falker in urmzetten Nr. 100
Völker in Sturmzeiten
Im Spiegel der Erinnerung- im Geiste des Sehers
,, Preußischer Kommiß"
Samstag, 14, Dezember 1934
den Hauptmann und die Unteroffiziere, von denen wir besonders den Novack haßten. Er war jünger als die meisten von uns, ein Unteroffizierschüler, der vom Leben nichts weiter kannte, als die Kaserne und was damit zusammen
Soldatengeschichten von August Winnig hing. Darum meldete er gern auch kleinere Verstöße, um
Angust Winnig, der Verfasser der vor dem Kriege erschienenen Schrift Preußischer Kommiß", ist heute glühender Nationalsozialist. Er dient der braunen Sache in Wort und Schrift, unter Preisgabe seiner Vergangenheit. Einst, als junger Proletarier, war er zum Sozialismus und zur Sozialdemokratie gekommen. bewegt von den hohen Gedanken der Freiheit und der Menschenrechte. Es gelang ihm, im freigewerk. schaftlichen Bauarbeiterverband einen führenden Posten zu gewinnen. Nach der Umwälzung von 1918 wurde er Oberpräsident in Ostpreußen . damals freilich schon in seinem alten Bekenntnis zögernd und schwankend. Sein politisches Ende in der Republik führte der Kapp- Putsch vom März 1920 berbei. Es erwies sich. daß er der zweideutigen Haltung der Reichswehrkommandeure in jenen kritischen Tagen Vorschub geleistet hatte.
Dann rutschte August Winnig immer weiter nach rechts. Er wurde der Vertrauensmann Hugenbergs und Stinnes. für deren Blätter er seine flinke Feder in Bewegung setzte. Heute ist er einer von den 110- Prozentigen: wildester Nationalsozialist. begeisterter Militarist und nationalsozialistischer Schriftleiter. Sein Buch Preußischer Kommiß" hat er längst verleugnet. weil es die denkbar schärfste Anklage des milita ristischen Kadavergehorsams darstellt. zu dessen Anhetern er heute gehört. Ein Grund mehr für uns. unseren Lesern einige Kapitel aus dem Buche August Winnig vorzulegen.
Finale
17. Fortsetzung
Zu diesen gehörte auch Vyth. Er hatte sein Koppelschloß hergeben müssen und hatte sich nun um den Leib Bindfaden geschnürt, damit das Riemenzeug zusammenhalten sollte. Aber mehrere Male riß das Band und dann mußte er seinen Nebenmann bitten, es ihm flicken zu helfen. Dabei gab es kleine Stockungen und auch hin und wieder Spottreden, die zwar nicht schlecht gemeint waren, aber dem Vyth doch wehe taten. Aber er klagte trotzdem nicht. Schweigend ging er, aufrechter als mancher andere, seinen Weg.
Ich hatte recht viel Mitleid mit ihm. Er war ja unschuldig und wußte, daß er für einen anderen büßte, und daß ihn dieser andere, den er nicht kannte, büßen ließ, das mochte ihn vielleicht mehr drücken, als der lose hin und her rutschende Riemen, der die Hüften wund scheuert.
Nach einer Weile wechselte Seele seinen Platz und kam zu mir. Ich wußte, daß ihm das Gewissen schlug, und daß er sich mit mir aussprechen wollte.
Junge, das ist eine dumme Geschichte, was?" fing er an. ,, Ja," sagte ich. ,, es ist eine ganz dumme Geschichte." ,, Aber was soll ich tun?"
,, Du mußt ihm das Koppelschloß ersetzen."
,, Ich will ihm die Koppel mit einem starken Riemen zusammenziehen, das hält, bis wir an den Kompaniewagen kommen."
,, Das wird wohl genügen. Du würdest Dich auch verdächtig machen, wenn Du ihm das Schloß gäbest." ,, Natürlich!"
Ich sah Seelen prüfend an: ,, Exerzieren soll er aber für Dich, was?"
,, Ja, denkst Du, ich sollte mich melden?" fragte Seele unsicher.
,, Richtig wäre es schon," erwiderte ich.
,, Ich habe daran gedacht; aber da ist die verfluchte Einsperremanier des Alten. Denke Dir, daß ich die drei oder fünf Tage absitzen müßte, wenn die anderen auf Reserve gehn, wo die Trude schon ganz genau weiß, wann ich nach Hause kommen muß."
,, Das ist die alte Geschichte, daß uns die Weiber hindern, Männer zu sein."
Seele schwieg und warf sein Gewehr ärgerlich über die Schulter.
Nach einer Weile, in der ich ihn ganz ungestört gelassen hatte, fing er wieder an: Sag' mal, wie oft sind wir schon für einander eingestanden, ohne daran zu denken, daß es unrecht sei!"
,, Haben wir getan, Seele, Du und ich. Und das gehört
sich auch so."
,, Und er kann das auch dies einemal tun. Jetzt er für einen anderen, später mal ein anderer für ihn. Das muẞ sich ausgleichen. Und dann wird es ihm ja leichter als mir. Bei ihm rechnen die drei Tage in die Dienstzeit, denn er hat noch ein Jahr zu dienen."
Der Regen fiel noch immer mit der gleichen Hartnäckigkeit. Wir waren gut zwei Stunden marschiert und troffen aus allen Nähten. Ueber unser Marschziel herrschte allgemeine Ungewißheit. Man rechnete mit der Möglichkeit, heute noch mit den feindlichen Spitzen Fühlung zu bekommen. Schon tauchten wiederholt Meldereiter auf, die durch unseren Gesichtskreis trabten und uns zeigten, daß wir uns dem Feinde näherten. Wir wünschten uns, recht bald mit ihm zusammenzukommen, unseren Führern aber soviel Vernunft, sich heute auf kein Gefecht einzulassen.
unser
von
Es war etwa neun Uhr, als wir an der Spitze unserer Marschkolonne eine Bewegung merkten. Meldereiter waren angekommen. Adjutanten geloppierten über das Feld, und Oberst kehrte einem Vorritt zurück. Bald schwenkte das dritte Bataillon links. das erste rechts ab, und wir stiegen in eine Mulde hinunter, in der ein kleiner Weiler von etwa zwanzig Häusern lag. Dort verteilten wir uns; unsere Kompanie zog hinter ein Gehöft, das uns indessen noch nicht genug Deckung zu bieten schien, wir zogen uns noch etwas weiter zurück in ein hohes Maisfeld, wo wir zunächst mit vollem Gepäck stehen blieben. Aber es zeigte sich nichts vom Feinde. Nach einer halben Stunde konnten wir die Gewehre zusammensetzen; nach einer weiteren halben Stunde die Tornister ablegen und zuletzt rar statt der schweren Helme, die uns halb maskierten, die trockenen Feldmützen aufsetzen. Aber der Regen rann weiter.
Einige hatten, es versucht, sich zu setzen, aber in dem nassen Zeug litt es sie nicht lange auf der Erde. So standen
wir umher und schimpften über die Manöver im allgemeinen und über die Kaisermanöver im besonderen.
Jochimsen hatte sich fortgeschlichen und hatte in den Tagelöhnerkathen eine Frau getroffen, die uns eine Flasche Schnaps verkaufen wollte, aber er hatte leider, wie immer, kein Geld. Als er indes mit der Nachricht kam, wurden die paar Groschen schnell zusammengebracht und Jochimsen ging mit geschickter Geländebenutzung vor, um den willkommenen Sorgenbrecher zu holen. Er brachte ihn glücklich heran. Die Flasche kreiste und entfesselte mehr Freude als eigentlich gerechtfertig war, denn der Schnaps war ein ganz gemeiner Fusel. Man wurde auf uns aufmerksam, und Novack, der sich noch über den Streich vom Morgen ärgerte, meldete es dem Hauptmann. der ein prinzipieller Feind alles Schnapses war, den er nicht selbst trinken konnte. Er ging sofort auf die Denunziation ein und befahl Novack, uns die Flasche fortzunehmen, dazu schickte er noch ein prasselndes Donnerwetter herüber. Hans, der Geistertänzer aus Lüneburg , hatte bisher noch nicht getrunken, und als nun Novack kommen sah, packte hn eine verzweifelte Angst, er könne überhaupt nichts mehr bekommen.
er
,, O, lang ihn mir doch schnell mal her, der Frosch kommt, der nimmt uns den Buddel fort!" rief er heftig.
Er erwischte die Flasche glücklich, und obwohl der Frosch mit lautem Schimpfen auf ihn zusteuerte, setzte er an und trank. Er war ein langer Kerl, und sein Kopf mit der Flasche vor dem Munde überragte den Mais, so daß ihn der Hauptmann ganz gut sehen konnte. Als Novack ankam, ging Hans, ohne die Flasche abzusetzen, langsam rückwärts, mit verklärtem Gesicht schluckend.
,, Sie sollen die Flasche hergeben! Hören Sie nicht?" schrie der Frosch zornentbrannt.
,, Hier, Herr Unteroffizier, sie ist gerade leer geworden," sagte Hans und leckte sich die Mundwinkel aus.
Novack sah ihn giftig an, nahm die Flasche und steuerte dem Hauptmann zu, der wieder eine Schimpfkanonade wider uns losließ. Wir kehrten uns nicht daran. Nie war uns der Alte so verhaßt gewesen als in diesen Tagen. Wir hatten eine Regennacht auf freiem Felde hinter uns, hatten nichts gegessen, und nun gönnte er uns auch diese kleine Erwärmung nicht. Nicht temperenzlerische Besorgnis um unsere Gesundheit trieb ihn an- er selbst war ein starker Trinker sondern Roheit und Haß. Wir machten aus unserem Herzen keine Mördergrube und murrten laut. Als Hans zu ihm kommen mußte und er ihm drei Tage zudiktierte, da wunderten wir uns gar nicht, wir ärgerten uns auch nicht. Ein Haß und ein Trotz beseelte uns, durchuns mit lodernden Flammen, so daß wir uns freuten. wieder neue Nahrung für das Feuer gefunden zu haben. Hans kam mit zornglühendem Gesicht zurück. ..Drei Tage als Reservist!" rief er laut.
wärmte
Wir quittierten darüber mit schallendem Gelächter und Hans lachte mit. Es war nicht das Lachen der Bosheit, der Schadenfreude, es war das heilige Lachen der Solidarität, der Ausdruck unseres Bewußtseins, daß wir verbunden als getretene und geknechtete Geschöpfe keine andere Waffe hatten, als unseren Haß und unsere Verachtung.
Der Hauptmann hörte es. Er richtete sich hoch auf und kam heran. Am Rande des Maisfeldes, blieb er stehen und sah uns drohend an. Wir wichen seinem Blicke nicht aus. Es lag in diesen Minuten eine Stimmung zwischen uns, die der Waffenbrüderschaft alle die tönenden Phrasen aller Glieder des Heeres in ein Nichts auflöste. Mit dem Manne, der da vor uns stand, verband uns nichts weiter, als tausend Fäden eines großen, glühenden Hasses.
von
Der Rest von Selbstbesinnung, der dem Hauptmann bei allen seinen Wutausbrüchen blieb, ließ ihn langsam umkehren.
Träge schlich die Zeit hin, ohne daß der Regen merklich nachließ. Ein paar Flintenschüsse waren gefallen, ein paar feindliche Reiterpatroillen gesehen worden, sonst geschah nichts, was etwas Abwechselung hätte bringen können. Wir vertrieben uns die Zeit mit Spott- und Schimpfreden auf
Anwendbar
Ein weich verpackter, ein fein befrackter. Nicht sehr intakter Charakter.
Den Vers, den hab' ich im Vorrat gemacht, Ganz ohne Objekt; ich hab' halt gedacht. Ich mach' ihn einmal, er wird schon passen, Man kann ihn brauchen in allen Gassen. Friedrich Theodor Vischer .
Die Gesetze sind schon an der Quelle dadurch vergiftet, daß sie von reichen Leuten gemacht werden. B. Shaw.
die sich ältere Korporale gar nicht kümmerten, und war beim Dienst streng bis zur Grausamkeit, Besonders die Rekruten stieß und knuffte er gern, sobald er sicher war, daß sie sich nicht darüber beschwerten, während er die aufrechten Leute nach Maßgabe der Dienstvorschriften mal
trätierte.
Endlich ertönte das Kommando zum Abmarsch. Die Tornister waren noch schwerer geworden. Mantel und Zeltbahn hatten sich ganz voll Wasser gezogen. Wie Bleiklumpen lasteten die Dinger auf dem Rücken. Die Helme fielen uns über den Kopf und verdeckten uns buchstäblich die Augen. Dazu waren wir bis über die Knie mit Schlamm bedeckt, einige hatten den Schmutz bis zur Hüfte sitzen. Seit zwei Tagen hatten wir uns nicht mehr gewaschen. Es war ein jämmerlicher Anblick, als das Bataillon wieder auf der Mulde herausstieg und die Chaussee entlang zog. Nach einem halbstündigen Marsch bogen wir wieder ab. Es ging einen aufgeweichten Feldweg entlang, an dessen Ende bereits das erste Bataillon hielt, während das dritte über die Chausse gezogen kam und ebenfalls in den Feldweg einbog. Zur Linken war eine weite, von vielen Gräben durchschnittene Wiesenebene. An ihrem westlichen Horizont zog sich eine geradlinige Erhöhung hin, ein Bahndamm oder so etwas ähnliches. Vereinzelte Schüsse fielen aus jener Richtung; es sollte also wirklich ein Gefecht geben.
Wir hielten und lösten uns in eine dünne Schützenlinie. auf, das dritte Bataillon links neben uns; das erste blieb geschlossen und marschierte, durch eine flache Mulde und etwas Buschwerk notdürftig gedeckt gegen den Wall im Westen vor. Das Feuer wurde lebhafter und wir mußten vorgehen. Der Wiesenboden war ziemlich fest und das Vorgehen daher nicht beschwerlich. Das Feuer, immer stärker werdend, genierte uns nicht, es waren ja unschädliche Platzpatronen. Die berittenen Offiziere schlugen ihr kostbares Leben in die Schanze; es ging ja für Vaterland und König! Jetzt erdröhnten von drüben auch Kanonenschüsse. Wollten die uns aufhalten? Da hatten sie sich verrechnet. Kanonenfeuer schreckt uns nicht,
Kühn blicken wir ihm ins Gesicht!
So stand es auf dem Kasernenflur geschrieben. Aber auch das ,, Kühn" ihm ,, ins Gesicht blicken" taten wir nicht einmal, denn die Helme hinderten uns daran. Wozu auch? Wir würden sie nachher aus dichter Nähe sehen. Darum gingen wir fest und bedächtig vor, unterhielten uns, schimpften, fluchten und ließen die dummen Kerle schießen, da es ihnen anscheinend so befohlen war. Der Wall, die Richtung des Feindes, war ungefähr zweitausend Meter entfernt. Nachdem wir einige Hundert zurückgelegt hatten, sperrte uns ein breiter Graben den Weg. Einige übersprangen ihn, obwohl er reichlich zwei Meter breit war. Der Hauptmann trieb an, und wenn auch manche suchend hin und her liefen, sie mußten den Sprung wagen. Viele verfehlten den rettenden Rand und maßen die Tiefe, sie betrug etwas mehr als ein Meter. Seele, dick und kurzbeinig, sprang natürlich auch mitten hinein und ließ unglücklicherweise auch noch das Gewehr hineinfallen. Als er es herausgeholt hatte, war er bis zum Hals völlig im Wasser gewesen und konnte nur mit meiner Hilfe aus dem Graben herausklettern. Der Alte stand dabei und schimpfte über die vollgesogene Wanze, der er bald Beine machen wolle.
Seele schüttelte sich und wir liefen keuchend hinter der Linie her, die bereits einen guten Vorsprung gewonnen hatte. Kaum hatten wir sie eingeholt, so standen wir wieder vor einem Graben. Seele sah mich kläglich an. Ich nahm ihm das Gewehr ab, damit er besser hinüberkomme. Er wischte sich den Schweiß ab, sah sich noch einmal um und wagte dann den Sprung.
Das Wasser spritzte hoch auf, Seele saß richtig wieder mitten drin. Er war ohne Gewehr noch schlechter gesprungen. Ich reichte ihm sein Gewehr hinüber und sprang dann nach. Wir trotteten weiter, und dabei feuerte der Feind, was das Zeug halten wollte. Ab und zu knieten wir nieder und gaben einige Schüsse ab. Im Ernstfall wäre unser Angriff bei diesem Vorgehen längst zerschellt gewesen, oder hätte wenigstens angesichts der Gräben abgebrochen werden müssen; aber es war ja nur Spiel, und da gilt die Spielregel: Vorgehen, feuern, wieder vorgehen und wieder feuern und zuletzt mit Hurra auf den Feind! So wollte es das Herkommen und darum mußten wir die ganze Ebene durchtrotten, zu Wasser und zu Lande.
Bald kam wieder ein Graben und wieder forderte er seine Opfer. Ein Viertel der Mannschaft plumpste regelmäßig hinein. Seele machte beim dritten noch einmal einen Versuch; er miẞlang. Nun war ihm alles gleich. Beim vierten, fünften, sechsten, siebenten und achten Graben nahm er gar keinen Anlauf mehr, er ging einfach an dem einen Ende hinein und an dem andern hinaus, und wie er, so taten noch viele. Als wir den achten Graben hinter uns hatten, trennten uns noch etwa fünfhundert Meter von der feindlichen Stellung. Wir waren völlig ungedeckt, und der Feind, von dem wir nun endlich die Helmspitzen und Gewehrläufe deutlich erkennen konnten, markierte, um nicht unnötig Munition zu verschwenden, Schnellfeuer. Eine Batterie am rechten Flügel nahm sich unser erstes Bataillon vor, dessen Führer die Einbildung nicht los werden wollte, daß er gedeckt sei. Wir legten uns in das nasse Gras und feuerten, machten einige lange Sprünge und kamen so bis auf zweihundert Meter an den Feind. Dann bliesen die Hor nisten zum Sturm. So ärgerlich und ermattet wir waren. diese Komödie löste doch Lachen aus. Das war dem doch zu stark. Wir existierten ja eigentlich in militärischem Sinne gar nicht mehr, waren ganz jämmerlich in die Pfanne gehauen worden, aber der Sturmangriff mußte doch erledigt werden.