."

Und sie verschieben die Textilien.

Auch wegen gestiegener Preise beim Bäcker Hört man Gemecker.

Fünfen sperrt man den Laden zu. Nun ist wohl Ruh?

Prost! Müllers Esel, das bist du!

Zwei Schlächter, drei Krämer wandern in Haf: Die Preise klettern fabelhaft.

Goerdeler   holt sich' nen Schnuppen: Hitlers   beste Truppen

Soll er ins Gefängnis stuppen?

Wie schön könnt ein Preisdiktator leben, Würd es keine Wirtschaftsgesetze geben!

Konzertsälen für lebende deutsche Meister außer Hinde- Film in Pacis

mith so gut wie kein Platz sei, ausländische Namen dagegen in ganz unverhältnismäßig großer Zahl in den Vordergrund treten....

Wie lange noch Generalmusikdirektor und Staatsrat, Herr Furtwängler?

Braune Film- Dämmerung

Goebbels  

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tief enttäuscht und verärgert

Es sollte bekanntlich mit dem politischen Aufbruch" die Erneuerung des Theaters und des Films beginnen. Es scheiterte bei der Bühne es mißglückte beim Film, ob­wohl der Herr Propagandaminister alle guten Geister der Leinwand unermüdlich beschwor und die Welt auf seine Taufpatenschaft des echten, also des nationalsozialistischen. Films unermüdlich hinwies.

Jetzt heißt es in einer amtlichen Verfügung des Reichs­ministers für Volksaufklärung und Propaganda, er, der Herr Minister, habe sich entschlossen, zwei der besonders krassen Fälle der letzten Zeit herauszusuchen und diese Filme zu verbieten. Es handelt sich dabei um den Westro­Film der Europa   ,, Die Liebe siegt" und den Lloyd- Film des NDLS. Ein Kind, ein Hund, ein Vagabund". Beide Filme sind nicht verboten, weil sie gegen staats­politische Interessen verstoßen oder weil sie Grundsätzen der nationalsozialistischen Weltanschauung zuwiderlaufen, son­dern weil sie unkünstlerische, seichte und geschmacklose Machwerke darstellen". In beiden Fällen ist mit voll­kommen fantasielosen Mitteln verfahren worden, hat man die am Film tätigen künstlerischen Kräfte( Darsteller, geistlose Verblödungsware Lerzustellen). Die Her­steller der Filme haben die Hilfe des vom Reichsminister für Volksaufklärung und Propaganda eingesetzten Reichs­filmdramaturgen nur zensurmäßig in Anspruch genommen, haben geglaubt, bei der späteren Arbeit im Atelier sich über seine Wünsche, Anregungen und fördernden Ratschläge ein­fach hinwegseten zu können.

Beide Filme sind verboten, um den Herstellern zu zeigen, daß die Regierung nicht gewillt ist, das Geschmack­niveau des deutschen Volkes von künstlerischen, gewissen­losen Filmproduzenten gewaltsam herabdrücken zu lassen."

Da haben sie nun eine mächtige Organisation geschaffen. Mit Reichsfilmkammer und Reichsfilmdramaturgen, mit Zensur und mit Staatspolizei. Aber aus dem Nichts kann nichts werden. Jetzt heißt es in der amtlichen Kundmachung tief bekümmert:

,, Leider stehen Mühe und Arbeit der zuständigen Reichs- und Kammerstellen noch in keinem Verhältnis zu dem künstlerischen und kulturellen Wert der in der letzten Saison in Deutschland   geschaffenen und vorgeführten Filme. Die Schuld daran trägt die Filmindustrie selbst, die zum größten Teil glaubt, die helfende Hand des Staates übersehen oder ausschlagen zu können und statt dessen die alten ausgefahrenen Gleise der Filmherstellung weiterführt.

Es bleibt zu hoffen, daß durch diese beiden Verbote als Warnungssignal der deutschen Filmindustrie schließlich doch die Einsicht kommt, daß die Wege, die sie zum größten Teil noch beschreitet, falsch sind. Es ist hier auch wichtigste Aufgabe der Filmkritik, sich mit der­artig schlechten Filmen schonungslos auseinanderzusetzen. Gerade durch unverschleierte offene Kritik wird dem deutschen Film am meisten geholfen."

Das ist eine ehrliche Bankrotterklärung. Woher aber sollen die Herren Filmhersteller den guten Geschmack haben? Sehen sie nicht ringsher braunen Kitsch Byzantinismus und Blauveilchen- Roman­tik, die sich vor den ,, Führern" gemein machen? Auch von den Kritikern wird etwas viel verlangt. Sie sollen hier ,, schonungslos" sein. Das geht aber nicht, wenn sonst nur Leistungen der Servilität nach den Maßstäben des Propa­gandaministeriums von ihnen gefordert wird. Sie treten womöglich mit einer scharfen Besprechung einem braunen Protektionskind auf den Fu und das haben sie dann bitter zu büßen.

Woche des Buches

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Eine Woche des Deutschen Buches", die eben in Deutsch­Tand abgehalten wurde, gibt uns Gelegenheit, eine Art von Kulturpropaganda kennen zu lernen, für die Deutschlands  erster Propagandist, Reichsminister Dr. Josef Goebbels  , per­sönlich verantwortlich ist.

Die Idee der Buch- Woche ist nicht neu, sie stammt auch nicht aus der geistigen Rüstkammer des ,, dritten Reiches". Der Schutzverband Deutscher Schriftsteller, der sich der Auf­lösung durch die Verlegung seiner Geschäftsstelle nach Paris  entzog und heute die einzige nichtgleichgeschaltete Organi­sation deutscher Intellektueller ist, hat den Tag des Buches zum erstenmal an Goethes Todestag, am 22. März, im Jahre 1927 festlich begangen. Er war sechs Jahre hindurch ein re­präsentativer Gedenktag, der durch Vorträge und Vorle­sungen jüngerer wie auch prominenter Dichter in Buchhand­lungen und Universitäten seine besondere Gestaltung bekam. Die Buchhandlungen dekorierten Schaufenster, in denen Bücher jeder künstlerischen und politischen Richtung zu sehen waren. Die schon damals notleidenden Schriftsteller und Buchhändler versuchten gemeinsam und tapfer ohne gegenseitige Bespitselei und Gesinnungsriecherei sich gegen die Krise der Zeit zu wehren.

Damals wurden keine Bücher verbrannt, keine Dichter er­mordet, keine Schriftsteller ausgebürgert.

Auch das ,, dritte Reich" veranstaltet eine Gedenkfeier für das Deutsche Buch, Immer für das Zahlen- und Massenmäßige

( Stenokritiken)

1.

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Mucki.

Man wird in Paris   gefragt: ,, Haben Sie den und den Film gesehen?" Es ist Erpressung denn im Klang der Worte steckt ein drohender Vorwurf: ,, Unseliger! Das Beste kennst du nicht; es ist der Film der Filme."

Ich hätte trotzdem weitergelebt... Ging aber schließ. lich hin und sah ,, Das Gewitter"( ,, L'orage") von dem Russen Petroff.

II.

Wer weiß, wie oft anderswo der Film gegeben wurde. Hier ist er halt heute der Mittelpunkt.

Mit Recht. Diese Kunst ist nur mit einer zu vergleichen: mit der Russenkunst selber. Nicht Petroff, der zufällige Spielvogt, schuf das: sondern alle Russen selbander, die seit Stanislawski   Theater spielten und filmten.. Vereinzeltes Gewächs ohne Nachbarn.

III.

Die Fabel. Die Fibel! Blöd und frühstufig.

Ehebrecherin unter Bauermenschen. Sie hat Angst vor dem Gewitter: beim Gewitter beichtet sie den Ehebruch. Geht in die Wolga  .

Einfachheit unverknäulter Seelen.( Es ist nicht das Ideal; sondern die verborgenen Wandelgänge des Innern werden es, trots allem, künftig sein. Künftig wieder sein.)

IV.

Aber wie diese Köpfe beleuchtet sind. Wie diese Ge­staltenmenge steht und geht. Wie jedes( arglose) Gefühl in Haltung und Antlig aus der Pistole geschossen kommt. Wie alles breit und wahr hingestellt wird: das ist nur mit einer einzigen Filmkunst vergleichbar: mit derselben; mit der russischen.

V.

Item: es ist nicht ,, der Film der Filme"... aber Moskau  ist bis auf weiteres der höchste Hort des Films. K..­

,, Auf Befehl des Führers"

Fememörder Schulz in der   Schweiz Berlin  

, 30. Nov. In einem in Berlin   schwebenden Proze kam zur Sprache, daß der ehemalige Oberleutnant und Fememörder Schulz ,, sich auf Befehl des Führers" in des Schweiz   aufhält. Ueber den Grund des Befehls und die Tätigkeit des Schulz in der Schweiz   wurde nichts gesagt. Da­gegen steht fest, daß sein Bruder seit dem 30. Juni ver­schwunden ist und niemand weiß, wo er steckt. Pinero  

Der berühmte englisch  - jüdische Dramatiker Sir Arthur Wing Pinero   ist in London   im 80. Lebensjahr gestorben.

begeistert, nahm es statt des Tages eine ganze Woche. Aber wo es an Qualität fehlt, wird es durch die Quantität allein nicht besser. Was ist der deutschen Literatur innerhalb Deutschlands   Von seinen zahlreichen mit Erfolg aufgeführten Theater­geblieben?

stücken gilt ,, The second Mrs. Tanqueray"( 1893) als sein Meisterwerk. Mit dem Erfolg dieses Stückes hat er an­erkanntermaßen die Bahn für Shaw, Galsworthy   und die übrigen englischen Modernen freigemacht.

Das Brandenburger Tor   soll zugemauert werden. Warum? Görings Kleiderschränke reichen nicht mehr aus. Sagen Sie mal, was ist das eigentlich Deutsches Clearing? Der internationale Kuckuck!

Neben den drei großen, ehrwürdigen, aber längst ver­stummten greisen Hauptmann, Ricarda Huch   und Stehr und Thomas Mann   nicht viel. Da ist Herr Blunck der sich früher um die Mitarbeit an ,, kommu­ nistischen  " Zeitschriften bemühte und der es jetzt tatsächlich nistischen Zeitschriften bemühte und der es jetzt tatsächlich ,, Lachen links" zum Präsidenten der Reichsschrifttumskammer gebracht hat. Da ist, Rudolf Binding  , Bürgermeister in Hessen  , ein äußerst exklusiv und konservativ schaffender Künstler ähn­lich wie der Spinoza  - Biograph Kolbenheyer  . Da ist Hans Grim m, der Verfechter eines Kolonialgedankens, da ist Beumelburg, der Kriegsdichter, da ist Hans Johst  , früher ekstatischer Expressionist, da ist Gottfried Benn  , Hautarzt und Lyriker, da ist schließlich Josef Goebbels  , Verfasser des Romans ,, Michael", ein Schüler des jüdischen Literaturhistorikers Gundelfinger. Das ist so ziemlich alles. Sie vertreten heute den deutschen Dichter.

Herr Hans Friedrich Blunck  , Ehrendoktor und Präsident, hielt zwei Reden zur Woche des Buches. Die erste im ,, Kai-­serhof" vor der Presse, die zweite im Sportpalast" vor dem Volke. Im Kaiserhof sprach er von der Aufgabe des Dichters, das Reich zu umraunen und die Winde singen zu lassen, die

darüber hingehen. Im Sportpalast richtete er an das Aus­land die Aufforderung zum geistigen Wettstreit, zum ritter­lichen Kampf der Geister. Goebbels   empfahl, am deutschen  Buche festzuhalten; Hans Johst   und Josef Magnus Wehner  lasen Eigenes, Lothars Müthel las Fichte und George.

In Mainz   nannte ein Herr Dr. Geisow Goethes Faust   II. Teil das hohe Lied des Nationalsozialismus.

So chrt man heute in Deutschland   den Dichter und sein Werk F. G