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Hurmzenen Nr. 104
Völker in Sturmzeiten
Im Spiegel der Erinnerung- im Geiste des Sehers
,, Preußischer Kommiß"
samstag, 29. Dezember 1934
Kerle sind wie die Mollusken, die können nicht viel vertragen. Laß uns mal sehen."
Wir gingen zurück und fanden Seele schlafend im Stroh. Als wir uns ihm näherten, fühlten wir die Hitze, die von
Soldatengeschichten| von August Winnig ihm ausging. Gesicht und Hals waren scharlachrot. Er hatte
August Winnig. der Verfasser der vor dem Kriege erschienenen Schrift Preußischer Kommiß", ist heute glühender Nationalsozialist. Er dient der braunen Sache in Wort und Schrift. unter Preisgabe seiner Ver. gangenheit. Einst. als junger Proletarier, war er zum Sozialismus und zur Sozialdemokratie gekommen bewegt von den hohen Gedanken der Freiheit und der Menschenrechte. Es gelang ihm. im freigewerk. schaftlichen Bauarbeiterverband einen führenden Posten zu gewinnen. Nach der Umwälzung von 1918 wurde er Oberpräsident in Ostpreußen . damals freilich schon in seinem alten Bekenntnis zögernd und schwankend. Sein politisches Ende in der Republik führte der Kapp- Putsch vom März 1920 herbei. Es erwies sich. daß er der zweideutigen Haltung der Reichswehrkommandeure in jenen kritischen Tagen Vorschub geleistet hatte.
Dann rutschte August Winnig immer weiter nach rechts. Er wurde der Vertrauensmann Hugenbergs und Stinnes. für deren Blätter er seine flinke Feder in Bewegung setzte. Heute ist er einer von den 110- Prozentigen: wildester Nationalsozialist. begeisterter Militarist und nationalsozialistischer Schriftleiter. Sein Buch Preußischer Kommiß hat er längst verleugnet. weil es die denkbar schärfste Anklage des militaritischen Kadavergehorsams darstellt. zu dessen Anbetern er beute gehört. Ein Grund mehr für uns, unseren Lesern einige Kapitel aus dem Buche August Winnis vorzulegen.
Finale
( Schluß)
Dann liefen wir hastig nach der Höhe, wo unser Stall lag, um den Aufbruch nicht zu verfehlen. Hinter kamen Vyth und Jochimsen nun auch gelaufen.
uns
drein
Im Stalle herrschte eine schreckliche Verwirrung. Alles bewegte sich schreiend und nach den Tournistern suchend durcheinander. Natürlich fand keiner den richtigen, ausgenommen wer gerade daruaf geschlafen hatte und schleuderte ihn über die Schultern. Nicht viel besser ging es mit den Gewehren; die Pyramiden wurden einfach auseinander gerissen und umgeworfen. Um die Aufregung noch zu steigern, gingen ein paar Schüsse los, die aber wunderbarer Weise niemand verletzten. Wer sich etwa die Stiefel ausgezogen hatte, war schlimm daran. Mitten in dem Lärm tönten die Kommandos zu Antreten. Der Hauptmann rannte wie besessen umher und verlangte durchaus, daß wir zur Besetzung dieses Höhenrandes" schwärmen sollten. Während er solchermaßen herumspektakelte, schwirrte im Stalle alles wie in einem Ameisenhaufen umher. Wer fertig war, ging hinaus und wurde sofort zur Besetzung dieses Höhenrandes" kommandiert. Währenddem war der Feind" ziemlich nahe herangekommen. Hätte er nicht die verrückte Idee gehabt, über die von Wasserläufen durchschnittenen Wiesen vorzugehen, so hätte er sich längst unser erbarmen können. Da wir glaubten. für diesen Fall außer Gefecht gesetzt worden zu sein, so schimpften wir nicht schlecht auf seine Dummheit und feuerten auf Geratewohl ohne anzulegen einfach in die Luft, auf den nassen Boden, oder wo wir sonst Lust hatten, hinzuschießen. Inzwischen war es heller geworden und wir erkannten das monströse Gefechtsbild. Unser Regiment war allenthalben angegriffen; aber das Gefecht bildete nicht etwa ein einheitliches Ganzes, sondera zerstreut sahen wir hier eine Kompanie, dort zwei, an anderer Stelle bloß eine halbe, sich mit denen von der andern Seite herumschießen. Es war ein schrecklicher Wirr
warr.
Nachdem wir etwa eine Stunde oder anderthalbe zur höheren Ehre des Vaterlandes Platzpatronen verschossen hatten, machte ein erlösendes Halt dem grausam dummen Spiel ein Ende. Und dann kam eine noch schönere Botschaft: Auf allerhöchsten Befehl Ruhetag abrücken in
man
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die Quartiere! Das war's, wonach wir uns sehnten. Die zersprengten Haufen unseres Regiments sammelten sich auf der Chaussee, und bald marschierten wir auf eingeweichten Wegen nach Norden, wo uns Quartiere angewiesen hatte. Größere, zusammenhängende Dörfer fehlten hier fast vollständig. Was wir sahen, waren große Gutshöfe, mit einem Kranze von niederen Tagelöhnerkathen umgeben, die in ihrem Schmutz einen trostlosen Eindruck machten. In diese Gutshöfe zerstreute sich bald unser Regiment. Unsere Kompanie hatte wieder den weitesten Weg. Da man vorn ein viel zu eiliges Tempo anschlug, fiel uns das Marschieren schwer und und mancher glaubte, daß er bringen würde; aber wie gewöhnlich, war auch heute unsere Widerstandskraft weit stärker, als man selbst dachte. Es ist überhaupt erstaunlich, was der Mensch auszuhalten imstande ist. Oft glaubte man, es keine zehn Minuten mehr ertragen zu können, und in diesem dumpfen Mattigkeitsgefühl ging man oder schleppte man sich noch stundenlang fort.
Bei diesem Marsche, der ungefähr zwei Stunden dauerte, hatte es mein Freund Seele am schlechtesten. Er war offenbar krank; jedenfalls hatte er sich bei dem Gefecht auf der
Ohne ein Wort zu erwidern, hakte Vyth den Tournister los und schwenkte ihn auf den Rücken. Inzwischen ging der dritte Zug an uns vorüber, in dem Jochimsen marschierte. Lebhaft und flink voranschreitend, wie immer, kam er daher, den Kopf hochtragend und mit den hellen Augen herumblickend.
,, Hallo! ein Mann schlapp?" rief er und trat aus dem Gliede. Ohne sich an die Rufe des Unteroffiziers zu kehren, griff er Seele mit unter den Arm. Als das Ende der Kompanie uns erreichte, schlossen wir uns hinten an.
Seele hing in unseren Armen und taumelte hin und her. Ich zweifelte nun nicht mehr, daß er ernstlich erkrankt sei. Endlich hatten wir unseren Gutshof erreicht, ein grämliches, kahles Durcheinander von Ställen und Scheunen und niederen Hütten. Selbst das Herrenhaus war unfreundlich. Der elende Eindruck wurde noch durch die kahle Anhöhe, auf der das Gut lag, verstärkt. Feuchte Nebel flatterten darüber hin, und als wir durch das morsche Tor schritten, war nicht eine Menschenseele da, die uns zurecht wies. Wir zerstreuten uns in die Scheunen und Ställe, warfen Stroh auf das holprige Pflaster und sanken nieder. Einige rieten uns, wir sollten erst trockene Kleider anziehen, aber der Teufel mochte sich noch länger auf den Beinen halten, wir konnten eben nicht mehr. Ich war mit Seele in einen Winkel getaumelt. und bald wußte ich von nichts mehr. Um mich her schwirrten leise und laute Stimmen, wie aus weiter Ferne hörte ich manchmal meinen Namen rufen, aber ich konnte nicht antworten, denn eine Mattigkeit, wie ich sie noch nie gefühlt, drückte mich zu Boden. Erst einige Stunden später kam ich soweit zu mir, daß ich aufstehen konnte. Meine Glieder waren steif und es machte mir Mühe, mich in dem schweren, durchnäßten Tuche zu bewegen. Seele lag im festen Schlafe, und mit ihm die meisten anderen Leute; nur einige standen unter dem Schauer vor der Tür und reinigten Gewehre. Ich fand kinen Geschmack daran, sann vielmehr darüber nach, wie es wohl möglich wäre, den sich meldenden Hunger zu stillen. Wir hatten ja nur Notquartier bezogen und bekamen deshalb kein Essen von unseren Quartierwirten. Ohne Absicht lenkte ich meine Schritte aus dem Hof und ging nach dem dahinter liegenden Garten. Das erste was ich sah, war eine Feldmütze voll blauer Pflaumen und das zweite war Jochimsen, der damit auf einer umgestürzten Karre saß und sie als sein mir höchst verlockend erscheinendes Mittagsmahl verzehrte. Er bot mir sogleich von seinem Raube an. Im gewöhnlichen Leben wird man mit Kommißbrot und Pflaumen nicht viel Tafelfreuden erleben, uns ausgehungerten Burschen aber schmeckte es wie Karpfen am Weihnachtsabend.
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offenbar starkes Fieber. Wir entschieden uns nach einigem Ueberlegen dafür, ihn hier liegen zu lassen und den Stabsarzt zu suchen. Vorher deckten wir ihn mit zwei Mänteln zu; sie waren zwar naß, aber wir hatten nichts besseres.
Den Stabsarzt zu finden, war durchaus nicht so leicht; aber nach einigen vergeblichen Gängen stöberten wir ihn doch auf, und zwar in einem Gutshofe, wo er anscheinend sehr gut aufgehoben war; denn er lag auf einem Sofa und qualmte wie ein Bäckerschornstein.
,, Was wollt Ihr, meine Freunde?" fragte er in seiner gutmütigen Art.
Wir stellten ihm die Sache vor und baten ihn, mitzukommen.
..Euer Kamerad wird zu viel gegessen haben, das ist die richtige Manöverkrankheit. Er fiebert? Das ist gut! Nun muß er noch tüchtig purgieren, dann ist der Leichnam wieder in Ordnung. Ihr werdet's sehen."
Wir durften darauf nur ungläubig lächeln und der Stabsarzt lachte mit.
,, Na, woll'n dem Freund mal wieder auf die Beine helfen!" Dann kleidete er sich schnell an und ging mit uns. Als wir mit ihm das Gehöft betraten, erregte es nicht wenig Aufsehen. Einige Unteroffiziere wollten uns ausfragen, aber wir hielten uns nicht bei ihnen auf. Der Stabsarzt schüttelte Seele wach und fragte ihn wieder:., Du bist doch ganz gesund, mein Freund?"
Seele murmelte leise, daß er trinken wolle.
,, Na seht Ihr, er hat zuviel gegessen und will nun trinken. Das konntet Ihr ihm schon gegeben haben. Holt ihm Milch oder Wasser; es ist ja ganz egal."
Dann untersuchte er ihn. Es ist so, wie ich sage wandte er sich an uns schwitzen und purgieren, und der Kadaver ist wieder im Lot. Dann läuft er wieder, solange es Majestät für gut hält, uns laufen zu lassen. Aber er soll Euch aus den Augen, Ihr werdet sonst auch noch krank. Der arme Freund muß nämlich ins Bett."
,, Aber wohin?" fragte ich.
„ Ei," rief der gute, kleine, dicke Stabsarzt, wohin? Da ins Haus! In das Schlafzimmer der gnädigen Frau meinetwegen, wenn sonst kein Platz ist. Geh einer hinein und melde es. daß ein Bett für einen Kranken bereit gestellt werden soll!"
Vyth ging ins Haus und stieß an der Tür mit dem Haupt
mann zusammen.
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Wo willst Du hin?" fragte er. Vyth sagte es.
,, Und Du dreckiges Judenaas willst da hinein tapsen? Ich werde Dich bekranken! Mach, daß Du weg kommst, Du Vieh!"
Der Stabsarzt hatte es gehört. Er ging schnell zum Haupt
mann.
,, Tag, Kalisch!" rief er, ihm die Hand reichend.„ ,, Gut Quartier? Ich denke, wir lassen den armen Burschen von Ihrer Kompanie da hineinschaffen; steht verdammt schlecht mit ihm. Starkes Fieber! Kann nicht wissen, was daraus wird."
..Was ist das ein Schlappstiefel!"
,, Hat sich aus geschlappstiefelt, Kalisch, den guten Mann hat die Nässe und der Hunger untergekriegt. Denken Sie, ich habe selbst einen ganzen Tag nichts Warmes zu essen gehabt." Es ärgerte den Alten, daß wir Zeugen der Unterhaltung waren. Er wehrte deshalb unwirsch ab.
..Lassen Sie das doch! Wenn man davon krank würde, wäre ich schon vor fünfzehn Jahren gestorben. Ich werde den Schweinehund nachher ein paar Stunden exerzieren lassen, dann, sollen Sie sehen, ist er wieder so munter wie ein Flohbock." ja wie
..Wie geht es Seele?" unterbrach Jochimsen unser Mahl. Ich schrak zusammen und dachte nach. Seele war das eigentlich? Er war ja wohl marode? Dann erinnerte ich mich des Zustandes, in dem sich Seele beim Marsche befunden hatte und erwiderte stockend:„ Er schläft ich denke, daß er schläft, ich habe ihn nicht gefragt."
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..Du, dann müssen wir uns um ihn bekümmern. Und umgekleidet hat er sich auch noch nicht?"
Ich verneinte.
,, Das hätte er lieber tun sollen. Weißt Du, diese dicken
,, Ich kenne Ihre Hausmittel, Kalisch. aber diesmal taugen sie nichts. Helfen Sie mir lieber, ein Bett für das Kerlchen zu finden. Kommen Sie!"
Damit schob der Stabsarzt seinen Arm in den des Hauptmanns und zog ihn mit ins Haus hinein. Nach einer Weile kamen beide zurück und der Stabsarzt ordnete an, wie Seele ins Haus zu transportieren sei. Der Hauptmann konnte es nicht überwinden, er mußte noch einmal über den armer Seele herfallen und ihn nach Kräften ausschimpfen.
Eine Utopie wird Wirklichkeit
von Wasserläufen durchschnittenen Wiese erkältet, oder Judenfrage, Zionismus , Palästinaaufbau- Josef Dünner
das elende Lager in dem feuchten Stalle hatte es ihm angetan Sein Gesicht glühte und auf der Stirne stand ihm dicker Schweiß. Dabei schritt er mit großer Hast vorwärts; wenn ich versuchte, ihn durch einen Scherz aufzuheitern, schüttelte er den Kopf und stöhnte: Wenn wir bloß erst im Quartier wären!" Ich konnte es nicht mehr mit ansehen und nahm ihm das Gewehr ab. Das war ihm zuerst eine Erleichterung, aber lange dauerte es nicht, dann stellten sich die Anzeichen der gefährlichen Erschöpfung wieder ein. Plötzlich faßte er mich beim Arm:
..Ich bin sehr schlecht, Junge; ich glaube, ich muß mich ausruhen."
Damit wollte er zusammensinken. Ich stützte ihn, so gut ich es bei meiner eigenen Schwäche konnte, und schaute mich hilfesuchend um. Aber jeder war heute so sehr mit seiner eigenen Qual beschäftigt, daß man nur unwillig über die durch uns verursachte Verzögerung wurde und schalt. Ich rief Hans. den Geistertänzer an; aber der hastete mit weit vorgestrecktem Halse vorwärts, ohne auf uns zu hören. Einige andere. denen ich zurief. blickten müde und teilnahmslos auf uns. Wir waren aus der Reihe getreten, um den Zug nicht länger aufzuhalten. Als wir nun am Grabenrande standen, kam uns Hilfe. Der erste war Vyth, der selbst humpelte.
,, Was hat Seele?" fragte er.
,, Fragen Sie erst nicht lange, nehmen Sie den Tournister!"
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Mehr denn je ist die Judenfrage aktuell. Wirtschaftskrise, nationalistische Beschränktheit und Verhetzung haben dazu beigetragen, das Problem des über die ganze Erde verstreuten Volkes erneut auf die Tagesordnung zu stellen. Wir geben daher in den folgenden Artikeln einem guten Kenner der Materie das Wort. Der aus der deutschen Arbeiterbewegung hervorgegangene Verfasser, Dr. Josef Dünner selbst Jude hat Palästina bereist und uns seine Eindrücke übermittelt.
Vorgeschichte
Als im September 1882 nach den russischen Pogromen nach den russischen Pogromen der russisch - jüdische Arzt Dr. Leon Pinsker die Losung der Autoemanzipation" erhob und jene bedeutungsvollen Worte niederschrieb:„ Die Juden sind keine lebende Nation, sie sind überall fremd, daher sind sie verachtet. Die bürgerliche und politische Gleichstellung der Juden genügt nicht, sie in der Achtung der Völker zu heben. Das rechte, das einzige Mittel wäre, die Schaffung einer jüdischen Nationalität, eines Volkes auf eigenem Grund und Boden, die Autoemanzipation der Juden, ihre Gleichstellung als Nation unter Nationen durch Erwerbung einer eigenen Heimat," da stieß er zunächst fast nur auf Gleichgültigkeit.
Die westeuropäische Judenheit sonnte sich noch im Glück der ihr mit der französischen Revolution zuteilgewordenen Freiheiten. Der Boden, auf dem die Väter und Vorväter gelebt und oft gelitten hatten, war nun kraft Gesetzes Vater land geworden. Jene Mirabeau und Lessing sollten sich in
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ihrer Voraussage, daß mit der Aufhebung des Ghettos und der Unterdrückung die Juden sich als treue und nützliche Staatsbürger bewähren würden, nicht getäuscht haben. Wenigstens soweit das in der Hand der Juden lag. Die jüdische Gesellschaft Berlins hatte sich um die Jahrhundertwende herum fast geschlossen taufen lassen. Nichts mehr sollte sie mit der Vergangenheit verknüpfen, nichts mehr sollte sie von ihrer nichtjüdischen Umgebung trennen. Selbst diejenigen, die die Tradition nicht verleugnen wollten, stempelten sie zur Konfession. Französische, englische, deutsche Staatsbürger jüdischen Glaubens erhielt sie vom Judentum nur noch die äußere Form. Und, wenn sie im Gebet sich auch gen Osten wandten, Jerusalem , der heiligen Stadt, zu, wenn sie an Feiertagen von der Rückkehr in die alte Heimat sprachen und am Weihefest der Makkabäer dachten, der Wunsch im nächsten Jahre in Jerusalem " war ihnen zum Symbol geworden, Traum einer messianischen Zukunft, die sich nun bald ,,, bald, in diesen Tagen erfüllen sollte,