Einzelbild herunterladen
 

Heimarbeiterinnen, wie müßt Ihr wählen?

Am 16. Juni 1923 ist im Reichstage das Heimarbeiterlohngefeh einstimmig angenommen worden. Es passiert nicht oft, daß Gesetze einstimmig zur Annahme gelangen. Es handelte sich hier aber um ein Gesetz, das nach seinem Wortlaut und nach den Absichten der Urheber den durch Heimarbeit ihr Brot suchenden Menschen Gelegen. heit geben follte, die in der Heimarbeit häufig fo überaus niebrigen Löhne mit Hilfe von Fachausschüssen zu verbessern.

Schon bei der Beratung des Hausarbeitsgesetzes im Jahre 1911 hatten die Sozialdemokraten im Reichstage beantragt, den vorgesehenen Fachausschüssen das Recht zu geben, Löhne feft. zusetzen. Sie blieben damals allein mit ihrer Forderung. Nur drei bürgerliche Abgeordnete stimunten mit ihnen. Damals glaubten fämtliche bürgerlichen Parteien noch, feine Rücksicht nehmen zu brauchen auf die Notlage weiter Schichten der Bevölkerung, nament lich der auf Erwerbstätigkeit angewiesenen Frauen. Es gab ja 1911 noch kein Frauenwahlrecht. Man brauchte also die Frauen­stimmen aus der befizlesen Schicht der Bevölkerung nicht zu fürchten und man glaubte damals auch noch, den Forderungen der Sozial­demokraten nicht allzuviel Beachtung schenken zu brauchen. Die Sozialdemokraten waren ja in der Minderheit; sie wurden zu Poften in der Verwaltung nicht zugelassen, hatten also dort keinen Einfluß. Der Staat verließ sich damals auch noch auf die ihm zur Verfügung stehenden Machtmittel zur Unterdrückung der Sozialdemokratie.

Mit dem Hausarbeitsgefetz vom Jahre 1911 tennte deshalb für die Berbefferung der Löhne der Heimarbeiterinnen fo gut wie nichts getan werden.

Bei der Beratung des Heimarbeiterlohngefeßes im vergangenen Jahre zeigte sich schon der gegenüber der Vorkriegszeit größere Ein­fluß der Sozialdemokraten und auch die Wirkung des Frauenwahl rechts. Diesmal wurden die schon 1911 von den Sozialdemokraten gemachten Borschläge Gefeß.

Am 1. Juli 1923 ist das Heimarbeiterlohngefes in Kraft getreten. Es können jetzt Fachausschüsse errichtet werden, bie das Recht haben, Löhne festzusehen, die für verbindlich erklärt werden können. Die Fachausschüsse können auch Bußen und Strafen ver. hängen über diejenigen Arbeitgeber, die diese Löhne nicht zahlen. In der Praxis ist aber trotzdem mit dem Beschluß so gut wie nichts erreicht worden. Es tommt nämlich in der Regel nicht zur Bildung von Fachausschüssen. Es fehlt dazu an den notwendigen Ausführungs­bestimmungen, die nicht zustandekommen, weil die Reichsregierung sich mit den Regierungen der Länder nicht einigen kann über die Frage: wer trägt die Kosten für die Fachausschüsse.

Die Kosten werden auf zirka 100 000 Mark jährlich geschätzt. Es ist möglich, daß diefe Summe noch nicht einmal nötig ist. Auf jeden Fall ist sie so gering, daß darüber weder das Reich, noch die Länder zugrundegehen. Um die Höhe der Summe, alfo um das Geld, geht auch der Streit nicht. Er geht vielmehr um den Grundsatz, war die Kosten aufbringt, das Reich, die Länder oder beide.

Um Eurer Kinder willen

dürft ihr nicht deutschnational wählen am 7. Dezember. Die Deutschnationale Bolkspartei will durch Zölle uns Brot, Fleisch, Milch, Butter, Fett, Eier. Obst und andere Lebensmittel noch mehr verteuern. Die Großlandwirtschaft will sich von neuem a hunger des Volkes bereichern. Die Kinder leiden am meisten an Gesundheit und Entwicklung durch die Unterernährung.

3m lehten Vierteljahr 1923 starben an Tuberkulose   von 1000 Kindern: in London   67; in München   117; in Berlin   124; in Mainz   148.

In einem Berliner   Vorort waren im Herbst 1922 von 100 ichul­entlassenen Mädchen 30, von 100 schulentlassenen Knaben fogar 31 au schwach für irgendeinen Beruf. Bei einem solchen Gesundheits­zustand der deutschen   Kinder will die Deutschnationale Volkspartei  die wichtigsten Nahrungsmittel weiter verteuern und die Deutsche  Bolkspartei will bereitwillight dabei helfen. Die Deutschoöltischen haben nichts dagegen und außerdem möchten Sie einen neuen Krieg: die Kommunisten schwärmen von einer blutigen Weltrevolution und so könnte nach dem Willen all dieser Parteien das furchtbare Elend immer von neuem beginnen.

Nur die Sozialdemokratische Partet hat den wirtschaftlichen Niedergang und die Aushungerung der breiten Massen bekämpft; nur sie hat für Völkerverständigung und friedliche Entwicklung ge arbeitet. Nur durch die Politik der Sozialdemokratie fönnen endlich die harten Folgen des Krieges verschwinden. Rur bie sozialdemo fratische Politik fann die Gegenwart erleichtern und unseren Kindern eine bessere Zukunft schaffen.

Um eurer Kinder willen wählt am 7. Dezember die Lifte der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands  ,

Reich und Länder streiten sich also um Staatshoheitsrechte und verhindern dadurch, daß Menschen geholfen wird, die dringend der Hilfe bedürfen. Heute verdienen zahlreiche Frauen durch Heim. arbeit, selbst bei längerer als achtstündiger Arbeitszeit, weniger, als die Erwerbslosemunterstützung ausmacht.

Es wäre wirklich an der Zeit, daß Fachausschüsse nach dem eln ftimmigen Beschluß des Reichstages vom 16. Juni 1923 gebildet werben fönnten, die den Schandlöhnen vieler heimarbeiterinnen ein Ende machen. Die Regierungen aber haben es nicht so eilig damit. Das Intereffe für die Heimarbeiterinnen ist eben start ge­Idywunden, weil inzwischen die Sozialdemokratie an Einfluß ner. loren hat. Daran aber find viele Heimarbeiterinnen selber sched. Nur allzuviele Heimarbeiterinnen schenkten während der Zeit der großen Not, in der Zeit der rasenden Geldentwertung, denen Glauben, die die verzweifelte Stimmung unseres Bolles ausnutten, um verlorene Macht dadurch zurückzugewinnen, daß sie der neuen Staatsform und der Sozialdemokratie die Schuld an dieser Not auf­halften, die sie selber verursacht hatten. Dadurch ist der Einfluß der Sozialdemokraten erheblich gefchwächt worden. Nach den Wahlen am 4. Mai d. 3. trat dies besonders in Erscheinung durch die Zu­fammensetzung des Reichstages. Der geschwächte Einfluß der Sozial. wahlen stattgefunden hatten, und er zeigte sich( freilich in der Deffent­bemofraten zeigte sich aber auch in den Parlamenten, wo teine Neu­fichkeit nicht so sichtbar) in dem Verhalten der Regierungen und der Verwaltungen des Reichs und der Länder zu den Fragen, die das Arbeiterinteresse berühren.

Bei einer anderen Zusammensetzung des Reichstages, als es im letzten halben Jahre der Fall war, wo 106 Deutschnationale, 32 Deutschvölkische und 62 Kommunisten mit anderen bürgerlichen Bartelvertretern bemüht waren, den Einfluß der Sozialdemokraten auszuschalten, wäre es nicht möglich gewefen, wegen emes für Reich und Länder gleich unwesentlichen Geldbetrages die Durchführung eines wichtigen, einstimmig gefaßten Beschlusses zu verhindern, der den Heimarbeiterinnen günftigere Arbeitsbedingungen schaffen fönnte.

Heimarbeiterinnen! Bollt ihr weiter arbeiten zu Bedingungen, die euch trotz harter und langer Arbeit kaum das trockene Brot geben, dann wählt am 7. Dezember deutschvölkische, deutschnationale oder fommumistische Vertreter. Wollt ihr aber Gelegenheit schaffen, eure Arbeitsbedingungen zu verbessern, dann wählt die Liste der Sozialdemokratischen Partei, die seit Jahrzehnten bemüht ist, die Lebensbedingungen der auf Erwerbsarbeit angewiesenen Bevölker.mg zu verbessern, und die wegen dieser Bemühungen von den Ver­tretern von Wohlstand und Staatsgewalt geschmäht, verleumdet und verfolgt worden ist.

Es darf aber für die Heimarbeiterinnen am 7. Dezember feine andere Wahl geben als die Liste der Sozialdemo­fratischen Partei. Gertrud Hanna  .

Wir können!

Aufruf.

Glaubt ihr dem Worte nicht?

Glaubt ihr nicht berr eurer felbft zu fein? haltet ihr euch für kleiner als klein? Nein!

Wir können!

Sturm ift ftärker als Fellenmacht! Menichengeift größer als höllennacht!

Geift fordert freibeitsftark fern und nah: Ja!-

Wir müssen!

Folgt ihr dem Drange nicht?

Wähnt ihr nur alles für Trug und Schein? Oder wollt ihr gar feige fein?

Nein!

Wr müllen!

Müllen die Feifeln zerbrechen!

Alle Falern des berzens[ prechen,

Gedenken fie deffen, was bisher gefchah: Ja!

Wir wollen!

Folgt ihr dem Rufe nicht?

Könnt ihr nur murren über das Sein? Nein!

Wir wollen!

Cat foll die Lofung fein! Gequält von wild- tyrannilcher Pein, Ift für uns nur ein Auffchrei da: Ja!-

Edmund Filcher,