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Donnerstag, den 13. Dezember 1934
Old Schatterhand
Man rühmt vom„ Führer". daß einige Bände Karl May zum eisernen Bestand seines Reisekoffers gehörten. Karl May , ein Landsmann des Philosophen des Uebermenschen, hat in vielen erdichteten Reiseschilderungen der deutschen Jugend zwischen 11 und 14 den Uebermenschen in exotisch bunten Bildern gemalt. Meistens in der Ichform. Er selber ist Held und Tugendbold von nie besiegbarer Stärke, von nie besiegter Kunst im Fährtenlesen, Schießen, Reiten, Lassowerfen- Lanzenwerfen, Springen, Schwimmen, Klettern, Ringen Raufen, Stechen, im Tomahak, Bogen, Revolver, im Schleichen, im Finden, in der Taktik, im Helfen, Retten, Strafen. Und gerade diesem Strafen, im Rächen der Frevel, im Siegen der Tugend ist er allerorts der berufene deus ex machina.
Seine aufdringliche Moral ist die bekannte Traktätchenmoral amerikanischer Sekten. Mit dieser siegt er über Indianer, Gangster, Cowboys. Tuaregs, Scipetaren und alle Wegelagerer der Welt. Allerdings wird er darin unterstützt vom besten Mustang der Welt, vom besten Araberhengst der Welt, vom besten Reitkamel der Welt, vom besten Repetiergewehr der Welt, von der besten und schwersten Kentukybüchse der Welt, von der besten Donnaszenerklinge der Welt und von dem größten Glück der Welt, das auch nicht ein
Von Praeceptor
im Reden hält er's mit seinem Apachenfreund Winnetou , der lieber tatet. Im Reden hat sich der große Führer den kleinen Diener Kara Ben Nemsi zum Vorbild gewählt. Wenn der Führer aller Deutschen im Reichstag von seinen und der Seinen Taten erzählt, z. B.:,,Wir haben den Marxismus getötet, wir haben die deutschen Parteien erschlagen, wir haben Deutschland und die Welt von der Seuche des Kommunismus gerettet, wir haben das Gespenst der Arbeitslosig keit überwunden, wir haben die Korruption ausgebrannt, hören wir da nicht ganz klar und deutlich den kleinen Hadschi Halef Omar, Ben Hadschi Abdul Abbas Ibn Hadschi David al Gossarah mit seinen sechs Schnurrbarthaaren auf der einen und den sieben auf der anderen Seite am gastlichen Lagerfeuer vor dem Beduinenzelt in orientalischer Prahlerei und Aufschneiderei seine und seines Sidhis Ruhmestaten aufzählen?., Wir haben den Herrn mit dem dicken Kopf besiegt, wir haben den schwarzen Panther erlegt, wir haben die Gum überwinden, wir haben den Schott überquert, wir haben den Samum überstanden, wir haben mehr geleistet als alle Helden vom Aufgang bis zum Untergang, unsere Namen werden in den Ruhmesblättern aller Stämme und Nationen glänzen durch 1000 Jahre.
Und Hitlers Taten sind nicht weniger romanhaft wie die Anklang auch im Reden an das erhabene Vorbild deutscher Jugend: Hitler redet soviel wie May schreibt, und wie May immer dasselbe in 60 Bänden schreibt, so redet Hitler in 1000 Reden immer dasselbe. Denn er hälts auch hier mit den großen Heiligen. die wenige bekannten, aber zeitgemäße Gedanken haben sollen.
einziges Mal versagt. Ganz besonders aber gefällt sich dieser kühnste, klügste, jenes Kara Ben Nemsi alias Old Shatterhand. Und noch ein unerschrockenste, sprachenkundigste, findigste, gelehrteste, gerechteste, weiseste alle Helden in seiner besonderen Führung der Vorsehung, die einer einzigartigen Berufung zum Führer der Völker aus Not und Schmach. Er stolpert immer wie durch Zufall herein, wo eine Unschuld zu rächen, ein Unheil zu verhüten, ein Verbrecher kaltzustellen, ein Räubernest auszuheben ist.
Die Zugkraft übt er auf die phantastische Jugend aus durch die Ermöglichung alles Unmöglichen, durch sein falsches Pathos und durch die reizenden, nervenaufpeitschenden Gefahren, die immer überstanden werden.
Wir glauben darum gern an den Bericht von Hitlers Reiselektüre aus dem Karl- May- Verlag von Radebeul .
Denn Hitler mimt durchweg den Karl May , den Uebermenschen der Jugend, wenn er auch hie und da aus der Rolle fällt, z. B. in seiner Blutsfreundschaft mit dem Winnetou- Röhm. Denn Mays Freund fiel von Feindeshand, Hitlers Freund von Freundeshand. Aber das ist ja eine alte bekannte Sache, daß das Leben nie ganz so ist wie im Roman.
Aber sonst mimt er gut. Er kann alles wie Shatterhand, er weiß alles wie Shatterhand, er entdeckt alles wie Shatterhand. er ist klug, schlau, kühn und unerschrocken wie Shatterhand. Er rächt die Tugend, wie Shatterhand.
Oder ist der Bericht Goebbels vom 30. Juni in Wiessee nicht ebenso köstlich wie einige Seiten Karl May , wo er mit der ,, Schildkröte, dem Häuptling der Plattfußindianer. und dem tollen Büffel", dem Obersten der Apachen, plötzlich mitten im Feindeslager steht und den vor Schreck Erstarrten mit Herrschermiene und Feldherrnblick die Waffen, die Adlerfedern und das Skalp nimmt; besser hätte es Winnetou, Old Shatterhand anderes Ich, auch nicht fertig gebracht; darum ist denn auch das Staunen der deutschen Jugend bis zu 70 Jahren so groß.
Natürlich kann ,, der Führer" nicht nur Old Shatterhand nachahmen. Denn Old Shatterhand war Präriejäger, Wüstenforscher, Chinareisender, während Er doch Reichskanzler ist. Und weil er Reichskanzler und zwar deutscher Reichskanzler ist, muß er auch sehr viel sprechen und kann nicht wie ein wortkarger Held menschenleerer Steppe vor seinem 65- Millionen- Volk stehen.
Zum Reden aber kann er Old Shatterhand als Vorbild nicht so gut brauchen; der schreibt unmenschlich viel, aber
Indes hat die Parallelschaltung zwischen May und Hitler außer der neckischen auch eine tiefernste Seite. Karl May hat mit seinen Schriften die deutsche Jugend beim Uebertritt in die Flegeljahre sehr nachteilig beeinflußt. Er fröhnte skrupellos der arbeitsscheuen Phantasterei dieses Lebensalters und nährte jenen Illusionismus, an dem die deutsche Nation krankt und an dem die deutsche Nation in unheilvollster Weise verdirbt.
Genau so wie der Führer mit seiner verlotterten Jugend sind ungezählte Studenten Abenteuern in Gedanken oder oft in der Tat nachgejagt, statt sich an ruhige gediegene Arbeit zu gewöhnen. Deshalb sind viele von ihnen in dem Entwicklungsstadium des 14. Lebensjahres stecken geblieben, wo bekanntlich der Mensch nach den Eintritt in die Flegeljahre zu allem fähig und zu nichts tauglich ist. Die ausschweifende überreizte Fantasie schwirrt zu Unternehmungen, denen die Kräfte in gar keiner Weise gewachsen sind. Solche Jungens machen ihren Eltern bittere Jahre
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Ballade von den Erschlagenen
Von Frig Hoff
Und nun war die braune Armee an der Macht! Sie durchzogen die Städte Tag und Nacht, Sie schrien und johlten und brüllten wie Vieh. ,, Der Tag ist gekommen! Jetzt oder nie!"
Und sie brachen die Türen der Häuser auf, Und sie rissen Männer aus Betten,
Und sie höhnten: ,, Jegt nimmt das Geschick seinen Lauf!" Und sie warten die Männer in Ketten. Und sie schleppten sie in ihre Folterquartiere, Und sie traten ihnen die Nieren ein.
Und sie hausten schlimmer als wilde Tiere, Und sie ließen sie ,, Deutschland erwache!" schrein Und sie trampelten auf ihren Körpern herum, Und sie schlossen sie zwischen Ketten krumm. Und sie bespien sie und ließen sie springen Und duzu das Horst Wessel - Lied singen. Und sie trampelten thre Gesichter zu Brei Und schrien dabei:
Und sie zerschlugen sie zu formloser Masse, Blind in ihrem Hasse
Gegen jeden aufrechten Kampfer der Arbeiterklasse. Freiwild war jeder, der gegen sie stand. Sie nahmen, wen sie funden.
Sie hausten wie Bestien im ganzen Land, Und sie schlugen jeden zuschanden, Der ihnen in die Hände fiel.
Sie hatten nur ein einziges Ziel:
Ausrotten alles, was nicht ihre Partei.
Und der Kanzler des Reichs nennt die braunen Soldaten, Die mordenden Tiere: ,, Meine Kameraden!"
Hunderte, tausende schlugen sie tot, Wie man räudige Hunde erschlägt. Die Erde wurde von Blutbächen rot, Und die Herzen wurden von Blutbächen rot. Und die Blutsaat cinst Früchte tragt!
Und mögen sie tausender Leben zerbrechen: Wir werden Euch, tote Genossen, rächen! Wir haben, ihr Toten, nicht Zeit zum Trauern, In das Herz werden wir eure Namen nur mauern.
Und dann, wenn wir einst die Kerker zerbrechen, Dann werden wir Euch, ihr Erschlagenen, tausendfach [ rächen!
und später der ganzen Gemeinde, und wenn sie Reichs. Wer den Verstand verlor...
führer werden, dem ganzen Volk.
Aus dieser kleinen Denkwürdigkeit des Karl- May- Bandes im Koffer fällt Licht auf die deutsche Lage: der Führer liest mit 46 Jahren May, verrät damit seine literarische Reife von 14 Jahren. Er ist seiner ganzen inneren Einstellung nach in der Unentwicklung und Unreife eines typischen ,, Karl- MayFressers stecken geblieben; ein politisch unreifes Volk hat den Unreifen zum Führer in den Abgrund gewählt. Und dieser Führer spielt mit dem Volke ein blutig ernstes Indianerspiel mit Wüstenmethoden, Präriegesetzen, Wigwamsgewohnheiten des Lebens.
So ist das deutsche Volk unter den Völkern der aus den Bahnen geworfene, mit seinem wertlos gewordenen Leben spielende Prärieläufer geworden. Old Shatterhand Präriegesellschaft: Sam Hawkens, lange Davids, Tims und Jims, Hobbelefranks. Old Deads. Santers. Nur geschieht das alles in Europa zwischen den Zäunen Frankreichs und Rußlands .
Das Symbol Der deutsche Maulkorb
Die befreite" deutsche Nation hat den dichtmaschigsten Maulkorb um, den die Welt je gesehen hat! Was auch immer an Schändlichem, an Rohem und Unwürdigem passiert, das Volk hat zu schweigen und in erpreßter Loyalität an den Tyrannen vorbeizudefilieren.
Was aber soll der arme geplagte Untertan nun machen? Er kann doch nicht immer mit zugekniffenen Lippen stumm dabei stehen, wenn die Bonzenskandale ins Riesenhafte wachsen, wenn der Umsatz sinkt, die Pleite immer dringlicher an die Türe klopft und die bombastischen Führerreden in Permanenz aus dem gemißhandelten Lautsprecher und ihm selbst kilometerlang zum Halse herauskommen!
Auf der Straße muß er Männchen markieren, wenn die randalierenden Bengels mit ihren behakenkreuzten Lappen vorbeimarschieren, in der Zeitung serviert man ihm tagaus, tagein optimistischen Edelschmus, ihm summt der Kopf von " Blut, Boden, Rasse aufzucht und Aufbruchs- Sentenzen", die ihn nicht zufrieden und glücklich machen.
Selbst im trauten Familienkreis, eingesponnen in die diskrete Heimlichkeit seiner vier Wände, wagt er nicht, den Mund aufzutun.
Wie gern möchte er sich seinen Aerger von der Seele schimpfen, aber dem Spießbürger schaudert vor den Konsequenzen, da sitzt der Junge, Mitglied der Hitlerjugend , darauf dressiert, die nicht ganz stubenreinen Eltern auf vorschriftsmäßige Gesinnung zu kontrollieren. Wer gibt ihm denn die Garantie dafür, daß der Bengel nicht morgen zum Truppführer hinläuft und den Alten untermenschlicher Meckereien bezichtigt?!
Die Folgen wären: Konzentrationslager, öffentliche Anprangerung, geschäftlicher Ruin. So spricht der Unglückliche denn ein frommes Tischgebet auf den Führer". Und der Junge grinst. Denn das deutsche Familienleben, rassechemisch gereinigt, ist vorbildlich geworden.
Aber einmal muß sich der an die Kette gelegte Mensch doch Luft verschaffen! Wo soll er da hingehen, um, ohne
Risiko, im verschwiegenen Eckchen ein wenig miesmachen zu können?
Er ist ja angefüllt von Miẞstimmung, von Enttäuschung, von Ausweglosigkeit bis zum Rande; in der Kneipe, beim Bier, lösen sich die Schlösser vor den Mündern der Gleichgeschalteten, der Druck weicht, die Komplexe lösen sich. Ja, Kuchen! wie der Berliner zu sagen pflegt.
In Frankfurt a. d. O., einem Mittelstädtchen unweit von Berlin , haben das einige versucht. Die Folgen sieht man beim Aufschlagen der Nummer 39 der„ Berlin- Brandenburgischen Gastwirtezeitung". Sie ist das Fachblatt der Berlin - Brandenburger Gastwirte und bringt, sehr versteckt und in kleiner Schrift, einen Bericht über die letzte Frank furter Ortsgruppenversammlung des Reichsverbands er Gastwirte". Hier lesen wir:
,, Eine lebhafte Aussprache entspann sich über einen bedauerlichen Fall, der sich in Frankfurt ( Oder) abgespielt hat und der ein Todes opfer gefordert hat. Im Endergebnis haben die politischen Formationen für 19 Frankfurter Lokale ein Sperrverbot verhängt, das sich naturgemäß schwer wirtschaftsschädigend auswirkt und leider noch immer nicht zurückgenommen worden ist. Kreisverwalter Haase betonte erneut mit allem Nachdruck, daß in Fällen, wo in einer Gastwirtschaft staatsfeindliche Aeußerungen bemerkt würden, sofort das Feldjägerkorps oder die Schutzpolizei zu benachrichtigen ist, gleich viel, ob es sich um einen alten Stammgast oder sonstigen Freund handelt. Bei Nichtbefolgen dieser Anordnung sei stets, wie jetzt wieder erwiesen, der Leidtragende der Gastwirt."
Also auch hier, im stillen Zechlokal, gibt es keine Oase in der Wüste des großen braunen Schweigens. Selbst hier sitzen die Agenten der Leute mit dem schlechten Gewissen herum, spitzen ihre Riesenohren und notieren sich verdächtige, staatsgefährliche Mundgeräusche.
Besonders schlimm aber sind die Gastwirte daran. Sie brauchen es gar nicht an Denunzianteneifer fehlen zu lassen,
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Ein Autor, der sich ,, Molch" nennt, veröffentlicht im Völ kischen Beobachter"( Nr. 338) einen Aufsatz: Wie werde ich zum Hypochonder?" Er erzählt, welche Wirkungen die Lektüre eines Gesundheitsbuches auf ihn gehabt habe, and sagt zum Schluß:
,, Nun endlich tat ich, was ich gleich hätte tun sollen. Ich ging zu einem mir befreundeten Arzt. Er hörte meine vielfachen Klagen mit Ernst und Geduld an uná untersuchte mich sehr gründlich. Dann trat er auf mich zu und erklärte, ich sei vollkommen gesund, was all die erwähnten Körperorgane anbelangte. Nur mein Verstand, der habe etwas gelitten. Ich tat einen Freudensprung. Also gesund war ich, konnte Kaffee trinken und Zigaretten rauchen! Nur der Verstand hatte gelitten! Teufel noch mal, dachte.ich, wenns weiter nichts ist!
Nun bin ich wieder froh!"
Trots der Minderung seiner Hirnsubstanz besitzt Molch" psychologisches Verständnis für seine Leser. Sie wissen, daß man nicht viel verloren hat, wenn es nur das Gehirn ist. Ueberhaupt das Lesen!
Wie sagte doch Adolf Hitler anläßlich der ,, Woche des Buches":„ Ich habe viel gelesen, und zwar gründlich."
schon
sie brauchen nur ein wenig schwerhörig zu sein sitzen sie in der Tinte! Der Aufgabenkreis der Restaurateure verbreiter! sich. Die Geplagten haben sich nicht mehr allein, wie bisher. um das Ausschenken der Biere, das ordnungsgemäße Begleichen der Zeche, um Speisen und Sperrstunde zu bekümmern, sie müssen jetzt auch mit gespitzten Ohrmuscheln unter die Stammtische kriechen, um das Geflüster der Untertanen auf etwaige Disharmonien zu prüfen.
Wehe dem Gastwirt, der sich ein staatsgefährdendes Wort entgehen läßt. Ihm drohen Schande, Ruin und Konzertlager".
Kein Stammgast, nicht der engste Freund, darf sein Herz zu Kompromissen bewegen! Beim ersten verkehrten Wort des Freundes hat er nach dem Göringschen Feldjägerkorps zu schreien. Unseliger Gastwirt, unselige Gäste!
Und so wird dem sorgenvollen Restaurateur nichts anderes übrig bleiben, als mit Symbolik zu arbeiten. Er lasse hoch oben von der Decke herab einen riesigen Maul. korb in das Gastzimmer herabbaumeln, letztes und tiefstes Symbol des deutschen Zustandes!
Denn warnend zu plakatieren, daß er zum Geheim- und Beschnüffelungsdienst für die Gestapo verpflichtet sei, würde ihm gewiß nicht bekömmlich sein.
Den Maulkorb aber, dies Wappenzeichen neudeutscher Herrlichkeit, werden sie ihm nicht beschlagnahmen können. Sagt er doch alles, was zu diesem Regime, zu diesen regie. renden Männern und zu ihrer namenlosen Schande zu sagen ist!
Mein Kampf
Es ist nichts schrecklicher, als eine tätige Unwissenheit. Weisen von Zion
Gewissen Geistern muß man ihre Idiotismen lassen. ( Goethe)