Sonntag- Montag, den 9. und 10. Dez mber 1934
Vision im Herbst von manfeed
Nun sind die Bäume kahl geworden. Aber noch einmal, schon an der Schwelle des Winters, entsinnt sich ein Tag kaum vergangener Heiterkeit und lockt mit mildem Schein die Menschen noch einmal ins Freie. Ganze Geschwader von Kinderwagen sind mobil geworden und sammeln sich auf den Parkwegen. Zu zweien, zu dreien fahren junge Mütter und schmucke Kindermädchen mit ihren Schütlingen nebeneinander her. weil sich so besser dies und das erzählen läßt. Wahlverpackt liegen die Menschenpuppen in Kissen und Decken; aus jedem Wagen staunen blaue und braune Augensterne geradewegs in den Himmel.
Noch in den hellsten Stunden bleibt die Sonne silbern verschleiert. Die Gebäude am hinteren Rande des großen Platzes und die Höhen dahinter sind nur als flache Kulissen sichtbar.
Auf dem großen Plate exerzieren Soldaten. In einzelnen Rotten, locker und unregelmäßig gestaffelt, sieht man sie gegen das dunstige Licht silhouettenhaft sich bewegen. Einige Rotten üben die Stiche und Paraden des Bajonettkampfes, andere werfen Handgranaten.
Die Bajonettkämpfer stehen in Mantel und Mütze, mit gespreizten Beinen und geknickten Knien, mit gefälltem Gewehr. Die aufgesetzten Bajonette blitzen. In kleinen Sprüngen nach rechts und links, vor und zurück exerzieren sie Angriff und Abwehr gegen einen unsichtbaren Feind. Es sind Bajonettstiche in die Luft; sie werden geübt. um einmal bohrende und schlitzende Stiche in lebendige Menschenleiber zu sein wenn nicht im Sturmangriff der kurze, scharfgeschliffene Pionierspaten das Bajonett ersetzt...
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Die Handgranatenwerfer stehen im Glied. Immer einer tritt vor, nimmt die eiserne Handgranatenatrappe, markiert den Abzug der Sicherung und schleudert, mit den Lippen die drei Sekunden zählend, die Atrappe weit hinaus und wirft sich aus dem Schwunge des Wurfes heraus flach auf die Erde, das Gesicht schützend auf den Arm gelegt, als ob er eine Sekunde lang von Schmerz und Reue über sein Tun erschüttert sei und nicht sehen wolle, was sein Wurf anrichtet. Die Atrappe fliegt, überschlägt sich in Purzelbäumen. schlittert, ritzt ein wenig die harte Erde. Sie explodiert nicht; es ist nur totes Eisen. Wenn es aber einmal wieder Ernst werden sollte dann wird das Wurfgeschoß schmetternd explodieren und anstürmende Menschen blutig zerfetzen. Dann werden die Werfer dreckige Schützengrabenkämpfer sein, nicht mehr menschenähnlich in Dreck und Blut, in Todesangst und Raserei. Eine zerschossene Grabenwand, ein Granattrichter wird ihre letzte Zuflucht sein ,, wieviel Erde braucht der Mensch?"; wieviel für seinen armen verlorenen Leib in der brüllenden Hölle des Sturmangriffs? Wieviel als letzten Schutz: wieviel als Grab für zerfette Glieder? Die Handgranaten liegen hingeschüttet neben den Werfern. Es geht ums Lebens!- einer reißt die Sicherung reicht hin. der andere greift zu, schleudert, greift zu, schleudert Akkordarbeiter des Todes. Granate um Granate bis der stürmende, stürzende, brüllende, aus Qualm und Rauch, aus berstender Erde hervorbrechende Schwarm plötzlich heran ist, für Sekunden riesengroß vor Himmel und Pulverdampf den Grabenwall erstürmt und heulend in den Graben springt...
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Und da ist noch eine Rotte. In Reih und Glied. Nach Kommando reißen elf Mann die Gasmaskenbüchsen vor die Brust, reißen die Deckel auf, ziehen die Masken heraus. stülpen sie über die Gesichter. Nun stehen sie alle da, maskiert, mit hängenden Blechrüsseln, mit großen, trüben
Braunkäppchen
Die NS - Lehrer- Zeitung" hat gefordert, daß alle alten deutschen Kindermärchen in nationalsozialistischem Sinne umzudichten sind. Den Vorschlägen der NSLZ. folgend, hat sich unser Mitarbeiter Max Baldauf umgeschaltet und mit folgendem Beitrag eingestellt:
Es war einmal ein armes aber sauber gekleidetes Mädchen, das hieß Rotkäppchen und wollte, wenn es groß geworden, in den Bund deutscher Mädchen eintreten. Diesem Kinde händigte sein Vater, ein alter braver Frontkämpfer, einen Korb mit Erdbeeren aus und sagte:„ Lauf mal schnell zur kranken Großmutter, mein Kind, und bring ihr die Erdbeeren." Rotkäppchen nahm den Korb und wie es in den Wald kam. wer begegnete ihr da? Natürlich der Wolf. Merkt ihr was? Er hatte eine sehr krumme Nase und hieß früher natürlich Wolfsohn. Isidor. Der fragte das Kind in fluchwürdiger asiatischer Arglist. wohin es wolle...Zur Großmutter." entgegnete das Käppchen. ,, sie ist krank und liegt zu Bett." ,, So, so," sagte der Krummnasige und dachte: dieses blonde, blauäugige. langschädlige Kind muß eine urgermanische Großmutter haben, die hat meinem Stammbaum bis jetzt grade noch gefehlt. Ein richter Schwapp Germanenblut würde, mein mießes Aeußere sofort ein bißchen aufnorden und mein ruchloses Treiben tarnen. ,, Wo wohnt denn deine Großmutter, mein Tächterchen?" fragte der Untermensch weiter. ,, Hinten im Walde." antwortete das Käppchen und beschrieb ihm den Weg. ,, So, so," sagte der Fremdstämmige und tollte sich in besagter Richtung mit dem schrägen, plattfüßigen Gange aller Minderrassigen.
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Augenfenstern in der Gummihaut, hinter denen die menschlichen Augen gespenstisch funkeln Menschen. Menschen des 20. Jahrhunderts.
Kindermädchen haben am Rande des Exerzierplatzes die Kinderwagen nebeneinander aufgefahren. Und während sie, die Waren langsam vor- und zur" ckrollen und sanft in den Federungen innen lassen, schauen sie den exerzierenden Soldaten zu. Dieses oder jenes der Mädchen weiß vielleicht seinen Schatz dort in den baionetti renden, Handgranaten maston Rotten.
Ein Lastauto biegt ein. Im Vorüberfahren beugt sich der junge Soldat neben dem Chauffeur aus dem Führergehäuse. lacht mit weißen Zähnen und wirft einem der Mädchen einige Scherzworte zu Das junge Mädchen wird ein wenig rot vor verstohlener Freude. lacht und winkt ihm zu. Und es ist denkbar, daß er das junge Mädchen von Ansehen kennt, daß er weiß, wo es in Stellung ist. daß die Beiden eines Sonntags sich finden und eine Liebesbeziehung soeben sich angesponnen hat.
Das Lastauto fährt rasselnd weiter und lenkt in die Hofeinfahrt des großen Gebäudes ein, das da steht, alt. grau. mit dem Gesicht einer vergangenen Zeit. Militärinvaliden lehen darin. Manchmal sieht man einzelne von ihnen im Park, in feldblauen Uniformen, an Stöcken gehend oder einen Aermel der Uniformjoppe leer in die Tasche gesteckt oder sigend im hochrädrigen Selbstfahrer, mit den Händen die Kurbel des Kettenrades vor sich drehend. Und manchmal hält auch einer am Rande des Plates, ein Invalid mit verstümmelten Beinen im Selbstfahrer neben den hübschen jungen Mädchen und den Kinderwagen.
Und so sind alle beisammen. Figuranten eines Dramas der Masse Mensch. in dem sie ihr Stichwort noch nicht kennen, das aber eines Tages gespielt werden kann. Die Soldaten sind da. Die Mädchen sind da und schauen zu, wie die Soldaten exerzieren Mädchen, jung und liebelustig, mit der lächelnden Hoffnung auf einen Mann. mit der Bestimmung. Frauen und Mütter zu werden und eigene Babys in die Sonne zu fahren. Und die Babys sind da, kleine
Der deutsche Philister
Der deutsche Philister, das bleibe der Mann, Auf den die Regierung vertrauen noch kann. Der paẞt zu ihren Beglückungsideen, Der läßt mit sich alles gutwillig geschehn. Ju vivallera, ju vivallera, ju vivalle ralle ralle ra! Befohlenermaßen ist stets er bereit,
Zu stören, zu hemmen den Fortschritt der Zeit, Zu hassen, ein jegliches freie Gemüt Und alles, was lebet, was grünet und blüt.
Sprich, deutsche Geschichte, bericht' es der Welt, Wer war doch dein größter, berühmtester Held? Der deutsche Philister, der deutscheste Mann. Der alles verdirbt, was man Gutes begann.
Was schön und erhaben, was wahr ist und recht. Das kann er nicht leiden, das findet er schlecht. So ganz wie er selbst ist, so kläglich. gemein, Hausbacken und ledern soll alles auch sein.
Solang der Philister regieret das Land, Ist jeglicher Fortschritt daraus wie verbannt: Denn dieses erbärmliche feige Geschlecht, Das kennet nicht Ehre, nicht Tugend und Recht.
Du Sklav ' der Gewohnheit, du Knecht der Gewalt. O käme dein Simson o käm' er doch bald! Du deutscher Philister. du gräßlichste Qual, O holte der Teufel dich endlich einmal!
Doch leider hat Beelzebub keinen Geschmack An unsern Philistern. dem lumpigen Pack. Und wollten sie selber hinein in sein Haus, So schmiß er die Kerle zum Tempel hinaus.
August Heinrich Hoffmann von Fallersleben. der Dichter des Deutschlandliedes. Zeitgedichte, Das Lied vom deutschen Philister, 8. Juni 1843.
Menschenkinder mit rosigen Gesichtern, mit selig spielenden Heimchen am Herde
Fingerchen, die aus den gehäkelten Jäckchen hervorkrabbeln. Und die Invaliden sind da, die alles schon hinter sich haben, was den anderen noch bevorstehen kann: Mitwirkende und Mitleidende zu sein, wenn das, was die Soldaten da üben, noch einmal blutiger Ernst werden sollte. Und die Frage ist nur, wen es trifft: ob es schon die Soldaten da auf dem Plate sein werden, ob sie es sein werden, die plötzlich die Bajonette nicht nur in die Luft stoßen und nicht mehr nur eiserne Atrappen schleudern? Ob der lachende junge Bursche mit den weißen Zähnen dabei sein wird? Ob es diesen jungen Mädchen hier bestimmt sein wird, vom Bruder, vom Liebsten, vom Gatten, vom Väfer ihres ersten eigenen Kindes sich losreißen zu müssen? Oder ob ihnen allen noch das biẞchen Gnadenfrist gegönnt sein wird für ein Leben mit kleinen Freuden und großen Sorgen? Ob es erst die Babys in den Kinderwagen und die noch ungezeugten Söhne und Töchter dieser jungen Mädchen und künftigen Mütter sein werden, die in den großen Totentanz gehen müssen?
Der Invalid schaut über den Platz, schaut in die verschleierte Sonne. Er zieht die Decke fester um die verstümmelten Beine. dreht seine Kurbel, lenkt und fährt sich in seinem Selbstfahrer in den Parkweg hinein. Er ist der einzige in dieser Vision, der etwas weiẞ. Und auch er weiß nur das: er wird nicht mehr dabei sein. Denn er hat das alles schon hinter sich...
blonden Germanenkind geschah, könnt ihr euch denken. Nicht einmal das Mütchen blieb übrig. Dann legte sich Wolfsohn wieder ins Bett und schnarchte weiter.
Dieses aber hörte ein hellhaariger, helläugiger, langschädliger Jägersbursch, dessen Ahnen bis zu den friesischen Seeräubern zurückreichten und der gerade, das Horst- WesselLied singend, vorüberging. Er hatte ein braunes Hemd an, mit Hakenkreuz am Aermel, trat in die Hütte ein und sah im Bett den dicken Wanst des Untermenschen. ,, Ha, Verruchter!" zog er sein Messer... Wieder einmal die deutsche Biederkeit und Reinheit der mosaischen Tücke zum Opfer gefallen! Nieder mit Dir, marxistischer Raffke!"
In Breslau hat sich folgendes zugetragen
In einem Haushalte lebten Vater, Sohn und Haushäiterin, alle drei treu hitlerisch gesinnt. die beiden Männer seit langem Mitglieder der SA. Eines Tages ließ der Hausherr bei Tisch ein unvorsichtiges Wort fallen, sprach etwas weniger begeistert als sonst vom ,, dritten Reiche", erhitte sich vielleicht über die Butterpreise. Die Haushälterin schwieg zu allem ging hin und denunzierte den Brotgeber bei seinem SA- Vorgesetzten. Sie wurde, fristlos entlassen, und der Fall kam vor das Landesarbeitsgericht in Breslau .
Zwar entschied der Richter gegen die Denunziantin . zwar erklärte er die fristlose Entlassung für berechtigt, aber man muß lesen, in welch blumiger Weise er seine Entscheidung. entschuldigte. Man spürt es wohl war ihm nicht bei der Sache, denn wo käme das ,, dritte Reich" ohne Spitzel und Angeber hin?
Es heißt in der Urteilsbegründung
Nach den geläuterten Erkenntnissen nationalsozialistischen Arbeitsrechtes würden Führer des Betriebes und Gefolgschaft von einem Bande der Fürsorge und Treue umschlossen zur Förderung der besonderen Zwecke dieses Betriebes und zum gemeinsamen Nutzen von Volk und Staat. Diese urdeutsche Auffassung vom sittlichen Wesen des Arbeitsverhältnisses gelte in noch weit höherem Maße für dienstrechtliche Beziehungen im Schoße der Familie, wo engste Haus- und Tischgemeinschaft erhöhte Rücksicht nahme und vertieftes Wirken zum Wohle dieser Urzelle menschlicher und staatlicher Gemeinschaft erforderten...: Die fristlose Kündigung wegen groben Vertrauens. bruches sei danach berechtigt gewesen. Einem Hausvater könne nicht zugemutet werden, auch nur einen Tag länger sich von einer Hansdame betreuen zu lassen, die harmloses Gered bei Tisch heimlich zum Gegenstand einer hochoffiziellen Meldung mache, die für die ganze Familie unabsehbare Unzuträglichkeiten hätte heraufbeschwören können.
Man sieht: Mit der idealen nordischen Hausgemeinschaft des dritten Reiches wäre es eine schöne Sache, wenn nur nicht ständig einer vor dem andern zittern müßte, die Führer des Hausbetriebes vor ihrer Gefolgschaft, die Gefolgschaft vor den Führern, die Eltern vor den Kindern, die Kinder vor den Geschwistern und jeder vor sich selbst und seinem Vorgesetzten. Trautes Heim. Glück allein!
Eines mag die Geplagten trösten: oben in der Führerfamilie geht es nicht besser zu, das könnte nicht nur Röhm bezeugen.
Wolfsohn wollte aus dem Bett springen, aber schon saẞ dem Volksschädling das deutsche Messer in der Kehle und ezu restlos gekillt sank er zu Boden. Hurtig schnitt der Braunhemdige den Leib des Unholds auf, heraus sprangen Oma und Rotkäppchen, umringten den Retter, küßten ihn und sprachen: Gehe hin, reinige Deutschland , brich die Zinsknechtschaft, errette Germanien vom jüdischen und marxistischen Untermenschentum, wie du uns gerettet hast, Die Domestiken dann wird auch die Krise weichen. die Arbeitslosigkeit abnehmen und Gottes Segen. nämlich eine neue national. kapitalistische Hochkonjunktur, nicht ausbleiben!"
Und wißt ihr, meine lieben Blondzöpfchen, wer der tapfere Jägersmann wohl war? Ihr werdet es leicht erraten! Er hängt hinter mir an der Wand, dicht neben dem Christusbild. Max Baldauf.
Als Rotkäppchen zur Hütte der Großmutter kam, hörte Der letzte Witz
es schon von draußen ein häßliches Schnarchen. Das Mädchen trat ein, sah Großmutter im Bett liegen und sagte: ,, Heil Hitler ! Großmutter, warum schnarchst du so?" ,, Weil ich mir zur Verbesserung meiner Ahnengalerie soeben eine urarische Oma einverleibt habe," brummte es vom Ptt her.
Großmutter. warum hast du so große Zähne?" ,, Damit ich besser raffen kann!" Großmutter, warum riechst du so nach Knoblauch?" Damit ich euch besser verdauen kann," spdang das Untier aus dem Bett- und was dann Entsetzliches mit dem
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Ein bekannter Komiker wird plötzlich zur Gestapo ge. laden. Der Beamte herrscht ihn an: ,, Hören Sie mal, was fällt Ihnen ein? Ist dieser Wit von Ihnen?" ..Jawohl!"
,, Und dieser Wit- haben Sie den auch gemacht?" ..Jawohl!"
,, Das ist ja unerhört! Wie können Sie unsern Führer so beleidigen, der von 65 Millionen Deutschen inbrünstig geliebt wird?!"
,, Der Witz ist nicht von mir!"
Du kennst die Art der Domestiken Die dir dienstbare Grüße nicken Und huldigen zum Ueberfluß, Solang du stehst auf Freundesfuß Mit ihrem Herrn; beleidige den, So ist's um ihren Gruß geschehn; Sie müssen dem Gebieter dienen Und treten stolz dir nun entgegen. Drum sei dir an den bösen Mienen Des Lenzgesindels nichts gelegen. Nikolaus Franz Lenau
Faust ein Gedicht, Der Abendgang Worte des Mephistopheles, Verszei
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