Völker in Sturmzeiten Nr. 84

Völker in Sturmzeiten

Im Spiegel der Erinnerung- im Geiste des Sehers

,, Hier spricht die Saar"

Ein Land wird interviewt/ Von Theodor Balk  

Zu den vielen Büchern, die über die Saar   und über den europäischen   Kampf um sie geschrieben wurden, hat sich soeben ein neues gesellt. Es heißt: Hier spricht die Saar", und es wurde geschrieben von Theodor Balk  ( erschienen im Ring- Verlag in Zürich  ). Der Verfasser verspricht sehr viel. Er sagt auf der Titelseite, daß in seinem Buche ein ,, Land interviewt" werde. Der Mißtrauische, der auf solche Ankündigungen wenig zu geben gewohnt ist, wird aber schon auf den ersten Seiten eines anderen und eines Besseren belehrt. Hier wird das atemberaubende Tempo lebendig, das uns an der Saar   täglich umbraust; hier rauscht die Fieber­hitze eines Abstimmungskampfes, bei dem die Sachen und die Seelen ohne Beispiel zusammenstoßen, Denn der Verfasser, Theodor Balk  , kann nicht nur schreiben, seine Feder gibt nicht nur die Fassade der Saar   und seiner Menschen mit formaler Geschicklichkeit wieder. Er lebt wielmehr mit seinen Erlebnissen mit, Partei ergreifend im höchsten Sinne, die Partei der Freiheit und des Menschenrechts gegen Bedrückung und Unrecht, für Deutsch­ land   und darum in jedem Betracht gegen das dritte Reich".

Nicht durch Gerede, sondern durch Gespräche! Wir haben sie greifbar nahe, die Herren von der, deutschen Front", von Röchling   angefangen über Pirro bis zum mannestreuen Pfarrer Wilhelm. Max Braun, Julius Schwarz, Fritz Pfordt: die Kämpfer der Einheitsfront werden uns durch Theodor Balk   näher gebracht als zu­vor. Bergleute, Hüttenarbeiter, Landwirte, Geistliche, Schulkinder ihre Berichte und Erzählungen werden in diesem Buche zu farbiger und plastischer Anschaulichkeit.

-

Wer sie liest, weiß von der Saar   und ihren politischen, sozialen und geistigen Kämpfen nicht nur mehr, als er vorher wußte. Er wird mitbeteiligt, zur Stellungnahme gezwungen, hineingerissen in den Begriff Saar  ", der den Blick der Welt auf sich gelenkt hat.

Pirro

Wir geben, zum Beweis, nachstehend einige Kapitel aus Theodor Balks Buche wieder:

Herr Pirro ist der Führer der Deutschen   Front. Er besitzt das höchste Vertrauen des Führers. Des Führers aller Führer.

Pirro der Name klingt nicht germanisch. Nicht nordisch. Es ist nicht der einzige welsche Name unter den höheren Funktionären der Deutschen   Front. Da ist ein Dr. Car­tillieri, ein Levacher, ein Savelkouls... Die Geschichte mit dem Blut scheint nicht ganz zu stimmen. Herr Pirro müßte, so er seinem Blut freien Lauf geben wollte ,,, Eia- eia- allala" oder, Eviva Espania" brüllen. Er brüllt aber ,, Heil Hitler  "! Brüllen ist nicht der richtige Ausdruck für die Stimme Pirros, soweit ich sie kenne. Diese Stimme ist leise und ohne Resonanz, sie stockt oft und ist gar nicht selbstbewußt. Sie ist die Stimme eines kleinen subalternen Beamten, ohne Ueberzeugungskraft und ohne Rückgrat. So sieht auch der Mann aus. Ein blasses regelmäßiges Gesicht, das man sofort vergißt, etwas gerötete Lider und helle, leblose Fischaugen. Im Knopfloch das schwarz- weiße Bändchen des EK. Aber Herr Pirro kann sicher auch anders sein. So anders kennen ihn seine Mitglieder, seine Gefolgschaft. Da donnert diese Stimme und ist voll von gerechtem Zorn", da droht sie und ist wie das Getöse einer herannahenden Katastrophe. Mir gegenüber saß der äußerst zivile und subalterne Herr Pirro. So leer, wie das Gesicht, war der Schreibtisch, der zwischen uns stand. Hier herrscht Ordnung.

Was denken Sie über den Ausgang des Plebiszits, Herr Pirro?

- Ein überwältigender Sieg! Weit über 90 Prozent... Ist ja natürlich! Die Gesinnung hier an der Saar   ist deutsch  . Nur ganz wenige, die sich vom Mutterlande losgelöst haben, ich möchte sagen, Minderwertige. Nur wenige Menschen sind es, die abseits stehen und hetzen. Wir haben hier weder eine politische noch nationale Minderheit an der Saar  .

Herr Pirro, die Stimmung der Bevölkerung bis zum 30. Januar 1933 war hier einheitlich. Scheint es Ihnen nicht so, daß Hitler  , der auszog, das deutsche   Volk zu einigen, es an der Saar   gespalten hat?

Das stimmt nicht... Die Anhänger der Status- quo- Par­teien haben ihren Führern den Rücken gekehrt. Ich könnte Ihnen eine Unmasse von Fällen aufführen. Sie kamen zu uns und sagten: ,, Bisher glaubten wir, daß unsere Führer Deutsche   sind, jetzt aber sehen wir ein, daß wir uns geirrt haben." Es ist nur ein kümmerlicher Rest dageblieben. Die hohen Zahlen kommen einfach aus der Staffelung der Mit­glieder her. Die Leute sind Mitglieder in X- Organisationen. Da werden sie xmal zusammengezählt. Daher dann die hohen Zahlen.

Sehen Sie, wir haben seit einiger Zeit Mitgliedersperre. Mein Organisationsleiter meldet mir aus Dudweiler   Hun. derte von Anmeldungen. Er kann sie nicht aufnehmen. Dudweiler   war eine Hochburg der Kommunisten. Und heute? Die letzten Säulen des roten Dudweiler   kommen

zu uns.

Ich schrieb den Satz pflichtgemäß als objektiver Publizist nieder und nahm dann, wieder als objektiver Publizist, in den nächsten Tag den Zug nach Dudweiler  .

In Dudweiler   suchte ich den Polleiter der Kommunistischen Partei auf. Er wohnt oben auf dem Berg und empfing mich in der Küche.

13

Wie unsere Mitgliederzahl steht? Wir haben 250 Mit­glieder. Das ist die gleiche Zahl, die wir beim Machtantritt Hitlers   besaßen.

Ob viele aus der Partei zur Deutschen   Front übergelaufen wären? Warte mal.

Der blasse, etwas frühgealterte Jünglingskopf senkte sich in Gedanken. Seine Lippen bewegten sich, ohne daß sie ein Wort gesagt hätten.

-Nur solche, die wir ausgeschlossen haben! Nein, wir haben keinen einzigen Ueberläufer in unseren Reihen.

-

Aber Pirro erzählte mir, daß bei Euch die letzten Größen zur Deutschen   Front strömten.

Als das Lächeln auf seinem Gesicht abgestorben war, sagte er:

Komm mit. Ich will dich durch Dudweiler   führen.

Was ich in Dudweiler   gesehen habe, an anderen Stellen dieses Buches wird es gesagt werden. Aber jetzt müssen wir zurück in die Waterloostraße zum Herrn Landesführer Jakob Pirro. Er ist eben bei der Abstimmungsarithmetik:

Wir rechnen auf 97 Prozent. Um ein halbes Prozent können wir uns auch irren.

Und wenn es 2 oder 3 Prozent wären?

Pirro versteht keine Ironie. Er antwortet todernst: Nein, das glaube ich nicht.

-

Pirro blieb bei seinem halben Prozent.

-

Werden Sie gegen die Leute, die für Status quo ge­stimmt haben, in irgendeiner Weise vorgehen, falls das Saargebiet zurückgegliedert werden sollte?

Nein. Niemals. Nicht das Geringste werden wir ihnen antun. Das gilt auch für die Juden. Ich hoffe, daß Hitler eine Amnestie nach dem 13. Januar erlassen wird. Mit Aus­nahme der Landesverräter, natürlich.

-

-

Rechnen Sie zu den Landesverrätern auch die Sozialisten und die Kommunisten?

Jawohl. Max Braun und alle die gegen Deutschland   sind, sind für mich Landesverräter.

Ein Widerspruch! Im ersten Satz verspricht Herr Pirro den Statusquolern Amnestie, im nächsten wird er sie als Landes­

verräter bestrafen.

Hätten Sie für Rückgliederung gestimmt, wenn Thäl­ mann   heute an der Spitze des Reiches stünde?

Jawohl, das hätte ich.

Und noch einmal kommt Pirro auf die Landesverräter zu­rück und wird sehr böse dabei. Denn auch die Franzosen hätten für Frankreich   gestimmt, und so müßte jeder gute Deutsche  ...

- Ja, aber da wäre noch die Möglichkeit einer zweiten Ab­stimmung?

Ganz unmöglich. Vertraglich unvereinbar.

Und wenn doch Status quo siegen sollte, Herr Pirro? Würden Sie diesen Entscheid des Volkes loyal anerkennen? Ich kann mir das nicht richtig vorstellen. Der Gedanke daran ist mir ganz fremd. Ich habe noch nie darüber nach­gedacht.

Pfarrer Wilhelm

Pirro ist der politische Führer. Röchling   ist der Wirtschaftsführer. Kiefer der Arbeitsfrontführer.

Die Deutsche   Front hat auch einen kirchlichen Führer. Nicht Führer im strikten Sinne des Wortes, aber Redner, Propa­gandisten. Das ist der Wehrdener katholische Pfarrer Wilhelm.

Ich bog bei der Kirche ein und stand vor seinem Hause. Ich zog am Glockengriff und wartete. Unten im Tale lagen die Eisentürme, die dicken Gasometer, die Schlote und Hoch­öfen von Völklingen  . Herr Wilhelm hat es sehr nahe zu Röchling  .

Pfarrer Wilhelm hat ein Gesicht, das man schemenartig viel­leicht als Jesuitengesicht bezeichnen würde. Dunkle Augen­ringe, harte Falten um den Mund, etwas gebückte Haltung, schlechte Zähne. Ich möchte mir diese Bezeichnung nicht voll zu eigen machen. Es fehlt in diesem Gesicht eine Zurück­haltung, die die Situation beherrscht. Es fehlt an Klugheit von Behendigkeit gar nicht zu sprechen.

Nein, das religiöse Leben ist in Deutschland   nicht ge­knechtet. Beten, Messelesen, Religionsunterricht ist genau wie früher erlaubt.

Wie ich zur Erschießung der katholischen Führer stehe? Waren sie schul lig? Waren sie unschuldig?... Das sind politische Maßnahmen Ich kann darüber nichts aussagen.

Herr Pfarrer, gewisse Prinzipien des Nationalsozialismus widersprechen den christlichen Dogmen. So das Rassen­prinzip.

Ich finde es ganz naturhaft und organisch. Ein Volk soll zusammenhalten.

Widerspricht das aber nicht den Gesetzen Ihrer Kirche. die jeden Menschen, ohne Unterschied der Farbe und Rasse. als gleich vor Gott   behandelt, so er die heilige Tauie empfangen hat?

Sonntag- Montag, 2. u. 3. Dez.

Die Antwort konnte ich nicht recht zu Papier bringen. Sie verlor sich in einem Gestrüpp von Worten. Später aber sagte er zu diesem Thema folgendes:

Ich kenne keine Blutreligion. In Blut und Rasse stecken aber moralische Worte. Ich empfinde es aber als Sabotage, wenn man heute von der Kanzel diese Dinge in den Vorder­grund stellt. Da haben die Geistlichen an der Saar   viel ge­sündigt.

-

Da ist ein katholischer Geistlicher. Seine Großmutter war Nichtarierin. Soll er deswegen von seinem Amte suspendiert werden?

Ja, da kann ich Ihnen nichts sagen. Die Rasse ist ver­

...

seucht... Der Staat sucht für die Reinheit der Rasse zu sorgen....

Finden Sie nicht, daß die Brutalität des Dritten Reiches dem Gedanken der Liebe Ihrer Kirche widerspricht?

-

Nein... Das Volk war unter dem Marxismus versaut. Es war notwendig, daß es wieder etwas Schnitt und Form bekam... Ich gebe ja zu, daß vielleicht zu scharf forciert wurde. Die schnellen Verhaftungen waren nicht immer gut. Die Pfälzer sind ja ein wenig Heter. Sie haben von der Kanzel gehetzt vor einem Jahr, damals haben sie 35 Geist­liche verhaftet und verprügelt... Die Saarleute aber sind gute, ehrliche, ruhige Menschen. Die haben einen großen konfessionellen Frieden in sich.

Herr Pfarrer, finden Sie nicht, daß Hitlers   übermensch­liche Autorität mit der Autorität Gottes in eine unerlaubte Konkurrenz getreten ist?

Das Reich war zerstückelt. Schmach herrschte im Saar­gebiet. Ich des Pfarrers Stimme schwoll an- ich habe es miterlebt. Versailles  . Ohne Versailles   kein Nationalsozialis­mus, sage ich Ihnen. Da kam ein Mensch, der auf den Tisch schlug. Donnerwetter! Der dem Ausland sagte: hier steht ein Block. Und in den Tagen, als der Bolschewismus die Herrschaft in Deutschland   ergreifen wollte, da siegte er: Hitler  . Diese übermenschliche Tat löste einen großen Ent­husiasmus aus. Ist ja zu begreifen.

Sehen Sie, Deutschland   hat gegen das fünfte und gegen das siebente Gebot Gottes gesündigt. Den Kaiser Wilhelm  haben sie auf die Teufelsinsel schicken wollen und auch den Hindenburg  .

Schwarz umrahmt hängt der alte Hindenburg   an der Wand. Die einzige weltliche Größe, neben den vielen himmlischen.

Wie es mit dem Totalitätsprinzip ist? Da gibt es zwei Ebenen. Die eine ist die staatliche, die andere die kirch­liche. Die beiden brauchen sich nicht zu reiben. Wozu diese Streitigkeiten wegen Nadeln und Kluften? Das sind doch alles Aeußerlichkeiten und nicht das Wesen des Katholizis­mus. Wenn es nach mir gegangen wäre, ich hätte gesagt: hier Hitler  , hast du den Sport, die militärische Ertüchtigung, das Nationale, das andere laß uns. Aber die katholische Jugend wurde aufgehetzt im Kampf gegen den Staat. Das hätte man nicht tun dürfen. Uns wäre dabei in Ruhe das Gnadenleben, das sakramentale Leben geblieben.... Und, letzten Endes, wenn wir die sportlichen Organisationen unserer Jugend nicht aufgeben, mit der Zeit wird die Jugend ja von selbst abfallen.

Dunkel sind oft die Worte des Pfarrers, wie jene von den Ebenen, es ist seinen abrupten Gedanken nicht leicht zu folgen.

Herr Pfarrer. Die Jugend geht in der HJ. auf. Die älteren in der SA  . Wird die Familie, das Familienleben nicht durch den Nationalsozialismus zerstört?

Da kann ich nichts sagen. Vielleicht vorübergehend... Jetzt beansprucht man die Menschen im stärkerem Maß­stabe. Eine revolutionäre Zeit. Sobald sich der Staat be­ruhigt.... Der Nationalsozialismus ist energisch. Er bedient sich aller Mittel, um seine Ideen bis in das letzte Gehöft zu tragen. Er will die Menschen nach seinem Muster stempeln.

Es gibt aber viele Katholiken hier, die für den Status quo stimmen werden und die den Nationalsozialismus als Heresie betrachten.

Glaub ich nicht. Die Deutsche   Front hat die Katholiken ebenso erfaßt wie die Protestanten. An allem sind nur diese Zeitungen schuld. Wenn diese Zeitungen nicht wären, die in politische Fragen theologische Konstruktionen hineintragen, nie würde bei den Katholiken ein Zweifel entstanden sein, wohin sie gehören. Meine Leute sind so einfach, so deutsch, die verstehen das gar nicht.

G

Die Zeitungen! Lassen Sie sich nicht von ihren hohen Auflagen gefangennehmen. Wer liest z. B. ,, Westland"? Ein von Juden ganz geschickt gemachtes Blatt. Unsere Funk­tionäre der Deutschen   Front. Ich. Wir müssen informiert sein- aus der Auflage kann man daher auf nichts schließen Sehen Sie, ich kenne meine Arbeiter. Bin Präses des katholischen Arbeitervereins hier im Orte. Als 1932 Papen kam mit seinem ,, autoritären Staat" und gegen den Ver­sorgungsstaat"... damals waren meine Arbeiter sehr ner­vös. Warum sind sie heute nicht gegen die, Arbeitsfront". es mit den Gewerk. Weil die Arbeiterschaft sieht, daß es schaften zu Ende geht.

Ich habe schon einmal experimentiert. Damals, 1918, waren zwei Drittel meiner Arbeiter gegen mich. Das zweite mal mach ich so was nicht mehr. Ich geh dorthin, wo meine Arbeiter stehen.

-

Wie behandeln Sie die Status- quo- Anhänger im Beicht stuhl, Herr Pfarrer?

Mitgliedern der freien Gewerkschaften der Sozialdemo­er Kogumien verweigere ich die heilige

Komb