Der Saarführer im braunen Schlamm

In Koblenz   residiert der Führer aller deutschen   Saar­vereine Guit av Simon. Er ist ein mickriges Kerlchen. Aeußerlich und innerlich von einem Germanen so weit ent­fernt wie von einem Maffabäer. Gerade wegen seiner schlechten Rasse machte auch er die höchste Nazifarriere. Er wurde Gauleiter und preußischer Staatsrat und dazu dem Bund der Saarvereine als Führer aufgezwungen. Sein Jahreseinfommen geht in die mehreren zehntausenden Marf im Jahr. Eh. er soweit war, hat er wie alle anderen hochbezahlten Pfründer des dritten Reichs" für eine höchste Einkommensgrenze von 12000 Mart im Jahre geredet ( nicht geschrieben, da er das nicht fann).

Wie der Herr, so das Geschirr heißt ein altes deutsches Sprichwort. Daraushin sehe man sich die Residenz des Saar­führers an.

In Koblenz  , wo vierzehn Jahre kein Bonze und fein politischer Beamter ftolperte und auch die schärfsten Untersuchungen nach dem 13. Januar 1988 nichts Dunfles ans Licht beförderten, weil sie es einfach nicht fonnten, wurden in 1% Jahren hitlerischer Alleinherrschaft fol­gende Fälle bekannt( und nicht bekannt, wieviele?!): 1. Bornfeiiel. alter SA- Führer, 1933 zur Kriminal= Polizei fommandiert, beging Dienstliche Unter­schlagungen mit schwerer Urfundenfälschung, 13 Mo­nate Gefängnis;

Stellvertretender Gauleiter Redmann und Ober­bürgermeister Christ sollen beurlaubt werden und schon sein!

Staatsrat und Gauleiter Gustav Simon  , oberster Führer und Schirmherr aller deutschen   Saar­vereine, soll starf mitbelastet sein. Es wird angenommen, daß wegen der bevorstehenden Saarabstimmung hier= über nachher noch etwas mehr! nichts( wenigstens. einstweilen nichts) gegen ihn unternommen wird. Gustav Simon   mußte aber am 27. Oktober nach München  , um sich zu verantworten!

In seiner Not hat Simon einen wütenden Aufruf gegen alle Gerüchteträger erlassen, aber leider glaubt man in Koblenz   mehr den Gerüchten als dem obersten Schirm­herrn aller deutschen   Saarvereine. Man behauptet, daß bei diesem Simon und den Seinen nur deshalb noch nicht ausgemistet wird. weil man die Saarbevölkerung vor dem 13. Januar nicht fopischen machen will.

Es stinkt aber längst aus dem Sumpf des dritten Reichs" über das ganze Saargebiet, und auch der Wohl= geruch des Herrn Simon wird gegen den Gestank nicht mehr aufkommen.

2. Bender, Führer der Landarbeiter, schwere Untreue. Aus dem Reiche Bürdie's

13 Monate Gefängnis;

3. Schmidt, Juſtizinspektor, im Zusammenhang mit Bender, 18 Monate Zuchthaus  ;

4. Pehl. Führer der Kriegsopfer, mußte entlassen wer­den, weil er mehrmals wegen Eigentumvergebens vorbestraft war und mit belgischen Offizieren 1923 auf Duzfuß stand und mit ihnen auf deutichen Jagden jaate. Erst als die Spatzen die Sache von den Dächern pfiffen, wurde endlich eingeschritten;

5. Jentsch, Führer der Arbeitsopfer, schwere Untreue, seit drei Monaten in Untersuchungshaft. Mindestens ein Jahr wird herauskommen;

6. Stremmler, Führer der Bauarbeiter, schwere Un= trene, Verfahren schwebt. War früher schon mit einem Jahr Gefängnis wegen Untreue vorbestraft( Raiff­eisen);

7. Niflowitz, Führer der NS.- Hago, schwere Untreue, sitzt in Untersuchungshaft. Sicher auch Zuchthaus; 9. Hoffmann, Frau, hervorragend in der Winterhilfe tätig gewesen. Unterschlagung. Untersuchungshaft; 10. Krämer, Standartenführer( entspricht dem Grade cines Regimentskommandeurs der alten kaiserlichen Armee) wegen Unterschlaguna in Untersuchungshaft; 11. Friedrich, Truppführer, Adjutant des Krämer, mitverhaftet;

12. Wie vorstehender Friedrich.

Schon aber tauchen weitere, und zwar sehr illustre Namen auf der Korruptionsliste auf:

Klep'omanic und Sterilisation

Vor einem Berliner   Gericht stand nicht im Mittelalter, sondern im Oktober des Jahres 1934 eine Frau, des Taschendiebstahls angeflagt. Sie hatte einen Schlüsselbund und eine wertlofe Zigarettentasche entwendet, nicht in ge winniüchtiger Absicht, ir das Gericht selbst ausdrücklich an­erfannte, vielmehr durch eine frankhafte Veranlagung ge­trieben. Die angeklagte Kleptomanin war einige Male gleicher Delifte wegen bestraft worden, sie hatte immer aus= schließlich unverwertbare Sachen gestohlen und wurde durch den Gerichtsarzt für vermindert zurechnungsfähigerklärt. Das Gericht perhängt eine Gefängnisstrafe von einem Jahr und Sicherungsverwahrung für unbegrenzte Zeit. Unterbringung in einer Heilanstalt, io hieß es in der Urteils­begründung, fomme nicht in rage, weil die Angeklagte, ab­gesehen von ihrem kleptomanischen Trieb, ganz gesund fei. Und da die Frau ganz aefund ift" legte man ihr nahe sich sterilisieren zu lassen! Die Verurteilte erflärte sich dazu bereit. zweifellos in dem Bewußt­sein, daß Sicherungsverwahrung" im dritten Reiche" eine Marter schlimmer Art ist.

Man schreibt uns aus der Pfalz  :

Unsere lezten Mitteilungen über die Verhältnisse in der Pfalz  , insbesondere die Betriebsberichterstattung, haben Herrn Bürckel   wegen der Wirkung auf die Saarbevölfe­rung in große Erregung versetzt. Er ließ wiederholt Be­richtigungen in den pfälzischen und Scarblättern los, die aber in Wirklichkeit unsere Angaben glatt bestätigten, Nicht in einem Punft vermochte err Bürckel unsere Fest­stellungen als unrichtig zu beweisen. Seine frechen leber­schriften standen in schroffem Widerspruch zum Inhalt feiner Berichtigungen", die unsere Angaben nur noch be­fräftigen.

Um nun unwiderleglich zu beweisen, wie herrlich es z. B. den Arbeitern in der Anilinfabrik in Ludwigshafen   im Gegensatz zu unseren Tarstellungen geht, ließ der Pfalz­gewaltige zwei Briefe von Saarländern veröffentlichen, die zu Propagandazwecken dort beschäftigt sind. Es muß voraus­geschickt werden, daß diese Briefe natürlich nicht in Lud­ wigshafen  , sondern nur im Saargebiet veröffentlicht wur­den, denn da, wo man die wirklichen Verhältnisse tennt, würde der Schwindel doch zu verheerend wirfen. Die beiden Renommierarbeiter geben Wochenlöhne von 55 und 58 Mark an und behaupten, nach Abzug aller Kosten für Wohnung und Verpflegung noch 30 bis 40 Marf gehabt zu haben, um sie nach Hause zu schicken.

Soviel haben Anilinarbeiter auch in den besten Zeiten nie verdient. Wir werden nächstens in der Lage sein, genaue Beweise für die tatsächlichen Lohnverhältnisse vorzulegen.

Wenn die nationalsozialistischen Sterilisierungs- Fanatifer ihrer Manie in gleicher Weise weiter fröhnen, so sind die Folgen kaum auszudenken. Kleptomanie ist eine busterische Erfrankung. Es ist nicht einzusehen, warum Hysterie andrer Art nicht mit dem gleichen Mittel bekämpft werden soll. Der Anfang ist gemacht! Man stelle fich vor, welche Massensterili­fierung es aäbe, wenn alle Spiterifer in Deutschland   unfrucht­bar gemacht würden! Hitlers Maffenbosis wäre alsbald ernst­hoft gefährdet und die Geburtenstatistik, auf die das dritte Steich" io stolz ist, dürfte binnen furzem bedenkliche Zeichen des Rückgangs aufweisen.

In Deutschland  , in einem Lande, wo gegenwärtig der

Menschenjagd in Mitteleuropa  

Auf einen Expatriierten

Der Sozialdemokrat und Reichsbannermann Waldemar Poetsch aus Bremen  , lebt seit über einem Jahr als Flücht= ling in Antwerpen  . Durch seinen Beruf als Seemann   und später als Gewerkschaftsbeamter des Transportarbeiter­verbandes in Bremen   verbinden ihn mit den deutschen   See­leuten viele berufliche und gewerkschaftliche Interessen und Freundschaften. Sein Einfluß auf die deutschen   Seeleute ist in Bremen   immer sehr groß gewesen und nach der natio= nalen Erhebung" noch gewachsen.

In Antwerpen   fornte Poetsch innige private Verbindung mit seinen Kollegen halten. Die Gleichschaltung der Seeleute ist nur in ganz geringem Maße gelungen. Daran hat Walde= mar Poetsch ein großes Verdienst. Die deutschen   Behörden aber sind furchtbar wütend auf ihn.

Als es Poetsch gelang, einige ganz berüchtigte A wenten der Gestapo   zu entlarven, feßte eine regelrechte Jagd auf unseren Kameraden ein. Kapitäne und Bordtruvpiührer deutscher  Schiffe beauftragten Schiffsoffiziere und Matrosen, für eine Belohnung, die von erst 1000 auf 10 000 2arf stieg, Poetich auf ein Schiff zu schleppen, um ihn nach Hamburg   oder Bremen   zu bringen. Danf set den Seeleuten, die stets famen, um die Vigilanten zu fionalisieren. Einige Seeleute ließen sich selbst beauftragen und erstatteten uns dann eingehend Bericht. Wir erlebten auch, daß sich an Bord zwei Sozialisten aus taftischen Gründen das Vertrouen des Bordtruppführers erwarben, für das Fangen von Poetsch Vorschuß erhielten, ibn aufsuchten und die Vorichußrate der Fongprämie als Bei­trag zu seinem färglichen Lebensunterhalt überbrachten. Mehrere Male wurde P. des Nachts im Hafenviertel über­fallen, fonnte sich aber stets in Sicherheit bringen. Belgische Sozialisten hielten auf den deutschen   Kameraden ein wach­james Auce. Bei der Polizei stellte der deutsche Generalkonsul ein halb Dußendmal den Antrag auf Auslieferung des P. nach Deutschland  . Die Anträge wurden glatt abgelehnt, da die belgische Regierung dem politischen Flüchtling, der sich ruhig und gesittet beträgt, feine Aufenthaltsschwierigkeiten macht. Aber eines Tages war Poetich doch verschwunden. Die nachforschenden Freunde stellten fest, daß er im Gefängnis jei. Durch die tatkräftige Unterstüßung belgischer Sozialisten­führer war bald Klarheit geschaffen. Der deutsche Gesandte in Brüssel   hatte die belgische Regierung mit dreister Stirn frech belogen, um P. doch zu fassen. Dieser charaktervolle Diplomat hatte den Antrag auf Auslieferung des P. mit der Begründung gestellt, daß P. wegen eines schweren Diebstahls uiw. zu zehn Jahren Gefängnis verurteilt set. Glücklicher­weise fonnte P. durch einwandfreie Papiere seine Un­bescholtenheit beweisen. Geradezu im letzten Augenblick kant Poetich frei. Der Transport nach Deutschland   war schon zusammengestellt, als die Bemühungen der belgischen Sozia­lichen die Regierung veranlaßte, P. zu enthaften.

Schlimmer als ihm im Auslande, ergeht es aber seiner Frau im dritten Reich". Die Frau hat wegen der Pflege ihrer alten und franken Mutter. Deutschland   nicht verlassen fönnen. Mit ihrem Mann steht sie nicht mehr in Verbindung Um Ruhe zu bekommen vor der Polizei, hat sie die Scheidung beantragt. Eine Möglichkeit, darüber mit dem Mann zu sprechen, hatte die gequälte Frau nicht. Trotzdem wissen wir aus Bremer   Polizeifreisen, die sich über die Erledigung dieses Falles sehr empören, daß die Frau Poetsch von der Polizei gezwungen wurde, an ihren Mann Briefe zu schreiben, die ihn veranlassen sollten. an die Grenze zi fommen. Der Plan, wie P. dann herübergeschleppt werden sollte, war genau ausgearbeitet. Die Vorladungen zu den Scheidungsterminen wurden ohne Briefumschlag, in offenen Blättern von Deutschland   nach Antwerpen   geschickt. Jest finden wir unseren standhaften Freund in der neuen Liste der Erpatriierten, eine große Auszeichnung für sehne sozia­listische Ueberzeugungstreue.

Sadismus regiert, in einem Pande, wo ein gemeingefährlicher 50 Pienn'ge fürs Antre'ben

Morphinist auf hohem Ministerposten fißt, in einem Lande, wo bösartige Irre vom Schlage eines Streicher ganze Land­striche terrorisieren dürfen, mutet die Sterilisierungsseuche besonders grotest an. Wie wäre es, wenn mit der Unfrucht­barmachung einmal im Rührerstabe begonnen würde? Das würde die ganze Welt verstehen- daß aber eine Frau sterili­fiert wird, weil sie einen Schlüsselbund gestohlen hat, versteht fein normaler Mensch!

Jeder Betriebsführer kann... seinen Gefolgschaftsmit­gliedern eine besondere Freude machen, wenn er ihnen zu Weihnachten als besondere Anerkennung für die geleistete Jahresarbeit eine.. Reisesparkarte schenkt, da dieses Geschenk schon von 50 Pfennigen an möglich ist..." Aus einem Aufruf der Deutschen Arbeitsfront  " an die Betriebs­führer".

Das Dori des Hungers

Von Peter Bitter Vor Jahrtausenden hatten Eisgleischer riesige Granit­steine in diese Gegend gewätzt. Nur Wald und steine gibt es hier, doch die Steinbrüche und die Werkstätten der Stein­mezze stehen jetzt leer- ganz ielten bioẞ hallt manchmal der Lärm des Meißels aus einem der verstreut liegenden fleinen Häuschen Das Torf ist sehr groß, unzusammenhän gend hingeworfen die Hauser. Und der Fremde staunt, daß ihn nicht, wie wo anders, auf seinem Gang die einzige Straße entlang Hundegebell begleitet.

Hunde und Kaßen hat das Dorf jeit seiner Entstehung bereits immer hungrig, lange schon aufgefressen. Der Hunger war schon da. als die Bewohner aus den Felien Torbögen, Randsteine und Grabdenkmäler meißeiten. Der Hunger wurde größer als die Krise fam und die niedrigen Löhne den Haushalten fehlten und alles nur irgendwie Entbehr­liche verkauft werden mußte. Und jetzt, da die Krise anhält und der einzige Besteller die Gemeinde Wien   seit dem blutigen Februar aus Eriparungsgründen die Pflastersteine aus einem Steinbruch an der Donau   nimmt, ist der Hunger zu einer Dauererscheinung geworden. Auch die gefährlichen Gefährten der Not: Alkohol und Verbrechen, fehlen nicht, so daß das Torf im ganzen Lande eine traurige Berühmt­heit genießt. In Amaliendorf  ( 10 der Name der Gemeinde) schaut aus jedem Haus ein Dieb heraus beim Bürger­meister zwei". heißt es im Volksmund. So arg ist es zwar nicht, aber daß ganze Familien in der Umgebung beiteln gehen, ist so etwas alltägliches, daß es der Bürgermeister, mit dem ich die Runde durchs Dorf mache, nur so nebenbei erwähnt. Er selbst kann nicht betteln gehen- da er keine Schuhe hat und jetzt mühselig in schweren Holzschuhen neben mir einherhumpelt. Seine einzige Beschäftigung ist, den Ar­beitslosen d. h. dem ganzen Dorf, den Stempel auf die Unterstüßungsfarte zu drücken. Eingänge hat die Gemeinde feine, daher auch keine Ausgaben.

Wir schreiten durch den melancholischen Novembertag, be­gegnen scheuen, rachitischen Kindern, die sich mit Reisig ab= mühen und in den niederen, strohgedeckten Häusern ver­schwinden. Ab und zu betreten wir eins. wechseln ein paar Worte mit den Bewohnern aber die meisten sind ver­sperrt und die Insassen auf der Tour"- auf Bettelei. In einer Hütte liegt wir sehen durchs Fenster- lang aus­geitreckt auf einer Bank ein Mann.

r schläft wohl um den Hunger zu vergessen?" rate ich. Der Bürgermeister lächelt Er ist tot." Und er zieht mich fachte weg Vorgestern hatte man ihm die Unterstüßung ein­gestellt, da ging er hin, jagte Frau und Kinder aus der

Hütte verdichtete Fenster und Ausgänge und zündete Holz­kohlen an Als die Frau mit einem Nachbarn fam, war er i on tot"...

Hie und da steigt aus einem Schornstein dünner Rauch auf. Hier wird die einzige tägliche Mahlzeit gefocht: Kartoj= fein und Krautiuppe.

Fletch gibt es wohl selten?" frage ich meinen Führer. Ja, und wenn, dann kommt es meistens den Betreffenden sehr teuer zu stehen." Und er erzählt, daß die Einwohner sich eine Zeitlang gegenseitig Hunde und Katzen abjagten, dann sich aus dem nahen Forst Hasen und Rehe holten, aber mit schweren Zuchthausstrajen dafür bezahlten. Erst vor einigen Wochen jedoch hatten drei Steinmeße ein Stück Pferdefleisch beim Fleischer gestohlen. Da fie schon vorbestraft wareu, befamen sie jeder ein Jahr Gefängnis.... Wenn die Richter in der Kreisstadt iehen, daß der Angeflagte aus dem ewig hungrigen Dorse ist, strafen sie erheblich strenger als sonst.

Nahe dem Walde ist ein Steinbruch, und ihm sehen wir aus dem Dorfe etliche Männer zustreben.

,, Wird doch noch gearbeitet?" wundere ich mich. Wieder lächelt der Bürgermeister:" Dort ist jetzt eine Versamm­lung im Gasthaus wärs zu gefährlich, weil da immer die Gendarmen vorbeikommen." Und sinnend fügt er hinzu: Genau wie vor vierzig Jahren, als wir die Organisation hier aufbauten.... Damals mußten wir auch in die Stein­brüche und Wälder gehen..."

Amaliendorf   ist die einzige Gemeinde weit und breit, in der es keine Ortsgruppe der Heimwehr   gibt hier konnten auch niemals die Nazis Fuß faffen. Troßz tiefster Verelen­dung sind die Arbeiter ihren Organisationen treu geblieben, und es ist eine Freude, mi: diejen klobigen Männern und den blassen abgehärmten aber fanatischen Frauen über die Bewegung zu sprechen. Diese Frauen.... 1928, beim großen Steinarbeiterstreif, warfen sie sich vor die Streifbrecher­autos, um zu verhindern, daß Steine aus den Brüchen ge­fahren würden... Im Gasthaus sitzen einige Burschen, spielen Karten, streiten um Stiche und Punkte und trinken Schnaps.

" Wir trinken ja alle" gesteht der Bürgermeister, kein Menich tit so fest, um widerstehen zu können. Besonders, wenns einem so dreckig geht wie uns. Ich weiß ja- als Ge­nossen sollten wir es nicht tunaber...." er stockt, und ich sehe ihn zum erstenmal nicht mehr lächeln, sondern finster vor sich hinstarren. Dann gießt er haftig ein Glas hinunter, auch ich versuche es, darf das Angebot nicht abschlagen. Es brennt wie Feuer in der Gurgel. Die Bitterfeit mengt sich mit Mitleid in meiner Brust mit diesen Unglücklichen, die trinken müssen, um auf einen Augenblick all den sie um­gebenden Jammer zu vergessen,

Der Bürgermeister spricht mit dem Wirt und der bringt mir zu essen. Ich schäme mich der warmen Brühe und der darin schwimmenden Fleischkiöße. Aber ich muß essen, will ich meinen Gastgeber nicht beleidigen. Er selbst steht dabei, nötigt mich lächelnd. So sind sie: Haben selbst nichts zu fressen aber einem Gaft geben sie das Leßte...

Nachmittags kommen wir an einem Hause vorbei, darin es hoch hergeht. Eine Musikkapelle spielt und viele Menschen, alte und junge, Frauen und Männer, gehen ein und aus. Mir fällt eine hochschwangere, magere Frau auf, die sich händeringend an die Umstehenden wendet. In der Stube hängt ein riesiger Kessel, drinnen zischt und brodelt es. An der Wand hängt eine halbe Kuh, die andere Hälfte wurde schon aufgegessen. Der Gastgeber. betrunken und lärmend, lädt alle Vorbeigehenden zum Festschmaus ein. Es ist ein unsäglich trauriges Fest, das hier gefeiert wird, nämlich der Hinauswurf des hochschwangeren Weibes, seiner Frau. Der Mann, ein notorischer Säufer, bekam plößlich einen Wutanfall, jagte die Frau aus dem Hause und schlachtete die einzige Kuh. Dann ließ er die Dorfmusik holen und spielen und hält nun jeden, der hinzukommt, fret. Das Ganze ist so sinnlos, so daß ich immer wieder glaube, zu träumen die gierig essenden Menschen für flüchtige Schemen halte. und die schlecht spielende Bande im dämmerigen Zimmer jeden Augenblick in nichts zerfließen zu sehen glaube. Aber die Schreie der Schwangeren, die sich nun an ihren Mann flammert der hinwiederum sie mit Fußtritten traftiert, führen mich in den Unsinn dieser Wirklichkeit zurück.

Schließlich entfernen wir uns, der Lärm aus dem Haus wird immer schwächer, versinkt schließlich irgendwo im Nebel, der seinen Schleier über das Dori ausbreitet.

Und wie aus weiter Ferne höre ich die Worte des Bürger­meisters, der mir erzählt, wie vor zwei Jahren am Weih­nachtsabend die Männer des Dorfes in die Stadt zogen, um die Einstellung der Unterstüßungsfürzungen zu erzwingen. " Unsere Leute sind ja so geduldig. Aber wenns wirklich nicht mehr anders geht, dann ziehen sie los und marschieren. Wir haben bei der Regierung um Hilfe angesucht- bis jest kam keine Antwort. Eine Zeitlang warten wir noch. Dann werden wir aber einen Hungermarsch machen, wie ihn das Land noch nicht gesehen hat, und den Bürokraten in der Stadt unsere verhungerten Weiber und Kinder vorfüh­ren. Zu verlieren haben wir gar nichts dabei-."

Mein Begleiter spricht ruhig, als ob es sich um die ge­wöhnlichste Sache der Welt handelte. Und doch höre ich aus seinen Worten etwas Drohendes, etwas, das selbst seinen schlürfenden, schwerfälligen Schritten Festigkeit gibt, so, als ob sie bereits der Auftakt zu dem bevorstehenden Marsche wären....