Heimarbeiterinnen an die Front!
Bo bleiben die Fachausschüsse für Heimarbeit, die in den Orten und Bezirken und für die Berufe, in denen unzulängliche Löhne gezahlt werden, günstigere Löhne festsetzen und über die Arbeitgeber Bußen verhängen tönnen, die sich nicht danach richten?
Bielen , ach nur allzuvielen Heimarbeiterinnen werden unzulängliche Löhne gezahlt; Löhne, die ihnen trop langer und harter Arbeit faum das trockene Brot geben. Wo bleiben die Fachaus schüsse, die da helfen sollen, daß beffere Löhne gezahlt werden? Es find doch seit dem Tage, wo der einstimmig vom Reichstage gefaßte Beschluß in Kraft getreten ist( 1. Juli 1923), bereits mehr als 1½ Jahre vergangen.
Als Antwort auf die Frage diene folgendes:
Seit über einem Jahre streiten sich die Reichsregierung und die Regierungen der Länder darum, wer die Roften für die Fach: ausschüsse aufbringt. Es handelt sich um einen nur geringen Bee trag, und es ist auch nicht die Höhe der Summe, um die der Streit geht. Dieser geht einzig und allein um den Grundsay: wer trägt die Kosten, das Reich oder die Länder oder beide. Der Streit geht also um Staatshoheitsrechte. Die Notlage so unendlich vieler Heimarbeiterinnen, denen die Fachausschüsse Hilfe bringen follen, spielt für diejenigen, die über Staatshoheitsrechte streiten, teine Rolle. Dabei handelt es sich doch um einen einstimmig gefaßten Reichstagsbeschluß.
Die Instanzen, die zur Ausführung von Parlamentsbeschlüssen berufen find, würden sich mehr darum bemühen, den Reichstagsbeschluß vom 16. Juni v. J. auszuführen, wenn sie wüßten, die Heimarbeiterinnen, die er in der Hauptfache angeht, fümmern sich darum, wie von den Regierungen wichtige Arbeiterinteressen gewertet werden.
Der Reichstagsbeschluß vom 16. Juni 1923 ist sicher beeinflußt worden von der Rücksicht auf die mit Heimarbeit ihren Lebensunterhalt erwerbenden Wählerinnen. Im Jahre 1911, als es noch fein Frauenwahlrecht gab, stimmten mit Ausnahme von drei bürger lichen Abgeordneten sämtliche bürgerliche Parteien des Reichstages gefchloffen gegen den Antrag der Sozialdemokraten, Fachausschüsse mit dem Rechte der Lohnfestseßung für Heimarbeiter zu schaffen. Im vergangenen Jahre Surften sie sich das nicht mehr erlauben. Sie hätten sonst den Sozialdemokraten Wählerinnen zugeführt.
Seit dem Juni 1923 aber haben wir die große Not der Inflationszeit erlebt. Sie hat die Menschen, und namentlich die
Frauen der besiklofen Bevölkerungsschicht, zur Berzweiflung ge bracht. Die Zeit der großen Not ist von den Bevölkerungsschichten und politischen Parteien, die früher die Macht in Händen hatten, dazu ausgenutzt worden, die Bevölkerung gegen die neue Staats. form und gegen die Sozialdemokratie aufzubringen mit der Absicht, ihre seit dem November 1918 eingeschränkte Macht wieder zurüd zuerobern. Das ist ihnen zum Teil gelungen. Auch viele Frauen haben durch ihr Berhalter dazu beigetragen, daß der Einfluß der Sozialdemokraten in den Barlamenten und in den Berwaltungen von Reich und Ländern geringer geworden ist. Auch viele Heim. arbeiterinnen haben bei der Reichstagswahl am 4. Mai d. I. ihre Stimme abgegeben für deutschvöltische, deutschnationale oder andere rechtsstehende Parteivertreter oder für Kommunisten. Jetzt haben diejenigen Parteien wieder den ausschlaggebenden Einfluß, die sich niemals um Arbeiterinteressen ernsthaft bemüht haben, und es ist tein Wunder, daß bis heute der Reichstagsbeschluß vom 16. Juni 1923 noch nicht ausgeführt worden ist.
Jetzt aber stehen wieder Wahlen vor der Türe, und auch die Heimarbeiterinnen können Reichsparlament und die Landesparlamente, die dann gewählt am 7. Dezember mithelfen, daß das werden, in Zukunft imftande sind, die Regierungen zu veranlassen, daß fie sich auch um das Wohl der wirtschaftlich schlechtgestelltea Bevölkerungsschicht bemühen,
Wenn die Heimarbeiterinnen wollen, doß es auch in der Zu funft fo bleiben soll, daß die wirtschaftlich schlechtgestellte Bevölke rungsschicht nur als Masse gewertet wird, wenn es gilt, Lasten auf fie abzuwälzen, die unser Land und Bolk zu tragen hat durch Schuld der Machthaber in dem früheren, faiserlichen Deutschland , dann müssen sie diese wieder zu Macht und Einfluß dadurch tringen, daß sie am 7. Dezember Vertreter der Rechtsparteien oder Kommunisten wählen. Wollen die Heimarbeiterinnen dies nicht, wollen sie erreichen, daß Reichs- und Landesparlamente und auch die Regierungen den Lebensbedingungen der auf Erwerbsarbeit angewiesenen Bevölkerungsschicht mehr Beachtung schenft und mehr Berständnis entgegenbringt, als dies z. B. in der Frage der Fach ausschüsse für Heimarbeit geschehen ist, dann, Heimarbeite rinnen, wählt am 7. Dezember die Liste der Sozialdemokratischen Partei! Gertrud Hanna .
Berliner Revolutions- Erinnerungen.
Der vergangene Polizeipräsident von Berlin , Herr von Jagow, ließ, als die Berliner Arbeiterschaft für das gleiche, allgemeine, geheime und direkte Wahlrecht in Preußen demonstrieren wollte, durch Säulenanschlag verkünden:„ Die Straße gehört dem Verkehr, ich warne Neugierige!" Und die Berliner Arbeiter schlugen ihm ein Schnippchen und demonstrierten doch, nur nicht da, wo die Truppen des Herrn von Jagow Neugierige fuchten.
Herr von Linfingen, weiland Oberster Befehlshaber in den Marken, verkündete den Berlinern am 7. November 1918: Ich nerbiete"( die Bildung von Acbeiter- und Soldatenräten die Revo lution).
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Er spottet seiner selbst und weiß nicht wie. Indem er verbietet, fündigt er an, wogegen sich seine Seele vergeblich wehrt. Gutmütig duldete der Berliner mit der Selbstsicherheit deffen, der weiß, was er will.
Damals, zu Herrn von Jagoms Zeiten, hat Berlin gelacht und mit den Zähnen gefnirscht zugleich. Dieses Mal Berlin erlebst du etwas ganz Großes, Unvergeßliches!
Ueber den Asphalt jagt es im Auto, eiligen Schritts geht's über den Bürgersteig. Auf sehnigen Armen tragen Matrofen die Freiheit durch die Straßen. In zwei Tagen werden sie fallen, die preußischen 3ming- Uris.
Am 9. November beschließt die Berliner Arbeiterschaft den Generalstreit. Um 9 Uhr morgens formieren sich die ersten Arbeiterbataillone, Männer und Frauen, auf dem Alexanderplatz . Zunächst geht's, voran das Banner der Freiheit, die rote Fahne, nach der Raferne des 1. Alexander- Garde- Regiments. Ein Offizier schießt auf die Menge ein Todesopfer. Die Mannschaften schließen sich der revolutionären Arbeiterschaft an. Nun geht's von Kaserne zu Raferne. überall glatte llebergabe der Truppen.
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Linsingen
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Um 1 Uhr mittags verkünden Anschläge an den Säulen die Abdantung Wilhelms II. Bon Jagow Monarchie preußisches Panoptifum Revolution! Nachmittags gegen 2 Uhr ruft Philipp Scheidemann vom Balkon des Lesezimmers im Reichstagsgebäude die Republit aus. In furzen, martigen Säßen verfündet er der zu Tausenden zählenden Menge, daß das deutsche Volk auf der ganzen Linie gefiegt hat, ber Militarismus erledigt ist, die Hohen. zollern abgedankt haben, Ebert zum Reichstanzler ausgerufen und zur Bildung einer neuen Regierung, der alle sozialistischen Parteien angehören werden, beauftragt ist:
,, Es lebe die Republit!" braust's über den Königsplatz, den Gespenstern der Siegesallee die Bofaune des jüngsten Gerichts, uns aber die Stimme der Auferstehung.
Nachmittags stehen die Straßenbahnen still. Mich duldet's nicht zwischen den Wänden. Ich muß hinein in den Sturm, der alle Höhen und Tiefen der menschlichen Seele aufpeitscht.
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Es ist 5 Uhr nachmittags. Mit der Stad bahn bin ich bis zum Alexanderplatz gelangt. Durch die Königstraße und die folgenden Straßenzüge wandle ich unter unzähligen Menschen hinunter bis zum Schloß. Hier stoßen wir auf neue Menschenmengen. Karl Liebknecht hat von einem der Balfons herob gesprochen. Ueberall Hochstimmung ohne Ueberschwang. Im Zirkus Busch soll eine Berfammlung fein. Ich schließe mich einem Zuge dorthin an. Bei der Schloßbrücke begegnen wir einem aus der Stadt kommenden Bug. Wir begrüßen uns mit einem Hoch auf die Republik !" Unter dem Geläute der Domglocken, die den Sonntag einläuten sollen, voran die roten Fahnen, marschieren wir feierlich dahin. Meine Scle deklamiert: Aus der Kirche heiliger Nacht werden sie alle ans Licht gebracht." Da mein Herz feht aus um einen Schlag. War da nicht ein Ton unter dem Geläut wie der Knall aus dem Lauf eines Gewehrs. Niemand auker, mir scheint ihn gehört zu haben. So nehme ich zunächst eine Sinnestäuschung an. Langsam schieben wir uns in den Zirkus hinein. Eine so feierliche Menge faß noch nie vor der Arena. Und die Gloden läuten noch immer und nun hören wir es deutlich: dazwischen fallen Schüsse. Ich hatte mich also richt geirrt. Efel steigt in mir auf. namenlofer Efel im Schuge der Dunkelheit, im schalldämpfenden Schube der Glockenschläge, die fie heilig gepriesen, schießen reaktionäre Offiziere auf das unbewaffnebe Volt. Ein Mann tritt in die Arena und fordert woffenfähige Männer auf, fich zur Durchsuchung der Schloßgegend zur Verfügung zu stellen. Sofort ist eine stattliche Formation zur Stelle. Kaum ift sie abgezogen, tritt aufs neue ein Mann auf und bittet die Bera fammlung auseinanderzugehen, um den Reaktionären teine Gelegen heit zur Anrichtung eines Blutbades zu geben. Der Abzug vollzieht fich in vollster Ruhe und Ordnung.
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Der Geist des Dichters Zerfaß: Unseres Tages wollen wir uns freuen und fienen", waltet über der Menge.
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Am nächsten Tage schon werden die reaktionären Offiziere und Anhänger der Jugendwehr unschädlich gemacht nicht ganz ohne Opfer auf der Seite des revolutionären Boltes. 17 Menschen, dar. unter eine junge Frau, fallen. Am 20. November bestatten wir fle auf dem Friedhof der Märzgefallenen. Die Arbeiterschaft ehrt die Toten der November- Revolution durch ein Geleit, wie es Berlin noch nie sah.