Freiheil
Nr. 283 2. Jahrgang
Einzige unabhängige Tageszeitung Deutschlands
Saarbrücken, Mittwoch, 19. Dezember 1934 Chefredakteur: M. Braun
Minister drohen den Kirchen
Seite 2
Briel aus dem Reiche an einen
katholischen Saacgeistlichen
Seite 3
Dokumente der Rohstoffnot
Seite 4
Wenn das Zuhälteclied ertönt
Seite 7
Industrieller Notruf
A. Sch. Die Tatsache an sich unterliegt keinem Zweifel: Es gibt heute in der französischen Deffentlichkeit Gruppen, Richtungen und Personen, die sich für die direkten Verhandlungen mit dem„ dritten Reich", für eine General
Geschäftsbrief eines großen deutschen Textilunternehmens verständigung zwischen Paris und Berlin einsetzen. Die
Der nachstehende Brief entstammt den Geschäftsbriefen eines der größten norddeutschen Textilunternehmungen. Die Dokumente bedürfen keiner Er läuterung:
Dir. G. Hi.
den.
34.
An unsere Herren Vertreter! Wir haben in den legten Tagen sämtliche getätigten Vorverkäufe und Abschlusse genau zusammengestellt und dabei die Feststellung gemacht, daß wir für ca. 250-300 000 Mark Vorverkäufe getätigt haben. Wir machen auch gleichzeitig zu unserem Entsetzen die Beobachtung, daß damit ein großer Teil unserer alten Warenabschlüsse erschöpft sein dürfte und haben versucht, mit den Webern neuer Einkäufe wegen zu verhandeln. Die Auskünfte, die wir infolgedessen bekamen, waren geradezu niederschmetternd und zwangen unsere Direktion, sofort zu den Webern zu fahren und persönlich mit ihnen zu verhandeln. Was wir in dieser Beziehung gestern erlebt haben, ist für unsere gesamte Fabrikation trostlos. denn es war fast unmöglich, auch nur ein Stück für den laufenden Bedarf neu zu kaufen
Sie müssen deshalb damit rechnen, daß Sie Ihre Reisetätigkeit vor der Hand völlig ein. stellen müssen. Wir haben am 15. d. M. gemeinsam mit den Webereien eine Verbandssitung in getroffen und hoffen, daß wir bis zu diesem Termin etwas klarer sehen. Die völlige Einstellung Ihrer Reisetätigkeit soll einstweilen nicht ausschließen, daß wir kleine schriftliche Bestellungen und eilige Kommissionen im Rahmen des Möglichen zu liefern versuchen. doch muß dieses unbedingt in bescheidenen Grenzen bleiben. denn jetzt scheint auch unsere kleine Kundschaft aufzuwachen, denn gestern und heute haben wir schriftliche Bestellungen in großen Mengen erhalten.
Neue Preisliste. Nachdem, was wir gestern gehört haben, und nachdem uns für evtl. Einkäufe die neuesten ..Richtpreise" genannt wurden, würden wir mit der kleinen Preiserhöhung, die wir unterm 3. Oktober Ihnen bekanntgegeben haben, nicht annähernd auskommen. Auch ist es ausgeschlossen, daß wir unser Vorhaben, die Rückseiten der Steppdecken zu verbessern, durchführen können. Wir müssen uns nach den in den einzelnen Qualitäten zur Verfügung habenden Quantitäten richten und bei den alten Rückseiten bleiben. Beifolgend behändigen wi Ihnen eine Preisliste, wie sie jest gelten muß und wollen Sie die Ihnen unterm 3. d. M. gesandte Liste vernichten.
Bei eingehenden schriftlichen Bestellungen schreiben wir unseren Abnehmern wie folgt:
,, Nachdem wir trotz der immer schwieriger werdenden Beschaffung unserer Rohmaterialien unserer Kundschaft durch dauernde persönliche Besuche, Offerten usw. lange Wochen Gelegenheit zum Einkauf gegeben haben, stellen wir jetzt fest, daß wir durch die großen Vorverkäufe mit unsern Rohmaterialienabschlüssen am Ende sind.
Unsere Webereien sind mit ihrer Produktion durch die Faserstoffverordnung und die damit bedingte Arbeitszeiteinschrankung sehr behindert. Lieferungen erfolgen stockend und kleine Preisverschiebungen sind dadurch nicht zu vermeiden. Die Preiserhöhungen wirken sich auch in unseren Preisen aus, denn es sind inzwischen neben den Stoffpreiserhöhungen auch Preiserhöhungen bei den Steppdeckenfüllungen und Daunen unvermeidlich. Je geringer die Qualitäten, unverhältnismäßig
desto
höher sind die Preiserhöhungen. Diese merken Sie zweifellos auch bei Ihren anderen billigeren Geweben. Wir betonen ausdrücklich, daß unsere notwendigen kleinen Preiserhöhungen sich unbedingt im Rahmen der Faserstoff
verordnung halten. Wir sind aber zu unserem Bedauern nicht in der Lage, die uns freundlichst bestellten Decken zu den gehabten Preisen zu liefern, sondern müssen Sie vielmehr bitten, un s die neuen Preise dafür zu be. willigen.
Lieferung kann nur, soweit Lagervorrat vorhanden, prompt, resp. in den nächsten 14 Tagen erfolgen."
Die ganze geschäftliche Lage ist für uns nicht rosig. Ersatzqualitäten, die wir teilweise sehen, sind noch in allererster Vorbereitung und es ist gar nicht abzusehen, wann man damit rechnen kann. Das, was wir gesehen haben, ist allerdings nicht schlecht. Die Weber ihrerseits bemühen sich, mit aller Energie Rohmaterial heranzuschaffen, denn legten Endes haben sie genau das gleiche Interesse, welches wir haben, unseren Betrieb und unseren Verkaufsapparat aufrecht zu erhalten. Auch wir könnten eine wochenlang dauernde Verkaufseinschränkung gar nicht ertragen und tun alles nur denkbar Mögliche, um hier Wandel zu schaffen. Sobold wir Näheres wissen, bekommen Sie Nachricht. Einstweilen müssen Sie absolute Ruhe bewahren.
Hochachtungsvoll
( Wir verweisen auch auf unseren heutigen Handelsteil. Red, d. D. F.")
Krupp von Bohlen und Halbach zurüdigetreten
Schacht dikilert
Hier sich zu
Was von uns schon längst angekündigt war, wird nun mehr amtlich bestätigt: der bisherige Präsident des Reichs standes„ Industrie"( früherer Reichsverband der deutschen Industrie ), Krupp von Bohlen und Halbach, ist von seinem Posten zurückgetreten. Der Rücktritt wird der deutschen Oeffentlichkeit in der Form eines Schreibens des Dr. Schacht bekanntgegeben:
Sehr geehrter Herr Krupp von Bohlen und Halbach! Nachdem Sie Ihr Amt als Präsident des Reichsstandes der deutschen Industrie medergelegt und mich wiederholt und auch jetzt wieder infotae Ihrer beruflichen Belastung gebeten haben, von Ihrer Berujung als Reiter der Reichsgruppe Industrie abzusehen and Sie von der Leitung der Hauptgruppe 1 der gewerblichen Wirtschaft zu entbinden, fann ich zu meinem lebhaften Bedauern nicht anders, als Ihrem Wunsche entsprechen. Ich ergreife aber diese Gelegenheit um Ihnen für die dem NS Staate selbitlos geleistete Arbeit und Mühewaltung aufrichtig zu danken und der Erwartung Ausdruck zu geben, daß ich auch in Zufunit auf Ihre wertvolle Unterstützung rechnen darf.
Mit deutschem Gruß und Heil Hitler! bin ich Ihr sehr ergebener
Nachdem vor einigen Tagen der Geschäftsführer des früheren Reichsverbandes der deutschen Industrie, Dr. Herle, von seinem Posten zurückgetreten war, mußte
öffentlichen Leben zurück, da sie mit dem neuen Kurs des Dr. Schacht nicht einverstanden sind. Diese Meinungsverschiedenheiten sind jedoch nicht grundsäglicher Art, denn sowohl Schacht als auch Krupp von Bohlen sind Anhänger einer hochkapitalistischen Politik. Aber Schacht mußte dem Nationalsozialismus gewisse Konzessionen machen, indem er durch die Schaffung der Reichswirtschaftskammer eine gemeinsame Organisation für Industrie, Handel und Handwerk geschaffen hat, was auch dadurch zum Ausdruck kommt, daß der Präsident der Reichswirtschaftskammer er an. Stelle des Herrn Krupp v. Bohlen zum Leiter der Reichsgruppe Industrie ernannte Regierungsrat a. D. Ewald Hecker ist, während zum ersten Vizepräsidenten Professor 2üer, Leiter der Reichsgruppe Handel, und zum zweiten Vizepräsidenten Schmidt, Leiter der Reichsgruppe Hand werk ernannt worden. Dr. Herle und Krupp von Bohlen waren jedoch der Ansicht, daß die Belange der Industrie viel wirksamer gegenüber manchen Forderungen des Handels und des Handwerks durch Beibehaltung des bisherigen Zustandes vertreten werden können.
Der Rücktritt Krupps zeigt wieder einmal deutlich, daß Dr. Schacht heute unbeschränkt die gesamte WirtschaftsDr. Schacht heute unbeschränkt die gesamte Wirtschaftspolitik lenkt, genau so wie die Reichswehr die gesamte Wehrpolitik und darüber hinaus gemeinsam mit den hohen Bürokraten auch die Außenpolitik bestimmt. Der Halbach gerechnet werden. Beide bisher maßgebende Berührer und Reichskanzler" spielt bei all fechter der deutschen Industriebelange ziehen sich vom diesen Vorgängen so gut wie überhaupt
Front dieser Verständigungspolitiker ist aktiviert. Der Tod Barthous, Hitlers Friedensgesänge blieben nicht ohne Folgen, und viele andere Umstände, Motive und Wünsche haben auch mitgespielt. Aber diese Front der Verhandlungsanhänger ist vor allem uneinheitlich: Sie geht quer durch die großen Flügel der französischen Politik und besteht aus den Splittern von mehreren politischen Fronten. Die Ausgangspunkte und Voraussetzungen dieser Verständigungspolitiker sind entgegengesetzt. Drei größere Gruppen treten dabei in Erscheinung: Die pazifistische, die„ realpolitische" und die pro- faschistische.
Die pazifistischen Anhänger der Verhandlungen stehen im Lager der bürgerlichen Linken. Sie sagen, man muß mit dem dritten Reich" sprechen, obwohl es ein faschistischer Staat ist, es geht nicht um das politische System, sondern um den Frieden. Aber bereits hier beginnen die ernstesten Meinungsverschiedenheiten, selbst im Rahmen dieser Gruppe. Die einen gehen über die verschwommenen Friedenswünsche nicht hinaus. Sie präsentieren überhaupt kein bestimmtes Programm der Verhandlungen. Die anderen sehen in den Verhandlungen nur eine diplomatisch- technische Methode und geben ihnen eine eng beschränkte Aufgabe: Verhandlungen nur über die Beschränkung der Rüstungen. Diesen Standpunkt vertritt der talentierte junge außenpolitische Fachmann des linken Flügels der Kammer, Pierre Vienrot, der sich gegen leere Verhandlungen schlechthin und und zweiseitige Verträge wendet. keine Manöver Hitlers begünstigen will Der Neo- Sozialist Montag non will dagegen die echte Entente zwischen Paris und Berlin , auf breitester Grundlage, mit weitgehendsten Konsequenzen. Bei diesem Erneuerer" des Sozialismus ist das gesamte Spektrum der Argumente für die Verhandlungen vertreten: die pazifistischen, die„ realpoliti schen" und die profaschistischen. Er erklärt offen, das Dritte Reich " ist für ihn ein gewaltiges neues Phänomen, das ohne Voreingenommenheit und mit Sympathie behandelt werden soll. Man sieht: So viel Leute, so viel Standpunkte. Die Anhänger der direkten Verhandlungen von der bürgerlichen Linken vertreten keine einheitliche Willensrichtung und bleiben insgesamt in der Minderheit. Den außenpolitischen Kurs der Radikalen bestimmt nach wie vor Herr 10t mit seiner starken antihitlerischen und prorussischen Tendenz.
Die„ realpolitische" Gruppe der Verhandlungsanhänger fritt diesmal weniger in Erscheinung. Es sind jene große kapitalistischen gemäßigt- konservativen Elemente, die in der Verständigung mit Deutschland eine vor allem geschäftliche Angelegenheit sehen. Diese Gruppe ist in der Nähe des Comité des Forges zu fuchen, des schwerinbustriellen Verbandes Für diesen Kreis geht es nicht um den Pazi fismus oder um die Jdeologie, sondern um die internationale Kartellierung, Quotenverteilung, Einfuhr- und Ausfuhr- Reglung, Saargruben und ähnliche Dinge.
Das eigenartige in dem jezigen Borstoß für die Verständigung mit Hitlerdeutschland liegt darin, daß diesmal die Initiative von rechts ausgeht. Eine bedeutende Wendung: Als genau vor einem Jahr die Möglichkeiten einer direkten Berhandlung mit Hitler angeregt und bes sprochen wurden, lag das Schwergewicht dieses Kur s damals ausgesprochen links, bei der Minderheit ter radikalen Partei. Daladier war sein einflußreichster Befürworter. Jetzt kommen die aktivsten Gruppen der
keine Rolle. Er ist heute mehr das Arshängeschild für Schacht und Blomberg geworden, gerade noch gut ihn jochgebracht haben. genug, die nationalsozialistischen Jdeale zu verraten, die
Bei Redaktionsschluß erhalten wir die Meldung, daß Hecker nur zum fommissarischen Leiter des Reichsstandes Industrie" ernannt sei und daß im Falle der Rückgliederung der Saarindustrielle Hermann Nöchling die Interessen des Kapitals an Stelle des Herrn Krupp v. Bohlen wahrnehmen wird. Thyssen, dem zuerst diefer Posten angeboten wurde, hat dankend abgelehnt Die Nuhrmagnaten haben die Nase voll. Jetzt sollen sie durch Neulinge, wie Röchling , ersetzt werden, die den Hitler- Braten nur gerochen, aber noch nicht gegessen haben. Jedenfalls ist
aber für Herrn Röchting vorgesorgt, wenn seine„ Front" am 13. Januar geschlagen wird.