Völker in turmzeiten Nr. 58
Völker in Sturmzeiten
Im Spiegel der Erinnerung- im Geiste des Sehers
Preußischer Kommiß"
Soldatengeschichten| von August Winnig
August Winnig. der Verfasser der vor dem Kriege erschienenen Schrift Preußischer Kommiß", ist heute glühender Nationalsozialist. Er dient der braunen Sache in Wort und Schrift, unter Preisgabe seiner Vergangenheit Einst, als junger Proletarier. war er zum Sozialismus und zur Sozialdemokratie gekommen. bewegt von den hohen Gedanken der Freiheit und der Menschenrechte. Es gelang ihm. im freigewerk. schaftlichen Bauarbeiterverband einen führenden Posten zu gewinnen. Nach der Umwälzung von 1918 wurde er Oberpräsident in Ostpreußen . damals freilich schon in seinem alten Bekenntnis zögernd und schwankend. Sein politisches Ende in der Republik führte der Kapp- Putsch vom März 1920 herbei. Es erwies sich. daß er der zweideutigen Haltung der Reichswehrkommandeure in jenen kritischen Tagen Vorschub geleistet hatte.
Dano rutschte August Winnig immer weiter nach rechts. Er wurde der Vertrauensmann Hugenbergs und Stinnes. für deren Blätter er seine flinke Feder in Bewegung segte. Heute ist er einer von den 110- Prozentigen: wildester Nationalsozialist. begeisterter Militarist und nationalsozialistischer Schriftleiter. Sein Buch„ Preußischer Kommiß hat er längst verleugnet. weil es die denkbar schärfste Anklage des milita ri tischen Kadavargehorsams darstellt. zu dessen Anbetern er heute gehört. Ein Grund mehr für uns, unseren Lesern einige Kapitel aus dem Buche August Winnig vorzulegen.
Finale
15. Fortsetzung
Beim Zapfenstreich fragte der Feldwebel, wer freiwillig die Feuerwache übernehmen wollte. Natürlich meldete sich niemand. Nur Jochimsen, der kleine Däne, drehte sich um und murmelte etwas vor sich hin, das aber alles andere eher, als Bereitwilligkeit zur freiwilligen Feuerwache bedeutete. Wenn sich keiner meldet, dann wird Jochimsen sie übernehmen. Der Kerl hat so wie so noch was auf dem Kerbholz. Aber nun noch einen ähnlichen Kunden?" sagte der Feldwebel.
20
..Ich kann mit wachen," meldete ich. ,, Sie?"
..Ich bin ohne Gepäck marschiert und kann es noch am ersten aushalten."
..Gut. Bleiben Sie mit auf."
Dann kroch alles in die Zelte und Jochimsen und ich schütteten uns Stroh auf die Erde, um uns etwas ausstrecken zu können. Bald war alles ruhig. Wir hatten nur darauf zu achten, daß wir die Kessel mit dem Kaffeewasser gut anwärmten, damit am Morgen schnell Kaffee gekocht werden konnte. Bald wurden auch wir müde und schliefen am Feuer
ein.
..Was ist das für eine Feuerwache! Vierzehn Tage Arrest die Kerle!" rief plöglich jemand neben uns. Wir fuhren erschreckt empor und sahen Seele vor uns, der sich den Scherz gemacht hatte, uns mit einem gelinden Schreck aufzu
wecken.
..Ein schlafender Fuchs fängt kein Huhn." sagte er mit einer Anspielung auf mein rotes Haar, aber eine wandelnde Seele sieht viel."
Dabei zeigte er uns ein prächtiges weißes Huhn. Wir fragten nicht, woher der Fahrt, sondern rückten einen Feldkessel ans Feuer, rupften das Huhn und machten es fertig und kochten uns eine regelrechte Manöversuppe, wie wir sie noch nie schöner gegessen hatten.
Damit war auch die Müdigkeit fort und wir legten uns auf den Bauch und spannen unser Garn. Das unerschöpfliche Thema von der ,, Reserve" gab uns mehr Gesprächsstoff, als wir bewältigen konnten, und wenn einmal eine Pause eintrat, so blickten wir versonnen nach Westen, wo schönere Heimat lag.
unsere
Ich dachte daran, wie bald wir wieder dort in freierer Luft atmen würden; aber meine Freude war von dem Gedanken an die Zeit des Nachdienens getrübt, die meiner noch harrte. Ich durfte nicht mit meinen Kameraden., auf Reserve" gehen, ich trug ja den Makel des mit Festung Bestraften mit mir herum.
So lagen wir noch lange bis nach Mitternacht und bemerkten nicht, wie einer nach dem anderen sanft und ruhig einschlummerte.
Trotz der kurzen Ruhe waren wir am Morgen frisch und wohl.
Auch dieser Tag fing mit herrlichem Wetter an. Wir marschierten an Wiesen entlang, auf denen der Frühtau lag. Rot erhob sich die Sonne, von Wolken ungetrübt. Der Wind strich mit sanfter Frische über die Felder, denen ein kräftiger Erdgeruch entströmte, und leicht und froh schritten wir dahin. Aber je höher die Sonne stieg, um so wärmer wurde es. Wir hatten unsere Wagen wieder bei uns und gedachten gegen Mittag beim Manöverproviantamt zu sein. Gegen 10 Uhr kamen wir vor einer kleinen Kreisstadt an und wurden durch ein paar Meldereiter benachrichtigt, daß wir jetzt nicht die Stadt passieren dürften, da der Kaiser von rechts komme und seinen Weg ebenfalls durch die Stadt nehme.
Der Kaiser! Die meisten von uns hatten ihn noch nicht in der Nähe gesehen und wären gern einmal dabei gewesen, wenn er durch den Ort käme. Warum durften wir nicht in den Ort hinein? Befürchtete man, daß wir ihn auf seinem raschen Wege aufhalten könnten? Oder wollte man ihn die Fourierkommandos als nicht glanzvoll genug nicht sehen lassen? Wir unterhielten uns darüber und jeder erzählte dabei, was er vom Kaiser wußte, soweit er es erzählen durfte. Es gab einige unter uns, die ziemlich viel auskramten. Ich bemerkte hierbei, was mir schon nicht mehr unbekannt war, daß der Kaiser bei den Soldaten durchaus nicht populär oder gar beliebt ist. Man erzählt Anekdoten von ihm, aber sie zeigen ihn als nicht besonders sympathische Figur. Meistens erscheint er in diesen Geschichtchen als strenger Soldat, der nichts für jene treuherzige Vertraulichkeit übrig hat, die man so gern als eine Tugend des Volkes seinen Herrschern gegenier lobt. Der Kaiser ist in der Ansicht der Soldaten scharf. icht und ist schwer zufrieden zu stellen dabei ändert ericht und schnell seine Meinung über Personen und Snaren fürchtet man ihn und licht ihn wenig. Unter diesen Erzählungen war schon mehr als eine Stunde verstrichen und doch war noch kein Befehl zum Vorrücken gekommen. Der Transportführer ritt einmal in den Ort,
kehrt aber mit der Botschaft zurück, daß der Kaiser noch nicht durchgekommen sei. Dabei war aber weit und breit kein Reitertrupp. kein Wagen, kein Automobil zu sehen. Wir streckten uns müde in einer kleinen Kieferwaldung nieder und warteten. Die Hite wurde noch größer und wir hatten kein Wasser mehr. Das trockene Brot blieb uns fast in der Kehle stecken. Der klare blaue Himmel vom Morgen hatte sich mit einem leichten Dunstschleier überzogen; aber obwohl die Schärfe der Sonnenstrahlen dadurch gemildert wurde, nahm die Hize doch eher zu als ab. Schon fast Mittag war es, und noch war der Kaiser nicht vorbeigekommen. Es war bei uns schrecklich langweilig und die Langeweile verleitete zu allerlei Torheiten. Einige erstiegen Kiefern, um die andern von oben herab mit den Zapfen zu werfen. Einer, der getroffen worden war, wurde zornig und fiel nachher über den Werfer her. Sie prügelten sich, bis ein Unteroffizier dazwischen trat und uns befahl, aus dem Walde zu gehen. Nun blieb uns nur die Landstraße und der schmale Grabenbord zum Aufenthalt. Wir legten uns in das Gras und kauten Grasstengel, um den Durst etwas zu stillen, aber es half wenig. Mitlerweile hatte sich der Himmel ganz mit einem gleichmäßigen Grau bedeckt und die Luft war noch drückender geworden. Wir schwigten, ohne uns zu bewegen. So verrannen noch einige Stunden.
Endlich, es mochte ungefähr zwei Uhr sein, kam der Befehl zum Aufbruch; der Kaiser hatte den Ort zwar noch nicht passiert, aber wir durften nun wirklich nicht mehr warten, wenn wir überhaupt noch an diesem Tage zur Truppe kommen wollten. Der Marsch war wie eine Erlösung. Aber bald wurde uns das Tempo zu schnell. Der Transportführer trieb zur Eile an und wir hatten Mühe, den Wagen zu folgen.
Die Stadt war festlich bekränzt, Die Schulkinder standen in Sonntagskleidung an der Straße, sie hatten vielleicht schon vom Morgen an dort gestanden; weiß gekleidete junge Mädchen mit welken Blumensträußen und ermüdeten Gesichtern warteten unter der Anführung von Respektspersonen, die feierliche schwarze Röcke trugen. Sie sahen alle recht abgespannt aus, aber sie schienen noch bis zum Abend warten zu wollen, wenn es nötig sein sollte. Man betrachtete uns neugierig. wie wir verstaubt und eilig durch die Straßen zogen, aber keinem fiel es ein, uns Wasser zu bringen, und austreten durften wir nicht, denn in der Stadt sollte, wegen einer möglichen Ueberraschung durch den Kaiser, strenge Ordnung gehalten werden. Erst als wir den Ort hinter uns hatten, konnten wir aus einem Graben etwas lauwarmes Wasser schöpfen. Der Marsch ging aber mit unverminderter Eile weiter, denn wir hatten noch einen sehr weiten Weg. In zwei Stunden hatten wir das Proviantamt erreicht und konnten sofort laden. Dann ging es sogleich weiter; aber nun mußte auch der Marsch verlangsamt werden, denn die Pferde kamen nicht mehr so schnell vorwärts. Wie weit wir bis zur Truppe hatten, wußten wir alle nicht. Es war nur die Marschstraße angegeben worden, an der am Abend die Biwacks bezogen werden sollten. Der Weg war von Truppen entblößt, aber wir konnten sehen, daß sie hier vorübergezogen waren. Bleiknöpfe, leere Patronenhülsen, schmutzige Fußlappen zeigten uns den Weg. Die fürchterlich schwüle Hige hatte uns sehr ermattet und wir warfen sehnsüchtige Blicke auf die Wagen, die oben in dem geladenen Stroh die schönsten Ruheplätze hatten. Man redete davon, sich aufzusetzen, aber noch hielt uns das strenge Verbot zurück. Doch der Teufel sollte dies ewige Marschieren noch lange aushalten! Man konnte sich ja schließlich in dem Stroh verstecken, dachte ich, und machte meinem Kameraden, der zu meinem Wagen gehörte, den Vorschlag, wir wollten abwechselnd fahren: erst er eine Stunde, dann ich. Er war sofort einverstanden, aber ich sollte der erste sein. Gut. sagte ich dann mache ich den Anfang. Ich schwang mich hinauf, ließ mir mein Gewehr reichen und wühlte mich tief in das Stroh ein. Es war drückend heiß da
Deutsche Pflicht
Du sollst an Deutschlands Zukunft glauben, An deines Volkes Auferstehn!
Laẞ dir durch nichts die Hoffnung rauben, Trots allem, allem, was geschehn!
Und handeln sollst du so, als hinge Von dir und deinem Tun allein Das Schicksal ab der deutschen Dinge, Und die Verantwortung wäre dein!
Fuß über Grüften, Fest auf dem Festen, Haupt in den Lüften, So ists am besten.
Donnerstag, 20. Dezember 1934
drinnen, aber ich ruhte doch nun, und ich hatte es nach der halbdurchwachten Nacht sehr nötig.
Für den Fall, daß Generalstabsoffiziere ankämen, hatten wir ein Warnungssignal verabredet. Aber wir waren diesen Leuten so selten begegnet. daß ich die Gefahr sehr leicht nahm und wenig daran dachte. Dazu kam meine Müdigkeit. Ich war selig, so ruhig liegen zu können, mit geschlossenen Augen dem Schwanken und Rütteln des Wagens zu folgen und mich vom Rhythmus dieser Bewegungen einlullen zu lassen.
., Vordermann!" rief da plöglich mein Kamerad als ver
abredetes Warnwort.
Ich duckte mich ganz zusammen und versenkte auch das Gewehr so tief ich nur konnte; denn abzuspringen wagte ich nun nicht mehr.
..Jeder Kerl an seinen Wagen!" hörte ich dann den Transportführer rufen.
Verdammt jetzt wurde ich entdeckt! Ich hob den Kopf etwas empor, um mich zu orientieren. zog ihn aber gleich wieder zurück, denn kaum zehn Schritte vor unserem Wagen hielt ein General mit einem anderen Offizier und beide besichtigten die Kolonne, Noch hatte er mein Fehlen nicht bemerkt, aber gleich mußte es kommen.
, Hier ist nur ein Mann, wo ist der zweite?" hörte ich den General fragen.
Ich hielt den Atem an. An der Wagenseite, wo ich lag, konnte ich durch das Stroh hindurchsehen. Vor mir war gerade der Hals vom Pferde des Generals. Ich sah dessen Knie ganz dicht vor mir. Der Doppelstreifen an der Hose war von tadellosem Rot.
,, Ausgetreten, Eure Exzellenz!" rief mein Kamerad. ,, Hat er Erlaubnis?" fragte der General. ,, Ich habe einen Mann beurlaubt, Exzellenz," sagte der Trainoffizier salutierend.
..Wo steckt der Kerl?"
., Er wird hinter den Büschen dort sein."
Nach einer Weile wagte ich mich hervor und konnte glücklich ungesehen zur Erde gleiten. Spornstreichs rannte ich zum Transportführer und meldete mich zurück. Er nickte nur und ließ mich stehen. Ich war ihm dankbar, denn er hatte den General belogen und mich dadurch gerettet, unter der Gefahr, selbst dabei festzufahren. Warum hatte er gelogen? Um sich selbst Unannehmlichkeiten zu ersparen, oder aus dem leisen Solidaritätsgefühl heraus, das selbst weite Rangunterschiede überspringt, sobald ein ganz Großer mit feindseligen Späherblicken nach Gelegenheiten zum Nörgeln und Strafen forscht? Ich nahm das zweite an, weil mir der Gedanke einer solchen Solidarität gefiel, und weil ein von zahllosen Grobheiten verwundetes Menschenherz danach lechzt, sich an Bispielen brüderlichen Zusammenhaltens aufzurichten, um seinen Glauben an die versöhnende Allgegenwart des Menschlichen nicht zu verlieren. Ich hätte es dem Offizier gern vergolten; aber ich konnte ihm keinen Gefallen tun, und auch zu verschenken hatte ich außer etwas Kautabak nichts.
Endlos zog sich die Landstraße zwischen leeren Feldern hin. Ein einförmiges dunkles Grau lastete auf uns und hielt die Hitze fest. Kein Windstoẞ schaffte Erleichterung und wir zogen langsam weiter Das vom Schweiß durchdünstete Tuch unserer Uniform lag schwer an den Gliedern und machte jede Bewegung zu einer Last. Es war unerträglich und doch fürchteten wir den drohenden Regen; nicht unseretwegen, sondern wegen unserer Ladung, die trocken bleiben mußte, wenn sie gebraucht werden sollte. Und nirgends war Wasser zu entdecken. Sonst hatten wir häufig Gräben und Teiche gesehen, aber heute waren wir wie verhext. Mit einem Male stockte der Zug. Die Pferde konnten nicht mehr, oder die Fuhrleute wollten die Tiere nicht mehr antreiben; sie sollten erst ruhen und getränkt werden.
Wir erhielten je zwei Mann einen Eimer und sollten nach Wasser gehen. Wer zuerst welches fand, sollte die andern herbeirufen. Im Nu waren wir nach allen Richtungen ausgeschwärmt. Weit und breit sahen wir nur kahle Stoppelfelder und nirgends auch nur eine Spur von Wasser. Ich war mit meinem Kameraden nach einer entfernten Linie von grünen Büschen gelaufen, aber als wir dort ankamen, sahen wir unsere Hoffnungen bitter getäuscht. Es waren Ginsterstauden und so trockene Burschen, daß uns ihr Anblick noch durstiger machte. Links von uns erhob sich ein Buschkegel. Wir wanderten auch dorthin, aber die gleiche Enttäuschung! In einer Entfernung von etwa tausend Metern zog sich eine gradlinige Erhöhung durch das Feld, die wir bald als einen Bahndamm erkannten. Er interessierte uns erst gar nicht; aber als wir den Blick an ihm entlangschweifen ließen. bemerkten wir ein Dach, das von der anderen Seite darüber hervorragte. Ein Haus! Dort mußte Wasser sein. Wir waren unendlich müde, aber noch einmal zwangen wir uns und gingen hin. Es war ein Bahnwärterhaus mit einem Gemüsegarten davor, der so wohlgepflegt aussah, daß hier sicher Wasser sein
mußte.
Der Bahnwärter sah uns ankommen und hatte unsere Absicht erraten.
..Hier kann kein Wasser geholt werden!" schrie er uns schon entgegen.
Jedenfalls dachte er, daß wir aus einem Biwack kämen und nur die Spitze einer unendlichen Schar von Wasserträgern seien.
,, Wir müssen aber welches haben!" antwortete ich. Er ging sogleich zu einer kleinen eisernen Pumpe und stellte sich davon, um sie auf Leben und Tod zu verteidigen. Ich hatte schon oft solche Gesellen getroffen, die mit schierer Unmenschlichkeit den einfachen Wassertrunk verweigern, und hatte die feste Absicht, das Wasser um jeden Preis zv bekommen.
., Lassen Sie uns nur den Eimer voll nehmen und uns satt trinken. Mehr wollen wir nicht, aber das müssen Sie uns geben!"
., Ihr kriegt kein Wasser und wenn ihr euch auf den Kopf stellt!" antwortete der Kerl und streckte die Arme aus, wie um seine Pumpe damit zu decken.
,, Gut denn," rief mein Kamerad, dem der Anblick de Pumpe die lette Ruhe nahm. ,, wenn Sie es auf Gewalt an Friedrich Theodor Vischer . kommen lassen wollen, so soll es uns recht sein."