Deutsche   Stimmen Beilage zur Deutschen Freiheit.

Freitag, den 21. Dezember 1934

Max Brods Heine- Buch

Max Brod   setzt vor sein Buch( Verlag Allert de Lange  , Amsterdam  ), das gleichzeitig Biografie, Polemik und geist­reiches Essay ist, zwei ethische Zitate von Heine, die seinem ( Brods) platonischen Geiste gemäß sind. Nämlich:

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, Wer nicht weiter geht, als sein Herz ihn drängt und die Vernunft ihm erlaubt, ist eine Memme; wer weiter geht, als er gehen wollte, ist ein Sklave."

Und:

,, Die Gipfel sehen einander."

Wir hätten vielleicht, um die nie veraltende politische Aktualität des großen Lyrikers und ersten deutschen Jour­nalisten zu kennzeichnen, aus seinem Buch Börne" den Satz über die( wie Brod   sie nennt) national- deutschchrist­lichen Mystiker zitiert:

..Sie hätten bald die rohe Masse mit den dunklen Be­schwörungsliedern des Mittelalters gegen uns aufgewiegelt, und diese Beschwörungslieder, ein Gemisch von uraltem Aberglauben und dämonischen Erdkräften, wären stärker gewesen, als alle Vernunft."

Welche Prophetie! Aus der Erkenntnis des Ungeistes seiner Zeit Dinge voraussagen können, die sich hundert Jahre später naturgemäß ereignen.

Brod   ist mit edler Sprache, großem Fleiß und riesigem Material daran gegangen, eine umfassende Würdigung des Schriftstellers, des Politikers und nicht zuletzt des Juden Heine zu schreiben. Eine edle Rechtfertigung ist ihm ge­glückt. Des Dichters Entwicklung von seinen Vorfahren bis zum qualvollen Tode behutsam verfolgend, tritt Brod allen Mißdeutungen dieses einstmaligen Geistes entgegen. Es gelingt ihm, den angeblichen Zyniker als einen unheil­bar Verwundeten, den scheinbaren Romantiker als starken, aber nicht deutschtümelnd- fantasierenden Lyriker, den ,, Vaterlandsverräter" als Kenner und Bekenner bester deutscher Wesensart, den Taufjuden als bewußten Mit­streiter gegen die Diffamierung und Verfolgung seines Volkes uns nahezubringen.

Was wußten denn die meisten von uns bisher über Heines Leben? Daß er ein schöner, erfolgreicher Jüngling gewesen war, als er das ,, Buch der Lieder  " schrieb und wie er in der ..Matratzengruft" gestorben. Vielleicht noch einiges Anek­dotische über Mathilde und Mouche".- Wer wußte, daß nicht einmal das Geburtsjahr des Dichters der Loreley  " genau bekannt ist( der..Loreley  ", bei der in den neu­deutschen Volksschul- Lesebüchern vermerkt ist: Verfasser unbekannt!), wer erfuhr, daß die Mutter des Dichters den

Jüdische Dame"

Tod des Sohnes überlebte, wer, daß er kurz nach seiner in Heiligenstadt   bei Göttingen   erfolgten Taufe an seinen Freund Moser schrieb: ,, Es wäre mir leid, wenn mein eigenes Getauftsein Dir in einem günstigen Licht erscheinen könnte" oder: ,, Ich stehe oft auf des Nachts und stelle mich vor den Spiegel und schimpfe mich aus." Niemand ahnte bisher, daß Heine von 1822 bis 1824 ein sehr tätiges Mitglied des jüdischen Vereins ,, für Kultur und Wissenschaft" gewesen ist. Eines Vereins, der in seinen Statuten das Ziel bekannt­gab ,,, die Juden durch einen von innen heraus sich ent­wickelnden Bildungsgang mit dem Zeitalter und den Staaten, in denen sie leben, in Harmonie zu setzen". Keiner vermutet, daß er mit seinen Dichtungen bei seiner Familie wenig Verständnis fand; kaum einer, daß er Goethe zeit­lebens bedingungslos anerkannte und von Goethe zu den ..höheren Menschen" gerechnet wurde.

Alle diese Kenntnisse und viele tiefe Erkenntnisse ver­mittelt Brod, belegt sie mit interessanten Dokumenten und analysiert Heines Entwicklung mit Inbrunst und Objektivi­tät. Nie wird er nüchtern oder pedantisch, sondern bei allem Bienenfleiß, mit dem das Material zusammengetragen ist, wirkt jede Zeile lebendig and anschaulich.

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Das letzte Kapitel vom Tode des Dichters ist so plastisch, daß es uns tagelang verfolgt. Es liest sich wie ein Zolasches Romankapitel und erschüttert tief.- Ein gutes und not­wendiges Buch. Mit seinen fast 500 Seiten, den zehn be­sonders wertvollen Bildtafeln( wovon die Heinesche Toten­maske in ihrer monumentalen Schmerzlichkeit unvergeßlich bleibt) wird und muß es ein Bestandteil der Bibliothek jedes Geistigen werden. Karl Schnog  .

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Dank sei dem Allert de Lange- Verlag, der mn seinem Jahrbuch 1934/35 Rechenschaft über ein Jahr verdienstvoller Tätigkeit ablegt. Die Verbrannten und Verbannten haben hier ein würdiges Asyl gefunden. Kostproben aus den neuen Werken der: Bernhard, Brecht, Brod. Kesten, Kisch. Marcu, Neumann, Polgar, Roth, Schickele   und Tschuppik beweisen, daß hier wichtiges

Ereignisse und Gesɗfiichten

Musikalisches

Singe, wem Gesang gegeben! Doch im braunen Hitlerreich Darf die Stimme nur erheben, Wer sich hat geschaltet gleich.

Die modernen atonalen Komponisten sind verhaẞt, Weil zu Marsch und Hornsignalen Ihre Tonkunst wenig paßt.

Schockweis jagt die Dirigenten Goebbels   aus dem Tempel raus. Denn mit den SA.- Talenten Kommt die Kunst von heute aus.

Weil der Klumpfuß unbestritten Kunst- und sachverständig ist, Redet er von Hindemithen Als von einem ,, Hundemist". Furtwängler, ade, und Kleiber, Die ihr erst so brav pariert! Ein paar andre Notenschreiber Rasch zum Dienst sind kommandiert.

Aus der Alten Kämpfer" Bronnen Zaubert Goebbels sie geschwind. Ward doch auch zur Primadonnen Baldurs Schwester Rosalind!

Fuhsel, statt im Sportpalaste, Dirigiert im Opernhaus. Haut er kräftig auf die Taste, Ueberragt er Richard Strauß  .

Und die Musiker? Ein jeder Wird, der geht, ersetzt durch zehn: Wo der Brückner, Golt, der Feder, So viel Führer- flöten gehn!

Kulturgut gerettet wurde. Ob es sich nun um den heftig Er ist heimgefahren...

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umstrittenen..Antichrist" von Roth oder den wirklich bedeutenden Dreigroschenroman" von Brecht handelt, immer geht es um Bücher von europäischer Bedeutung. Unternehmungslust und Erfolg dieses holländischen Verlages beweisen die Lächerlichkeit des Versuches faschistischer Ig­noranten, den freien Geist unterdrücken zu wollen.

Der Geruchs- Professor Stöhr schnuppert sie

Man hatte schon so viel von der Rassentheorie, von hoch­wertigen, mittel- und minderwertigen Rassen geredet; nun wollte man doch endlich einmal wissen, welche Unterschiede zwischen ihnen bestehen und woran diese Unterschiede zu erkennen sind. Sprachstudien, auf die man sich lange ver­lassen, hatten keine verbindlichen Aufschlüsse erteilt, Farbenunterschiede auch nicht, das wußte man schon um 1900 herum. Anatomische Messungen und Vergleiche der einzelnen Befunde ergaben ebenfalls keine sicheren Resul­tate. Mit psychologischen und geschichtlichen Betrachtungen kam man wohl etwas weiter, aber nicht so weit, daß man hoffen durfte, den Eigenheiten der ursprünglichen Menschen­gattungen auf die Spur zu kommen.

Da verfielen Neunmalweise auf eine andere Methode. Jede Rasse, sagte Professor Stöhr aus Heidelberg  , Anatom im Spezialfach, habe einen bestimmten Geruch. Am Geruch könne man ganz sicher erkennen, welcher Rasse ein Mensch angehört. Er selbst behauptete, ein überaus feines Spürorgan für die Unterschiedlichkeit der Rassen zu haben. Nicht nur die Hauptgruppen, wie Arier, Mongolen, Semiten, Neger, sondern sogar Untergruppen, wie Germanen und Ro­manen wollte er erriechen können. Auch wollte er per Ge­

ruch ganz bestimmt wissen, ob er einen männlichen oder

weiblichen Angehörigen besagter Rassen vor sich habe.

Damals gab es in Karlsruhe   einen Industriellen namens Otto Ammon  , der in die Rassentheorie geradezu verliebt war. Der Mann hatte einen beneidenswerten Vorzug: er war immens reich und wenn er hoffte, etwas zur Bestätigung seiner geliebten Rassentheorie tun zu können, so ließ er sich die Sache gern eine Stange Silber kosten. Auf Vor­schlag des berühmten Nationalökonomen Max Weber   wurde folgendes Experiment angestellt: Professor Stöhr wird mit verbundenen Augen in ein völlig finsteres Zimmer geführt. Dort wird ein Angehöriger oder eine Angehörige der unter­schiedlich qualifizierten Rassen siten und Professor Stöhr soll, nachdem er sozusagen eine Nase voll von ihrem Rasse­parfüm eingesogen hat, angeben, welcher Menschengattung die Person im dunklen angehöre. Wenn unter 12 Versuchen 10 oder mehr stimmten, dann könnte man, falls künftige Wiederholungen ebenso günstige Resultate erzielen würden, spezielle Geruchsqualitäten der einzelnen Rassen gelten lassen. Wenn Professor Stöhr auf 8 bis 10 Treffer käme, wäre die Sache schon zweifelhaft und noch weniger richtige Angaben würden gar nichts für seine These beweisen. Der Anatom nahm die Bedingungen Max Webers an. Versuch 1: ,, Wer sitzt in diesem Zimmer?"

Professor Stöhr rüsselt mit der Nase herum, als ob er das Weltgeheimnis selbst erriechen wollte.

Antwort: ,, Hier sitzt ein deutscher Mann."

Das Licht wurde aufgedreht. Eine junge hübsche Japanerin, Studentin der Medizin an der Heidelberger Uni­Die Versuche gingen weiter. versität, saß da und lachte. Experimentator hatte 4 Treffer, 7 Versager und in einem Falle riskierte er überhaupt keine Angabe. Ein kläglicher Reinfall. Stöhr führte ihn auf zeitweilig mangelnde Bereit­schaft zurück. Das war möglich. Man weiß, daß Bereit­schaft bei psychologischen Experimenten eine entscheidende

K.

Rolle spielt. Er bat, nach einer Stunde die Versuche wieder aufnehmen zu dürfen. Es wurde gestattet.

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, Wer ist in diesem Zimmer, Herr Professor?" Nach etwa drei Minuten hatte er es. ,, Jüdische Dame."

,, Woran erkennen Sie das?" fragte Weber. ,, Eine gewisse Penetranz läßt das sicher erkennen." Das Licht wurde aufgedreht. Ueberhaupt keine Versuchs­Am person im Zimmer. Des Experimentierens war genug. nächsten Tag begab sich Stöhr in sein Laboratorium. Dort vermiẞte er seine Assistentin.

..Wo ist Fräulein Brettschneider?"

Der Diener wußte es nicht. Er übergab einen Brief. Fräulein Brettschneider schrieb ihm folgendes:

..Sehr verehrter Herr Professor! Ihre Autorität kann ich nicht mehr anerkennen. Wo nichts war, haben Sie eine jüdische Penetranz diagnostiziert und wo, fast ein Jahr lang, eine jüdische Penetranz sie umgab nämlich meine werte Person-, da haben Sie nichts diagnostiziert. Adieu, Herr Professor." Bruno Altmann  .

Wer spielt mit?

,, Ich will Dein Führer sein!"

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fast ausnahms­

Die Münchner   Tageszeitungen bringen los das folgende Inserat: ... Der Gesellschafts- Klub München  ( Deutsche   Klubgesell­schaft) hat es sich zur Aufgabe gemacht, das neue, schach­ähnliche Brettspiel Ich will dein Führer sein" in allen Volkskreisen zu verbreiten und veranstaltet zu diesem Zweck in seinem Klubheim allwöchentlich Spielabende, bei denen den Mitgliedern und Interessenten das Spiel gelehrt wird. Eine größere Werbeveranstaltung für dieses Spiel fand am Samstagabend in Form eines Tanzabends im Bürgerbräu­keller statt. Der Erfinder des Spiels, S. Heindl, spielte zu gleicher Zeit gegen vier Partner und zeigte den hohen Wert des Spieles auf. Unter Leitung des Tanzmeisters Ernst Bauer  entwickelte sich später ein frohes Ballgetriebe und eine Ab­teilung der SS.- Kapelle Bunge spielte schneidige Tanzweisen. Die drei schönsten Balltoiletten wurden prämiiert und ihre Trägerinnen mit Blumenspenden ausgezeichnet."

Das klingt lustig. Aber es ist nicht lustig. Deutschland  wird sich mit dem neckischen Führerspiel um Kopf und Kragen spielen.

,, Dec Roman des schönen Adolf"

Eine Karikatur

..Evening Standard" bringt eine Karikatur, auf der man Hitler   mit einem Blumenstrauß sieht, auf dem die Inschrift angebracht ist: Vollendete Tatsachen". Er steht als Freier vor einer Tür zum Vorgarten des Völkerbundsgebäudes. das man im Hintergrunde erblickt. Hinter der Tür zeigt Marianne mit der Hand auf das Völkerbundshaus und spricht dabei die Worte:..Idr sehe wohl, daß Sie mir die Cour schneiden, aber zuerst müssen Sie sich mit meiner Familie verstandigen." Die Ueberschrift lautet: ,, Der Roman des schönen Adolf".

Berichtigung einer ,, Greuellüge"

Mucki.

Im Juli 1933, eben hatte ich Deutschland   verlassen, ver. öffentlichte ich in einer Pariser Zeitschrift einen Offenen Brief an den Hauptvorstand des Schutzverbandes Deutscher  Schriftsteller in Berlin  ".

In diesem Brief kam der Satz vor:

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Was haben Sie, meine Herren, getan, als Sie erfuhren, daß das Mitglied des SDS. Hans Georg Brenner  , einer der begabtesten unter den jungen deutschen   Dichtern, in Berlin   auf offener Straße totgeschlagen wurde?"

Ich hielt die Nachricht von Brenners Ermordung für authentisch. Sie war mir von einem Gewährsmann berichtet worden, den ich für zuverlässig halten durfte. Erst viele Monate später erfuhr ich, daß die Nachricht wie so viele andere auch von irgendeinem Nazi- Spitzel lanciert worden war, damit die Presse des dritten Reichs" dann trium­phierend berichten konnte: Wieder eine Greuellüge entlarvt!

Hans Georg Brenner   war tatsächlich nicht von den Nazis ermordet worden. Jener Freund, der mir erzählte, er habe Brenner noch im Herbst 1933 am hellen Tag auf dem Kur­ fürstendamm   getroffen und auf seine erstaunte Frage: ,, Was, Du bist noch hier?" die Antwort bekommen: ,, Och, mir passiert nichts!", jener Freund hatte richtig gehört.

Brenner hatte Beziehungen. Die Nazis merkten, daß er schreiben konnte, und er entdeckte plötzlich sein braunes Herz. Er vergaß seine Redakteurtätigkeit bei der kommu nistischen Tageszeitung ,, Berlin   am Morgen", er vergaß sein rotes Drama Aufstand in Masuren  ", er vergaß die un­zähligen revolutionären Kurzgeschichten, die durch die Links­presse gegangen waren.

letzt liegt sein erster Roman vor ,,, Heimfahrt über den See", erschienen bei Bruno Cassirer   in Berlin  . Ein Blubo- Roman erster Güte. Das ,, Berliner Tageblatt" vom 11. November überschlägt sich vor Wonne und Glück: ein Blubo- Dichter gefunden, der schreiben kann!

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Wir hatten Brenner überschätzt. Wir hatten geglaubt, seine revolutionären Bekenntnisse seien echt, wir hatten geglaubt, er sei ein Charakter. Aber er war nur sprechen wir es schlicht. offen und kerndeutsch aus ein Schwein. Ein Schwein wie Max Barthel  , wie Gerhart Pohl  , wie Albert Dau­ distel  , wie Justus Ehrhardt, wie Henning Duderstedt, wie Erich Kästner   und so viele andere, er war ein Konjunktur­ritter und sonst nichts. Er hatte geglaubt, die revolutionäre Bewegung würde siegen. Nun, er sah den Irrtum ein und wurde braun.

Ob er wohl manchmal an seinen Freund Erich Müh. sam denkt? Und an Klaus Neukrant, mit dem ihn gemein­same Arbeit verband, und der heute noch in Papenburg   oder sonstwo Moor sticht? An Carl von Ossietky, dem er seine Manuskripte brachte? Nein, er wird an solche unerfreuliche Dinge nicht denken. Er denkt an seine Honorare, er weiß, daß Könner bei den Nazis rar sind, und daß man ihn gut be­zahlen wird.

Er wird sich nicht schämen; solcher Regungen ist sein Herz nicht fähig. Es wird ihm nur unangenehm sein, daß er früher mit Mühsam verkehrte und nicht mit Hans Johst  .

Die Nachricht von der Ermordung Hans Georg Brenners war ein Greuelmärchen. Es wäre besser, sie wäre wahr ge­besser für ihn und für uns!

wesen

Geben Sie Gedankenfreiheit!" Demonstration im Theater

M- d.

Bremen, 17. Dez, Im Bremer Stadttheater ist es bei der Aufführung von Schillers..Don Carlos" zu einer Demon­stration der Besucher gekommen. Die Theaterleitung hatte die berühmte Stelle des Stückes: ,, Sir, geben Sie Gedanken­freiheit!" gestrichen. Als der Satz ausblieb, sette das Publi­kum sofort mit so demonstrativem Beifall ein, daß die Vor­stellung unterbrochen werden mußte.