Denfake

Nr. 286 2. Jahrgang

Frethei

Einzige unabhängige Tageszeitung Deutschlands

Saarbrücken, Samstag, 22. Dezember 1934 Chefredakteur: M. Braun

Des ,, Führers"

neuer Judenboykott

Seite 2

Greuelberichte über die Saar

Seite 3

Ein Bürgermeister

nach Hitlers Führerprinzip

Seite 4

Das Wetteüsten

zue See beginnt

Seite 7

Reichsführer Karl May

Große

Häuptlinge auf Kriegspfaden an der Saar

Der Führer" und Reichsfanzler läßt seine Fantasie durch den fruchtbaren Verfasser von Indianer- und Räuberroma­nen Karl May beflügeln. Adolf Hitler nennt Karl May seinen Lieblingsschriftsteller.

Der fantasievolle Schriftsteller aus Kötschenbroda hat leider den politischen Aufstieg seines Genies, die Transformation von Winnetous Kriegszügen in Hitlers Mein Kampf " nicht mehr erlebt. Das Lob aus dem Munde des deutschen Staats­oberhauptes hätte ihn gewiß mit berechtigtem Stolz erfüllt, wenn auch wohl ein Rest von Unbehagen zurückgeblieben wäre, denn in Karl Mays Abenteurergeschichten siegt zuletzt immer das Gute über das Böse, aber vielleicht würde er sich getröstet haben: was nicht ist, das kann noch werden.

Es gibt kritische Leute, die konstruktive Ideen in der Politik und der Wirtschaft des dritten Reichs" vermissen. Für den Saarfampi trifft das jedenfalls nicht zu. Daß hier die deutsche Front" nach den Dispositionen Berlins eine Räubergeschichte mit vielen Fortsetzungen folgerichtig ab­rollen läßt, ist ohne Zweifel. Der Geist von Karl May , fombiniert mit dem des Mr. Wallace, ist da spürbar, und man merft wirklich, daß die Reichsführung nicht von dem jüdischen Gelehrten Karl Marx , sondern von dem arischen Heldendarsteller Karl May geistig gelenkt wird.

Zählen wir nur einige Kapitel der Wildwestpolitik des dritten Reichs" und seiner Beauftragten im Saargebiet auf: Dem Führer der Deutschen Freiheitsfront" Mar Braun wurde eine Flasche mit hocherplosiven Sprengstoffen in die Arbetterwohlfahrt" geschickt. Freigesprochen verließ der Täter den Gerichtssaal.

Auf den Polizeifommissar Machts wurde am hellich: ten Tage auf offener Straße geschossen. Der Attentäter war vierundzwanzig Stunden vorher noch Mitglied der deutschen Front". Machts streckte den hinterliftigen Revolverschüßen durch Pistolenschüsse nieder. Das war vor fünf Monaten. Der Wiedergenesene macht längst den Ein: druck der Verhandlungsfähigkeit. Die Prozeßverhandlung ist noch nicht angesetzt. Die Tat ist ungefühnt. Soll sie co bleiben?

Die Fälle der versuchten oder gelungenen Entfüh= rungen von mißliebigen Gegnern Hitlers in das ,, dritte Retch" sind nicht auszuzählen. Eben erst ist der Führer der Sozialistischen Jugend, Ernst Braun, in unübersichtlichem waldigen Gelände, wo die Grenze nicht zn erfennen ist, auf Reichsgebiet gelockt und widerrechtlich fest: gesetzt worden. Durch einen findigen Kopf", wie Zeitungen der deutschen Front" rühmend berichten. Es ist die Findig: feit" von Kopfjägern, die sich da betätigt.

Bor Monaten wurde ein reichsamtlich organisierter& in: bruch in die Verwaltungsräume der franzö= sischen Domanialschulen verübt. Als man sah, daß der Diebstahl sich politisch nicht lohnte, warf man säde voll Aften in die Saar . Da wurden sie dann aufgefischt und der bestohlenen Verwaltung wieder zugestellt.

Um diesen Diebstahl zu ermöglichen, waren Ange: stellte der Domanialverwaltung bestochen worden. Einer der Bestochenen war ein naturalisierter Franzose. Auch er wurde mit seinen Romplicen als natio: naler Held im dritten Reiche" aufgenommen.

Der Chauffeur des Präsidenten der Regierungs: kommission Mr. Knor wurde reichsamtlich getauft und diente Reichsbehörden als bezahlter Spizzel. Das Geld scheint allerdings bei der Vorsicht und flugen Reserviertheit von Mr. Anor schlecht angelegt gewesen zu sein.

Eine ältliche Jungfrau Maria Garienius ließ sich durch Liebe und Geld bewegen, in der Polizeidiref= tion zu Saarbrücken für den Beauftragten des Herrn Reichsfanzlers in Saarangelegenheiten, den Separatisten a. D. Bürckel zu spizzeln. Dieser Herr blieb durchaus in seinem Lebensstil, wenn diejenigen recht haben, die bisher unwiderlegt behaupten, daß der jetzige Vertraute des Führers" in der Besagungszeit für die Surete general francaise gearbeitet habe. Maria Carsenins aber, die aus: gerutschte Mata Hari von Saarbrücken , lebt jetzt als an: gehende Nationalheldin unter hohem reichsamtlichem Schutz in der Pfalz .

Es folgte das Zwischenspiel der Wild westland: geschichte, der verunglückte Kauf eines Zeitungstitels ohne die dazu gehörigen Köpfe. Softenpunft und Spesen: Minimum 800 000 französische Franken. Dieser Kriminal: roman, in seinen Personen und in seinen Hintergründen noch immer nicht voll geflärt, ließe sich zu einer literarischen Zierde für die geistige Ertüchtigung der deutschen Jugend im Geifte der Herren Weißenberg , Goebbels , Doll und Günther Mamlock verarbeiten.

"

Kriminalistisch angespornt durch die gegen Westland" ein: gesetzten Reichs- Ganoven faufte" die Gestapo durch ihren Agenten Steinebach einen Kommunisten, damit er ihr Listen der im Reiche illegal arbeitenden Somminist en ausliefere. Ein Plan staatspolizeilicher Mordgier, der vielleicht sogar bei Massenmördern von dem

Ausmaße der Haarmann und Kürten hätte Gewissens: bedenken hervorrufen können. Daß das Halunkenstück nicht gelang, verdankt man der Unbeftechlichkeit eines marristischen Arbeiters. Die Behörde der Reichstagsbrandstiftung mit ihrem hohen Chef war entlarvt in ihrer ganzen Schuftigkeit.

Wenige Tage später verübte der Reichsspizzel Hilt, der sich in langen Jahren das Vertrauen seiner französischen Borgesetzten bei der Grubendirektion erschlichen hatte, mit Nachschlüsseln Aktendiebstähle aus Geldschrän= sen. Er floh damit ins Reich. Dort wurde der friminelle Einbrecher nicht etwa festgesetzt, sondern in hohen Ehren wiederholt als reichsamtlicher Sprecher an das Mikrofon des Rundfunks gestellt. Eigentlich gehörte er als Vortragender Rat in die Reichskanzlei.

Daß dieser Hilt nur Einzelglied eines reichsamtlichen Verbrechers n stems an der Saar ist, wird durch einen neuen Einbruch in einem Grubenbüro bewiesen. Bereits vor einigen Tagen hatte ein gefanfter Grubenangestellter versucht, den Geldschrank des Ingenieur Principal der Grube Camphansen aufzubrechen. Sein Vorhaben mißlang, da der Geldschrank den Einbrecherwerfzengen Stand hielt. Der Ingenieur über: gab darauf seine Papiere dem Ingenieur Divisionaire. Dessen Geldschrank wurde nun gestern von dem Büro­angestellten Rech aufgeknackt, der mit den gestohlenen Pa= pieren das Weite suchte. Wahrscheinlich ist er, wie sein Ein­brecherfollege Silt, damit ins dritte Reich" verduftet. Denn bisher sind alle Nachforschungen der Polizei erfolglos ge= blieben.

So stürmen die Häuptlinge der deutschen Front" im Saarlampf von Sieg zu Sieg.

Vom 23. bis zum 27. Dezember ist allerdings politischer Burgfrieden. Durch Gentlemen Agreement! Mithin sind die reichsamtlichen Ganoven nicht betroffen und nicht ver= hindert. Sie haben das volle und uneingeschränfte Recht, auch während des heiligen Weihnachtsfriedens zu spikein und zu stechen, zu stehlen und zu räubern. Das dritte Reich" will es.

Wiederkehr des Systems"

Ter fommissarische Reichswirtschaftsminister Dr. Schacht hat zum Stellvertreter des Leiters der Reichswirtschaftskammer Staatsjefretär i. e. R., Dr. Ernst Trendelenburg , Vorsitzender des Auf­sichtsrates der Vereiniate Industrieunternehmungen A.-G. in Berlin , bestellt.

Präsident der Reichswirtschaftskammer ist Dr. Hecker. Er hat eben erst beteuert, daß er und seine Organisation cin williges Instrument in der Hand des Führers" sein würden. Tas ist fast schon offener Hohn, denn weder Hecker noch erst recht Trendelenburg haben mit irgendwelchem Nationalsozialismus irgendetwas zu tun.

Trendelenburg hat während der schmachbeladenen, fluch­würdigen vürzehn Jobre" tren, brav und tüchtig dem Weimarer System gedient. Er ist vom Ministerialrat über den Ministerialdirektor zum Staatssekretär im Reichswirt­schaftsministerium emporgestiegen. Hitler glaubte ihn wie so

viele Fachleute entbehren zu können. folgende Meldung:

Kennzeichnend ist auf

Reichsjustizminister Dr. Güriner hat zu seinen Beauftragten ernannt: für Bayern Staatsrat pangen berger, bisher Staatssekretär im bayerischen Justiz­ministerium, für Sachsen- Thüringen den sächsischen Justiz minister Dr. Thierack; für Württemberg- Baden den Ministerialdirektor im Reichs- und preußischen Justiz­ministerium Thiesing; für die Abteilungen Nord ( Samburg usw.) Senator Dr. Rothenberger, Justiz­senator in Hamburg ."

Es sind lauter juristische Bürokraten, die da als Reichs­beauftragte ernannt werden. Within hat der juristische Reichsführer" Dr. Frank auch in Bayern nichts mehr zu sagen. Er ist als Reichsminister nine Bortefeuille" mit hohem Gehalt abgefunden.

Max Liebermann

dari nicht mehr malen

Der Ehrenbürger von Berlin geächtet

Prager Montagsblatt" meldet ans Berlin : Die große Antifultur- Kampagne in Deutschland , die mit dem Fall Hindemith- Furtwängler ihren Höhepunkt erreicht z haben schien, wird jett um einen ebenso sensationellen neuen Fall bereichert. Die Nationalsozialistische Kulturge­meinschaft", die unter der Schirmherrschaft des Reichs: propagandaministers Goebbels augenblicklich unter Leitung des Herrn Morella die große Säuberungsaktion der Kunst von liberalistischen Elementen" durchführt, hat in diesen Tagen ein Rundschreiben an zirka 20 bildende Künst= ler gerichtet, in dem diesen Künstlern die Ausübung ihres Berufes verboten wird. Unter ihnen befindet sich der 87jährige, weltberühmte Mar Liebermann, früher Präsident der Akademie der Künste, Gründer der Berliner Sezession und Hauptvertreter der deutschen impressionisti= schen Malerei. Die überragende Bedeutung Liebermanns, dessen Bilder in allen Galerien der Welt hängen, und das hohe Alter haben ihn nicht vor diesem Schritt beschützt.

Neben unbeliebten Maiern und Bildhauern erhielt aber auch eine große Anzahl Architekten, hauptsächlich solche nichtarischen Ursprungs, ebenfalls ein Rundschreiben, in dem ihnen mitgeteilt wurde, daß sie aus den Berufs listen gestrichen seien und damit ihre Tätigkeit nicht mehr ausüben dürften. Die Architekten- Organisation sprach darauf im Ministerium vor und wandte ein, daß man in einem Rechtsstaat den Bürgern dieses Staates irgendeinen Lebensraum schließlich geben müsse. Darauf wurde der be= treffende Erlaß abgeändert, und zwar wurde den gemaßa regelten Architekten die Ausübung des Berufs für Innen: architektur und für Umbauten gestattet, während ihnen der Entwurf und die Errichtung von Neubauten weiterhin untersagt bleibt, da- wie es in dem Erlaß heißt nicht geduldet werden föune, daß die deutsche Landschaft durch jüdische Projekte verschandelt würde".

Frankreichs Frankreichs Wehrproblem

Wettrüster und die ,, französische Reichswehr "

Paris , 21. Dezember.

A. Sch. Jn der Außenpolitik mag es heute diplomatische Entspannungen geben, in der Militärpolitik gibt es keine Atempausen, sondern nur noch Ausrüstung. Am 18. Dezem ber hat die französische Kammer mit übergroßer Mehrheit neue Militärkredite votiert. Das dritte Reich" hat eine Aufrüstungswelle entfacht, die zu einer stürmischen Bran­dung anzuschwellen droht. Das Hitler- Deutschland hat es glücklich zuwege gebracht, daß die seit 1932 unter Herriot begonnene Abrüstung in Etappen nunmehr durch Frank­ reich jäh abgebrochen wird. Der deutsch - französische Rüstungswettlauf tritt in die neue, entscheidende Phase ein. Wir wissen nicht mehr, wer heute militärisch stärker ist, Frankreich oder Deutschland ," erklärte in der Kammer­sigung vom 18. Dezember Oberst Fabry, einer der an­gesehensten Militärspezialisten der Kammer und Vorsitzen­der ihrer Militärkommission. Frankreich will seinen Bor­sprung gegenüber der neuen Militärmacht Deutschland aufrechterhalten, das dritte Reich" mill Frankreich unter allen Umständen militärisch überholen. Die Schraube ohne Ende des Wettrüstens ist in Bewegung gesetzt.

Die Folgen dieses Wettrüstens sind für das dritte Reich" doppelt gefährlich, militärisch und außenpolitisch. Da Frankreichs Rüstung infolge der deutschen Bedrohung keine konstante Größe darstellt, sondern im ständigen Wachsen ist, muß der deutsche Faschismus das Tempo seiner Aufrüstung immer steigern, immer neue und auch die letzten Wirtschaftsreserven in Anspruch nehmen: die ganze deutsche . Aufrüstung mit ihren ungeheuren An­strengungen und Ausgaben wird völlig wertlos bleiben müssen, wenn der Vorsprung des finanziell unendlich leistungsfähigeren Frankreichs nicht nachgeholt wird. Zu den wirtschaftlichen und militärischen Sorgen kommen nunmehr auch die außenpolitischen: das Wettrüsten schränkt die die diplomatische Manövrier= fähigkeit des britten Reiches" sehr stark ein. Welche Aussichten kann schon die breit angekündigte " Friedens"-Offensive Hitlers erhalten, selbst mit allen ihren Verhandlungskunststücken, wenn gleichzeitig dahin­ter das Wettrüsten gigantisches Ausmaß nimmt. Die An­hänger der direkten Verhandlungen mit dem dritten Reich" in Frankreich , seien es die pazifistischen, seien es die realpolitischen", seien es die pro- faschistischen, werden durch die neugeschaffene militärische Situation gelähmt. Und auch diejenigen führenden Regierungsmitglieder, die in der Ebene der Außenpolitik bereit wären, den Weg zu den Verhandlungen nicht zu versperren, ändern sofort den Ton, wenn es um die direkten Interessen der franzö­ sischen Sicherheit und der französischen Wehrmacht geht. Derselbe Ministerpräsident Flandin , der nur vor einigen Tagen im Senat die Interpellation des nationalistischen Senators Lemery abwies und Frankreichs Glauben an den Völkerbund unterstrich, setzte sich ein paar Tage da­nach in der Kammer in der absolutesten Form und mit