Pemijate

Nr. 274 2. Jahrgang

rethell

Einzige unabhängige Tageszeitung Deutschlands

Saarbrücken, Samstag, den 8. Dezember 1934 Chefredakteur: M. Braun

Die Saar

für ein freies

Deutschland

Bedeutung der Genfer Beschlüsse Seite 2

Hitlers Theoretiker beseitigt

Scin geistiger Führer

Die Brechung der Zinsknechtschaft"

Das französische Rapallo Genf

, den 7. Dezember 1934.

Am gleichen Tage, an dem die Welt von der Entsen­dung von internationalen Truppen nach der Saar und von dem Recht der Saarbevölkerung auf eine zweite Ab­stimmung erfuhr, ereignete sich hier ein Vorgang von größter politischer Tragweite.

Der russische und französische Außen­minister haben miteinander zwei Briefe

und das, Federgeld" in Pension geschickt ausgetauscht, in denen fie fich gegenseitig

Berlin , 7. Dezember.

Die Beseitigung des bisherigen Oberpräsidenten und Gau­leiters von Schlesien , Brückner, aus allen seinen Aemtern und die Ausstoßzung aus der Partei wird mit seinem Will­fürregiment" begründet, was aber nichts anderes besagt, als daß er versuchte, sich gegen die hohe Bürokratie, den Hoch­fapitalismus und die fendalen Großagrarier seiner Provinz durchzusetzen. Brücker wird auch vorgeworfen, daß er mit Otto Straßer in Verbindung getreten sein soll, was nur eine Bestätigung für die sozialistische Einstellung des bisherigen schlesischen Gauführers wäre. Er ist den alten reaktionären Kräften erlegen, die einst und jetzt wieder un­beschränkte Herren dieser Provinz gewesen sind. Daß man auch die Lebensführung Brückners beanstandete, wurde erst von Bedeutung, als Brückner politisch miẞliebig war. Wer sich bei Hitler nicht in politischer Ungnade befindet, kann in der Lebensführung die schlimmsten Verstöße gegen die Sitt­lichkeit begehen. Ob Brückner, wie behauptet wird, inzwischen in Haft genommen ist, steht noch nicht fest.

Viel deutlicher noch als im Falle Brückner offenbart sich Hitlers Abschied von den alten Forderungen und Grund­sägen seiner Partei, die in dem Parteiprogramm als u n= a bänderlich bezeichnet werden, in dem tiefen Sturze Gottfried Feders.

Die schon vor Wochen von uns angekündigte Beseitigung Feders aus jeglichem Einfluß wird nun amtlich bestätigt. Nicht nur, daß ihm sein schon seit Monaten praktisch er= ledigtes Staatssekretariat im Reichswirtschaftsministerium genommen wird, nicht einmal Reichsfommissar für Sied: lungswesen bleibt er. Nur das gesetzliche Wartegeld wird für ihn gerettet und eine Profeffur an der Technischen Hoch­ schule in Charlottenburg , wo er aber nur über das ganz nngefährliche Thema Bauwesen" lesen darf.

Um die Bedeutung Gottfried Feders für die sozusagen gei­stige Entwicklung Adolf Hitlers und die Programmatik sei= ner Partei zu fennzeichnen, geben wir unten dem Führer" und Reichskanzler aus seinem Buche Mein Kampf " selbst das Wort. Gottfried Feder war für die geistigen Grundlagen der Partei das, was Röhm für die Organisa­tion ihrer SA. gewesen ist. Feder hat die geistigen und Röhm hat die materiellen Waffen geliefert, zeitweise aus den Reichswehrfonds und aus reichen Bekanntenkreisen, zumal im Anfang, auch die Geldmittel. Feder und Röhm haben den Adolf Hitler aus dem Nichts erst hervorgeholt und haben ihm den politischen Start ermöglicht.

Röhm ist zum Dant, als er nicht mehr gebraucht wurde, erschossen worden und Feder wird entmachtet in die Ecke gestellt, da nicht seine Persönlichkeit, aber seine Idee- Brechung der Zinsfnechtschaft für den aus der Partei zum Kapitalismus und zur Reichswehr desertierten Hitler gefährlich ist. Da Feder feine schlagfräftige Organisation hinter sich hat wie Röhm , ist sein Leben nicht in Gefahr. Gottfried Feder war, so monomanisch eng seine geistige Pei­stung auch geblieben ist, immerhin der einzige, wirklich der einzige Nationalsozialist, der sich Gedanken wirtschaftlicher und finanzpolitischer Natur machte. Daß, Hitler auf diesen Gebieten frasser Ignorant ist und auf jedem anderen Gebiete höchstens Angelesenes mit großem rhetorischen Schwung von sich gibt, weiß jeder halbwegs unterrichtete Mensch.

Feder, yon Beruf Diplomingenieur im Bauwesen, hat sich seit 1917 wirtschaftlichen und finanzpolitischen Studien zuge­wendet. Er hat am Kriegsende den Deutschen Kampf= bund zur Brechung der Zinsknechtschaft ge­gründet und im Jahre 1919 das Manifest zur Brechung der Zinstnechtschaft verfaßt.

Das Programm der NSDAP , das heute noch unab: änderlich" besteht und für das mit ihrem Leben einzustehen Hitler und alle anderen Führer der Partei in dem Schluß­sage des Programms sich feierlich verpflichten, ist im We­sentlichen das Werk des nun verstoßenen Gottfried Feder . " Führer" und Partei haben ihn immer als ihren Theoretiker anerkannt. Von ihm stammt die ausführliche Erläuterung des nationalsozialistischen Programms Der deutsche Staat auf nationaler und sozialer Grund= I age", erschienen im Jahre 1923. Ein Jahr später verfaßte er Die Auswertung und Brechung der Zinsa

fnechtschaft". In den späteren Jahren gab er die offi­zielle Schriftenreihe Nationalsozialistische Bibliothef" her­aus, etwa 50 Hefte. Heft 1 lautet Das Programm der nationalsozialistischen deutschen Arbeiter= partei und ihre weltanschaulichen Grund= lagen". Außerdem war er Herausgeber der parteioffiziellen Wochenschriften Die Flamme" und Deutsche Wochenschau". Er war Mitglied der Reichsleitung der NSDAP. , erster Vorsitzender des Reichswirtschaftsrates der NSDAP . und Hauptabteilungsleiter der Hauptabteilung IVa: Staatswirt­schaft der Reichsorganisationsleitung der NSDAP . Mitglied des Reichstags war er seit 1924, gehörte also zur ersten Fraktion der NSDAP .

Nach der vollständigen Kaltstellung seines geistigen Vaters und Programmatifers, Gottfried Feder , wird Adolf Hit­ ler gut daran tun, den Titel feines Lebensbuches so zu ergänzen, wie es seiner eigenen Entwidlung entspricht: Mein Kampf für den deutschen Hochfapitalismus. Mit Gottfried Feder wird auch der Reichsjustizkommissar, Dr. Franf, in die Wüste geschickt. Während man Gottfried Feder als einen monomanischen Idealisten bezeichnen kann, ist Dr. Frank einfach ein erblich belastetes, forruptes Subjekt. Gerade deshalb beläßt man ihm wohl auch nach seiner Ent­machtung das Ehrenamt als Präsident der Akademie für deutsches Recht . Warum auch nicht, wenn ein Mann wie Göring . dem unwidersprochen und ohne daß er zu klagen wagt, Brandstiftung und Meineid dokumentarisch vorgewor= fen wird, in dieser Akademie einen Vortrag über die Rechts­quellen des Nationalsozialismus halten darf.

Daß die jetzige Säuberungsaktion Adolf Hitlers mit Sauberkeit nichts zu tun hat, beweist gerade dieses Ehren­amt für Dr. Frant, einen Menschen, der unter Mißbrauch seines Ministeramtes seinen chrlos aus dem Anwalts: stande ausgestoßenen Vater aus reinen Geschäftsgründen wieder zum Rechtsanwalt machte und in denselben 3n: sammenhängen seinen Gegner, den Münchener Rechts­anwalt Strauß ermorden ließ.

Die deutschen Juristen, die wohl noch ihre Rechtsgelehrsam­feit besitzen, aber ihren Charakter verloren haben, werden sich mit dem Teilerfolg gegen Frank begnügen. Sie sind be­ruhigt, weil nun der alte Fachmann Dr. Gürtner allein das Reichsjustizministerium führt, ein Mann übrigens, dem Rechtsbeugung zugunsten der Nationalsozialisten unser juri­stischer Mitarbeiter Hans Kilian in der Deutschen Freiheit" eingehend nachgewiesen hat.

Adolf Hitler hält furchtbare Musterung unter den Män­nern, die ihn hochgetragen haben, und die sich weigerten, wie er, die Grundsätze und Forderungen zu verraten, die Millio= nen und Abermillionen Deutsche in grober Täuschung für den Führer" und seine Ziele gewonnen haben. Röhm , Ernst, Heines, Schepmann, Rebißfi, Werner, Killinger, Renteln, von der Goltz, Keßler, Marfert, Karpenstein, Feder, Frank sind nun dahin, begraben oder politisch tot. Ley, Darré und andere werden folgen, Ley hat im Oktober auf dem Gau­parteitag in Köln ahnungsvoll erklärt:

In den letzten Monaten hat mancher alte Kämpfer unsere Bewegung verlassen. Das ist bedauerlich und schwer. Ich hoffe jedoch, daß sie alle wieder einmal zu uns zurückkehren werden.

Viele gehen und werden gegangen und feiner fehrt zurück. Die Worte Lens beweisen, daß dem Mord und dem Hinaus­wurf oben, eine Massenflucht alter Kämpfer unten entspricht.

Adolf Hitler entpuppt sich nun auch für Harmlose als das, wofür ihn geschulte Sozialisten immer gehalten haben: ein demagogisch und organisatorisch begabter, in jeder Beziehung sfrupelfreier, politisch treuloser, in seinem Machtwahn von feiner Hemmung fontrollierter Mann, der weder eine natio= nale, noch eine sozialistische Ueberzeugung hat, weder eigenen politischen noch sozialen Zielen zustrebt. Die Offiziere und später die kapitalistischen Geldgeber brauchten den Volks= tribunen mit der großen rednerischen Orgel und der Her­funft aus der Tiefe zum demagogischen Einfangen von klein­bürgerlichen und später proletarischen Volksmassen, die sich durch deklassierte Offiziere und durch Unternehmersyndizi nicht hätten täuschen lassen.

So ist es Adolf Hitler gelungen bis auf die Spitze der Staatspyramide zu gelangen. Dort wird er als Volks­kanzler" aber nur noch von denen gehalten, die ihn nicht gemacht haben, um demagogische Versprechen zu

verpflichten, keine zweiseitigen Abkom men abzuschließen, solange die Verhand Iungen über den Ostpakt im Gange sind. Dieses neue Abkommen bedeutet ein weiteres enges Zu­sammengehen der beiden mächtigsten Militärstaaten Europas in den wichtigsten außenpolitischen Fragen. Es ist gewissermaßen eine Bestätigung der Entente zwischen den beiden Ländern, von der neulich Abgeordneter Archimbaud in seiner aussehenerregenden Rede in der Kammer sprach. In diesem Briefwechsel wird die Grund­lage für das bereits praktisch bestehende Bündnis zwi schen Frankreich und Rußland geschaffen und den Genfer Dokumenten kommt die gleiche Bedeutung zu, wie dies seinerzeit dem Abkommen von Rapallo , das zwischen Rathenau und Tschitscherin abgeschlossen wurde, bei­gemessen wurde.

Das neue Abkommen stellt im gegenwärtigen Augen­blick gewissermaßen eine Rückendeckung für Sowjetruß­land dar, das durch Gerüchte über eine deutsch - franzö­sische Verständigung beunruhigt und seine engen Be ziehungen zu Frankreich gefährdet sah. Es ist anzu nehmen, daß Litwinow durch verschiedene falsche Infor­mationen der französischen und vor allem der deutschen Presse, denen zufolge die Unterredung zwischen Laval und von Ribbentrop die Einleitung direkter Verhandlungen zwischen Frankreich und Deutschland bedeute, veranlaßt worden ist, seinen französischen Kollegen um eine solche formelle Versicherun zu bitten. Laval hatte in zwei Unterredunen den russischen Volkskommissar über die wahre Bedeutun seiner Aussprache mit Ribbentrop auf­geklärt.

Das neue Abkommen zwischen Laval und Litwinow bedeutet also zunächst einmal, daß vorläufig zwischen Frankreich und Deutschland eine Verständigung nicht möglich ist. Diese Verständigung wird jetzt nur unter der Voraussetzung möglich, wenn sich das Hitler- Reich dem von Sowjetrußland vorgeschlagenen Ostpakt anschließt. Bisher hat aber Hitler- Deutschland sich gegen den Ost­pakt mit aller Entschiedenheit gewehrt, da er den ge­heimen kriegerischen Plänen Hitlers und Rosenbergs gegen Sowjetrußland einen Riegel vorschieben würde. Hitler- Deutschland ist es sogar gelungen, in der Ostpakt­frage Polen für sich zu gewinnen.

Der polnische Außenminister Oberst Beck hat unter dem Einfluß der Wilhelmstraße und Marschall Pilsudskis, der, ebenso wie Rosenberg, für eine kriegerische Auseinander­setzung mit Sowjetrußland ist, Frankreich gegenüber wiederholt erklärt, daß Polen zweiseitige Abkommen, nach dem Vorbild des deutsch - polnischen Freundschaftsvertra ges, dem Ostpakt vorzieht.

Mit dem neuen Abkommen mit Litwinom bringt Laval deutlich zum Ausdruck, daß er den polnischen Standpunkt in der Ostpaktfrage nicht teilt und daß er gegebenenfalls bereit ist, auf die polnische Freundschaft zugunsten einer Freundschaft mit Sowjetrußland zu verzichten.

Der Briefwechsel zwischen Litwinow und Laval be­deutet in der gegenwärtigen außenpolitischen Situation einen großen Erfolg Sowjetrußlands, das heute in Europa in engster Verbindung mit Frank­ reich eine lebhafte Aktivität entwickelt.

erfüllen, an die seine alten Kämpfer" naiv geglaubt haben, sondern um den ernsthaften Sozialismus um Macht und Einfluß zu bringen.

Adolf Hitler mag noch eine Weile ein wirksames Schauobjekt sein, aber er führt" längst nicht mehr. Seine Daseinsberech­tigung besteht nur noch darin, die Stoßkraft der alten Mächte in Staat und Gesellschaft gegen die Kleinbürger, Arbeiter und Bauern zu sichern und zu erhöhen. Ob es nun unter der Firma Schacht und Blomberg oder unter anderen Namen geschieht: Hitler ist nur noch der Prokurist der hoch­fapitalistisch- feudal- agrarischen Herrenschicht.

Hitlers offener Abschied von seinem sozialistischen Volks: betrug wird die Arbeit und den Aufstieg der sich von rechts und von links her sammelnden revolutionären Kräfte er= leichtern, die Hitlers Vernichtung und die Entmachtung seiner Auftraggeber wollen und erreichen werden durch das Ziel eines Deutschland nationaler Freiheit und sozias listischer Ordnung,