,, Treue um Treue"

Die SA. wendet sich von den Nazi- Zeitungen ab Der Völkische Beobachter" vom 2. 3. Dezember bringt an der Spitze der Ausgabe in größter Aufmachung dies:

Treue um Trene

Obergruppenführer v. Jagow:

Ich erwarte von jedem SA. - Mann, daß er die Zeitungen der Partei lieſt!"

Der Reichsminister für Volksaufklärung und Propa­ganda verbot in diesen Tagen zwei sogenannte @pieliilme weil dem Kunstempfinden der neuen Zeit in feiner Weise enssprachen.

Die nationaljozialistische Preise hatte bereits vor diesem Berbot ganz eindeutig scharf gegen diese Machwerke ihre Stimme erhoben, während kes Gros der bürgerlichen Preffe" instinktlos wie immer. oder vielmehr irgend­welch n Interessen dienend. sich nicht scheute, diese Erzeug­nisse einer überwundenen Zeit bis über den grünen Klee zu loben.

Ein Beispiel aus unendlich vielen und gleichen heraus­gewählt! In der Politik veriuchen zwar diese Blätter, sich gleichichaltend, das Geficht der NS. - Preise nachzubilden, doch immer wieder schaut irgendwo der Pferdefuß heraus. Diese Initinftlosigkeit wird jene bürgerliche Presse" nie verlassen. Doch der deutsche Mann, die deutsche Frau, braucht in dieser Zeit eine instinktsichere Presse, eine Zei­Jung, die ihnen ein absolut verläßlicher Kame= rad und Ratgeber iſt.

Der deutsche Mann will gerade heute die Gesinnungs­preise.

Gesinnungspresse aber, und da ist die Geschichte unserer Beit der Beweis, ist die Presse Adolf Hitler 3, die Zei­tung der nationaliozialistischen Bewegung. Obergruppenführer von Jagow appelliert in einem Muirui in der vorliegenden Ausgabe des V. B." an die SA. - Männer der Gruppe Berlin- Brandenburg. dem An­griff" und dem Völkischen Beobachter". den Kampffame­raden in schwerer Zeit, die selbstverständliche Treue zu halten

Die Bortei erwartet weit über diesen Rahmen hinaus, daß der Sieg der Bewegung auch ein Sieg der national­sozialistischen Presse sein wird.

Man würde nicht so schreien, wenn es der Nazipresse gut ginge. Am liebsten möchte man wohl die ganze Kon­kurrenz verbieten lassen wie sogenannte Spielfilme".

Rote Krelde

Das Berliner Tageblatt" berichtet:

ohn"

Eine Berliner Metallgießerei hat fürzlich einige Arbeiter megen marristischer Umtriebe entlassen, und auf die Wider­rufsflage eines Arbeiters hin ist dieser Fall vor dem Ar­beitsgericht aufgerollt worden. Die beklagte Firma führte zur Begründung der fristlosen Entlassung aus, daß am 24. September in der Metallgießerei eine ausgestopfte Puppe an einem Gasrohr aufgehängt vorgefunden wurde, die am Gefäß mit farbiger Kreide beschmiert und an der oußerdem ein Zettel mit der Ausschrift ,, wegen angebracht war. In dem Verhalten der beteiligten Metall­arbeiter müsse ein besonders übler Rückfall in die früheren Arbeitstampfmethoden" erblickt werden, und insbesondere die Verwendung roter Kreide Iasie auf fommunistische Umtriebe schließen. Der ganze Voraang laffe feine andere Erklärung zu. als daß die Täter hätten zum Ausdruck bringen wollen, daß der Betriebs=\ führer wegen der vorangegangenen Affordlohnverhand­Iungen aufgehängt zu werden verdiene.

Der Kläger versuchte demaegenüber den ganzen Vorfall als einen harmlosen Gießereischerz hinzustellen, der feinerlei gehänige Spike aeden die Betriebsführung enthalte und dem insbesondere jegliche politische Tendenz fehle. Das Arbeits­gericht hat die Widerrufsflage abgewiesen und festgestellt. Daß es sich hier um einen sehr üblen Scherz handele, der nicht ohne eine gebäifige Epige gegen die Betriebsführung sei und auch nicht des Verdach= tes marxistischer 11 mtriebe entbehre. Der Kläger habe damit in Gemeinschaft mit seinen übrigen Arbeits­kollegen gegen die Gefolaichaftstrene gegenüber der Be­triebsführung und gegen den Gedanken der Betriebsgemein­schaft auf das schwerste verstoßen..

Stiefel

Die neueste Riste von Gegenständen, die auf Grund des Gefeßes zum Schuß der nationalen Symbole für unzulässig erklärt wurden enthält u. a. eine Postkarte: Es ist erreicht", darstellend einen SA.- Mann, der mit einem Hammer auf einen Kraftmesser schlägt. im Hintergrund ist das Reichstagsgebäude zu sehen: ferner einen Bierfrug auf dem A- Männer mit Hakenkreuzfahnen dargestellt sind, und weiter Reflamebilder für Stiefel, die mit Noten die Worte: Einen bessern findst du nit" enthalten.

Illegale Berichte aus Oesterreich

Hin

( Schluß aus Nummer 273)

n'er Gelängnismauern

Der den folgenden Bericht gibt, ist einer von sehr vielen, ein Namenloser aus der großen Masse, einer, der dasselbe erlebte wie unzählige seiner Klassen­genossen, deren Schicksal im Gefängnis nur die folge­richtige und gesteigerte Fortsetzung ist der Er­niedrigung, des Hungers, des Elends, die ihnen die kapitalistische Ordnung in der Freiheit bereitet.

Ich wurde verhaftet, als ich gerade gehen wollte, um meine Arbeitslosenunterstützung zu beheben. Den Grund jagte man mir nicht. Der eine Beamte schimpfte mich roter Hund", der andere sagte zu meiner Frau, als sie sich aufregte, drah di, roter Hatschn!" Sie brachten mich in das Polizeifommissariat meines Bezirks. Dort prügelte man mich. Ich bekam fein Mittagessen, da ich als der Posten die Zahl der zu fassenden Mahlzeiten feststellte, gerade beim Prügeln war. Später erfuhr ich, daß meine Frau da= gewesen war. um mir Essen zu bringen. Man hatte mit ihr gespaßt: Aber gehens, der ist ja schon in der Früh aufgehängt worden." Ich mußte in den Kleidern schlafen, Tecken gab es hier nicht. Des Nachts steckte man mir in meine Zelle, die winzig flein und fast nicht lüftbar war, einen Betrunkenen, der entfeßlich randalierte. Am vierten Tag fam ich in das Polizeigefangenenhaus auf der Elisa­bethpromenade, von den Gefangenen furzmeg die Lieft" oder auch Maria Glend" genannt. Man steckte mich in eine Einzelzelle. Den Grund meiner Verhaftung erfuhr ich noch immer nicht. Meine Zelle war dreimal zwei Meter groß. Ich hatte eine Bettstelle mit Strohsack. Abends brachte man Decke und Polster, jeden Tag andere. Eckelhaft!

Der erite Tag: Um 4.30 Uhr werde ich geweckt. Im Gang, Lauf" genannt, müssen sich in einer halben Stunde 30 Männer an einem Hahn waschen. Zum Abtrocknen find zwei Leintücher da, die von allen benützt werden, die feine eigenen Handtücher haben, und das ist die Mehrzahl. Man hat nicht mal Zeit, den Kopf unter den Strahl zu stecken. Auf einen, der nicht rasch genug macht, hieb die Bache mit dem Gummifnüppel ein. Die Aufseher gehen überhaupt immer herum, in der einen Hand den Gummi­fnüppel, in der anderen den Schlüsselbund. Alle sind grob. Man hört fein ruhiges, anständiges Wort von ihnen. Ich bin gewaschen, meine Zelle ist in vorschriftsmäßiger Ord­nung und ich warte. Ich bin sehr müde, ich möchte mich gern ausstrecken, aber das darf man natürlich nicht, man darf nur auf dem Stockerl ohne Lehne fizen. Ich warte auf das Frühstück, ich bin hungrig. Drei Stunden, nachdem ich aufgestanden bin, fommt es: eine schwarze Brühe, Kaffee" genannt. Ich trinfe gierig und muß fast erbrechen. Ich habe mich auch später nicht an das widerliche Getränk ge­wöhnt. Es vergeht eine Stunde, zwei, drei Stunden. Ich versuche, nicht ans Essen zu denken. Umsonst. Um 12 Uhr bringt man mir eine dünne, unappetitliche Brühe, in der etwas herumschwimmt. dos mie leckerl aussieht. Mich efelt Tut nichts. Ich esse. Nach den ersten drei Löffeln fann ich nicht weiter. Zweiter Gana: Gemüse". Man kann nicht erfennen, sind es Erbsen. Bohnen oder sonst etwas. Ich habe mich auch später nicht an dieses Essen gewöhnt. Wie mir, geht es den meisten hier. Wir hungern, verhungern in diesem Gefängnis.

Ich verlange Brot. Sie haben ja ichon gefaßt," saat mir der Wärter. Nichtig, ich bekam in der Früh eine Schnitte Brot, Eine. Ich habe sie aufgegessen. Ich wußte nicht, daß es die Tagesration war.

Denn auch abends gibt es fein Brot, nur eine Suppe, die­selbe Suppe wie mittags. Am nächsten Morgen teile ich die eine Scheibe in der Frühe in drei Teile. Zwei lege ich beiseite. Um 10 Uhr habe ich alle drei aufgegessen. Ich ver­lange, daß mir meine Frau etwas zu essen bringen darf. Espafete," sagt man mir, gibt es frühestens nach acht Tagen." Ich bemühe mich, nüchtern zu denken: Woher soll meine Frau auch das Geld nehmen für Eßpakete. Sie hun­gert ia auch. fie und die Kinder. Ich habe ja die Arbeits­Tosenunterstüßung nicht mehr beheben können."

Der zweite Tag ist wie der erste und der dritte und vierte und fünfte und sechste sind ebenso. Ich hungerte. Ich hatte bis jetzt immer gedacht, daß ich wüßte, was Hunger ist. Jetzt weiß ich, daß ich es nicht wußte.

Am achten Tag, ich bin gerade im Einschlafen, brüllt der Wächter herein Zum Verhör."

Einen Tag nach dem Urteil, vier Monate Riesl", befam ich zwei Schnitten Brot, in der dritten Woche drei. Nach elf Tagen bekam ich auch des Abends ein Gemüse zur Suppe und in der dritten Woche Sonntags zum erstenmal ein Stückchen Fleisch. Ich habe mich überzeugt, daß dieses Berfahren nicht eine Schikane gegen mich persönlich war, sondern daß es das System ist in diesem Gefängnis. Man will die Leute durch Hunger mürbe machen, sie auf diese Weise zu Geständnissen bringen. Aber auch wenn man endlich die volle Ration" erhält, hungert man. Man fann

fich feinen gutgenährten, gefunden, fräftigen Menschen den fen, der diese Kost aushalten kann, ohne schweren Schaden an seiner Gesundheit zu nehmen. Die meisten, die hierher fommen, sind aber nicht wohlgenährt, starf und gesund, son­dern unterernährte, durch jahrelange Entbehrungen ge= ichwächte, oft chronisch franke Arbeitslose. Ein halbes Jahr Liesl", das ist die allgemeine und durch die Wirklichkeit traurig bestätigte Ansicht hier, bringt den Menschen mehr herunter als ein paar Jahre Kerfer anderswo.

Es ist Mord, was hier geschicht, ein allmähliches zu Tode hungern. Ich sah einen Gefangenen, der an einer Lungen: frankheit litt und in den Tagen seiner Haft so viel an Gewicht verlor, daß er zuletzt nur mehr 37 Kilogr. wog. gramm wog.

Ein anderer erkrankte nach drei Wochen an Sforbut. Wer Geld hat, kann sich freilich selbst verpflegen. Es foftet 4,50. am Tag und ist im voraus für eine Woche zu erlegen. Wel­cher Prolet kann sich das leisten? Man fann auch die Be­willigung befommen, fich mit einem Schilling täglich die Soft aufzubessern, aber auch das können naturgemäß nur wenige. Die meisten, die hierher fommen, werden ia durch das Gefängnis um alles gebracht, Arbeit, Unterstüßung. Existenz.

Gegenüber dem von früh bis spät würgenden Hunger verblassen eigentlich die anderen Schikanen, obwohl fie durchaus nicht unbedeutend sind. Ich blieb drei Wochen int meiner Einzelzelle fißen, ab und zu wurde mir für ein paar Tage ein Genosse zugesellt dann führte man mich das erstemal an die Luft. Seitdem wurde ich einmal in der Woche erst 15 und später 20 Minuten im Hof spazieren geführt.

Den Gefangenen wird, wenn sie eingeliefert werden, alles abgenommen: Brille, Gebik, ja sogar das Taschen­tuch. Ich erhielt es auf mein Drängen erst am dritten Tane. Eine besondere Schikane ist die Rationierung" des Klosettpapiers. Man bekommt zwei dünne Blättchen am Tag. Während der Nacht brennt unaufhörlich Licht in der Zelle. Man kann sich nicht einmal dadurch schüßen, daß man den Sopf unter die Decke steckt. Dann wird man sofort von der Wache, die in einer Stunde 30mal die Runde macht, also alle zwei Minuten durch das Guckloch sieht, angebrüllt.

-

Nach elf Tagen durfte mich meine Frau das erstemal be= iuchen. Sie mußte zwei Stunden im Hof stehen in Wind und Regen, gepufft und angeflegelt von der Wache. Dann fonnte ich fie, und sie mich, zwei Minuten hinter vergit­terten Stäben sehen und ein Wachorgan hinter ihr und eines hinter mir sprechen. So wie ihr, erging es all den anderen Frauen und Müttern, die Angehörige hier haben. Geschlagen hat man mich auf der Liesl" nicht. Aber es ist selten eine Woche vergangen, in der ich nicht Schreie von Geprügelten aus anderen Zellen hörte. Wenn Gefangene. was ja besonders bei den iungen Burschen oft vorkommt, hnsterisch werden, Schreifrämpfe bekommen, so ist die Be­handlung" die:

Die Aufseher stürzen sich wie eine Meute in die Zelle, hauen mit den Gummiknüppeln auf den Menschen ein, hauen ihn auch wohl zu Boden und treten ihn mit Füken. Einem jungen Menschen wurde auf diese Weise der Arm gebrochen. Kreideweiß wurde der Mann mit dem ver­bundenen Arm in die Korrektionszelle" geftedt. Das ist eine Relle, in der außer dem Strohlad fein Möbelstück ist. Dem Gefangenen wird ein 3wangskleid angezogen. daß auf dem Rücken aefchloffen ist und das er Tag und Nacht nicht ausziehen kann.

lier

Beschwerden sind hier einfach unmöglich, die Aufseher Obwohl der Seilgehilfe des Arztes täglich frägt, ob jemand sagen selbst, daß sie Bettel zum Referenten nicht befördern." frant ist, läßt man Kranfe tagelang in der Zelle liegen. Mir ist ein Fall bekannt, in dem man einen Anginakranken mit 18 anderen in der Zelle liegen ließ und er alle 18 an= steckte. In einem anderen Fall mußten die Gefangenen erst in den Hungerstreik treten, bevor man einen Syphilitifer und einen Mann mit offenen Geschwüren aus ihrer Zelle entfernte.

Verantwortlich für dieses ganze System im Polizei­gefangenhaus ist ein Major Kristen. Er ist nicht dem Namen nach der Leiter, aber er hat die eigentliche Macht in diesent Hause. Er ist der Sadist wie er im Buche steht, schürft nachts durch die Gänae, sieht durch die Gucklöcher, reißt Gefangene wegen einer Nichtigkeit aus dem Schlaf, ist bei Häftlingen wie Aufsehern ebenso gefürchtet wie gehaßt. Den Liesl"- Hund nennt man ihn.

So waren die Verhältnisse, wie ich in diesem Gefängnis war. Vielleicht haben sie sich jetzt gebessert.

Nein, die Verhältnisse haben sich nicht gebessert seither. Das System in diesem Gefängnis ist dasselbe, wie es von Februar an war, der Major ist noch im Amt, Menschen werden durch den Hunger zugrunde gerichtet, Hungerstreits sind an der Tagesordnung. Es ist gleichgültig, ob alle die von der Befriedung" des Landes schwäßen, dieses System fennen und wollen. Die Verantwortung dafür trifft sie alle.

Der Bazar der braunen Stars Die große Wohltätigkeitstombola in Berlin

Im Zentrum des Aufbruchs der Nation, in der Reichs­hauptstadt, wird man am heutigen Samstag ein eindrucks­volles Schauspiel erleben. Zum Zeichen dafür, daß man sich mit dem notleidenden Volke solidarisch fühle, werden die repräsentabeliten Beherrscher des dritten Reiches" persön lich beim Winterhilfswerk helfen. Man wird Goebbels und Göring im einträchtigen Tete a tete vor dem Hotel Adlon , unter den Linden, bestaunen dürfen, mit den Sam­melbüchsen in der Faust. Auf dem Potsdamer Platz vor dem Columbushaus( bitte, nicht zu verwechseln mit der Marter­anstalt der Gestapo auf der Columbastraße) wird Frau Magda Goebbels , zärtlich bepelzt und flehenden blauen Auges, ein Scherflein für die Armen erbetteln. Ober­gruppenführer Brückner, des Führers persönlicher Adju­tant, Pressechef Dr. Dietrich, der kürzlich die philosophischen Grundlagen des Nationalsozialismus fundierte, und einige Gruppenführer minderen Grades werden vom Branden­ burger Tor bis zur Staatsoper auf und ab wandeln und den Passanten Geldbeutel und Brieftaschen öffnen.

Brauchen wir zu sagen, daß ganz Berlin auf den Straßen sein wird, um seine braunen Stars in Augenschein zu nehmen? Wir fürchten allerdings, daß man die Untertanen nicht ganz wahllos heranlassen wird. Die Beamten der Ge­ stapo haben den Auftrag, den Korio sozusagen zu regulieren. Es soll Leute geben, die ichon lange auf eine Gelegenheit warten. Göring und Goebbels etwas Piebes vom Frieden auf Erden und allen Menschen ein Wohlgefallen" zu jagen Schon neulich gab es Piiffe in einer Goebbels Ver­sammlung, und unter den Linden wäre so etwas noch viel peinlicher

Freilich, es gibt an diesem Samstag noch sehr viel anderes

zu bestaunen. Fast jede Ecke wird zum Barzar eingerichtet, wo braune Prominenzen für die Tage der nationalen Solidarität" aktiv sind Baumlang wird sich der Herr Ober­bürgermeister Sahm vor dem Rathause aufpflanzen. Staatssekretär Meißner will vor der Gedächtniskirche Spenden in Empfang nehmen. Wir halten die Plazwahl für besonders sinnig und vielleicht nicht ohne Bosheit ausgedacht. Herr Meißner, der treue Diener so vieler Herren, hat es nachher nicht so weit zur Kirche.

Aber das Allerhöchste ist im neuen Deutschland doch unseren Börseanern zugedacht worden. Ehe sie das Gebäude der Berliner Börse betreten, wird sie Herr Schacht mit der Bitte um eine milde Gabe am Aermel festhalten. Ein­geweihte rechnen damit, daß die Spenden hier am reichlichsten fließen werden. Schacht, der den Brecher der Zinsknecht­schaft besiegt hat, und den Sozialismus brauner Prägung im Verein mit seinem Führer mit reisigem Schwerte mitten ins Herz traf, hat sich ein kleines Almosen aus dem Porte­feuille der Herren von der Börse redlich verdient.

*

Früher, als wir noch nicht erlöst und erwacht waren, sah man das Gesicht der herrschenden Klasse auf den mondänen Wohltätigkeitsbazars. Man amüsierte sich unter sich, die Seftpfropfen fnallten, die Garderoben mit den dazu= gehörigen Kolliers strahlten im Glanze der Lichterpracht, und die Tombolakollekte svendete das stärkende Gefühl, sich nicht für sich selbst, sondern zugunsten der Armen amüsiert zu haben.

Jetzt haben wir dergleichen nicht mehr nötig. Die neuen Herren stellen fich plebejisch auf die Straße, das Volk sieht öffentlich mitten in ihre woltätige Brust hinein und fühlt fich unter folchen Führern herrlich geborgen. Man geht vom Brandenburger Tor bis zum Alexanderplaß und begegnet ihnen, wie sie in schlichter Würde und stillem Adel ihr Eins­sein mit dem Volfe offenbaren.

Denn das ist ja das Große dieser Propagandaveranstal= fung: jeder weiß, daß Göring , Goebbels und Schacht bereits ihre eigenen Taschen bis zum letzten Grunde ausgekrapt haben. Sie treten vor die Masse sozusagen als lebendige Fackeln der Volksgemeinschaft. Wenn das so weitergeht, dann wird vielleicht das zum Wohlstand gekommene deutsche Volk seine Herrscher um ein Herz- Jesu- Süppchen betteln sehn, weil sie die Substanz ihrer Hunderttausende in den Topf der nationalen Solidarität geworfen haben. Dieser tiefe Sinn des großen Wohltätigkeitsforfos wird keinem hungernden und frierenden Berliner Proleten verborgen bleiben und ihn im nahenden Richterglanze des dritten Reiches" aufrichten und beglücken.

Vor allem, wenn er vielleicht am nächsten Tage die Herren Göring , Goebbels , Sahm und Schacht doch noch in gutsizenden Fräcken bei einem braunen Wohltätigkeitsbazar im Hotel Adlon empfängt! Irgendwo müssen sich diese Herrschaften schließlich von den Strapazen des heutigen Samstag er­holen. Dann kommt auch eines ihrer Luxusautos wieder zu Ehren, das am Tage der nationalen Solidarität" man soll nicht geben, sondern opfern, hat Hitler aciaat in der Garage bleiben mußte.

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Auch die höhere Justiz im Korso

Der Reichs- und preußische Justizminister, Dr. Gürtner, hat in einem Erlaß an die Justizbehörden angeordnet, daß sich die höheren Beamten sämtlicher ihm unterstellter Be­hörden für die Sammelaftion am 8. Dezember zur Verfü­gung stellen. Heberall im Reich werden an diesem Tage Richter und Staatsanwälte, der Amtsrichter auf dem Dorf ebenso wie der Oberlandesgerichtspräsident und der Gene: ralftaatsanwalt in der Stadt mit den Sammelbüchsen auf der Straße stehen...