Völker in Sturmzeiten Nr. 87
Völker in Sturmzeiten
Im Spiegel der Erinnerung- im Geiste des Sehers
,, Preußischer Kommiß"
Soldatengeschichten| von August Winnig August Winnig
, der Verfasser der vor dem Kriege erschienenen Schrift ,, Preußischer Kommiẞ", ist heute glühender Nationalsozialist. Er dient der braunen Sache in Wort und Schrift, unter Preisgabe seiner Vergangenheit. Einst, als junger Proletarier, war er zum Sozialismus und zur Sozialdemokratie gekommen bewegt von den hohen Gedanken der Freiheit und der Menschenrechte. Es gelang ihm, im freigewerkschaftlichen Bauarbeiterverband einen führenden Posten zu gewinnen. Nach der Umwälzung von 1918 wurde er Oberpräsident in Ostpreußen , damals freilich schon in seinem alten Bekenntnis zögernd und schwankend. Sein politisches Ende in der Republik führte der Kapp- Putsch vom März 1920 herbei. Es erwies sich, daß er der zweideutigen Haltung der Reichswehrkommandeure in jenen kritischen Tagen Vorschub geleistet hatte.
Dann rutschte August Winnig immer weiter nach rechts. Er wurde der Vertrauensmann Hugenbergs und Stinnes, für deren Blätter er seine flinke Feder in Bewegung setzte. Heute ist er einer von den 110- Prozentigen: wildester Nationalsozialist, begeisterter Militarist und nationalsozialistischer Schriftleiter. Sein Buch„ Preußischer Kommiß" hat er längst verleugnet, weil es die denkbar schärfste Anklage des militaristischen Kadavergehorsams darstellt, zu dessen Anbetern er heute gehört. Ein Grund mehr für uns. unseren Lesern einige Kapitel aus dem Buche August Winnigs vorzulegen.
2. Fortsetzung
Der Hauptmann war vorsorglicherweise auf Urlaub gefahren, denn er wußte, daß er viel verderben, aber nichts gut machen konnte. An seiner Stelle führte ein Oberleutnant die Kompagnie. Dieser war ein Mensch wie neunzig von hundert seinesgleichen und sein Auftreten war von dem des Hauptmanns nur graduell verschieden; er konnte Grobheit wohl nur noch nicht so handhaben wie jener. Aber auch wenn er ein Engel gewesen wäre, hätte er uns nicht wankend machen können. Was ging er uns an? Nach vier Wochen ging er wieder fort zu seiner Kompagnie, und wir standen wieder unter der Fuchtel des alten Grobsacks.
Um sieben Uhr morgens mußten wir antreten und der Feldwebel sah den Anzug nach. Pro forma; denn wer sich heute nicht gerade im Dreck gewälzt hatte, brauchte keinen Tadel zu fürchten. Der Feldwebel wollte schier zerfließen vor Besorgtheit Ob jeder Frühstück mit habe, ob sich etwa einer krank fühle! jetzt konnte er ruhig vortreten und auf Erfüllung seiner Wünsche rechnen.
,, Na, Kerls," meinte er dann, dann zeigt heute mal, was Ihr könnt. Heute ist Euer Ehrentag, heute liegt es an Euch, der Kompagnie einen guten Namen zu machen. Ihr wißt, wie sich der Herr Hauptmann freuen wird, wenn er zurückkommt und hört, daß Ihr gut geschossen habt. Ihr habt es dann auch gut, er wird den Dienst nicht so scharf nehmen und mit den Appells werde ich Euch auch nicht viel plagen. Also rückt nun ab und jetzt mal reingehalten ins Schwarze! Ein guter Kerl kommt nicht unter vierzig Ringen nach Hause!""
Wir rückten ab. ,, Der kann uns viel erzählen, ehe ich heute ihm ein, Wort glaube." brummte einer. ,, Wie er schnacken kann, wie der Fuchs mit den Gänsen!" meinte ein anderer. Laat ehm man, hei ward sick woll wunnern!" Is sich sehr freundlich, der Feldwebel. Ah, sollen gut schießen und nachher gibt es doch welche an die Schnauze!" So war das Echo, das die Rede des Herrn Feldwebel bei uns fand.
Auf dem Schießstande verfuhr man diesmal ganz anders als sonst. Gewöhnlich. lagerten wir uns zwischen den Kiefern und gingen der alphabetischen Reihenfolge nach zum Schießen. Die Leute, die abgeschossen hatten, kamen zu uns zurück, erstatteten Bericht und wenn sie ein Trupp von etwa zwanzig Mann geworden waren, gingen sie zu Haus. An diesem Tage kam keiner zurück. Wer mit seiner Uebung fertig war, schwenkte gleich unten am Stand ins Gehölz und ging in einem weiten Bogen um uns herum nach der Kaserne. Das war uns unbequem, weil wir so gar nicht erfuhren, wie geschossen wurde. Der Schützenstand selbst war uns durch ein paar große Windschirme verborgen, so daß wir ganz im Ungewissen blieben, wie nun eigentlich der Hase lief. Schließlich war es einem geglückt, sich heimlich fortzustehlen und die heimkehrenden Leute abzufassen. Der kleine Däne war es gewesen.
,, Da unten passiert heute' was," sagte er, als zu zurückkam.
Was?" ,, Wieso?" wurde gefragt.
Tolle Dinge!" Dann warf er sich wieder ins Moos , denn die Unteroffiziere waren schon aufmerksam auf ihn geworden, und erzählte den zunächst Liegenden leise, was er erfahren hatte. Bald hatten sich seine Mitteilungen durch die Mannschaften hindurchgetuschelt und alle steckten flüsternd die Köpfe zusammen.
Das ist ja nicht wahr! Der Jochimsen lügt uns die Hucke voll! Oder er hat sie sich vollügen lassen. Wie können sie das riskieren! Na, ich wundere mich über nichts mehr. Wenn auch; aber das ist doch nicht wahr. Das können sie ja nicht machen, denn wenn das rauskäme, dann.. Mensch, das ist ja nicht möglich! Junge, es jibt nirjens mehr Schwindel als beim Milletär. So tauschten wir unsere Ansichten über die Erzählung des Dänen aus. Die letzte Aeußerung tat Seele und sie machte den meisten Eindruck.
paar Feldwebel, die Unteroffiziere vom Schießdienst und andere mehr. Der Stand war durch zwei Windschirme und einige Scheiben zu einer Art Krähenhütte umgewandelt, die den Schützen ganz verbarg und nur auf der dem Kugelfang zugekehrten Seite offen war. In dieser Hütte stand eine etwa dreiviertel Meter hohe Schießbank, auf der der Schütze Platz nehmen mußte. Es wurde auf dreihundert Meter kniend nach der Ringbrustscheibe geschossen.
Ich empfing die fünf zu verknallenden Patronen und ging in die Hütte hinein. Richtig, dort drinnen stand ein Gefreiter, der des Kapitulierens hinreichend verdächtig war und darum ebenso wie noch einige andere Leute des älteren Jahrgangs, die im gleichen Verdacht standen, von allen Aufrechten gemieden wurde.
,, Na, nun mal hingehalten!" sagte er. Ich antwortete ihm nicht und tat, was ich mußte. Mein Gewehr schoß ,, kurz" und ich hielt in die Mitte. Die Scheibe verschwand und erschien wieder: angezeigt wurde eine Vier kurz".
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Da kam's! Ein Feldwebel trat in die Hütte und gab dem Gefreiten ein Zeichen.
..Patronen her!" sagte der zu mir.
Ich gab sie ihm, und er setzte sich vor der Schießbank auf die Erde nieder. Ich wollte absteigen.
Aha! Dableiben und den Schuß melden!" rief mir der Feldwebel zu.
Ich meldete die nun fallenden Schüsse. Eine Acht, eine Zehn, wieder eine Acht und zuletzt eine Zwölf. Als der Gefreite fertig war, stand er auf, zog sich wieder in den Hintergrund der Hütte zurück und ich ging hinaus.
,, Wieviel Ringe?" fragte der Oberleutnant. ,, Ich weiß nicht," antwortete ich gleichgültig. ,, Zweiundvierzig!" rief der die Schießliste führende Unteroffizier; ,, der letzte Schuß war eine Zwölf."
,, Gut," sagte der Oberleutnant mit einem Tone, als wenn alles ganz in der Ordnung wäre.
Ich hatte mich schon seitwärts in die Büsche geschlagen, denn was ging mich die ganze Geschichte an? Dort traf ich einen der ,, alten Leute", der ebenso wie der Gefreite in der Krähenhütte als sicherer Schütze bekannt war.
,, Ihr schießt Euch heute wohl die Tressen?" fragte ich ihn. ,, Halt's Maul, Du Pinsel!" schnauzte er mich giftig an. Als die vier Mann, die mit mir angetreten waren, in gleicher Weise abgeschlossen hatten, konnten wir nach Hause gehen. Ich wunderte mich, daß uns kein Mensch ein Schweigegebot auferlegte; man war offenbar von unserer Furcht so fest überzeugt, daß man das Geheimnis auch ohne das für sicher genug hielt. Obwohl wir aber von diesem Riesenschwindel nie ein Hehl machten, ist nie etwas danach gekommen.
,, Na, hatte ich nicht recht, daß nirgends mehr geschwindelt wird als bei den Preußen?" sagte Seele, als wir den Weg am Flusse hinauf nach der Kaserne gingen.
,, Gewiß hast Du recht gehabt, Seele; aber dies hätte ich doch nicht für möglich gehalten."
,, Ja, Junge, nun sag' aber bloß mal, was soll das werden, wenn es mal zum Ernst kommt? Da denkt man wunder, was wir im Schießen leisten, und dabei ist doch die Hälfte Schwindel en gros!"
Seele hatte auch darin recht.
*
Nach einigen Wochen hatten wir das Kaiserabzeichen auf den Rockärmeln. In den Stuben gab es eines Abends Bier zum Toll- und Volltrinken, und als der Alkohol die Zungen lockerer machte, da fühlten sich auch die ,, loyalen" Schützen obenauf. Es waren ihrer vier oder fünf. Sie rühmten sich, daß wir diesen herrlichen Abend ihnen zu danken hätten, denn sie hätten die Kompagnie mit Ruhm bedeckt. Der eine hatte wenigstens für zwanzig Mann, der andere mindestens für zwölf, dieser und jener für sechzehn oder achtzehn die Patronen verschossen. Wenn jeder Mann selbst geschossen hätte das wäre etwas Schönes geworden! Nie hätten wir das Kaiserabzeichen erhalten!
Bei der ersten Gelegenheit pries uns der kommandierende General als die beste Kompagnie seines Korps. Bei der
Inzwischen war unser Haufen immer kleiner geworden. Der Däne war längst fort, wir waren schon bei dem Namen mit dem Buchstaben S... Hans, der vergnügte Geistertänzer aus Lüneburg , hatte es noch einmal unternommen, sichere Kunde zu holen, aber die zu unserer Aufsicht zurückgebliebenen Unteroffiziere hatten bereits Wind bekommen und sein Verschwinden bemerkt. Sie waren gleich hinter ihm her und brachten ihn unter Schelten wieder an seinen Platz. Die Sklaven Hin und wieder sahen wir einen der Heimkehrenden einige hundert Meter entfernt mit den Armen signalisieren, aber wir hatten uns im Gebrauch dieses Verständigungsmittels nicht geübt und wurden auch hiervon nicht klüger.
Aber neugierig waren wir geworden, sehr neugierig. Doch nur Geduld, schließlich kamen wir alle an die Reihe. Fast ganz zuletzt auch ich und mit mir zusammen Seele.
Unten beim Schützenstand war alles versammelt, was in der Kompagnie etwas zu sagen hatte. Der Oberleutnant, ein
Mein Freund, es ist wahrhaftig köstlich Und sehr für unsere Hoffnung fröstlich, Daß so die Menschen ein Behagen Am Sklaventum im Herzen tragen, Es ist durchaus nicht zu verkennen, Sie lernen leichter Sklavensitten, Als daß sie Freiheit an sich litten, Für die sie doch so leicht entbrennen. Nikolaus Franz Lenau,
Donnerstag, 5. Dezember 1934
Parade im Kaisermanöver ruhte das Auge des höchsten Kriegsherrn mit Wohlgefallen auf uns, bald darauf wurde der Hauptmann Major und weit und breit sang und sagte man vom Ruhme unserer Kompagnie.
Das ist die Geschichte vom Kaiserabzeichen.
Jeder Hauptmann und Kompaniechef hat das Recht, die unter ihm dienenden Mannschaften zu bestrafen. Dabei kann er bis zu fünf Tagen Mittelarrest oder drei Tagen strengem Arrest hinaufgehen.
Das ist ein gutes, ein altes gutes Recht. Denn es gibt dem Hauptmann Selbstbewußtsein und Fröhlichkeit; und muß er diese nicht haben bei seinem rauhen Kriegerleben? Kann ein Krieger ohne diese Eigenschaften auskommen? Nein, das kann er nicht; und darum muß er sie haben.
Es wäre kleinlich und für den Hauptmann obendrein lästig, wenn er solche Strafen nur bei höherer Instanz be antragen könnte. Das würde sein Selbstbewußtsein nur dämpfen, und den Mannschaften wäre damit auch nicht ge holfen.
In unserer Kompanie herrschte strenge Zucht. Der Hauptmann war ein Vollblutjunker. Bald fünfzig Jahre alt und unverheiratet. Das Pulver hatte er gerade nicht erfunden, aber fürchterlich grob konnte er sein. Nie bot er, wenn er morgens auf den Appellplatz kam, der Komganie einen guten Morgen". Daran war freilich auch nicht viel gelegen; denn was hätten wir davon gehabt? Er hätte sich deswegen doch sein tägliches Opfer geholt. Bei jedem größeren Uebungsmarsch kam wenigstens ein Mann ins Loch. Mand
mal auch zwei oder drei.
An einem Morgen, für den eine Regimentsübung ange setzt war, standen wir zum Abmarsch bereit vor unsern Kom panierevieren. Um fünf Uhr sollten wir ausrücken und an dieser Zeit fehlten nur noch einige Minuten. Aber der Hauptmann war noch nich. da, und ohne ihn konnten wir doch nicht abmarschieren. Die Offiziere hatten schon zweimal den Anzug nachgesehen und warteten nun in Ungeduld und Langeweile.
Endlich kam der Hauptmann angetrabt. Sein feistes Gesicht glühte. ,, Ich habe mich etwas verspätet! Guten Morgen die Herren!" rief er den Offizieren zu.
Ich weiß nicht, was mich in diesem Augenblick packte. War's Uebermut oder Aerger? Oder Lust zu einem neuen Krakeel, zu einer Abwechselung? Ich rief so laut ich konnte: ,, Guten Morgen, Herr Hauptmann!"
Er hatte Atem geholt zum Kommando. Aber als er den Ruf hörte, blieb ihm das„, Stillgestanden" in der Kehle stecken. Einen Augenblick starrte er wortlos auf die Mannschaft, dann gab er seinem Gaul die Sporen und galoppierte vor die Mitte der Front.
Sein Gesicht war jetzt an den Seitenpartien bläulich
koloriert. DE
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vor.
Wer hat da eben gerufen?"
Ich, Herr Hauptmann!" sagte ich und trat einen Schritt
Wie ist der Kerl bestraft?"
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A ver
Der Feldwebel blätterte einen Augenblick in seiner UnStammrolle: Eine halbe Stunde Strafexerzieren wegen aufmerksamkeit in der Instruktionsstunde. Zwei Stunden Strafexerzieren wegen Nachlässigkeit beim Kompanie
exerzieren."
,, Na?"
,, Einen Monat Verlust der freien Löhnungsverfügung, weil er nach Zapfenstreich noch in der Kantine war." ,, Keinen Arrest?"
,, Nein, keinen Arrest."
,, So! Na, dann schreiben Sie auf: ,, Drei Tage Mittelarrest, weil er weil er seinen Kompaniechef
,, Forn Buren holn hett," flüsterte mein Hintermann. Der Hauptmann konnte offenbar nicht gleich eine passable Urteilsbegründung finden. Ich hatte eigentlich etwas Mitleid mit ihm, aber ich konnte ihm doch nicht gut helfen.
,, Eine unpassende Antwort gegeben hat," sagte der Spieß. ,, Ach was. Da wollte ich dem Burschen was anderes er zählen!"
Er wurde etwas nachdenklich.
,, Warum haben Sie eigentlich gerufen?"
,, Ich glaubte, Herr Hauptmann hätten die Kompanie ge sagt."
., Natürlich nur zu den Herren Offizieren! Oder glaubten Sie, daß ich zu einer Schweinebande auch guten Morgen sagen würde?"
,, Ich glaubte, Herr Hauptmann hätten die Kompagnie ge meint."
Seine Miene erhellte sich.
,, Streichen Sie's noch mal durch. Der Kerl hat sich ver hört. Stillgestanden! Das Gewehr über! Mit Sektionen rechts schwenkt marsch! Gradaus, ohne Tritt!"
*
Auf dem Marsche kam der Alte in meine Nähe. Es war Marschordnung und wir hatten uns die Pfeife oder eine Zigarette angesteckt. Ich rauchte meinen Stummel und freute mich des schönen Sommermorgens.
Da redete mich der Alte an:
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Wenn ich wüßte, daß es wirklich Frechheit von Ihnen war, wären Sie ohne Gnade ins Loch gegangen."
Ich zog das Gewehr an. Eben wollte ich die Pfeife aus dem Munde nehmen, da rief er schon: ..Feldwebel!!"
Der Feldwebel kam; er hatte Bleistift und Buch schon in der Hand. die ,, Schreiben Sie auf: Drei Tage Mittelarrest, weil er Pfeife nicht aus dem Munde nahm, als ihn sein Kompaniechef anredete."
Der Feldwebel wiederholte.
Leichten und fröhlichen Muts ritt der Hauptmann weiter. Ich ging mittags ins Loch,