03102
Rrethet
Nr. 288
2. Jahrgang
Einzige unabhängige Tageszeitung Deutschlands
Saarbrücken, Dienstag/ Mittwoch, 25./26. Dezemb. 1934 Chefredakteur: M. Braun
Die Aktion
Seite 2
Bürckels Weihnachtsgruß
an Knox
Seite 3
Volk und Scheiftsteller
Seite 4
Seite 7
Weihnachten an der Saar
Völkerbund als Friedensengel
Man kommt vom Saarbrücker Hauptbahnhof und blickt in ein zitterndes Lichtermeer. Elektrische Girlanden reichen quer über die Bahnhofstraße. Aber seltsam: es ist menig Weihnachtliches unter den sich drängenden Menschen. Sie erscheinen wie getrieben von einer peitschenden Erregung, die an Goethes Höllenjagd um Fausts arme deutsche Seele erinnert. Auf einmal ist man mitten darunter, man fängt Blicke auf, gibt sie zurück, jeder fragt:„ Wer bist du? Wohin gehörst du?"
In den Stunden, Stunden, in denen wir diese Zeilen schreiben, mengen sich unter die Zivilisten blaue Polizei beamte und braune Landjäger, Abstimmungspolizisten mit roten Aufschlägen, englische Soldaten in Rakhi, junge Jtaliener mit keck schiefsitzenden Müzen. Am Bahnhof kommen die ersten Holländer an, und die Schweden werden erwartet. Das ist aber nicht alles. Zu dieser Parade gehören auch die schwarzbemüßten und stiefelbewehrten SS. - Leute, die ihren muskelbepackten Tatwillen unter Ledermänteln verbergen. Sogar Reichs wehr ist da, in den Spielwarenläden steht sie, zu ganzen Bleiregimentern formiert, schon deutlich aufgerüstet in Waffen, die der Versailler Vertrag verboten hat.
Dieses Saargebiet mit seinen 830 000 Einwohnern ist heute das modernste, das interessanteste, das abenteuerlichste Ländchen der Welt. Ganze Heerscharen von Journalisten und Fotografen sind hinter den Truppen des Völkerbundes bereits in Anmarsch, um dieses Stück
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Die Botschaft des Menschenglaubens
Menschen nur in einem gewissen und formalen Sinne human. Das Entscheidende ist, daß Recht und Recht grundsäge nirgendwo so auker Betracht sind, wie in Hitler - Deutschland . Man kann in diesen Ländern nicht verstehen, daß im„ dritten Reich" nicht einmal mehr der Urkern der Zivilisation existent ist, trotz der zivilisatoris schen Errungenschaften, mit denen Deutschland die Welt. so reich beschenkt hat. Deutschland ist heute die Sphing, deren rätselvolles Antlitz die itbrigen Erdvölker drohend, unbegreiflich und triebhaft ansieht, ein Zeichen dafür, daß der große Schutzwall der Vernunft und der Menschlichkeit vor den Elementargemalten der niedrigen Instinkte noch immer nicht gesichert ist.
Es geht an der Saar um etwas viel Größeres und viel Tieferes als um die Entscheidung des 13. Januar. Die Männer und Frauen des Status quo kämpfen um des höchsten Menschenglaubens willen auf dieser Bastion. In den Tagen, in denen die Kirchen über dem Christenkreuz das Hakenkreuz hissen müssen, ist es hart, von der heiligen Mission des Weihnachtsglaubens zu sprechen. Aber:„ Gott
schuf ihn, also laßt ihn für einen Menschen gelten." Wir grüßen von der Saar her alle diejenigen, die einen Anspruch auf diesen hohen Titel besitzen. Die deutschen Arbeiter und Intellektuellen, die Leidenden und Beladenen und die Starken und Mutigen, die am illegalen Heldenliede der deutschen Geschichte schreiben. Die deutschen Emigranten in der Fremde, denen des Vaterlandes Besitz kein Dekret rauben kann, und die sich in diesen Tagen in vermehrter Liebe in Sehnsucht nach jener Heimat verzehren, die unverlierbar und unzerstörbar ihr deutsches Wesen gebildet hat. Wir grüßen die Friedfertigen, die Freiheitsliebenden, die Glaubensvollen in aller Welt... Und vor allem die Kämpfenden, die um Gestaltung und Neuordnung der Gesellschaft ringen, um sie höher zu führen.
Bon der Saar her grüßen wir sie. Der Narben lacht, der Wunden nie gefühlf! Es brennen viele Narben auf Europas Brust. Aber wir wissen, daß sie geheilt werden im Zeichen der ewigen Liebeslehre, die den Bestand der Welt immer wieder zu verteidigen hat. Klopfet an, so wird euch aufgetan!
Minglückter Putsch auf das Reichswehrministerium
chen Weltgeschichte des Jahres 1935 mit publizistischer Die Wahrheit über die Vorgänge in der Bendlerstraße
Brillianz zu notieren. Die Bost einer kleinen lothringischen Grenzstadt baut bereits besondere Telefonzellen und Telegrafenapparate, um der anstürmenden leichten Kavallerie der Feder gewachsen zu sein. Vielleicht bleibt das Saargebiet noch für einige Monate der homerische Nabel der Welt.
Mit Absicht haben wir nur verzeichnet, was die Augen in dieser Stadt und in diesem Land erspähen können. Es ist die Epidermis, hinter der, während dieser Weihnachten nur leicht verhangen, ein politischer Bulkan brodelt und zuckt. Viele Wochen hindurch hat man, bevor in Genf eine Verständigung erfolgte, feinen jähen Ausbruch befürchtet, bis sich der Völkerbund zu seiner Mission als Friedensengel entschloß und durch die Aussendung einer internationalen Polizeitruppe die braune Gefahr an der Saar zu dämpfen verstand.
Aber es ist nicht seines Amtes, und es übersteigt seine Kraft und die Möglichkeit seiner Erkenntnis, Stellung zu nehmen zu dem geschichtlichen Akt, der sich kaum drei Wochen nach Weihnachten auf deutschem Boden und unter deutschen Brüdern vollziehen wird Es ist nicht mehr nötig, darauf hinzuweisen, daß es vor dem 30. Januar 1933, dem Tage der Machtergreifung" Adolf Hitlers , ein internationales Saarproblem überhaupt nicht gegeben hat. Bis zu diesem Termin war die bedingungslose Rückgliederung dieses deutschen Landes an das gesamte deutsche Land kein Problem. Die Welt hätte, wenn die Abstim mung ein Jahr früher erfolgt wäre, das hinreißendste Beispiel einer realpolitischen Bolksgemeinschaft erlebt.
Aber heute ist Deutschland von Fremdherrschaft überzogen. Sie hat deutsches Wesen mißbraucht und geschändet. In den Gefängnissen und Konzentrationslagern wohnt das Martyrium der besten Deutschen . Eine uniformierte Herrenschicht stahl dem Volke die Freiheit und verkündete das Recht der Unmenschlichkeit. Wer in diesem Jahre unter dem Weihnachtsbaum nicht an die Opfer dieses Regimes denkt, der hat den Ehrentitel, ein Deutscher und ein Mensch zu sein, für alle Zeiten verwirkt. Mit den Saarländern, die im Dienste an ihrem Volke lieber noch eine Weile die Völkerbundsherrschaft an der Saar ertragen wollen als die Peitsche der Usurpatoren, fühlen heute Millionen deutscher Männer und Frauen im Reiche mit.
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Die Tragik dieses Konflikts sie wird, immer wieder müssen wir es erfahren, nur von wenigen im Auslande ganz begriffen. Es ist nirgendwo in der Welt, politisch, wirtschaftlich und gesellschaftlich, noch alles in Ordnung. Aber in den meisten Kulturländern, vor allem in denjenigen Westeuropas und des Nordens, besitzt man noch die Geborgenheit der Humanität. Wir sagen das mit dem gebotenen Körnchen Salz, denn jede Klaſſengeſell schaft ist in der Verantwortung vor dem lebendigen
Berlin , 24. Dezember.( Eigener Bericht.)
Die Gegensätze zwischen der Reichswehr und S., die darüber empört sind, daß ihnen unter dem Druck der Reichss mehrgeneralität die Waffen genommen werden, treten immer mehr offen zu Tage. Das macht sich äußerlich dadurch bemerkbar, daß immer mehr Fälle bekannt werden, in denen Angehörige der SS. in der Leffentlichkeit geflijfentlich Reichswehroffiziere übersehen und es ablehnen, fie zu grüßen, mozu sie verpflichtet sind. Die Folge davon ist, daß in letzter Zeit wiederholt Leute diszipliniert wurden, was wiederum nicht zur Besserung der Verhältnisse zwischen den beiden Parteien beiträgt.
In der Bendlerstraße hat man im Reichswehrministerium einwandfreie Beweise dafür, daß von Seiten der SS. Maßnahmen gegen die Reichswehr ins Auge gefaßt wer: den, die man wohl richtig als SS. - Putsch bezeichnen fann. Die S.- Leute betrachten sich als von ihrem Führer verraten. Zwischen ihnen und der SA. finden zahlreiche Zusammenfünfte statt, in denen sich die Unzufriedenheit mit der Entwicklung der Dinge sehr drastisch äußert. Diese braunen „ Wortrebellen" kommen aber im Augenblick über Diskussionen noch nicht hinaus. Der aftivere Teil ist darüber empört und will durch eine Aktion, etwa einen Handstreich gegen das Reichswehrministerium, die anderen vor vollendete Tatsachen stellen und zum tatkräftigen Handeln zwingen. So weit waren die Dinge etwa bis zum letzten Donnerstag gediehen.
Am Donnerstagabend sollte etwas" gegen das Reichs: wehrministerium unternommen werden. Man wußte, daß dort zu dieser Zeit die Büro- Generäle und die Führer der Reichswehr um Blomberg versammelt waren, angeb lich zu einer Weihnachtsfeter.
Man hatte auch mit Hitlers Kommen gerechnet, Es war einigen SS. - Leuten gelungen, sich Einladungskarten zu der Veranstaltung zu besorgen. Man erzählt, es seien von den braunen Legionären Karten nachgedruckt worden. Alles war gut vorbereitet, um den großen Schlag zu führen. Aber im Reichswehrministerium hatte man rechtzeitig Wind befommen, die Gestapo hat überall ihre Spizel, und während
äußerlich in der Bendlerstraße zunächst alles programmmäßig vonstatten ging, erfolgen in den Quartieren der SS. Haussuchungen und Verhaftungen, denen wohl auch in aller Stille in allernächster Zeit etliche Hinrichtungen nach dem Muster des 30. Juni folgen werden.
Inzwischen waren in der Bendler: und Tirpigstraße zahl= reiche Reichswehrpatrouillen aufgezogen. Zu Fuß und im Lastwagen, mit Scheinwerfern zum Teil ausgerüstet, fuchten sie das Straßenviertes ab und ließen niemand in die unmittelbare Nähe der Ministerialgebände kommen. Diese Bewegung hielt die ganze Macht zum Freitag an. Um
5 Uhr morgens erschienen dann zahlreiche Schupomannschaften, um die Reichswehr abzulösen. Da ja der Belages
rungszustand nicht verkündet war, mußte die starke Kon zentration von Truppen mit dem Stärkerwerden des Verkehrs am Morgen auffallen, und das wünschte man nicht, weif die Berliner nicht merken sollten, was gespielt wurde. Aber trotzdem auf Goebbels Anweisung die deutsche Presse fein Wort von den Dingen melden durfte, wurden sie doch sehr schnell zum Tagesgespräch. Ginige englische Diplomaten hatten nämlich an einer Abendgesellschaft teilgenommen. Auf dem Nachhausewege kamen sie in der Nähe des zernierten Viertels vorüber und beobachteten die eigenartigen Streif= züge der Reichswehrabteilungen in der ganzen Gegend. Sie suchten nun hinter des Rätsels Lösung zu kommen, setzten sich unter anderem auch mit in Berlin lebenden Vertretern ausländischer Zeitungen in Verbindung, und diese hielten es natürlich für ihre Pflicht, sich an Ort und Stelle durch Augenschein zu überzeugen. Noch in der Nacht ging das Telefon recht elbhaft im Propaganda- Ministerium, wo die neugierigen Journalisten gern zu erfahren wünschten, was eigentlich los fei. Die Getreuen des Herrn Goebbels waren in großer Verlegenheit. Sie konnten das Faktum nicht abstreiten, aber ihr Herr und Gebieter hatte ihnen noch feine passende Ausrede zurechtgelegt. Diese war erst am Sams tag redigiert. Da hieß es denn recht treuherzig, im Reichs wehr Ministerium habe eine Weihnachtsfeier stattgefunden, und man habe verhindern wollen, daß„ Unbefugte" an der Feier teilnahmen, zumal Hitler selbst dabei gewesen sei. Man ist hier nicht erst seit gestern und heute wenig ge= neigt, amtlichen Erklärungen Glauben zu schenken, aber dieser um so weniger, da nämlich erst um neun Uhr früh die verstärkten Posten und die Schupowachen zurückgezogen wurden.
Man lacht in den Kreisen der ausländischen Diplomatie über Goebbels, der anscheinend mit seinem Propaganda- Latein am Ende ist. Man erzählt sich schmunzelnd von Hitlers Weihnachtsbaum, der gegen feindliche Angriffe von schwerbewaffneten Soldaten im Stahlhelm geschützt" werden muß. Man ist um so weniger geneigt, den amtlichen Erklärungen Glauben zu schenfen, als in der Nacht zum Samstag Reichswehrfompanien, die aus Döberitz kamen, in aller Stille durch Berlin nach Schöneberg marschierten, und Leute, die es wissen müssen, behaupten, das hänge mit Vorsichtsmaßnahmen zusammen, die man zu einem„ bestimmte 3wed" ergreife.
Dieser bestimmte Zweck davon sind hier alle politischen Kreise und besonders die in Berlin lebenden Korrespon denten der ausländischen Blätter überzeugt wird nich meh lange auf sich warten lassen. Nach Hunderten zähle die SS. und SA.- Leute, die man in den beiden letzte Wochen verhaftet hat. Ihr Schicksal ist für den Augenblic noch ungewiß. Für den Augenblick! Denn man fürchtet Rückwirkungen aller rigorosen, aller Terrorakte aus die Saarabstimmung.
Sortiebuna fiebe nächste Seite!)