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Zum 9. November! Eine Welt versank am S. November 1918: eine neue erstand. Aber noch immer, auch nach K Iahren, sehen wir nur ihre Umrisse, und manchmal will es uns scheinen, als seien diese Umrisse, die einst klar aus Blut, Tod und Verwüstung sich zeigten, verschwommen geworden. Als sei das Ganze fast nur noch ein Gebilde unserer Hoffnung. Aber es scheint nur so. Denn eins steht klar in diesem nebelhaften Weltbild: die Deutsche Republik! Daß es schwer ist, eine Revolution durchzuführen, hat uns die Geschichte der großen französischen   Revolution von 1797 und der deutschen Volkserhebung von 1848 gelehrt. Wie schwer es ist, mußten wir selbst erfahren. Als vor 6 Jahren die Monarchie in Deutschland   zersplitterte wie faules Holz, als es den durch 4)4 Kriegsjahre seelisch und wirtschaftlich in den Zusammenbruch getriebenen arbeitenden Massen gelang, dennoch aus dem Trümmer- Haufen den neuen Staat, die Deutsche Republik, zu errich- ten, da ging ein Ahnen von einer Kraft durch die Welt, wie die Menschheit sie noch nicht erlebt hatte. Mit einer Ruhe und Selbstverständlich- keit, die etwas Ueberwältigen- des hatte, bot ein zertretenes Volk am Rande des Abgrun- des der herrschenden Willkür Halt. Trotz der Stürme, die das neue Reich von außen um- brausten und innen erschütter- ten, wutde es durch eine Ver- fassung gefestigt und ver­ankert. Das Gebäude stand und stehtl Aber die es fertig- bauten, waren nicht mehr die- selben wie die Grundstein- leger. So könnte es nicht in der großen freien Linie des Grundrisses aufwärts geführt werden. Der Innenausbau unserer Republik litt unter der Notwendigkeit, den Schutz der Staatsform gegen rechts und links in den Vordergrund stellen zu müssen. Unge- Erwachtl Ihr Völker! Strebt empor zum Lichte! Der freien Menfchheit freie Bahn! Die(chwarze Binde reißt vom Angeflehte, Z e r m a l m t die Lüge und den Wahn! Verlacht, Was ihr im Stumpffinn lang bewundert; Die morfch geword'ne Form zerbrecht 1 Errichtet für das kommende Jahrhundert Ein Heiligtum dem Menfchenrecht! In reinen Flammen(chmiedet Den Gedanken, Zu hohem Werk des Hammers Stahl, Und auf den Tempeln, Die in Schutt verfanken, Baut Throne neuem Jdeall heure Lasten waren aus den, Kriege erwachsen. Die Wirtschaft war die ganzen Jahre voll- kommen auf den Kriegsbedarf eingestellt und dadurch ausge- höhlt worden: die große Masse des Volkes, alle Arbeitenden unterernährt, verelendet. Fast eine Million Menschen, die bis 1914 als werteschaffende im Wirtschaftsleben standen, müssen jetzt als Opfer des Krieges vom Staat erhalten, Millionen Witwen und Waisen, die den Ernährer verloren, müssen ver- sorgt, die aus der Heimat Vertriebenen entschädigt werden. Dazu kommen die Verpflichtungen aus dem harten Friedens- vertrag des verlorenen Krieges, die erfüllt werden müssen bis an die Grenze des Möglichen, obwohl durch denselben Friedensvertrag reiche Gebiete deutschen   Landes verloren- gingen. Es ist notwendig, sich das alles wieder vor Augen zu halten, wenn wir gerecht bleiben wollen in der Beurteilung dessen, was durch die Revolution erreicht und nicht erreicht worden ist. Denn wenn es trotz dieser schweren Belastungen möglich war, die soziale Gesetzgebung auszubauen und damit die Arbeitenden, aber auch die Schwachen anders zu schützen, als es das kaiserliche Deutschland   tat, so ist das ein Fortschritt. der nur möglich wurde, weil die Sozialdemokraten durch die Revolution zu einem anderen Einfluß im Staate gelangt sind. Vor dem Kriege und bis zur Revolution gab es kein ge- setzliches Mitbestimmungsrecht der Arbeiter im Betriebe, gab es keine Crwerbslosenfürsorge, keine allgemeine Iugendwohl- fahrt, keine allgemeine gesetzlich« Wöchnerinnenhilfe- und -fürsorge. In Kulturfragen hatte die große Masse des Volkes gar nicht mitzureden: erst in der Republik   ist den Eltern ein wesentlicherer Einfluß auf die Schule und damit auf die Er» Ziehung ihrer Kinder durch die Schule eingeräumt worden. Das alles ist viel und wenig zugleich. Hätte das deutsche  Volk bei den Wahlen zu den bisherigen Reichstagen den So- zialdemokraten eine größere Machtfülle gegeben, ihre Stellung im Staate und in der Gesetzgebung gestärkt, dann wären wir heute weiter auf dem Wege zur sozialen Republik  . Am 7. Dezember wird das mündige Volk nun wieder zu r M i te n t s ch e i d u n g an seinem Schicksal aufgerufen. Es soll bestimmen, ob der Weg der Verständigung mit unseren ehe- maligen Kriegsgegnern weitergegangen werden soll, auf dem durch die Annahme des Dawes-Gutach- tens nach dem Willen der Sozialdemokra- tie der erste Schritt vorwärts getan ist: ob durch diese Politik die Lasten des Friedens- vertrage? endlich erleichtert werden sollen, oderobDeutfch- land die Erfüllung und Verständigung verweigern und die Gefahr neuer Be- setzung deutschen Lan- des, neuer Inflation und schließlich eines neuen Krieges herauf- beschwören soll. So stehen die Dinge. Das ist keine Uebertreibung. Vor- wärts geht es nur, wenn die Masse der Wählerschaft, wenn vor allem die Frauen am 7. Dezember sich entschlossen zur Republik durch die Stimmabgabe für die sozialdemokrati- sche'Liste stellen.- Werden die nationalistischen Parteien: die Deutsche Volks» Partei, die Deutschnationale Volkspartei  , die Deutschvölkische Freiheitspartei   oder die Kommunisten durch den Ausfall der Wahlen zu größerem Einfluß gebracht, dann wäre das Schicksal der Masse des Volkes besiegelt. Diegepanzerte Faust", die unsere Rechte niederhielt, die uns das 4)4jährige Elend des Krieges brachte, würde von neuem regieren. Schaudernd sehen wir den Weg zurück. So darf es nicht wieder kommen! Verhindert es am 7. Dezember. Das ist die ernste Mahnung des Gedenktages der Revolution. Clara Bohm-Schuch  . Revolution. Wie eine Brauk am Hochzeitstage, so ist ein Volk, das sich erkennt: wie rosenrot vom heißen Schlage vom Liebespuls Ihr Antlitz brennt! Zum erstenmal wird sie es inne, wie schön sie sei und fühlt es ganz: So stehet in der Areiheilsminne ein Volk mit seinem Siegeskranz. G ottfried Keller.