Denipake

Nr. 290 2. Jahrgang

Freihei

Einzige unabhängige Tageszeitung Deutschlands

Saarbrücken, Samstag, 29. Dezember 1934 Chefredakteur: M. Braun

Streichers Nördlinger Schacht

Seite 2

Ein Geheimeclaß Goebbels  

an die Saacpresse

Die Nat

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des deutschen   Außenhandels

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Säuberungsaktion im vollen Gange!

Die Reichsregierung durch uns gezwungen, den neuen 30. Juni zuzugeben

Der moralische Gesetzgeber

Nichts fürchten die Mörder des 30. Juni und ihre journa listischen Zuhälter mehr als die Wirkung eines neuen 30. Juni auf die Bevölkerung des Saargebietes. Der 30. Juni 1934 hat an der Saar   den großen Umschwung gegen das dritte Reich" eingeleitet, und eine Wiederholung solcher Greuel muß ihn vollenden. Darum gibt man sich in Berlin   solche Mühe, alle Ventile bis zum 13. Januar geschlossen zu halten, und wo ihnen dennoch blutige Dämpfe entweichen, alles abzuleugnen.

Aber wenigstens haben wir die Herrschaften wieder ein­mal zum ableugnen gezwungen. Bisher versuchten sie unsere Meldungen totzu schweigen. Die Dementis sind das beste Eingeständnis, daß sich ein neuer 30. Juni entwickelt. Massenverhaftungen werden zugegeben. Die Erschießungen, obwohl sie stattgefunden haben, werden noch bestritten. Noch...

Der Kern der Dementis ist für uns uninteressant, da er uns nicht betrifft Wir haben weder die Erschießung des ab­gesägten Brückner, noch die der Landsknechtführer von Hauenstein   und von Pfeffer gebracht. Wenn wir dem­nächst Namen melden werden, sind sie richtig. Daß SA.  - und SS.  - Führer erschossen worden sind, steht fest.

Attentate sind von uns ebenfalls nicht gemeldet worden. Was sollen also diese lächerlichen Dementis?

Aber halten wir uns mal an die Berliner   Dementier­maschine. Dumm genug ist im Saargebiet nur die Redak­tion einer Winkelzeitung, das Abendblatt", die Wider­sprüche gedankenlos zu übernehmen. Vorne wird im De­menti behauptet, es feien nur Homosexuelle verhaftet worden:

Es handelt sich hierbei um eine Afton, die auch in feiner Wetie irgendwie mit politischen Fragen in Zusammenhang steht, sondern einzig und allein die restlose Beseitigung jener Gesellschafts: seuche zum 3'el hatte, ein Unternehmen, das übrigens in der Bevölkerung stärksten Beifall findet." Hinten aber wird genau das Gegenteil befundet:

Von den Verhafteten 300 Homosexuellen sind bereits bis zu Weihnachten 200 Personen wieder auf freien Fuß gesetzt worden. Die übrigen hundert Mann mußten in Haft behalten werden, da Verdunkelungsge= fahr besteht und die Untersuchungsbehörden gewillt sind, das Intrigenspiel restlos aufzu decken, das von dieser Elique seit geranmer 3eit betrieben wurde."

Im Abendblatt  " vom 27. Dezember 1934. Organ der deutschen Front"!

So wird also zugegeben, daß allein in Berlin   hundert" Nationalsozialisten aus politischen Gründen in Haft be­halten werden. Die übrige Presse an der Saar   ist über das Berliner   Dementi so erschrocken, daß sie nach dem Rein­fall des Abendblattes" und der verheerenden Wirkung im Saargebiet das Berliner   Dementi vorsichtig retouchiert.

Die größere Saarpresse hütet sich auch folgenden tief un­sittlichen Satz des Dementis zu übernehmen:

Wenn die separatistische Presse heute diese Vorgänge als besondere Sensation politisch auszuschlachten versucht, so gibt sie damit nur ihre Sympathie mit ienen asozialen und minderwertigen Subjetten zum Ausdruck, eine Sympathie, die aus der Stellung­nahme der ehemaligen deutschen   Sozialdemokratie bei der Beratung der Strasbestimmung über den§ 175 sattjam bekannt ist.

Wahrscheinlich fürchten die gleichgeschalteten Zeitungen wegen Beleidigung des Führers" belangt zu werden, wenn sie von seinen einstigen intimsten Freunden Röhm   und Heines als asozialen und minderwertigen Subjeften" sprechen. Gerade angesichts der jetzigen Säuberungsaktion und den Beteuerungen Hitlers  , daß er mit der Schweinerei" aufräumen wolle, die nie in Deutsch­ land   auch nur annähernd so verbreitet war, wie jetzt, sei daran erinnert, daß Herr Hitler   vor noch einem Jahre wie folgt an seinen Freund Röhm   geschrieben hat:

Mein lieber Stabschef Röhm  ,

Der Kampf der nationalsozialistischen Bewegung und die nationalsozialistische Revolution wurde nur ermöglicht durch die konsequente Niederschlagung des marristischen Terrors durch die SA  . Am Abschluß des Jahres der nationalez'olistischen Revolution drängt es mich daher, Dir, mein lieber Ernst Röhm  , für die un vergänglichen Verdienste zu danken, die Tu der nationalsozialistischen Bewegung und dem deutschen  Bolfe geleistet haft, und Dir zu versichern, wie sehr ich dem Schicksal dankbar bin, solche

Männer wie Du als meinen Freund und Kampigenossen bezeichnen zu dürfen. In herzlicher Freundschaft und dankbarer Würdigung. Den 1. Januar 1934. gez. Adolf Hitler  ."

In nachweisbar genauer Kenntnis der Veranlagung und Betätigung seines Freundes und Kampfgenossen" hat Hit­ler diesen Brief geschrieben! Man soll uns da jetzt mit moralischen Reden über Säuberungsaftion", über Schwei­nerei" und asoziale Subjekte" vom Leibe bleiben.

Unsere Stellung zur Homosexualität ist dieselbe, die sie immer war. Dieses Problem der Serologie ist fein mora­lisches. Tief unsittlich sind aber diejenigen, die jahrelang in der Agitation und im Parlament die härtesten Zuchthaus­stralen für Homosexuelle gefordert und sich dann als die größten Förderer der Homosexualität erwiesen haben. Alle Organisationen der NSDAP  . von oben bis unten, ein­schließlich der Jugendorganisationen sind Brutnester der Homosexualität, wie sie nie vorher in der deutschen   Ge­schichte sich entwickelt hatte.

Oder ist etwa auch der Marrismus schuld, wenn es bei den Nazis von Homosernellen wimmelt, und gerade der Führer" so zahlreiche Homosexuelle in seine nächste Um­gebung berief, wo übrigens noch immer bekannte Homo­sexuelle sind und in hoher Gunst bleiben.

Erinnert sich Herr Adolf Hitler   gar nicht mehr früherer

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Aus dem Neuen Vorwärts" mit der Ueberschrift ,, Sein Heiligenschein"

Jabre, als er durch seine Stellung noch nicht gezwungen Im Zuge der Säuberungsaktion"

war, als moralischer Gesetzgeber der Nation" zu er= scheinen?

Wenn ihm damals die Wahrheit über die moralische Ver= wilderung und über die Homosexualität in seiner. Bewegung gesagt wurde, antwortete er: Wir sind rauhe Kämpfer und feine Moraliegen..."

Wer also trägt die persönliche Verantwortung für den Sumpf, der aus dem dritten Reich" zu uns stinft?

Nervenzusammenbruch"

à la Ko umbiahaus

Eine besonders schöne Stelle befindet sich in dem Berliner  Dementi, das von einem geheimen Staatsfeind im Reichs­propagandaministerium verfaßt worden sein muß, über den abgesetzten und verhafteten Oberpräsidenten, Gauleiter und Staatsrat Brückner:

Brückner wurde nach seiner Amtsenthebung in Haft ge= nommen und in das Kolumbiahaus in Berlin   überführt. Hier erlitt er einen Nervenzufammenbruch, der feine Ueberführung in das Staatsfranfenhaus ngtwendig machte. Ausdrücklich sei festgestellt, daß der In­haftierte keinerlei Berlegung oder Verwun= dung davongetragen hat. Sein Zustand hat sich so= weit gebeiiert, daß Brückner, wie an den vorher: gegangenen Tagen, auch am Weihnachtstage den Besuch seiner Frau entgegennehmen konnte.

Die Nervenzusammenbrüche" im Kolumbiahaule zu Ber­ lin   fennen wir seit 1% Jahren. Wenn wir über die Verhör­methoden der Gestapo   in dieser Folterhölle berichteten, waren es bisher Greuelmärchen". Es ist anerkennenswert, das jetzt unsere Meldungen amtlich bestätigt werden. Wenn ichon ein alter Nazi und hoher Staatsbonze nach wenigen Stunden Behandlung im Kolumbiabause mit seinen Ner= ven" zu Ende ist, kann man sich vorstellen, wie es den Marristen nach wochenlanger Untersuchung" zumute war; und sie wurden nicht in Staatskrankenhäuser überführt, son= dern erhängten" sich, stürzten aus dem Fenster" oder wur­den auf der Flucht erschossen" oder erlitten sonstige Unfälle, die sich aus dem Nervenzusammenbruch" erklären.

Daß Herr Brückner feinerlei Verlegungen oder Ver­wundungen" erlitten hat, darauf kann man bei der ersicht lichen Glaubwürdigkeit dieses großartigen Dementis gerade­zu schwören. Es war nur zarte Rücksichtnahme auf die Nerven seiner Frau, wenn man ihr den Besuch erst nach einigen Wochen gestattete. Immerhin wäre möglich gewesen. daß die Frau den Mann gar nicht erkannt hätte, wenn sie ihn gleich nach dem Verhör" im Kolumbiahaus gesehen hätte. Solche Fälle sind uns hinreichend bekannt.

Im übrigen haben wir natürlich mit Herrn Brückner gar fein Mitleid. Er hatte endlich einmal Gelegenheit, seine eigenen Methoden am eigenen Veibe zu verspüren. Wie sagt doch Herr Dr. Goebels so schön und wahr? Nur nicht drängeln. Es kommt jeder dran!"

Es kommt jeder dran. Wenn nicht im dritten, so im vierten Reich. Auch die Herren gleichgeschalteten Redakteure, und man wird dann erleben, ob ihre Nerven stärker sind als die des Pg. Helmuth Brückner  

Frankreich   und die Berliner   Krise

A. Sch. Paris  , 28. Dezember. Die zweite stabile Periode des dritten Reiches" ist zu Ende auf diesen knappen Satz kann man den Gesamteindruck bringen, den die jüngste, plötzlich ausgebrochene Krise innerhalb der nationalsozialistischen Diktatur auf die französische   Offentlichkeit ausübte. Die erste Etappe der Stabilität: sie begann nach dem Erfolg der Hitlerschen Volksabstimmung vom 12. November, sie dauerte bis zum Anfang Mai 1934, als die tiefe Unruhe die herannahenden Erschütterungen vom 30. Juni erkennen ließ. Nach dem Tode Hindenburgs, der auch die formale Alleinherrschaft in die Hände Hitlers   spielte, beginnt die zweite stabile Etappe des nationalsozialistischen Regimes. Nun stellt die führende französische   Presse einmütig fest, diese zweite Stabilisierungsperiode sei gewaltsam abge-­brochen.

Jm

Diese Stellungnahme der französischen öffentlichen Mei­nung wird sehr ernste außenpolitische Folgen nach sich ziehen müssen, ja, sie selbst ist ein außenpolitischer Faktor ersten Ranges. Man darf nicht vergessen, die außenpolitischen Offensiven und Erfolge des dritten Reiches" entfallen eben auf die vorübergehenden Perioden seiner innenpolitischen Stabilität. So mar es im Winter 1933 34, so mar es auch im Herbst 1934. War es im Inneren still, konnte im Auslande der Eindruck entstehen, daß die Macht Hitlers   befestigt sei, so waren dadurch auch die Verstandigungsmanöver Berlins   erleichtert. Winter 1933 34 wie im Herbst 1934, also in den Zeiten der innenpolitischen Konsolidierung des dritten Reiches", außenpolitisch dasselbe Bild: Auflockerung der Isolierung und Versuche der direkten Verhandlungen, Gespräche von der Rückkehr in den Völkerbund und die Aufrollung der Frage nach der militärischen Gleichberechtigung Hitler­Deutschlands. Die Hochkonjunktur des dritten Reiches" wiederholt sich ebenso, wie ihre Abstürze: dem Mai 1934 folgt der Dezember. Es ist von allergrößter Bedeutung für die europäische Politik, wie diese Prozesse in Paris   be­obachtet und beurteilt werden.

Das Reichswehrlager auf der Bendlerstraße, in der Nacht vom 20. auf den 21. Dezember ausgeschlagen, wirkte in Paris   alarmierend. Den Anfang machte Georges Blun, der Berliner Korrespondent des Journal", der bereits am 21. Dezember sein Blatt über die Nacht­vorgänge in Berlin   informierte. Paris   wurde hellhörig. Bezeichnend war die Haltung der großen Informations­presse, mit Journal" und" Matin" an der Spitze. Vom August bis Dezember waren beide Blätter sehr, sehr vorsichtig. Es war der Matin", der das berüchtigte Interview Hitlers   mit Jean Goy veröffentlichte, von dem die ganze Kampagne der direkten Verhandlungen ihren Ausgang nahm. Jetzt schreibt derselbe ,, Matin" von der schweren und entscheidenden Krise, die das dritte Reich" gegenwärtig durchmacht, das Journal" sagt, Deutsch­ land   befindet sich seit dem 30. Juni im Zustande der Anarchie. Der weitere Verlauf der Krise wird sehr ernst beurteilt. Philipp Barrès, der Berliner   Korrespondent