Deutsche Stimmen

Beilate zur Deutschen Freifieit" Samstag, den 29. Dezember 1934

Ereignisse und Geschichten

Der Studentenweltkongreß

Vom 29-31. Dezember in Brüssel

In den meisten kapitalistischen Ländern wird heute der Zugang zum Hochschulstudium, teils durch ein raffiniertes System von Bestimmungen erschwert. teils gesetzlich einge­schränkt, am schärfsten in Deutschland . Die große Zahl der Studierenden wird von den Nationalsozialisten als ,, schlimme Erbschaft des Liberalismus" gebrandmarkt. Die Zahl der jährlich zum Hochschulstudium neu Zugelassenen wurde zwangsweise auf 15 000 mannliche und 1500 weibliche Stu­denten herabgesetzt( Durchschnittszahl der letzten Jahre vor 1933: 30 000 Neueinschreibungen). Die Gesichtspunkte für die Auswahl sind ,, politische Zuverlässigkeit" und ,, Rassen­

reinheit".

ver­

Aber ähnliche Tendenzen machen sich in allen kapi­talistischen Ländern Bahn. Die reaktionären gesellschaft­lichen Kräfte, da sie die überlebten Institutionen festhalten wollen, sehen sich gezwungen, bei einer Kulturreaktion Unterstützung zu suchen und die freie Forschung zu hindern. Ohnmächtig, das Problem der Arbeitslosigkeit. auch für akademische Berufe, zu lösen, sucht der Kapitalismus den Ausweg in einer Beschränkung der Bildungsmöglichkeit und in Vorbereitung der Jugend auf den Krieg.

Gegen diese Gefahren wollen die fortschrittlichen Teile der Studentenschaft aller Länder sich zusammenschließen. In diesen Tagen findet in Brüssel der internatio nale Studentenkongreß gegen Krieg, Faschismus und Kulturreaktion statt, vom Studenten- Weltkomitee veranstaltet. Beinahe alle Länder werden vertreten sein. Auf der Tagesordnung stehen die Probleme: 1. Der Student im sozialen Leben. 2. Militarisie­rung der studierenden Jugend. 3. Krise der Kultur und Jugend. 4. Materielle Lage der Studenten. Ein Manifest. ein Arbeitsplan und eine Charte der Forderungen werden aus­gearbeitet und ein permanentes Weltkomitee der Studenten gewählt werden.

Auf die Arbeiten des Kongresses werden wir zurück­F. kommen.

Kadettenschulung

der Studentenschaft

Die Methoden der militärischen Zwangser­ziehung der deutschen Jugend, die in den Arbeitsdienstlagern zu brauchbaren Soldaten ausgebildet wird, werden jetzt durch eine neue Zwangsbestimmung er­weitert. Nachdem schon die Forderung der Gemeinschafts­

häuser für die Studenten der ersten Semester einen Ersatz der alten Kadettenanstalten in verschleierter Form bedeutete und eine ausreichende Zahl von Offizieren aus der Studentenschaft sicherte, wird jetzt durch eine neue Pflicht­reglung des Hochschulsports" die genügende militärische Ausbildung der Studenten hinzugefügt. Schon im Jahre 1933 war allen Studenten vorgeschrieben worden, daß sie zwei Se­mester lang an den Leibesübungen teilnehmen müßten. Doch stand ihnen bisher die Wahl der einzelnen Sportarten frei. Offensichtlich genügte diese Form aber den Anforde­rungen einer allgemeinen Offizierschulung für einen kommenden Krieg noch nicht. Daher hat soeben ler Kultusminister Rust mit verbindlicher Kraft für alle deutschen Hochschulen angeordnet. daß jeder Student in Zu­kunft verpflichtet ist, nicht mehr nach freier Wahl. sondern nach einem genau festgelegten Arbeitsplan drei Semester lang Sport auszuüben, wenn er zu einem Examen zugelassen werden will. Die einzelnen Leibes­übungen sind von jetzt ab in ihrer Art und Zahl genau bestimmt, so daß der Student an eine bestimmte Zahl von Er erhält eine sogenannte Uebungen fest gebunden ist ..Grundkarte", die sorgfältig von den Leitern der Leibes­übungen ausgefüllt sein muß, wenn der Student später ein Examen in seinem eigentlichen Fach ablegen will.

Seit dem Weltkriege hatte sich der Hochschulsport in Deutschland ausgezeichnet entwickelt. Er hatte nicht nur gut Spitzenleistungen hervorgebracht. sondern auch eine freudige Aufnahme in der akademischen Jugend gefunden. Freilich war die Sportübung der Weimarer Zeit nicht ein militärischer Drill geworden Es ist aber üble Heuchelei. wenn die gleichgeschaltete deutsche Presse jetzt zu der Ent­deckung gelangt, in der Hochschulausbildung müsse neben dem Geist( von dem heute leider nicht mehr viel zu spüren ist!) auch der Körper zu seinem Recht gelangen. Der deutsche Hochschulsport hat in den Jahren seit dem Kriege auch bei der Professorenschaft volles Verständnis und alle Unter­stützung gefunden. Es ist eine Binsenweisheit. daß eine ver­nünftige körperliche Schulung zu einer vollen Charakterbil­dung beiträgt. die seit langem in der ganzen Sportbewegung anerkannt ist. Die neue..Hochschulsportord­nung des Herrn Rust setzt also zwangsweise Grundaus­bildungsgebiete" Leichtathletik. Schwimmen. Boxen und Turnen fest. um so ein vollkommen ausgebildetes Material zur Ergänzung des Offizierskorps zu erhalten. Um die Ge­sundung des akademischen Nachwuchses ist es ihm offen­sichtlich sonst nicht allzu sehr zu tun

Was sie geschenkt bekamen...

oder bekommen sollten

Also sprach der Führer durch eine neudeutsche Weih­nachtsschau, worüber uns etwas verspätet der nachfolgende Bericht zugeht:

..Meine Damen, deutsche Frauen, Volksgenossinnen! Sie sehen unsere gigantische, eintrittsfreie Weihnachtsschau, die ihresgleichen in der ganzen Welt sucht. Nach vierzehn Jahren der Schmach und Miẞwirtschaft erstrahlen die Lichter am deutschen Weihnachtsbaum wieder heller.

Die Tanne, die in der Mitte des Saales stolz emporragt, wurzelte vormals mit ihrem deutschen Blut im Boden der Neu- Nimptscher Heimaterde, sie wurde von der rein arischen Firma Feder& Co. beigestellt. Der Inhaber legt wert darauf, nicht mit dem verachtungswürdigen Schöpfer des

nationalsozialistischen Wirtschaftsprogramms identisch

sein.

zu

Zunächst führen wir Ihnen unsern neuen Patent- Ein­Beim Nahen des sonn­topf mit Signalpfeife vor. täglichen Eintopf- Sammlers entsendet er einen schrillen Warnungspfiff und strömt ärmlichen Kohlgeruch aus.

Der zweite Tisch rechterhand wird die blauen Augen unserer Damen aufleuchten machen. Neue Wollstra­Kostüme mit nur leichten Webefehlern in der braunen Modefarbe. die hunderterlei Schattierungen zuläßt. Dem dinarischen Frauenbein schmiegt sich besonders kleidsam unser Wistrastrumpf an. Die nach kurzem Tragen sichtbar werdende Dauerlaufmasche verleiht ihm sportliche Note. unsern Wollstra­Der ostisch überlagerte Busen wird von Die knabenhafte Reformkleidern vorzüglich kaschiert. Schlankheit des nordischen Jungmädchentums gelangt in der Kletterweste aus gleichem Stoff zu vollendetem Ausdruck. Sie sehen: beigemischte Altwolle. Bestes großmütterliches Ihr Material Brauchtum Dazu diese graziösen Schuhe. unterscheidet sich kaum von echtem Leder. ihre Gummirol­Absätze überdauern tausend Jahre wie einen Tag. Kein hitler­treues Kraft- durch- Freudemädchen wird wunschlos an ihnen vorübergehen.

Der neueste Scherzartikel: Die Büchse der Pan­dora". Sie treten zu einem guten Bekannten und strecken ihm diese täuschend echte Sammelbüchse entgegen. Er er­ Da schrickt heftig. wehrt ab. wendet sich zum Gehen. und unser schnippt eine Feder. der Deckel springt auf köstliches Schokoladinkonfekt lacht dem Geneckten entgegen Es wird ihm nach überstandenem Schrecken prächtig munden. Als besonders sinniges Geschenk empfehlen wir eine Rolle neudeutschen Zwirns. Vielleicht hat ihre Freundin tagelang vergeblich die Kurzwarengeschäfte durchstreift, vielleicht liegt der zugeschnittene W1stra Wäschestoff Hause, und sie rauft sich die Haare, weil sie nicht weiß. wo­mit sie das kostbare Gewebe zusammennähen soll. Da kommen sie ins Haus und reichen ihr unseren Faden aus reinsten. haltbarsten Papierabfällen, und alle Sorgenwolken sind verflogen.

ZU

Haben Sie schon unsere fettarme Tonseife ver­sucht? Sie enthält garantiert nichts, was sonst zur Seifenhor­

A. Krafft.

stellung dient, und läßt den arischen Teint in doppelter Reinheit erstrahlen. Etwa entstehende Risse sind mit unse­rem Pudorin- Ersatz leicht abzudichten.

*

Damit ist unser Rundgang beendet. Deutschland erwachte zu neuem Wohlstand unsere Schau hat es klar bewiesen. Wir singen zum Schluß das Horst- Wessel- Lied. Am Ausgang erwartet sie ein Gabenteller, in den freiwillig Spenden zu hinterlegen sind. Wer sich weigert zu zahlen, verläßt den Saal nicht lebendig."

Wie Holländer"

Der deutsche Freiheitskämpfer

Wir entnehmen aus De Provinciale Groninger Courant":

..Der nationalsozialistische totale Staat ist in seiner Welt­anschauung von einer entwaffneten Einseitigkeit. Er kennt nur eine Richtung: die eigene und wünscht sich für die Zu­kunft nur ein Lebensideal: die Meinung über alles, die im Gehirn des Herrn Adolf Hitler geboren ist. zum Allgemein­gut zu machen. Am 30. Juni 1933 hat diese Lebensan­schauung in Deutschland die Macht erobert. Seitdem wird diese Macht buchstäblich auf allen Gebieten eingesetzt, die das Leben des Staatsbürgers betreffen und zwar in der Form einer der Bevormundung, die. theoretisch gesprochen, keine Grenzen kennt und die, um eine Terminologie zu ge­brauchen, die auf religiösem Gebiet häufig angewandt wird: den Sterblichen begleitet von der Wiege bis zum Grabe. Diese Bevormundung ist auf kulturellem Gebiet von be­sonderer Bedeutung. Doch ist man auch in Hitlerianischen Kreisen nicht so naiv, daß man glaubt, daß man 65 Mil­lionen Seelen nur durch eine Serie von Gesetzen und Ver­ordnungen, die mit einer Propagandatunke übergossen sind, in einigen Monaten oder sogar Jahren zu überzeugten Nationalsozialisten machen kann. Jedoch sucht man sein Heil in zwei Mitteln: man nimmt dem Staatsbürger alles, was für diesen Reinigungsprozeß nachteilig sein könnte und erzieht vor allem den jugendlichen Staatsbürger nach einem

Hakenkreuz- Käse

Von Fritz Hoff

Die Käsefabrik Cooperative Zuivel- Export­Vereenigun Nord- Holland" hat das Deu sche Reich und die NSDAP . auf Aberkennung des Hakenkreuzes verklagt. da sie dieses Zeichen am. Juli 1919 als Sch marke für ihren Käse gesetzlich schützen ließ.

Zeitungsmeldung.

Jetzt hat ihn also ein Käsefrige Verklagt. weil er ihm das Zeichen geklaut. Das ist doch einer der besten Witze

Der Weltgeschichte! Wir lachen laut.

Denn ist das nicht ein guter Vergleich Zwischen Hakenkreuz- Käse und..drittem Reich"?

Von außen ist's herrlich anzuschaun, Hakenbekreuzigt. verpackt und braun. Von innen aber ist's weniger schön Und unappetitlich anzusehn:

Da kriechen dicke Maden herum Und fressen schamlos und gierig, Und wenn man es anfaßt und dreht es um, Macht man sich die Pfoten schmierig.

Es soll ja allerdings Feinschmecker geben, Die lieben so etwas für's ganze Leben! Nein, wirklich, es ist wie im ,, dritten Reich", Innen ganz faulig, modernd und weich!

Ueber und über voll Unrat und Schimmel So tinkt die ganze Affäre zum Himmel!

A propos: wenn Käse verdorben ist. Dann schmeißt man ihn schnell auf den Mist!

Theater in Paris ( Stenokritiken)

Ein Jüngerer

-

1.

mit dem Ehrgeiz, als Mitglied der Vorhut zu gelten schreibt ein älteres Rührstück. Ein Melo.( Aber ein gepfeffertes.)

-

Das ist Jacques Deval in ,, Marie- Galante".( Théatre de Paris .)

( Die Krise herrscht überall.)

II.

Mariechen, ein unmündiges, o, wie süßes Ding aus Boreaux, weißt du. gerät versehentlich auf ein Schiff... und wenn sie plötzlich im halbexotischen Amerika ganz ohne Geld dasitzt: so verdient sie sich halt welches. Ich sage nicht, wie. Ich sag's und sag's nicht.

III.

Es langt aber kaum zur Heimkehr. Immer nur zwei Dollars. So wird die süße, klein- kleine Marie Spionin. Wem galt. ha, dieser plötzliche Schuß aus dem Hintergrund? Jawohl. Mit Bordeaux ist es Essig. Auf fremder Erde. Ruhe samft.

IV.

Dies wäre das Melo Wo ist der Pfeffer?

Erstens in ihrem Lebenswandel.( Ich sag's nicht.) Zweitens in der dortigen Verbreitung scharfer Getränke. Im Nationen­gewimmel. In Bars. In Tanzakrobatik und Hinterlist.

V.

Dieses Stück, verfaßt von einer literarischen Hoffnung ( die Krise herrscht), wird mit farbig- hübschen Schaustücken durch den Kinostar Florelle tragiert. Hat ein Zetterl im Schnabel weil sie hierbleiben muß."

Allerliebst.

wie sie piepst. VI.

Die fein instrumentierte Musik ist von Kurt Weill . Ihu ging es dabei wie einstens mir, als ich einen Aufsatz für Mittelamerika schreiben sollte: ich schraubte mich absichtlich zurück. Die Leser hatten jedoch Ernsteres erwartet... und maulten.

-

und ein Trotzdem kann Weill nicht aus seiner Haut paar schöne Sachen entrutschen ihm. ob er will oder nicht. K..r

Adolf im Urwald

Die DAZ." berichtet über ein Afrikahörspiel von Hilde­gard Rutkowski:

... Plötzlich. mitten in der Wildnis. tauchen deutsche Dörfer auf, die die anheimelnden Namen Neu- Lüneburg und Brandenburg führen. Grammophonmusik tönt aus den Fenstern, SA.- Lieder und-märsche. Auch Hitler- Reden gibt es hier auf Schallplattn zu kaufen,... während... die Eingeborenen ihre Tänze zum Stammesfest einstudieren." Hitler- Reden und Negertänze-, es ist eine ideale, zweck­entsprechend': Kombination.

Programm, in dem nichts vorkommt, das ihn auf andere Kreaturen

als Hitlerianische Gedanken bringen könnte, worin aber alles wohl vorkommt, was ihn dereinst zu einem fana­tischen Nationalsozialisten machen muß. Um dies zu er­reichen, verfügt man in der Tat über so ziemlich alle Machtmittel. Da ist z. B. die Schule, die Presse, der Rund­funk. der Film. die Bühne, das Podium, der Konzertsaal, das Buch das Bild. die Broschüre und das Plakat. Auf allen diesen Gebieten verkündigt man vollkommene Freiheit, mit einer Einschränkung jedoch: Freiheit innerhalb der Grenzen der nationalsozialistischen Ideologie. Wir Hol­länder geben dagegen mehr um wirkliche vollkommene Freiheit,"

In der Deutschen Wochenschau" lesen wir folgende Briefkastenantwort:

..Tertianer F. L., Gumbinnen . Kreatur" bedeutet ursprünglich: Geschöpf. Im allgemeinen Sprachgebrauch versteht man darunter einen charakterlosen Liebediener, der auf Kosten seiner Ueberzeugung im Interesse seines eigenen Vorteils auch Verbrechen gutheißt und deckt und den anständigen Menschen schädigt."

Hoffentlich sucht der Tertianer nun nicht nach Beispielen. Wer die deutsche Regierung verächtlich macht, hat hohe Zachtbensstrafe gewärtigen.