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Freiheit

Nr. 287 2. Jahrgang

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Einzige unabhängige Tageszeitung Deutschlands

Saarbrücken, Sonntag/ Montag, 33./24. Dezember 1934 Chefredakteur: M. Braun

Immer wieder

Hitlers Judenhatz

Seite 2

Dec Papst für Status quo

Seite 3

,, Lieber 10 Jahre Dücce

als 1 Jahr Daccé"

Eine Frau wird gehängt

Seite 4

Seite 7

Käuferstreik statt Hamstern Reichsdiktator Schach!?

Goerdeler..stabilisiert" die Preise

Berlin , 21. Dezember 1934.

Der Reichsfommissar für Preisüberwachung, Goer= deler, entwickelt sich immer mehr zu einem Preis­steigerungsfommissar. Er hat soeben eine Ver­vrdnung über den Wettbewerb herausgegeben, in der er mit Gefängnis und Geldstrafe in unbeschränkter Höhe die­jenigen bedroht, die unter unlauterer Ausnutzung des Kredits oder böswilliger Nichterfüllung ihrer Pflichten Waren zu Preisen anbieten, die unter den Selbstkosten liegen.

der

Diese Verordnung soll soll ein Verramschen Waren verhüten. Aber was diese Verordnung mit der so großspurig angefündigten Preissenfungsaktion zu tun hat, weiß wohl Herr Goerdeler selbst nicht. Diese Ver­ordnung fördert nämlich im Gegenteil Preissteigerungen, denn, wenn die Konkurrenz nicht in der Lage ist, ihre Preise zu senken, dann ist jeder Geschäftsmann in der Lage, nicht nur seine Waren auf dem bisherigen über­höhten Preisniveau zu stabilisieren, sondern auch die Preise für die eine oder andere Warengattung zu erhöhen. Der wichtigste Preisregulator die Verbilligung der Preise durch die Konkurrenz fällt jetzt durch diese Verordnung weg.

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Während es noch vor einigen Wochen hieß, daß die Re­aierung einen rücksichtslosen Kampf gegen das überhöhte Preisniveau führen wird, wird jezt plötzlich behauptet, daß man derartige Absichten garnicht gehegt hätte. Goer­ deler hat in einer Pressebesprechung vom 21. Dezember seine Mission" wie folgt definiert:

Es habe sich nie darum handeln können, eine Preis: sentung im Sturmtempo herbeizuführen, die dann tat: sächlich zu einer Verringerug auch der Produktion hätte führen müssen. Das Ziel sei vielmehr gewesen, von vorn= herein die Ruhe zu erhalten, übersteigerte Preis: erhöhungen zu unterbinden und die ganze Preispolitit elastisch zu gestalten."

Mit anderen Worten: Hitler und sein Schacht haben nie ernstlich an eine Preissenkungs­attion gedacht, und die Aufgabe Goerdelers bestand nur darin, dem Volke Sand in die Augen zu streuen, um auf diese Weise umso sicherer die Preise auf dem jetzigen überhöhten Niveau stabilisieren zu können.

Die neuen gesetzgeberischen Ergüsse des Preissteigerungs­kommissar Goerdeler sind nicht nur deswegen bemerkens­wert, weil sie mit einer Preissenfung nichts zu tun haben. sondern weil sie ein grelles Licht auf die gegenwärtigen Verhältnisse im Handel werfen. Goerdeler hielt es näm­lich in der gleichen Rresse besprechung für notwendig, fich darüber zu rühmen, daß es ihm angeblich gelungen sei, die

ebenso unklugen wie undisziplinierten Hamsterkäufe" it unterbinden. In Wirklichkeit hat Herr Goerdeler dazu sehr wenig beigetragen, denn die Hamsterkäufe hatten ihre Grenze in der Kaufkraft der Bevölkerung und in den Drohungen gegen die Hamsterer. Schon jemand, der von seinem Sparkonto abhebt, setzt sich der Gefahr aus als Saboteur und Staatsseind" zu gelten. Die Hamsterkäufe mußten deshalb nach einer bestimmten Zeit starf zurück­gehen, umso mehr, als die breiten Volksmassen sich den Lurus nicht leisten konnten, Ware auf Vorrat einzukaufen. Heute haben sich die Dinge so entwickelt, wie man das aus der ganzen Wirtschaftslage des dritten Reiches" er­warten mußte. An Stelle der Hamsterkäufe ist der Käufer: streik eingetreten, hervorgerufen durch die verminderte Kauftraft der Bevölkerung. Der Einzelhandel hat indes im Herbst unter der Hamsterpsychose sich mit großen Warenvorräten eingedeckt, in der Annahme, daß er zu Weihnachten diese Vorräte los wird. Indessen ist das Ge­schäft schon seit Wochen sehr schleppend, und der Einzel­handel ist von dem Geschäftsergebnis enttäuscht.

Die Dinge haben sich soweit entwickelt, daß, wie Dr.

Er boxt Hitlers ,, alte Kämpfer" knock out

Berlin, 22. Dezember 1934. Die Berufung Dr. Trendelenburgs zum Bizepräsi= denten der Reichswirtschaftskammer unterstreicht die wenige Tage vorher erfolgte Ausschiffung Gottfried Feders. Hatte doch Dr. Trendelenburg im Jahre 1933 als Staatssekretär im Reichswirtschaftsministerium dem Gottfried Feder weichen müssen. Jetzt geht der nationalsozialistische Theoretiker in die Verbannung und Dr. Trendelenburg wird von dem Natio= nalsozialisten a. D. Hitler zurückgeholt.

Trendelenburg ist eine neue starke Figur in dem großen Spiele Dr. Schachts gegen die nationalsozialistischen Dileta tanten. Schacht verfolgt konsequent die Absicht, die ganze Wirtschafts- und Sozialpolitik nur einem fleinen Gremium von Fachmännern zu übertragen, deren Chef er sein würde. Reichsbank, Finanzpolitik, Wirtschaftspolitik, Sozialpolitik ( Arbeitsministerium) und zugleich das Kommando über die " Deutsche Arbeitsfront " sollen so in der Hand von Schacht vereint werden. Das würde bedenten, daß Darre, der noch immer die romantische Idee einer Autartie verfolgt, beseitigt werden müßte und auch Ley, der ohnehin nur noch Reiseprediger und Kraft- durch- Freude"-Reisender ist, end= gültig zur Ruhe gesezt würde.

Schacht, von mächtigen Wirtschaftsfräften getragen, geht energisch auf dieses Ziel zu, und Sitler scheint sich ihm vera schrieben zu haben. Kapitalistische Wirtschaft, hohe Bürokratie und Reichswehr werden so mehr und mehr die tragenden Säulen des Systems, und Hitler ist uur noch Repräsentant im goldenen Käfig.

Goerdeler selbst zugibt, die Wirtschaftsverbände bei im Reichs- Kar offelschiebungen

vorstellig geworden seien, mit der Bitte, das Publikum zu Weihnachtstäufen aufzufordern.

Er habe jedoch dieser Bitte nicht stattgegeben, weil er eine solche Aufforderung für unzweckmäßig halte. Dafür hat er aber die obige Verordnung herausgegeben. Denn man hat bereits die Beobachtung gemacht, daß zahlreiche Einzel­händler aus Angst, daß sie auf ihren Vorräten sitzen bleiben und damit die Forderungen der Lieferanten zum vereinbarten Termin nicht begleichen können, ihre Waren zu einem herabgesetzten Preis verschleuderten, um auf diese Weise wenigstens etwas flüssiger zu werden. Es ist ganz klar, daß bei dieser Entwicklung der Dinge zu­erwa ten wäre. jammenbrüche zahlreicher Firmen zu Aber auch die Maßnahme Goerdelers kann diese bevorstehenden 3usammenbrüche nicht verhindern, weil die Einzelhändler zu den über­höhten Preise ihre Waren nicht veräußern können.

Der Juden boykott, der gegenwärtig in einem solch unerhörten Ausmaß wieder aufgeflackert ist, stellt nichts anderes als einen Versuch der Hitlerregierung dar, die Volksmassen gegen die Juden aufzuheben, um auf diese

Weise wenigstens einem Teil der völlig depri­mierten Mittelständler neue Käufer zuzu= führen. Aber bei der engen Verflechtung der jüdischen Geschäftswelt mit der gesamten deutschen Wirtschaft wird auch diese Sorte von Wirtschaftspolitik ein bitteres Ende

Moralische" Offensive gegen radikale Opposition

Die Massenverhaltungen in den Nazi- Organisationen

Berlin , 22. Dezember.

Die neuen Maßenverhaftungen, die die Deutsche Freiheit" schon am 15. Dezember melden konnte, werden nun durch Himmler, den Chef der SS. und der Geheimen Staats­polizei bestätigt. Er gibt auch zu, daß sehr viele" Mitglieder der SA. und der SS. verhaftet worden sind.

Genau nach dem Vorbild des 30. Juni wird die rein politische Aktion moralisch begründet. Der Führer" und Reichskanzler Adolf Hitler , der langjährige Busen­freund Ernst Röhms und Patron von Edmund Heines habe angeordnet, daß die Homosexualität in den verschiedenen Parteiorganisationen mit aller Schärfe bekämpft werden solle. Er. der länger als ein Jahrzehnt die homosernelle Betätigung von Röhm nicht nur wußte und duldete, sondern ihm auch als dem obersten Chef der SA. die ganze männliche Jugend der Partei auslieferte. Nicht nur das obwohl Herr Adolf Hitler die ebenso ehrlichen wie schwülen homosexuellen Liebesbriefe seines Freundes Röhm sehr genau fannte wie jeder politisch unterrichtete Mensch in Deutschland hat er viele Deutsche ins Gefängnis und ins Konzentrations­Lager werfen lassen. weil sie die eigenartige Veranlagung und Betätigung Röhms behaupteten.

Im Falle Heines liegt die Sache so, daß ihn Hitler einige Jahre vor der Machtergreifung wegen allzuöffent­

licher Homosexueller Orgien vorübergehend aus der Partei ausschließen mußte. Dann hat er ihn nicht nur in Ehren und Freundschaft wiedergeholt. Er hat ihn, obwohl er den Heines genau als dadistischen pervertierten Wüstling kannte, zum Mitglied des Deutschen Reichstags gemacht und ihm das Polizeipräsidium der drittgrößten Stadt Preußens, Breslau anvertraut. Männer von hohem politischen und moralischen Rang wie den ehemaligen Präsidenten des Deutschen Reichstags Löbe und den früheren Oberpräsiden­ten Lüdemann hat Herr Hitler diesem Heines, Hitlers erflärten Günstling, ausgeliefert.

Da ist doch wahrhaftig klar, was man von der neuen moralischen Offensive des Führers" zu halten hat. Umso­mehr, wenn man weiß, daß ihm anscheinend- vorsichtig ausgedrückt- unbekannt geblieben ist, welche homosexuellen Nester sich in seiner unmittelbaren Umgebung befinden. Von diesen hohen Herren ist niemand betroffen. Da wird nicht " gesäubert" wie weder bei Röhm noch bei Heines gesäubert worden ist, solange sie sich gehorsam auf der Linie des Herrn Hitler bewegten Auf der Zickzacklinie eines Unentschlos­senen, der längst eine Politik betreibt, die von den Treuesten seiner von ihm verratenen Jdeale mit tiefer Erbitterung und brennender Schmach empfunden wird.

Hitlers ,, Preisschlacht"

Von der Arbeitsschlacht ist angeblich in Deutschland nicht viel zu hören. Das ist nicht zu verwundern, wenn selbst die gleichgeschaltete Statistik gestehen muß, daß sich die Zahl der Arbeitslosen im November um 86 000 vermehrt hat. Sie beträgt jetzt offiziell 2 354 000, wobei bekanntlich die Insassen der Arbeitsdienstlager, die Landhelfer usm. nicht mitgezählt werden. Zugleich hat sich die Zahl der Notstandsarbeiter um 16 000 gegen den Bormonat vermehrt. Bezeichnend ist, daß die Zunahme in der Arbeitslosenzahl diesmal bereits im November, einen Monat früher als im Vorjahr und dies trotz des günstigen Wetters einsetzte.

Die Zunahme der Arbeitslosigkeit ist zwar zum Teil saisonbedingt. Die stärksten Zugänge haben die Bau­gewerbe und die ungelernten Arbeiter zu verzeichnen. Trotzdem bleibt die Tatsache bestehen, daß die Ziffer für November absolut genommen hoch ist und daß also die Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen an scheinend zu erlahmen beginnen. der in diesen Dingen augenblicklich entscheidend ist, an­Das ist eben die entscheidende Frage. Wird Schacht, gesichts der kritischen finanziellen und wirtschaftlichen Situation neue Mittel für die Arbeitsschlacht zur Ver­fügung stellen können? Die alten Arbeitsbeschaffungs­programme nähern sich ihrem Ende, mit Ausnahme des Baues der Autostraßen, die ja vor allem der leichten Mobilmachung dienen. Von neuen Programmen ist aber nichts zu hören. Auch Herr Reinhardt, der sonst zweimonatlich Steuerermäßigungen zur Entlastung der Wirtschaft anzukündigen pflegte, ist verstummt, nach­dem die neue Steuerregelung alle Erwar tungen auf wirkliche Entlastung grausam enttäuscht hat.

Und das ist eben der wirkliche Grund: von der Ar-" beitsschlacht" wird so wenig Aufhebens gemacht, weil es um ihre Zukunft recht trübe steht, weil die Aufbringung neuer finanzieller Mittel mit dem Abbauprogramm Schachts in Widerspruch steht und es gänzlich im Un­gewissen bleibt, wie denn der berühmte Vierjahresplan Hitlers nun weiter fortgeführt werden soll. Ohne künst liche Finanzierung, ohne neue Arbeitsbeschaffungswechsel, ohne neue inflatorische Maßnahmen wird es nicht gehen. Denn die Wirtschaft liegt darnieder. Das beweist auch der Bericht über den Außenhandel im November. Er zeigt eine neuerliche Schrumpfung. Die Ausfuhr ist um 10 Millionen, die Einfuhr um knapp 4 Millionen zu rückgegangen. Dieser allerdings geringfügige Rückgang der Einfuhr steht im Widerspruch zu der sonst in dieser Jahreszeit stets eintretenden Steigerung, die durch zu­nehmende Rohstoffeinkäufe hervorgerufen wird. Es ist nur der Ausdruck dafür, daß die Rohstoffversorgung für den bisherigen Umfang der deutschen Produktion zu knapp wird. Da andererseits aber auch der Export, troß aller Anstrengungen, stagniert, so fehlen die Zahlungs mittel, um die Einfuhr steigern zu können.

Wird also von der Arbeitsschlacht weniger geredet, so um so mehr von der Preisschlacht". Goerdeler hat den Kampf da angefangen, wo er am leichtesten ist, und zunächst die kleinen Händler und Handwerker die ( Fortsetzuna üebe nächste Seite!) Strenge des Gesetzes" fühlen lassen. Man kann sich das

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