Donnerstag, den 6. Dezember 1934
Schule- Peitsche- Judennase
Die größte deutsche Schande: die beaune Erziehung
Die ,, Deutsche Freiheit" zitiert oft die ,, Fränkische Tageszeitung", das offizielle in Nürnberg erscheinende nationalsozialistische Organ. Es ist der Bezirk, in dem Julius Streicher schaltet und waltet. In seiner Zeitung spiegelt sich in vielfältigen Schattierungen täglich das Wesen des Nationalsozialismus so deutlich wieder, wie man es n'rgendo sonst findet.
Ein kostbares Stück aus unserer Kollektion ,, Fränkische Tageszeitung" sei heute im Wortlaut der Oeffentlichkeit übergeben. Wir fanden es auf Seite 15 der Nummer vom 1. Dezember in einer Beilage ,, Die bunte Seite", und es handelt sich um den Bericht eines Lehrers, der Intelligenzprüfunger mit seiner Schulklasse, durchweg aus Hitlerjungen bestehend, veranstaltet. Die Resultate dieses Unterrichts mögen für sich selbst sprechen. Verbrechen an jungen Menschen und von ihnen verhetzten und verführten Kinder ver'cünder hier die Schande der braunen Erziehung. Das, was hier ein offenherziger niederschrieb, ist ein Abbild dessen, was sich vieltausendfach im ganzen Hitlerreiche wiederholt.
Dabei ist das, was wir hier abdrucken, nich einmal vollständig. In der Mitte dieser Seite befindet sich noch eine Abbildung. Es ist die exakte Wiedergabe einer Zeichnung: ,, Wie ein Sechsjähriger den Frankenführer sieht". Aus dieser kindlichen Strichelei sieht man einen Uniformierten. Darunter steht ,, Streicher". Er hat eine Peitsche in der einen Hand. Mit der anderen hat er einen Mann am Wickel. Und dazu der folgende Text:
,, Streicher verhaftet zwei Kommunisten" lautet die Erklärung zu obiger Zeichnung. Die kindliche Beobachtungsgabe kommt dabei besonders bezeichnend zum Ausdruck. Man be..achte die Laschen an den Stiefeln, Brotbeutel, Feldflasche, Reitpeitsche und E. K. 1 an der den Frankenführer darstellenden Figur, während die beiden Kommunisten einfach durch rote Uniformen charakterisiert sind."
Dies zur Einleitung des Aufsatzes selbst. Er lautet:
Kinder, was wißt ihr von Hitler?
Jahr um Jahr führte ich in einer Kleinstadt die Oberklasse. Nun habe ich in Nürnberg die ganz Kleinen bekommen; ABC- Schützen sechs Jahre alt, 49 Dreikäse hoch, unbekümmerte, frische Buben mit stark ausgeprägtem Selbstbewußtsein und ebensolchen Mundwerk. Anfänglich war mir nicht recht wohl bei den Knirpsen, denen man in vielen primitiven Dingen Mutter und Pfleger sein muß. Aber schon nach wenigen Tagen hatte ich mich so an die Buben gewöhnt, daß ich sie heute nicht mehr missen möchte. Was verstehen wohl die Kleinen mit ihren sechs Lenzen schon von Politik, von unserem ,, dritten Reiche" und der Lehre des Nationalsozialismus?
Lange beschäftigt mich dieses Problem. Voller Erwartung richte ich eines Tages an die Klasse die Frage: ..Kinder, was wißt ihr von Adolf Hitler ?"
Was ich nun erfahre, ist ein buntes Durcheinander, so daß ich wohl oder übel mittels genauer Fragen Klarheit schaffen
muß.
Für eine 1. Klasse ist diese Frage natürlich zu kompliziert; ich bin froh, als einer der ganz Beredtsamen ant
wortet:
..Hitler ist unser Reichskanzler und Presadent!"
Der„ Presadent" stört mich keineswegs, denn ich fühle aus dem ehrfurchtsvollen Tonfall des Buben, daß er sich dabei etwas ganz gewaltiges vorstellt.
..Und wie sieht Adolf Hitler aus?"
Die Kinder haben sein Bild im Klaẞzimmer schon lan
de temal fixiert.
,, Er hat eine Schnurru!"
,, Er hat eine SA.- Uniform!"
,, Er hat das Eiserne Kreuz !"
,, Er hat ein verwundetes Abzeichen!"
Er meinte natürlich das Verwundeten- Abzeichen)
,, Er hat einen Scheitel!"
..Das Haar rutscht ihm immer herein!"
..Er schaut wild!"
,, Net wahr! Er lacht immer!"
,, Er hat zwei Ohren!"
( Na, das ist klar!)
So geht es eine Weile fort. Dann stoppe ich mit einer reuen Frage ab:
..Was arbeitet eigentlich der Adolf Hitler ?"
Die Kinder wissen gut Bescheid.
..Er muß immer Reden halten!"
..Im Luitpoldhain redet er immer!"
,, Ich hab ihn schon zweimal gesehen!"
..Ich dreimal!"
Ich viermal!"
Wieder muß ich abbremsen, sonst hätte der letzte der Klasse ihn genau fünfzigmal gesehen. Eine Zwischenfrage: ,, Muß Hitler bloß reden?"
,, Nein, er muß auch arbeiten!"
( Reden ist für die Kinder scheinbar keine Arbeit!,
,, Er läßt Häuser bauen!"
..Damit wir Wohnungen haben!"
..Er gibt unserem Vater Arbeit!"
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Bravo!"
,, Mein Vater ist jetzt nicht mehr arbeitslos!"
..Meiner auch nicht mehr!"
..Meiner auch nicht mehr!"
Eine neue Zwischenfrage:
Nun ist das Eis gebrochen. Vom Winterhilfswerk wissen die Kinder sehr viel; sie haben ja auch selbst bei der PfundSammlung mitgewirkt.
,, Er gibt den Armen Mehl!"
..Er gibt ihnen Grieß!"
,, Er gibt ihnen Kohlen!"
Er gibt ihnen Holz!"
usw. usw.
Wieder springt einer der Buben vom Thema ab. Ich war einmal im Luitpoldhain. Hinter Adolf Hitler war der Julius Streicher gesitzt!"
-
ein neues Thema! Sofort gehe ich darauf ein Wie Julius Streicher aussieht? ,, Er hat eine Platte!" Ich frage: ,, Woher weißt du das?" Eine lakonische Antwort: ,, Weil er immer keinen Hut auf hat!"
..Woran kennt ihr ihn?"
Die Frage ist nicht klar, dafür aber umsomenr die Ant
wort:
,, Am Gesicht!"
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Wozu....?"
..Damit er die Komanisten hauen kann, wenn sie ihm was tun wollen!"
Es heißt, nicht Komanisten, sondern ,, Kamenisten!"
,, Nein. Kommunisten!"
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..Ich hab vom Julius Streicher schon ein Zehnerla gekriegt!"
,, Ich hab noch keines gekriegt!"
..Ich weiß dem Julius Streicher sein Haus!"
So geht es eine Weile zu.
Auf einmal sagt der kleine Walter B.: ,, Der Julius Streicher mag die Juden nicht!" Donnerwetter!
Die Judenfrage in einer ersten Klasse!
Wir wollen sehen, was die Kleinen alles wissen! ..Woran kennen wir die Juden?"
..Die Juden haben eine Hackerlnase!" ..Herr Lehrer, ich weiß ein Sprüchlein: Die Juden haben Hackerlnasen,
da kann man drauf Trompeten blasen!" Der Name Hackerlnase gefällt mir nicht. Ich möchte dafür einen besseren und treffenderen Ausdruck haben. Die schreit ein Bub aus der hinteren Bankreihe:
Die Juden haben einen grouẞn Gurkn!" Die Kinder lachen und haben verstanden.
Ein anderer:
,, Die Juden haben Schweißfüße!"
Da bekommt der kleine Hans B. ein schlechtes Gewissen. Aengstlich flüstert er:
..Herr Lehrer, ich hab auch Schweißfüß!"
Ich tröstete ihn, daß er deswegen noch lange kein Jude ist. ..Die Juden sind überhaupt keine Deutschen !" ,, Donnerwetter woher weißt du das?"
,.Mein Vater hat's gesagt!"
..Bravo!"
,, Die Juden sind Lumpen!" Wieso...?”
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,, Weil sie einen immer be.. be.. be. Scheißen!"*
,, Ja, neulich hat meine Mutter beim Juden einen Stoff gekauft, das war lauter Glump und ist gleich hingewesen!" ,, Und ich war einmal beim Judendoktor und jetzt tut mir mein Zahn wieder weh!"
,, Herr Lehrer, meine Tante M., die kauft noch beim Juden!"
Jetzt packen die Kinder aus! Ich könnte eine kleine Liste von Kaufhauskunden anfertigen.
Der kleine Hellmuth G. in der zweiten Bank hat sich bisher noch gar nicht gerührt. Jetzt aber zeigt auch er seinen Finger. Freudig rufe ich ihn auf. Die ganze Klasse blickt gespannt auf ihn.
..Herr Lehrer... ich... muß austreten!"
Wie eine Bombe wirkt diese ,, hochbedeutsame Erklärung. Die Kinder lachen und beweisen damit, daß auch sie ,, aus allen Himmeln" gefallen sind.
Wir sprechen weiter. Die Kinder erzählen und erzählen und ich wundere mich über das Wissen der kleinen Kerle. In der nächsten Unterrichtsstunde wollen wir den besprochenen Stoff auch für Rechnen, Schreiben und Zeichnen auswerten. Ein Knirps aus der Tür- Reihe schlägt mir so
Ereignisse und Geschichten
Denen, die Ossietky foltern, höhnen Und die Mühsam in den Tod gehegt, Jenen tapfern deutschen Heldensöhnen Wird ihr Tagwerk gutgeschrieben. Bis zuletzt.
Mag es Wochen, mag es Jahre dauern: Aus Bedrückung wächst die große Kraft. Einmal stehn wir in den Kerkermauern, Packen euch und fordern Rechenschaft.
Keinen Seufzer werden wir vergessen, Keinen Striemen, den ins Fleisch ihr hiebt. Jede Blutspur wird Euch nachgemessen, Die ihr jetzt noch sauft und schreit und liebt. Einmal naht das Ende aller Qualen, Eher als ihr euch im Blutrausch denkt, Dann, ihr Mörder, müßt ihr voll bezahlen, Und es wird euch nicht ein Gran geschenkt.
Einmal kommen wir das Unkraut jäten, Einmal tilgen wir die blutige Schmach. Aus dem Blute jedes Hingemähten Wachsen hundert wilde Rächer nach.
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gleich Rechnungen mit Adolf Hitler vor. Und so lautet seine erste Aufgabe:
,, Zwei Hitler und zwei Hitler sind vier Hitler!"
Aber Kinder, das geht doch nicht; wir haben ja nur einen Hitler!
,, Drei Streicher und zwei Streicher sind fünf Streicher!" Geht auch nicht! Es gibt nur einen Julius Streicher ! ,, Drei Juden und drei Juden sind sechs Juden!"
Das geht allerdings. Aber die Aufgabe gefällt mir nicht. Wollen wir nicht lieber abziehen? Bei uns wohnen sechs Juden. Vier wandern aus. Wieviel sind noch da?
,, Zwei!"
Rechne also!
,, Sechs Juden weg 4 Juden sind 2 Juden!" Nun wandern die beiden Juden auch noch aus!
,, Zwei Juden weg zwei Juden sind. kaner mehr!"
gar
So rechnen wir eine Weile und am Schlusse jeder Aufgabe ist zum Gaudium der Kinder immer gar kaner mehr" da. Dann aber kommen die Kinder auf wesentlich bessere Beispiele. Wir rechnen mit SA. - Männern, dann kommen SS. Männer und schließlich Arbeitsdienstler dran. Am besten aber klappt die Sache beim Rechnen mit den Päckchen aus der Pfundsammlung, welche von den Kindern s. Z. so begeistert aufgenommen worden war.
Nun wollen wir auch Schreiben und Lesen üben.
Die Namen ,, heil" ,,. hitler " ,,, streicher" usw. können wir schon ganz gut schreiben Freilich wird manchmal ein ,, hil" oder ,, hiter" oder„, strecher" daraus, aber die meisten machen aanuara.ye vooHuf nir, uaAberi. rdgoveniatrdgov machen es richtig.
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hat
Der kleine N. das Schmerzenskind der Klasse ,, hlmr" geschrieben. Ich frage ihn, was das bedeuten solle. ..Hitler ," schreit er voll Begeisterung und blickt mich triumphierend an.
Zum Schlusse aber wollen wir auch noch zeichnen. Ich teile die Hefte aus und lasse die Kinder zeichnen, was sie gerade wollen, aber es muß im Zusammenhang mit dem stehen, was wir eben besprochen haben.
Nach einer Viertelstunde nehme ich mir die einzelnen Hefte vor und lache mich halb tot über die kindlichen, aber doch so reizenden Illustrationen.
Einer hat die..Kabine" im Luitpoldhain gezeichnet( er meinte natürlich die ,, Tribüne") und läßt den Führer eben eine Rede halten. Ein anderer zeichnet Adolf Hitler im Auto stehend. Ein dritter malt Hakenkreuzfahnen. Ein anderer entpuppt sich als ernsthafte Konkurrenz unseres ..Pips", indem er Judengurken" darstellt. Die größte Freude aber bereitet mir die Arbeit meines Zeichentalentes Hans S., der in ganz glänzender Manier einen Mann im Braunhemd gemalt hat. Vor ihm stehen einige Männer in roter Uniform. Der Mann im Braunhemd aber schwingt die Reitpeitsche Ich lasse den Baben seine Zeichnung erklären: ..Das da das ist der Julius Streicher ! Die roten sind die Kamenisten äh Kommunisten. Die wollen ihm was tun. aber der Streicher fürchtet sich nicht und haut sie mit der Peitsche!"
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Im Verlaufe meines Rundganges komme ich auch wieder zu meinem großer Schweiger" G. Wieder zeigt er seinen Finger. Er wird doch nicht schon wieder austreten müssen?", denke ich mir und rufe ihn. Nein, nein, diesmal nicht! Diesmal hat er mir was viel, viel wichtigeres zu sagen: ,, Herr Lehrer, es hat schon geschellt!"
Ich verstehe den Schlauberger und lasse die Kleinen zusammenpacken. Morgen werden wir den Stoff nochmal hernehmen und ihn soweit dies bei den ganz Kleinen überhaupt möglich ist vertiefen und ausbauen. Eines aber haben die zwei Stunden von heute schon bewiesen:
Die heranwachsende Jugend wird dereinst die Judenfrage viel, viel besser verstehen als eine gewisse Schicht von„ gebildeten" und ebenso eingebildeten" Nörgleru!
Methode Klumpfuß.
Gegner glauben uns zu widerlegen, wenn sie ihre Meinung wiederholen und die unsrige nicht achten.
( Goethe)